Sviatoslav Richter

  • Hallo Micha.

    Ist zwar ein ordentliches Mischmasch aber um diesen Preis würde ich sofort zuschlagen. Soweit ich weiß hat EMI die Box - zumindest in Autriche - schon aus dem Programm genommen. Mit meiner Diners kann ich in France leider nicht bestellen, sollte sich jemand entschließen zu bestellen, würde ich mich gerne anhängen.

    Gute Nacht

    Bernhard


    "Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgehaftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit."
    Joris-Karl Huysmans

  • Zitat von Micha


    Ist das ein Muss? Oder sind diese Studioaufnahmen eher uninteressant?

    Hallo Micha,

    zu dem Preis würde ich unbedingt zugreifen. Da sind etliche tolle Aufnahmen dabei: sehr gute Mozart-Violinsonaten mit Oleg Kagan, die „Magelone“ mit Fischer-Dieskau, die Schumann-Aufnahmen sind durchweg empfehlenswert, das 2. Brahms-Klavierkonzert unter Maazel ist nicht zu verachten, das legendäre Dvořák-Klavierkonzert unter Kleiber ist dabei usw.

    Gruß, Cosima

  • Liebe Cosima,

    welche Aufnahmen der Hammerklaviersonate mit Richter gibt es- und welche würdest Du empfehlen? Ich habe nämlich festgestellt, dass ich keine Aufnahme der Hammerklaviersonate mit Richter habe. Eine unverzeihliche Lücke ? ( :D )

    Herzliche Grüße, :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Lieber Christian,

    bitte lies mal weiter oben - da haben Bernhard und ich uns etwas über diese Sonate unterhalten...

    Bei der Hammerklavier-Sonate gibt es für mich eigentlich nur Solomon.

    Gruß, Cosima

  • Hallöchen Allerseits

    Richter führt bei mir die Hitliste "viel gekauft, wenig abgespielt" an. Egal welche Musik, ich werde einfach nicht warm mit ihm. Ich hab immer das Gefühl der überbreiten Tempi in Abwechslung mit Tastendrescherei. Emotionen wollen da bei mir einfach nicht aufkommen.
    Im Verbund mit der meist lausigen Tonqualität führte das bei mir zu
    einer mageren Präsenz seiner Musik in meinen Gemächern.
    Die grosse Ausnahme bildet Brahms 2. Klavierkonzert mit Leinsdorf. Ich werde aber wegen Cosimas Thread mal wieder seine CDs hören.

    Grüsse
    Said

  • Zitat von said

    Ich werde aber wegen Cosimas Thread mal wieder seine CDs hören.

    Hallöchen Said,

    das ehrt mich ja irgendwie, aber wozu die Mühe? Es gibt neben dem Tastendrescher Richter doch noch so viele andere, richtig kultiviert spielende Pianisten... Und zur Not kann man das ganze lausig klingende Zeugs, das ja doch nur wertvollen Platz in den Gemächern wegnimmt, einfach wieder verkaufen.

    Gruß, Cosima

  • Ich mache dann mal weiter…

    Diese Doppel-CD aus der Parnassus-Reihe „Richter in the 1950s“ mit Live-Aufnahmen aus Moskau (1958 und 1954) ist in jeder Hinsicht erfreulich:

    Ein großes Kompliment an Leslie Gerber für seinen Booklet-Text. Gerber scheint nicht nur ein Richter-Kenner und -Anhänger zu sein, er liefert auch Informationen über Vergleichs- und überhaupt andere gute Richter-Aufnahmen (inkl. Angabe des Labels mit Nr.), korrigiert sogar fremde Fehler, wie im Falle einer Melodiya-Veröffentlichung, bei der ein falsches Aufnahmedatum angegeben wurde etc. Ganz vorbildlich das alles.

    Obgleich die Aufnahmen von russischen Bändern stammen, die jahrzehntelang in irgendwelchen Archiven lagerten, ist die Klangqualität wirklich gut. Die 1954-er Aufnahmen sind sogar noch etwas besser als die aus 1958.

