Brahms - Ein deutsches Requiem, op. 45
Ihr Lieben,
wenn man überlegt, welches die bedeutendsten Werke in der Musikgeschichte auf dem Gebiet "Geistliche Musik" sind, gehört neben der h-Moll-Messe oder dem Weihnachtsoratorium oder der Matthäus-Passion mit Sicherheit auch Brahms' Deutsches Requiem dazu. Dabei stellt sich die Frage, wie "geistlich" dieses Werk überhaupt ist. Denn im Gegensatz zum großen Bach war Brahms nicht derjenige, der seine Komposition mit "Soli Deo Gloria" unterschrieben hätte. Zu oft hat er im Leben Enttäuschungen erlebt, die ihn an eine alles lenkende Übermacht samt dessen Institution Kirche glauben ließ. Trotzdem atmet dieses Werk einen übernatürlichen Geist und ist gerade in protestantischen Kreisen überaus bedeutend.
Entstehung
Anlass zur Komposition, die sich wie andere Werke Brahms', über mehrere Jahre hinstreckte und viele Kompositionspausen enthielt, war der Tod seines Mentors und Freundes Robert Schumann im Jahr 1856. Doch bis zur Uraufführung in der endgültigen Fassung 1869 in Leipzig vergingen noch 13 Jahre. Bis zum Jahr 1861 arbeitete er an den ersten beiden Sätzen, legte dann das Werk aber erst einmal beiseite. Vier Jahre später, 1865, verliert Brahms als 32-Jähriger seine Mutter, was für ihn nach Schumanns Tod ein zweiter schwerwiegender Schicksalsschlag war.
Er nimmt die Arbeit wieder auf und schickt Clara Schumann 1866 das bis dahin sechssätzige Werk, was sie wenige Tage nach Erhalt der Partitur so kommentiert:
Ich bin ganz und gar erfüllt von Deinem Requiem, es ist ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen in einer Weise, wie wenig anderes.
Der tiefe Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt wunderbar, erschütternd und besänftigend.
Ein Jahr später waren in Wien erste Teile des Werkes zu hören. Allerdings mutete man dem Abonnementpublikum nur drei Sätze zu. Der Rest wurde mit Schuberts Rosamunde aufgefüllt. Die Meinung des Publikums war überwiegend ablehnend.
Seine "erste" Uraufführung erlebte das Werk am Karfreitag 1868 in Bremen. Es gab allerdings ein Problem, das der Dirigent Reinthaler an Brahms wie folgt schrieb:
Es fehlt aber für das christliche Bewußtsein der Punkt, um den sich alles dreht, nämlich der Erlösungstod des Herrn. 'Ist Christus nicht auferstanden, so ist Euer Glaube eitel', sagt Paulus.
Deshalb wurde in der Bremer Aufführung die Sopran-Arie aus dem Messias "Ich weiß, dass mein Erlöser lebet" eingefügt. Zwei Wochen später, als das Konzert wiederholt wurde, diente Agathes Arie aus dem Freischütz "Wie nahte mir der Schlummer" als Lückenfüller.
Brahms' Absicht war es aber nicht daran gelegen, Reinthalers Kritikpunkt aufzugreifen. Er hatte die Texte selbst aus der Bibel zusammengestellt, mit dem Ziel, in dem Werk nicht den Toten hinterherzutrauern, sondern die Hinterbliebenen zu trösten. Es sollte also ein Requiem für den Menschen sein, weshalb er auch mit dem Gedanken spielte, das "Deutsche" aus dem Titel zu nehmen und das Werk "Des Menschen Requiem" zu nennen.
Nach den Bremer Aufführungen arbeitete Brahms am Werk weiter und fügte als siebten Satz noch die Sopran-Arie "Ihr habt nun Traurigkeit" ein, sicher in besonderem Gedenken an seine Mutter ("Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet").
Seine "zweite" und damit richtige Uraufführung in der kompletten und endgültigen Form erlebte das Werk dann am 18.02.1869 im Gewandhaus in Leipzig unter Carl Reinecke. Der Erfolg war riesig, Brahms wurde in Europa als bedeutender Komponist anerkannt und das Werk wurde in den nächsten zehn Jahren allein in Deutschland einhundert Mal zur Aufführung gebracht.
Musik
Das Werk ist siebensätzig und wird von zwei thematisch verwandten Chorsätzen eingerahmt. Der Chor ist generell der wichtigste Bestandteil des Werkes, da er in jedem Satz vorkommt und die Inhalte transportiert. Im Folgenden gehe ich einmal komplett durch das Werk, als Vorlage dient mir ein selbst erstellter Hörfaden für Konzertbesucher.
I. Ziemlich langsam und mit Ausdruck; F-Dur
Der Satz kommt komplett ohne Geigen aus, was eine besondere Klangfarbe im Orchester ausmacht. Das Vorspiel beginnt in tiefer Lage, die Streicher werden mehrfach geteilt, die Melodieeinsätze sind fugiert. Der Chor setzt im gespannten piano ein und fährt a cappella fort.
Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Es entspinnt sich ein Dialog zwischen Chor und Orchester.
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
Die Tonart wird etwas tiefer und abgedunkelt, die Tränen werden mit Seufzerbewegungen dargestellt. Der Rhyhthmus wird beschleunigt und die Stimmung hellt sich auf, wenn die Freuden besungen werden.
Sie gehen hin mit Weinen...
Wieder das Orchestervorspiel, der Chor setzt sich drauf.
...und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Wieder werden die Freuden besungen, musikalisch identisch wie beim ersten Mal. Danach kommt der A-Teil noch einmal in veränderter Form mit einer Coda, die verklärt im pianissimo endet.
II. Langsam, marschmäßig; b-Moll
Mit tiefen, wuchtigen Bässen und fahlen Akkorden in den Streichern setzt ein Trauermarsch im Dreivierteltakt ein. Das Vorspiel wird wiederholt, der Chor begleitet:
Denn alles Fleisch, es ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blume.
Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen.
Ein Orchesterzwischenspiel bäumt sich auf und der Chor wiederholt den Teil im Forte. Mit den durchgehenden motorischen Paukenschlägen wirkt die Musik sehr beklemmend und einschüchternd. Es folgt ein Trio-Teil in der "Versunkenheitstonart" Ges-Dur, die Stimmung hellt auf.
So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn.
Siehe ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber bis er empfahe den Morgenregen und den Abendregen.
Wie in einem Menuett einer Sonate (dieser Satz war ursprünglich für eine Sonate für 2 Klavier konzipiert) wird nun der erste Teil notengetreu wiederholt.
Den Abschluss bildet ein ausgedehnter Freudenteil (B-Dur). Zunächst bestätigt der Chor in Anbetracht des menschlichen Körpers, der verwesen muss:
Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit.
Die Ewigkeit wird durch das langgezogene "E" von "Ewigkeit" ausgedrückt. Danach setzt zunächst der Bass als Solo-Stimme ein, danach folgt der Tutti-Chor.
Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen und gen Zion kommen mit Jauchzen.
Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird weg müssen.
Es herrscht eine ausgelassene Freudenstimmung. Nur bei Schmerz und Seufzen hält die Musik kurz inne, wird jedoch von den "wird weg müssen"-Rufen wieder verdrängt und es kann weitergefeiert werden. Der Satz endet selig und verklärt wie nach einer langen Party... ;+)
III. Andante moderato; d-Moll
Zum Chor gesellt sich nun der Solo-Bariton, der sofort einsetzt.
Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.
Wenn der Chor wieder mit diesem Text einsetzt, setzt auch der unerbittliche walking bass ein, der die Ausweglosigkeit des Lebens symbolisiert, das mit dem Tod enden muss. Wieder setzt der Bariton ein, fast nur rezitativisch vom Orchester begleitet:
Siehe, meine Tage sind eine Handbreit vor dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir.
Der Chor wiederholt das wieder. Das "Nichts" ist auskomponiert, die Musik sackt in sich zusammen und der Bariton muss von vorne beginnen. Die Stimmung wird im Chor nervös und angespannt bei "und ich davon muss". Kurzes Aufbäumen vom Orchester, aber es hat keinen Zweck und fällt erneut in sich zusammen, die Musik kommt zum absoluten Stillstand.
Mit neuem Einsatz der Bariton:
Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die so sicher leben.
Sie gehen daher wie ein Schemen, und machen ihnen viel vergebliche Unruhe;
sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird.
Wieder wiederholt der Chor, bevor der Bariton die entscheidende Frage stellt:
Nun Herr, wes soll ich mich trösten?
Ab jetzt herrscht die pure Verzweiflung. Alle rufen völlig aufgeregt und ohne Ausweg diese Frage in den Raum, die Verzweiflung steigert sich immer mehr, bis das Orchester auf einem verminderten Akkord ohne Auflösungsabsicht stehenbleibt.
Aus der Tiefe baut sich nun jedoch die Lösung auf und der Chor erhebt sich aus der Asche:
Ich hoffe auf dich.
Es folgt auf kleinem Raum ein großes crescendo und mündet in eine Fuge (D-Dur).
Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an.
Diese Fuge ist sehr außergewöhnlich, da sie sich musikalisch überhaupt nicht von der Stelle bewegt. Schuld daran ist ein riesiger Orgelpunkt, der die gesamte Fuge über stehen bleibt. Die Kontrabässe spielen unablässig ein D und bilden somit die starke Hand Gottes, die nichts entweichen lässt. Die Musik versucht, wegzukommen, aber der Orgelpunkt hält sie gnadenlos fest. Der Satz endet gewaltig und kulminierend (keine Qual) im strahlendsten D-Dur.
IV. Mäßig bewegt; Es-Dur
In diesem Satz lässt Brahms den Zuhörer ins Paradies schauen.
Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth.
Mein Herz und Seele freuet sich in dem lebendigen Gott.
Die Musik ist lieblich und schön, wie von einer anderen Welt.
