Jazz im Dritten Reich

  • Jazz im Dritten Reich

    Unter dem dem Titel "Artfremde Kunst und Musik unerwünscht - Jazz im Dritten Reich" hat Horst H. Lange für die Darmstädter Jazzforschung einen kenntnisreichen Aufsatz verfasst, den ich mir nach langer Zeit wieder einmal zu Gemüte geführt habe. Zitate aus dem Artikel (That's Jazz - Der Sound des 20. Jahrhunderts, Darmstadt 1988 ) bilde ich kursiv ab.

    Vergegenwärtigen wir uns vorweg den Stand des Jazz im Mutterland dieser Musik in jener Zeit, erkennt man, dass er weit davon entfernt war, die Massen zu erreichen und in breite Schichten vorzudringen. Vergessen wir nicht, dass in Amerika tiefgreifender Rassismus und ethnische Trennung vorherrschten und um 1930 der Jazz auch jenseits des Atlantiks rassistischen Vorurteilen ausgesetzt war. Nicht unbedingt von oben angeordnet, aber inmitten der Gesellschaft tief verwurzelt. Schwarze Musiker arbeiteten unter unwürdigen Bedingungen oder wurden gar daran gehindert, ihre Musik auszuüben.

    Nun nach Deutschland: Berlin war Ende der 20er-Jahre durchaus ein Zentrum des internationalen Jazz, angeblich nach New York und London möglicherweise das drittgrößte, da habe ich allerdings meine Zweifel. Die Weltwirtschaftskrise und die "damit verbundene sinkende Kaufkraft und Rückgang der Vergnügungsindustrie" setzten dem Jazz hierzulande bereits mächtig bei. Und auch vor 1933, zum Ende der Weimarer Zeit, gab es bereits offizielle "Ächtungen" und wohl auch ein Verbot der Ausstrahlung und Aufführung des Jazz in Thüringen. Die Nazis hingegen haben den Jazz zu keiner Zeit gesetzlich verboten. Das einzige Verbot, ohne allzu augenfällige Verbindlichkeit, erließ der "Reichssendeleiter" im Jahre 1935. Dazu ein Auszug aus dem "Völkischen Beobachter": "Der Niggerjazz ist von heute ab im deutschen Rundfunk endgültig ausgeschaltet." (... es folgt eine Aufführung, welche Gremien und Personen in Zukunft zu entscheiden haben, was gespielt werden darf...) "Alle Sender des deutschen Rundfunks bringen heute zu noch unbestimmter Zeit innerhalb eines Unterhaltungskonzerts eine Jazzparodie, der Art, wie sie in Deutschland zukünftig nicht mehr geduldet werden. Eine gleich darauf folgende, der deutschen Tanzmusik entsprechende Instrumentierung der gleichen Melodie soll die Unterschiede klar machen, die zwischen Niggersang und deutschem Tanzlied bestehen."

    Angesichts solcher Zitate meine Frage im oben erwähnten Thread: Wie soll in solch einer Atmosphäre Kunst entstehen, sich der kreative Geist entfalten, wenn von kleinbürgerlichem, angstvollem, rassistisch verseuchtem Gedankengut so etwas verordnet wird? Zu meiner Überraschung: Es ging! Nehmen wir die Verbreitung von Schallplatten: Deutsche Plattenfirmen waren vertraglich international gebunden, dass "selbst die Nazis aus devisenrechtlichen Gründen nichts gegen die Einfuhr amerikanischer und englischer (auch Jazz-)Schallplatten unternehmen konnten" (...)

    Und dann nahm der Jazz kurz nach der Machtergreifung auch noch jene Wende zum allseits gefälligen und unglaublich populären Swing, erstmals auch von weißen Musikern in Amerika entscheidend geprägt, dass er "nunmehr als kultivierter Überwinder des alten "wilden" Jazz der dekadenten 20er Jahre angesehen wurde." Um 1936 erlebte die "reinliche" Swing-Welle gar eine Blütezeit in Deutschland, man nehme beispielsweise Teddy Stauffer, "von den Nazis als schräge Musik bezeichnet, aber zunächst noch halbwegs toleriert, da man ja das internationale Flair Berlins erhalten wollte." Und hier revidiere ich meine Meinung gerne: Dass nämlich auch in Deutschland ganz hervorragende Musiker zugange waren, die sowohl instrumentalistisch, als auch vom Ausdruck hervorragende Leistungen gebracht haben.