    Die CDs enthalten einige Mitschnitte von Werken, die ansonsten bis heute ( die Veröffentlichung ist aus 1998 ) – soweit ich es überschaue – die einzigen Richter-Dokumente sind, die es davon auf Tonträger überhaupt gibt. Dazu gehören: Die einzigen Stücke, die Richter aus Liszts „Années de Pelerinage“ jemals gespielt hat. Besonders „Au bord d'un source“ ist funkelnd und farbig, ganz großartig!

    Weiterhin spielt er Webers 3. Klaviersonate – eine Sonate, die er sehr gern gespielt hat. Ich kenne bereits die Aufnahmen aus 1966 und 1994, aber diese frühe Aufnahme ist m.E. die fesselndste, weil risikofreudigste. Ich mag die Sonate sehr, wundere mich immer wieder, dass sie von Pianisten kaum gespielt wird.

    Ein weiteres funkelndes Highlight ist Ravels „Jeux d’eau“, von dem es auch nur wenige Richter-Dokumente gibt. Bis auf die Carnegie Hall-Aufnahme vom 26. Dez. 1960 (RCA), scheinen sie zudem allesamt derzeit vergriffen zu sein. Aber auch die anderen Ravel-Stücke sind großartig gespielt.

    Zum Schluss der 2. CD gibt es noch einige vorzügliche Rachmaninov-Stücke und die Prokofiev-Gavotte aus „Cinderella“, die Richter gern als Zugabestücke gespielt hat.

    Das Beste zum Schluss: Einen Richter in Bestform kann man in der einzig bislang veröffentlichten Live-Version der „Pathétique“-Sonate hören! :juhu: Gerber weist natürlich auf die fulminante Moskauer Studio-Einspielung aus 1959 hin, die ich schon lange kenne und für eine der besten Interpretationen dieser Klaviersonate überhaupt halte.

    Die Zeiten im Vergleich:

    1958: 7’45 5’30 4’23
    1959: 7’36 5’28 4’26

    Obgleich die Zeiten sehr dicht beieinander liegen, empfinde ich die Live-Version aus 1958 fast als noch aufregender und bezwingender, weil freier und auch wieder risikofreudiger, auch mit noch etwas mehr Sinn für die Kontraste.

    Sehr schön ist das Schusswort in Gerbers Text, dem ich mich anschließe:

    „Paranassus is proud to offer these recordings to the public. We hope the Maestro forgave us for eavesdropping on his younger self in this way. We do it, of course, only because we feel we can never hear enough of his playing.“

    Gruß, Cosima

  • In der BBC Legends-Reihe sind inzwischen recht viele Richter-Aufnahmen erschienen. Eine für mich besondere Aufnahme ist diese mit Werken von Chopin und Debussy:

    Der Booklet-Text zu diesen Mitschnitten aus 1961, 1963 und 1967 (Royal Festival Hall, London und Maltings, Snape) stammt von Alexander Melnikov. Richter - als Förderer von Melnikov – hatte diesen wiederholt zu seinem Festival in Tarussa (Russland) und zu seinem Kammermusikfestival in Tours eingeladen. Entsprechend engagiert und bewegend ist der Text verfasst – sehr lesenswert.

    Obwohl seine Liebe zu Chopin ihn ein ganzes Leben lang begleitete, gefallen mir Richters Chopin-Aufnahmen zumeist nicht sehr gut. Oftmals wirken seine Interpretationen zu grob, lassen die Verfeinerung und das Emotionale vermissen. Nicht so hier: Richter war bei diesen Konzerten in fantastischer Form. Sein Chopin ist sensibel interpretiert, mit der für Richter so typischen jenseitigen Melancholie verfeinert. Auch wenn es hier und da ein paar Eigenwilligkeiten gibt, meine ich, dass die auf dieser CD versammelten mit zu seinen besten Chopin-Aufnahmen gehören, die ich kenne. (Enthalten von Chopin sind: Ballade Nr. 3, Scherzo Nr. 4, 4 Mazurkas op. 24, Barcarolle, Ausz. aus Études op. 10.)