Auch hier wird noch einmal gefeiert:
Wohl denen, die in deinem Hause wohnen. Die loben dich immerdar!
Durch mehr Bewegung in den Stimmen wird Gott gelobt. Das letzte "immerdar" wird lange ausgehalten und verhallt im pianissimo. Im Schlussteil wird das Anfangsthema aufgegriffen. Der gesamte Satz ist eine Art Ruheinsel im Werk.
V. Langsam; G-Dur
Es folgt die Sopran-Arie, die ja erst als letztes Stück ins Werk gefunden hat.
Ihr habt nun Traurigkeit, aber ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Sehet mich an: ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe großen Trost funden.
Die Musik ist im ganzen Satz sehr unaufgeregt und fließt relativ gleichmäßig dahin.
Der Chor singt im ganzen Satz nur:
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Für mich ist das der vielleicht schönste Satz, der unmittelbar in seiner Schlichtheit ins Herz geht und tröstlich wirken kann.
VI. Andante; c-Moll
Es folgt der dramatischste Satz des Werkes, vielleicht so etwas wie ein "Dies Irae".
Der Chor setzt nach einer kurzen Orchesterintonation sehr geheimnisvoll ein:
Denn wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die Zukünftige suchen wir.
Wieder kann man den "walking bass" als treibendes Element erkennen. Das Suchen wird symbolisiert durch das Suchen nach einer Grundtonart. Das c-Moll wird immer nur gestreift, nie richtig als feste Tonart bestätigt.
Der Bariton setzt wieder ein:
Siehe, ich sage euch ein Geheimnis. Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden.
Und das Selbige plötzlich in einem Augenblick zu der Zeit der letzten Posaune.
Mit der Posaune werden jetzt die Dinge unaufhörlich in Gang gesetzt. Der Chor imitiert mit lauten Rufen die Posaune, das Tempo beschleunigt sich zum Vivace. c-Moll ist jetzt als Tonart manifestiert.
Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich.
Ein letztes Mal meldet sich der Bariton (als Evangelist) und verweist auf die Schrift:
Dann wird erfüllet werden das Wort, das geschrieben steht.
Der Chor setzt wieder mit dem "Posaunenthema" ein:
Der Tod ist verschlungen in den Sieg.
Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
Mit provozierenden Fragen reizt der Chor den Tod und die Hölle sehr siegessicher. Die Musik peitscht sich jetzt immer mehr auf, die Hölle wird angeschrieen und am Ende steht der strahlende und lange Sieg. Aus diesem "Siegesakkord", der vielleicht als Höhepunkt im gesamten Werk verstanden werden kann, entspringt sogleich in der nächsten Fuge der Dankgesang (C-Dur).
Herr, du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft,
denn du hast alle Dinge erschaffen und durch deinen Willen haben sie das Wesen und sind erschaffen.
Diese Fuge ist Brahms' Hommage an die Alte Musik (Alla-Breve-Takt, lange Notenwerte). Die Musik sollte schwingen, aber trotzdem kraftvoll sein. Die verschiedenen Ausdrücke der "Kraft" kann man gut nachvollziehen.
VII. Feierlich; F-Dur
Das Orchester schreitet schrittweise auf- und abwärts, der Sopran setzt in hoher Lage ein, gefolgt vom Bass und vom Tutti-Chor:
Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben, von nun an.
In einer Einstimmigkeit meldet sich nun der Geist zu Wort:
Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Hier kann man vielleicht die gesamte Intention Brahms' nachvollziehen. Die Toten sind nicht für immer weg, sie leben in ihren Werken weiter. Das wird auch für ihn persönlich eine Sicherheit gewesen sein, denn an die Unsterblichkeit der Seele schien er ja nicht so recht zu glauben.
Das Werk endet thematisch identisch wie der erste Satz und schließt so den Kreis.
Ihr merkt, dass für mich dieses Werk sehr wichtig ist, weil es mir so viel gibt und mich emotional immer wieder so sehr mitnimmt und beschäftigt.
Am Totensonntag durfte ich es erstmals im Konzert singen und es war ein grandioses Erlebnis. Man arbeitet richtig mit der Musik mit und natürlich war das Hemd danach völlig durchgeschwitzt.
Nun interessieren mich natürlich eure Meinungen zum Werk und alles, was ihr dazu zu sagen habt.
Zuletzt möchte ich noch meine Lieblingsaufnahme vorstellen. Nachdem ich mir meine sieben Aufnahmen in den letzten Tagen noch einmal angehört habe, ist diese als klarer Sieger vom Platz gegangen:
Häggander, Lorenz, RSO Leipzig & Chor, Kegel
Die Chorleistung ist grandios, eine so klare und deutliche Aussprache hab ich sonst nicht gehört.
Außerdem ist das Orchester unter Herbert Kegel gigantisch, gerade in den dramatischen Passagen wird man förmlich weggefegt. Wahnsinn! :juhu:
So, jetzt seid Ihr dran!
Liebe Grüße,
Peter.