    Swing war - nahezu einmalig in der Jazz-Geschichte - nicht zuletzt auch ehrliche Tanzmusik. Laut Horst H. Lange stieß den Nazis vor allem das "undeutsche Niggergebaren" beim Ausüben des Tanzes, weniger die Musik selbst derart übel auf, dass es Ermahnungen der Reichsmusikkammer hagelte. Man konnte sich aber anscheinend dennoch einigermaßen durchlavieren, was nicht zuletzt an der Cleverness der Jazz-Ausübenden und der Bräsigkeit der Funktionäre lag, denen man "die Swingmusik oft als neuen deutschen Tanzstil aufschwatzen konnte."

    Kriegsbeginn. Die Lage ändert sich entscheidend. Jazz - von den deutschen Machthabern immer wieder auch mit England in Verbindung gebracht - war jetzt endgültig die Musik des Feindes. "Feindsender" hören konnte man mit dem Leben bezahlen. Die in Deutschland tätigen Jazzorchester stellten ihre Arbeit ein, nicht zuletzt dadurch, dass ihre Mitglieder zur Wehrmacht einberufen wurden. Außerdem hatte sich im Ursprungsland des Jazz der Wind musikalisch entscheidend gedreht. Die jungen Wilden machten Furore: Charlie Parker, Thelonious Monk, die die Grundfesten der leichten Muse Swing erschütterten und das Tor zum modernen Jazz aufzustoßen begannen.

    Der Krieg tobte an vielen Fronten, im Westen rückten Harry James, Glenn Miller & Co im Zuge der allierten Truppenbetreuung vor, Jazz wurde zum Soundtrack der Befreiung. Und auch in Deutschland selbst war es plötzlich wieder möglich, Jazz zu hören. Musiker wie Kurt Widmann, Michael Jary oder Helmut Zacharias hatten hörenswerte Ensembles, durchaus eigenständig musizierend im Vergleich zu ihren amerikanischen Vorbildern. Nicht zuletzt Goebbels veranlasste "nicht so hart gegen die Landserwünsche von schräger Musik vorzugehen, um in ernsten Zeiten eine Lebensfreude zu erhalten." Ein absurder Zynismus. Der brachte immerhin sogar wieder deutsche Rundfunk-Swing-Orchester auf den Plan. Selbst im Elend von Theresienstadt, wo auch Krasa noch wirken "durfte", tolerierte man die "Ghetto Swingers", deren berühmtestes Mitglied, Gitarrist Coco Schumann, noch bis vor nicht allzu langer Zeit beredtes Zeugnis jener Tage ablegen konnte. Der "totale Krieg", der Kampf ums nackte Überleben in nahezu jeder deutschen Großstadt, beendete dann das Jazzleben, wohl auch nahezu sämtliches andere kulturelle Leben.

    Meine Lektüren, die ich hier nur in kurzen Schlagworten zusammenfassen kann, überraschten mich selbst, ob der Komplexität, wie der Jazz im Dritten Reich gegängelt wurde, sich Nischen gesucht hat, dann wieder gefördert wurde und sich immer seinen Weg bahnen konnte. Klar ist aber auch - und da wären wir noch einmal bei Werner Egk: Wirkliche Größe kann sich nur in Freiheit entfalten. Das Ranwanzen an die Herrschenden ging eigentlich immer einher mit der Aufgabe der eigenen künstlerischen Souveränität und Klasse. In der Grauzone, in der Subversivität und mit der Intelligenz, die kulturlosen Machthaber mit größter Intelligenz zu übertölpeln, sind durchaus große Leistungen machbar gewesen. Ich denke da z.B. an Schostakowitsch.

    LG
    C.

    „Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)

  • RE: Jazz im Dritten Reich

    „Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)

  • Vor kurzem ist im Residenz-Verlag ein neues Buch zum Thema erschienen. Ich habe gerade bei einem Bekannten rein gelesen und werde es mir selbst noch anschaffen müssen in den nächsten Tagen.

    Eine dazu gehörige TV-Dokumentation ist ab hier auf YouTube zu sehen:

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    Gruß
    C.