    Die große Überraschung waren für mich aber die Debussy-Préludes. Aus Heft 1 fehlen leider 'La fille aux cheveux de lin' und 'Minstrels'. Den Grund hierfür kenne ich nicht. (Heft 2 ist vollständig.)

    Voller Klangfülle und Farbigkeit, vielfältig variierend im Anschlag verleiht Richter jedem der Préludes einen eigenen, ganz klaren Charakter. Er scheint ganz hinter das Werk zurück zu treten, so als würde er es aus einiger Distanz betrachten. Dadurch habe ich – als Hörerin – das Gefühl, dem Werk noch näher kommen zu können. Ich kann dieses Gefühl leider nur unzulänglich beschreiben, aber m.E. erweist sich Richter hier als glänzender Vermittler.

    Gruß, Cosima

  • Ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt: Richter und Fischer-Dieskau

    In dem Monsaingeon-Film „Autumn Journey“ über Fischer-Dieskau erzählt der Sänger ein wenig über seine Begleiter. Gerald Moore war für ihn der Begleiter mit größter Sensibilität, der sofort wusste, wohin er, der Sänger, wollte. Bei Richter muss die Herangehensweise anders gewesen sein, denn Fischer-Dieskau sagt, dass er in der gemeinsamen Arbeit versuchte, den schnellsten Weg zum Partner zu finden – nämlich um ihn, den Lied-Begleiter, mit seiner Stimme zu begleiten. In FiDi’s Buch „Nachklang“ heißt es dazu: „Daß ich besonders daran Freude hatte, mich in die Konzeptionen Richters einzuschmiegen, erzählte ich schon.“

    Fischer-Dieskau hat m.E. diese Worte mit Bedacht gewählt. Er, der Sänger, „schmiegt“ sich mit Freude ein die Konzeptionen des Pianisten.
    In diesem Satz findet sich bestätigt, was auch hörend erfahrbar ist: Beide Künstler waren bzw. sind starke Persönlichkeiten, die sich menschlich und künstlerisch nahe standen. (Nina Dorliac deutet auf der Enigma-DVD an, dass die Beiden sich erst zusammenraufen mussten.) Der Pianist ist hier nicht mehr nur der Begleiter, er ist vielmehr gleichberechtigter Partner, was den Lied-Interpretationen sehr zugute kommt, denn oft wird der pianistische Part m.E. zu sehr vernachlässigt.
    Dies geschieht aber anders als mit einem Horowitz, der in dem legendären Carnegie-Hall-Konzert in der „Dichterliebe“ sich selbst egozentrisch in den Vordergrund spielte, und auch anders als mit Pollini, bei dessen „rücksichtslosen“ Spiel dem Sänger nichts anders übrig blieb, als ihm mit seiner Stimme irgendwie zu folgen.

    Richter erweist sich als hochkonzentrierter und sensibler Liedbegleiter, zu hören auf leider viel zu wenigen Aufnahmen. Ich kann sie allesamt empfehlen, möchte beginnen mit der Aufnahme von Schubert-Liedern, einem Konzertmitschnitt aus 1977 im Grand Théatre de Tours:

    Faszinierend ist die Fülle an Farben und Nuancierungen, die Fischer-Dieskaus Gesang aufweist. Er gestaltet intensiv, betont aber nicht über. Richter geht auf den Sänger ein, gibt darüber hinaus dem pianistischen Part eine individuelle Akzentuierung. Er gestaltet aktiv und aufmerksam mit, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Vor allem den Nachspielen verleiht er eine besondere Betonung, indem er sie sensibel auskostet und nicht nur herunterspielt. Genauso wünsche ich mir Liedbegleitung – ganz hervorragend ist das! :juhu: Da haben sich zwei Künstler zusammengetan, die in ihrer gemeinsamen Arbeit jeweils von der starken Persönlichkeit des anderen profitieren konnten.

    Das Programm ist intelligent zusammengestellt: Durch die gewählte Reihenfolge entsteht ein schöner Fluss im Vortrag der Lieder, der das ganze Konzert sehr stimmig erscheinen lässt. Obgleich es sich um einen Konzertmitschnitt handelt, sind keine Störgeräusche aus dem Publikum zu hören. Auch die Klangqualität ist sehr gut.

    Weitere FiDi / Richter-Aufnahmen folgen, aber natürlich interessieren mich auch Eure Eindrücke.

    Gruß, Cosima

    P.S.: Ich finde es unendlich schade, dass es keine „Winterreise“ mit diesen beiden Künstlern gibt. Was hätte das für eine Aufnahme werden können! Aber die hat Richter ja bekanntlich mit Peter Schreier aufgenommen.

  • Liebe Cosima,

    kleiner Zwischenruf : Meinst Du nicht auch, dass Richters Beharren auf den Noten vor der Nase eine denkbare Beeinträchtigung mancher Interpretationen darstellt ? Als Sänger habe ich stets feststellen müssen, dass die auswendige Wiedergabe eines Werks erst die gewünschte Außenwirkung hat. War das nun eine Richter`sche Marotte, die ich von keinem anderen Instrumentalisten kenne, oder gabe ihm das Vorhandensein des Notentextes die entscheidende Sicherheit ? Für den Liedbegleiter sind die Noten natürlich unverzichtbar. Und in eben dieser Funktion, z. B. in der Zusammenarbeit mit Fischer - Dieskau, habe ich den großen Pianisten auch ganz besonders geschätzt.

    Ciao. Gioachino :wink:

    miniminiDIFIDI

  • Lieber Gioachino,

    nein, ich meine nicht, dass es deswegen zu Beeinträchtigungen in den Interpretationen kam. Ich denke schon (habe das auch irgendwo von Richter so gehört oder gelesen), dass der Notentext ihm Sicherheit gab.
    Gleichwohl hat er selber noch einen anderen Grund angeführt, nachzulesen in Meyer-Josten „Musiker im Gespräch“. Richter bezieht sich auf das „Wohltemperierte Klavier“ und meint, dass jeder Pianist das Werk komplett und zudem auswendig spielen müsse. Im Konzert stellte er sich trotzdem die Noten auf den Flügel. Nicht wegen seines Gedächtnisses, wie er betont, sondern weil ein guter Freund ihm etwas gesagt hatte, was ihn sehr beeindruckte. Dieser sagte nämlich: „Gut, Sie spielen das Wohltemperierte Klavier auswendig. Aber ist das nicht unbescheiden gegenüber Bach?“ Darüber hatte Richter nachgedacht und fand es dann in der Tat unbescheiden. :)

    Gruß, Cosima

  • Hallo Gioachino,

    Meinst Du nicht auch, dass Richters Beharren auf den Noten vor der Nase eine denkbare Beeinträchtigung mancher Interpretationen darstellt ? Als Sänger habe ich stets feststellen müssen, dass die auswendige Wiedergabe eines Werks erst die gewünschte Außenwirkung hat. War das nun eine Richter`sche Marotte, die ich von keinem anderen Instrumentalisten kenne, oder gabe ihm das Vorhandensein des Notentextes die entscheidende Sicherheit ? Für den Liedbegleiter sind die Noten natürlich unverzichtbar.