    „Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)

  • Vor kurzem ist im Residenz-Verlag ein neues Buch zum Thema erschienen. Ich habe gerade bei einem Bekannten rein gelesen und werde es mir selbst noch anschaffen müssen in den nächsten Tagen.


    Michael Pilz hat in der "Welt" diesen Artikel über das Buch geschrieben. Quelle: http://www.welt.de/kultur/history…e-Bayreuth.html

    Bereits 1993 kam ein Film ins Kino, "Swing Kids" aus Amerika, gedreht in Prag, über die blühende Subkultur in Hamburg 1939: Schüler und Studenten geben sich dem Jazz hin und dem Ärger mit der Macht. Sie grüßen mit "Swing Heil!" Den Jazzrebellen wurden zuletzt auf St. Pauli Musicals gewidmet. Von Historikern wurden sie eher vernachlässigt. Vielleicht, weil Jugendliche, die sich mehr Gedanken um Frisuren als um Kriege machen, unter ihrer Forschungswürde sind. Vielleicht weil Swing zu harmlos klingt für die Banalität des Bösen.

    Vor vier Jahren drehten Wolfgang Beyer und Monica Ladurner aus Wien die Dokumentation "Schlurf – Im Swing gegen den Gleichschritt". Sie gewannen damit einen Filmpreis in New York. Nun reichen sie das Buch nach und erörtern schriftlich, dass die Swing-Bewegung mehr war als ein Kellerkult um Kreppsohlen und raubkopierte Schelllackplatten. Durch die Straßen Wiens tanzten die Schlurfs, Berlin hatte die Swing-Heinis, Prag die Potapki und Paris die Zazous, die Boris Vian als Straßenmärtyrer bedichtete.


    Swing war eine öffentliche Lebenshaltung

    Nationalsozialismus"Entartete Musik" – von Berg bis Stravinsky
    In Hamburg wurden Massenaufläufe organisiert, die ersten Flashmobs. 1941 stürmte die Gestapo den Alsterpalast und verhaftete 3000 Besucher eines Gastspiels des holländischen Attraktionsorchesters. Swing war keine dunkle Szene, sondern eine öffentliche Lebenshaltung, von der sich die Diktatur herausgefordert fühlte. Seit es jugendliche Subkulturen gibt, wirken sie umso mächtiger, je härter ihr die Mächtigen entgegentreten.

    Die Dynamik wird im Buch "Im Swing gegen den Gleichschritt" beispielhaft geschildert. Von Zeitzeugen wie Oliver Storz, dem 2011 verstorbenen Drehbuchautor: "Widerstand? Wir kannten nicht einmal das Wort. Wir passten bloß nicht mehr so richtig hinein ins Herrenmenschentum, hatten das Zackige dick, und das nordische Rassengetue amüsierte uns allenfalls, bevor es uns nur noch langweilte. Wir waren nicht mehr so ganz des Führers Jugend." Hitler hatte in "Mein Kampf" bereits gewarnt vom "Vormarsch der Niggermusik".

    Es kam zum kulturellen Kleinkrieg an zwei Fronten, an der ideologischen und der ästhetischen. Bei ihrem Jazz-Feldzug kam auch die Diktatur zu Schaden. Joseph Goebbels machte sich persönlich lächerlich, als er die alte Fangfrage, was Jazz sei, klären wollte, um Verbote zu erleichtern: "Musik mit verzerrten Rhythmen, Musik mit atonaler Melodieführung" und "die Verwendung von sogenannten gestopften Hörnern". Eine Rundfunkverordnung untersagte das Senden von "Negerjazz", der "Völkische Beobachter" beschrieb den Swing als Ausdruck des "kulturbolschewistischen Judentums".

    Richard Strauss sprach von der "Musik der Kanibalen"

    Das Volk erkannte Jazz , wenn es ihn hörte, oft und gern, während die Reichführung hysterisch wurde. "Was mit Ellington anfängt, hört mit dem Attentat auf den Führer auf", erklärte ein SS-Sturmbannführer. Auch Autoritäten des Musiklebens mischten sich ein. Der Komponist Hans Pfitzner sah im Jazz das Abendland vom Untergang bedroht. Theodo W. Adorno sorgte sich, bevor er emigrierte, um das "zuchtlos Dekadente". Und als 1938 bei den Reichsmusiktagen in Düsseldorf die Ausstellung "Entartete Musik" zu sehen war, sprach Richard Strauss von der "Musik der Kannibalen". Man empfahl Bayreuth als Bastion gegen den Bananenrock von Josephine Baker.