    warum sollten gerade für einen Liedbegleiter die Noten unverzichtbar sein? Man kann natürlich genauso gut ein Lied samt Gesangsstimme auswendig lernen wie eine Klaviersonate. Der Vergleich zum Sänger hinkt einerseits etwas, weil ein Sänger ja bei Liederabenden frontal zum Publikum gerichtet ist, es direkt und ohne Umweg über ein Instrument im wahrsten Sinne des Wortes anspricht. Andererseits ist es ja auch beim Gesang offenbar nichts weiter als Tradition, dass man Liederabende auswendig singt, Oratorienpartien aber durchaus nach Noten singen darf. Einen überzeugenden inhaltlichen Grund kenne ich dafür nicht. Richter hat sich in Programmheften seiner späten Jahre zu diesem Thema sinngemäß so geäußert, dass er durch den Verzicht auf das Auswendigspielen erstens ein größeres Repertoire pflegen und ausbauen kann und dass es zweitens quasi unmöglich sei, wirklich jedes Detail einer umfangreichen Partitur sicher auswendig zu lernen. Letzteres wird verständlich, wenn man sich die Fülle der Details klar macht: Die Länge und Stellung von Bögen, Art und Position von Artikulationszeichen, Dynamikzeichen, Klang- und Charakterbezeichnungen, Balkensetzungen und vieles mehr. Besonders schwierig ist wird die Sache, wenn verschiedene Zeichen oder Bezeichnungen etwas ähnliches, aber nicht dasselbe meinen: decresc. und dim., Akzentzeichen als > oder ˇ, sf oder fp, Klang- bzw. Charakterbezeichnungen wie "dolce", "teneramente" usw.. Ich gebe Richter Recht, dass es praktisch bei komplexen Partituren und mit vertretbarem Aufwand nicht möglich ist, alle diese (und viele andere) Dinge Sicher auswendig zu lernen. Die Frage ist eher, ob das wirklich notwendig ist: Man beschäftigt sich ja beim Einstudieren - hoffentlich - mit all diesen Zeichen und Bezeichnungen und "übersetzt" sie in eine Interpretation. Beim Vortrag ist es meines Erachtens daher nicht zwingend erforderlich zu wissen (im Sinne von: sich daran zu erinnern), dass da z.B. "dolce" steht, wenn man statt dessen einen Klang verinnerlicht hat und produziert, der eben "dolce" erscheint. Die Zeichen sind wichtig für die Erarbeitung einer Interpretation (und die macht man ja sowieso mit den Noten), nicht für deren Vortrag. Nichtsdestotrotz habe ich Richter mehrfach in seinen späten Jahren überwältigend erlebt und konnte wahrlich keine Beeinträchtigung seiner Darstellungskraft durch die Noten vor sich feststellen.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Liebe Richter - Fans,

    dass ich Eure Begeisterung grundsätzlich teile, habe ich ja bereits kundgetan. Bei meinem Zwischenruf ging es allein darum, ob das Musizieren aus den Noten vielleicht doch ein Interpretationsdefizit zur Folge haben könnte. Ich weiß, dass dies bei Sängern definitiv der Fall ist. Deshalb lege ich bei meinen Gesangsschülerinnen und - schülern allergrößten Wert auf das Auswendigsingen, welches für Opernsänger selbstverständlich und für Konzertsänger überaus empfehlenswert ist. Einem auswendig Bach spielenden Pianisten wird man wohl kaum mangelnde Bescheidenheit oder fehlende Demut vorwerfen können, oder spielt z. B. Herr Stadtfeld mit Noten vor sich ?

    Was für Sänger gilt, muss natürlich nicht zwangsläufig für Instrumentalisten gelten, wofür Richter als Kronzeuge fungiert, der jeden seiner Auftritte gewiss auch ohne " Netz und doppelten Boden " glorios absolviert hätte...

    Wie gesagt : Ein nachdenklicher Zwischenruf - nichts sonst.

    Ciao. Gioachino :pfeif:

    miniminiDIFIDI

  • Lieber Gioachino,

    ein willkommener Zwischenruf – und die Frage ist ja berechtigt. :)

    Mir fiel eben noch ein, dass Richter für das Musizieren aus den Noten auch Probleme mit dem Gehör angab. Als jüngerer Mann hatte er ein absolutes Gehör besessen, im Alter hatte sich da etwas in seinem Hörempfinden verschoben, weshalb er zur Sicherheit auf die Noten zurückgriff.

    Und wie Christian oben schon schrieb: Richter hatte ein riesiges Repertoire; auch ein Grund, auf das Auswendigspielen zu verzichten.

    Ich glaube auch, dass er oft die Noten gar nicht benötigt hätte. Es gibt z.B. einen Live-Mitschnitt, er spielt dort Schumanns „Toccata“. Eh schon ein schweres Stück, aber Richter lässt sich nebenbei mal eben die verrutschte Brille von der Frau, die die Noten umblättert, abnehmen. Mitten im Spiel, als wäre das gar nichts. Das fand ich sehr beeindruckend. Andererseits ist die Toccata ja eher kurz...

    Gruß, Cosima

  • Ich höre gerade die Live-Aufnahme von den Salzburger Festspielen 1977, die Cosima hier - vor allem wegen Debussy - empfohlen hat, und bin gerade beim Walzer op. 34,2 - ich kann Euch gar nicht sagen wie begeistert ich bin! Richter spielt diesen Walzer so gedankenverloren und melancholisch, daß ich es erst gar nicht glauben konnte und ihn sofort wiederholen musste. - Richter braucht um beinahe drei Minuten länger als Lipatti bei seinem letzten Konzert und er macht aus diesem Walzer ein nachdenkliches grüblerisches Werk :juhu: . Ich bin hin und weg - wer diese Aufnahme noch nicht kennt, sollte sie unbedingt kennenlernen:

    .

    Das b-moll-Scherzo gibt es anderswo besser, aber auf der CD sind ja auch noch die Suite bergamsque und die Estampes von Debussy die Cosima oben besonders hervor gehoben hat, und auch wenn ich jetzt erst bei der Barcarolle bin - ich vertraue Cosima blind, wenn sie von diesem Mann spricht :wink: .

    Liebe Grüße aus einer Stadt an der Donau

    Bernhard


    "Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgehaftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit."
    Joris-Karl Huysmans

  • Hallo Gioachino,

    Bei meinem Zwischenruf ging es allein darum, ob das Musizieren aus den Noten vielleicht doch ein Interpretationsdefizit zur Folge haben könnte. Ich weiß, dass dies bei Sängern definitiv der Fall ist. Deshalb lege ich bei meinen Gesangsschülerinnen und - schülern allergrößten Wert auf das Auswendigsingen, welches für Opernsänger selbstverständlich und für Konzertsänger überaus empfehlenswert ist. Einem auswendig Bach spielenden Pianisten wird man wohl kaum mangelnde Bescheidenheit oder fehlende Demut vorwerfen können

    die Begründung mit der angeblichen Unbescheidenheit dem großen Bach gegenüber finde ich auch ziemlich albern. Ansonsten halte ich aber wie gesagt für möglich, dass bei einem Sänger die direkte Ansprache des Publikums durch das Notenblatt dazwischen mehr gestört wird als bei einem Pianisten. Ich bin insgesamt dennoch auch bei Pianisten eher für das Auswendigspielen, habe nur bei Richter wie gesagt nicht die geringste Beeinträchtigung gehört. Er hat mich an seinen stärksten Abenden im Gegenteil so gefesselt wie kaum ein zweiter. Ich kann mich an einen Klavierabend im H1 in Münster (einer der hässlichsten Sääle des Landes...) erinnern, bei dem ich, als seinerzeitiger Musikstudent, unbedingt darauf achten wollte, wie er dieses und jenes macht, wie seine Fingersätze sind, welche Pedaltechnik er verwendet, wie er sitzt usw.. Während des Konzertes habe ich das alles vollständig vergessen, weil er mich restlos in den Bann der Musik gezogen hat. Damals war er noch so verrückt, nach einem möderisch schweren Programm mit dem ersten Heft von Brahms' Paganini-Variationen als Höhepunkt mal eben das zweite als kleine Zugabe hinterherzuspielen. Richters Lehrer Heinrich Neuhaus schreibt über ihn in seinem Buch "Die Kunst des Klavierspiels":

    "Man fühlt deutlich, daß das ganze Werk, sei es auch von gigantischen Ausmaßen, vor ihm liegt wie eine riesige Landschaft, aus dem Adlerflug zugleich im ganzen und in den Details gesehen, aus ungewöhnlicher Höhe und mit unwahrscheinlicher Deutlichkeit. Ich muß ein für allemal sagen, daß ich eine solche Einheitlichkeit, Natürlichkeit, einen derartigen musikalisch-künstlerischen Horizont bei keinem der mit bekannten Pianisten getroffen habe, und ich habe alle 'Großen' gehört: Hofmann, Busoni, Godowsky, Careno, Rosenthal, d'Albert, Sauer, Jesipowa, Sapelnikow, Medtner und viele andere (von den Pianisten der jüngeren Generation gar nicht zu reden). "

    Das beschreibt ziemlich genau die Faszination, die er, vor allem live, auf mich ausgeübt hat. Er wirkte einerseits ungeheuer kraftvoll, gleichzeitig aber fast scheu und überaus sensibel.