    Unten in den Tanzlokalen ging es, selbst unter der ständigen Aufsicht durch die Reichsmusikkammer , oft volkstümlicher zu. Der Jazz war auf Befehl als Blasmusik erkannt worden, er fand zurück zu seinen Wurzeln, heim ins Reich. Es wurden Wettbewerbe ausgelobt unter dem Motto "Deutsche Tanzmusik dem deutschen Volke!" bei "mäßigem Gebrauch von Synkopen" und "anständig geblasenen Saxophonen".

    Das Saxofon wurde der Ahnenforschung unterzogen. Adolf Sax wurde als deutscher Vater ausgemacht, wenngleich er Adolphe hieß und Belgier war. Die deutsche Luftwaffe befahl ihren Kapellen Saxofone. 1936, anlässlich der Olympischen Spiele, gastierte Teddy Stauffer mit seinen "Original Teddys" im Berliner Delphi für eine Konzertreihe. "Irgendjemand musste vergessen haben, dass Swing in Deutschland verboten war", erinnerte sich der Schweizer später.

    Einmal stürmte die SS die Bühne und verlangte deutsche Tanzmusik. Die Band spielte den Schlager "Bei mir bist du schön" aus dem jiddischen Musical "Men ken lebn nor men lost nisht". Ironie gegen Idiotie. Unter dem Titel "Sauerkraut" spielten die deutschen Swingbands den "St. Louis Blues".

    Humor und Jazz sind Diktatoren immer fremd geblieben. Beyer und Ladurner zitieren einen Kabarettisten der Macht: "Wenn es hier und da immer mal so etliche Querpfeifer bei uns gibt ... ach, die kommen zu ihrer weiteren Ausbildung in ein Konzertlager." In Hamburg kamen Swing-Kids ins Jugend-KZ Moringen, um Granaten für den Endsieg zu montieren. In den Pausen trommelten sie auf den Kisten ihre Lieblingsstücke. Der Berliner Coco Schumann war mit der Gitarre und dem Judenstern in der Gesäßtasche bis 1943 unbehelligt durch die Jazzkneipen gezogen, er kam nach Theresienstadt , wo er die Ghetto-Swingers gründete.

    Keine Kämpfer wie die Weiße Rose

    Die Schlurfs und Heinis waren keine Kämpfer wie die Rote Kapelle und die Weiße Rose . Aber sie waren auch Kinder ihrer Zeit, sie hatten eine Wahl. Sie sind lieber dem Rat von Bertolt Brecht gefolgt, dass man zum Tanzen aus der Reihe tanzen muss, als sich in Hitlers Jugend einzureihen. Bisher war nicht viel über die deutschen Swing-Kinder zu lesen. "Vielleicht, weil man die Revolte als massiven Angriff auf die Lebenslüge der zweiten Republik lesen kann", gibt das Autorenpaar im Nachwort zu bedenken. Vielleicht fällt es uns nur schwer, im alten Jazz heute noch mehr zu sehen als eine Musik für Studienräte und Parfümwerbungen. Etwas, das man nicht beherrschen kann.

    Bevor der Dichter Wolfgang Borchert 1947 starb, als chronisch fieberkranker Kriegsheimkehrer, schrieb er: "Jetzt ist unser Gesang der Jazz. Unser Herz und unser Hirn haben denselben heißkalten Rhythmus: den erregten, verrückten und hektischen, den hemmungslosen. Und so sind unsere Nächte: wie Jazz. Erregt. Wer schreibt für uns eine neue Harmonielehre? Wir brauchen keine wohltemperierten Klaviere mehr. Wir selbst sind zuviel Dissonanz." Das Wir einer vergessenen Generation.

    Wolfgang Beyer u. Monica Ladurner: Im Swing gegen den Gleichschritt. Die Jugend, der Jazz und die Nazis. (Residenz, Salzburg. 241 S., 21,90 €. ISBN 978-3701732180)

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

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