    Zitat

    Wie gesagt : Ein nachdenklicher Zwischenruf - nichts sonst.

    Habe ich auch nicht anders verstanden ;) .

    Viele Grüße,

    Christian

  • Zitat von ChKöhn


    "Man fühlt deutlich, daß das ganze Werk, sei es auch von gigantischen Ausmaßen, vor ihm liegt wie eine riesige Landschaft, aus dem Adlerflug zugleich im ganzen und in den Details gesehen, aus ungewöhnlicher Höhe und mit unwahrscheinlicher Deutlichkeit. Ich muß ein für allemal sagen, daß ich eine solche Einheitlichkeit, Natürlichkeit, einen derartigen musikalisch-künstlerischen Horizont bei keinem der mit bekannten Pianisten getroffen habe, [...]"

    Vielen Dank, Christian, dass Du dieses Neuhaus-Zitat hier notiert hast. Ich kannte es schon, wollte es auch in meinem Einführungsbeitrag wiedergeben, konnte es aber nicht mehr finden. Es beschreibt genau, was mich an Richters Klavierspiel (neben dem besonderen Klang) so fasziniert.
    Und danke auch für die Schilderung Deiner Live-Eindrücke – ich lese so etwas immer besonders gerne.

    ---------

    Hallo Bernhard,

    freut mich, dass Dir diese Salzburger Aufnahme bislang so gut gefällt. Den Walzer habe ich gar nicht mehr in Erinnerung, ich werde ihn mir aber morgen mal wieder anhören. Ich bin gespannt, was Du zu seinem Debussy sagen wirst.

    Das mit dem blinden Vertrauen lass mal lieber, das könnte auch daneben gehen… ;)

    Gruß, Cosima

  • Egal welche Musik, ich werde einfach nicht warm mit ihm. Ich hab immer das Gefühl der überbreiten Tempi in Abwechslung mit Tastendrescherei. Emotionen wollen da bei mir einfach nicht aufkommen.

    Hallo Said, hallo allerseits,

    ich fürchte, wir beide hatten in diesem Forum keinen guten gemeinsamen Start. Du hast Dich in Deinem Beitrag über Richter vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt, ich habe etwas zu ruppig reagiert. Ich lasse natürlich jedem Hörer seine Meinung über Richter, aber vielleicht verstehst Du, dass mir schon ein wenig das Herz blutet, wenn jemand schreibt, Richter sei ein „Tastendrescher“ gewesen. Schwamm drüber… :)

    Ich verstehe schon, wie Du es meinst. Obgleich ich nicht weiß, auf welche Aufnahmen Du Dich direkt beziehst, nehme ich an, dass es sich um frühe Interpretationen handelt. Richter war gelegentlich hitzig, unbändig, hat auch zuweilen die Extreme sehr ausgelotet. Das ist alles nicht jedermanns Sache.

    Ich meine aber trotzdem, dass die Auseinandersetzung mit Richter lohnt. Und wenn es nicht die frühen oder mittleren Aufnahmen sind, dann überzeugt vielleicht der Spätstil Richters. In den späteren Aufnahmen ist er nicht mehr so ungestüm, vermittelt hingegen noch stärker ein Gefühl jenseitiger Melancholie, das Gefühl einer tiefen Einsamkeit, welches sehr berührend ist. In der LiveClassics-Reihe „Out of later years“ sind einige späte Mitschnitte veröffentlicht worden. Als ein Beispiel soll dieses Konzert vom 16. Mai 1992 in München dienen:

    Es war Marlene Dietrich gewidmet, die am gleichen Tag in Berlin beerdigt wurde und die von Richter sehr verehrt worden war. Das Konzert des inzwischen 77-Jährigen beinhaltet Werke von Haydn, Beethoven, Chopin, Skriabin, Debussy und Ravel. Richter war in erstaunlich guter Verfassung (er war ja schon krank zu der Zeit), zeigte eine große interpretatorische Bandbreite: Deutungen voller betörender Klangsinnlichkeit (Skriabin, Debussy), aber auch herbe Strenge und fast Schroffheit, verbunden mit musikalischer Tiefe.

    Es gab an diesem Abend einen von Richter handgeschriebenen (!) Programmzettel, der im Booklet abgedruckt ist. Er ist überschrieben mit: „Hommage an die große deutsche Künstlerin Marlene Dietrich“ und enthält eine kurze Anmerkung Richters zum Satzbeginn der Beethoven-Sonate op. 110 (mit handgeschriebenem Notentext), so wie er ihn versteht.

    Gruß, Cosima

  • ich fürchte, wir beide hatten in diesem Forum keinen guten gemeinsamen Start. Du hast Dich in Deinem Beitrag über Richter vielleicht etwas unglücklich ausgedrückt, ich habe etwas zu ruppig reagiert. Ich lasse natürlich jedem Hörer seine Meinung über Richter, aber vielleicht verstehst Du, dass mir schon ein wenig das Herz blutet, wenn jemand schreibt, Richter sei ein „Tastendrescher“ gewesen. Schwamm drüber… :)

    Ich verstehe schon, wie Du es meinst. Obgleich ich nicht weiß, auf welche Aufnahmen Du Dich direkt beziehst, nehme ich an, dass es sich um frühe Interpretationen handelt. Richter war gelegentlich hitzig, unbändig, hat auch zuweilen die Extreme sehr ausgelotet. Das ist alles nicht jedermanns Sache.

    Liebe Cosima,

    Da siehst du wohin es führt, wenn ich einfach in die Tasten haue. :) Entschuldige bitte das doofe Posting. Damit kann man ja wirklich nicht viel anfangen. Ich komme mir grad vor wie ein Idiot. Tut mir wirklich leid. Da gibst du dir so Mühe... Ich werde mich in Zukunft um substanziellere Beiträge bemühen.
    Ich habe ja nicht sooo wahnsinnig viel von Richter und habe mich auch nie intensiver mit ihm beschäftigt. Vermutlich habe ich auch immer zu schnell die Flinte ins Korn geworfen. Die EMI-Box habe ich mir zugelegt. Decca Master Mozart und Beethoven. Während ich hier schreibe höre ich gerade die Preludes Op.23 auf der Regis-Rachmaninov-CD von Richter.

    Mir gefällt übrigens die Schumann-CD auf dieser EMI-Box sehr gut und das Dvorak-Konzert ist wirklich der Knaller. Ich finde allerdings, dass das Klavier fast etwas zu leise herüber kommt. Siehst du, ich beschwere mich schon über das Gegenteil. :) Aber das ist wirklich nur aufnahme-technischer Natur. Achja, ich habe mir auch folgendes notiert beim Hören vom Dvorak-Konzert: "Fantastisches Orchester, ich habe keine Ahnung, was ein guter Dirigent ausmacht, aber dieser Kleiber bringt einfach einen Sound rüber... grübel. Keine Worte dafür".

    Jetzt paar Worte zum Thema "Wie fühle ich mich, wenn ich Richter höre". Antwort: So gut wie immer fix und fertig :) Ich schaffe es kaum, eine CD durchzuhören. Sein Spiel fordert permanent Energie von mir. Lässt mir kaum Raum zum Atmen. Aber mir ist dieses Spiel immer noch lieber als sülziger Klavier-Schönklang. Du hast einmal das Wort "männlich" erwähnt, was seine Spielweise betrifft. Vielleicht fühl ich mich auch nur in meiner Männlichkeit herausgefordert. Aber ich bin kein Psychologe...

    Lieber Gruss
    Said

  • Hallo!

    Als ich eines Tages etwas zu früh zur Gitarrenstunde kam, hatte ich noch Musik aus dem Zimmer des Lehrers gehört und war ganz verzaubert. Auf meine Frage, was das gewesen sei, kam die Antwort "Bach". Irgendwann im gleichen Monat bin ich losgezogen und habe mir drei Werke von Bach gekauft, was ich dem Lehrer dann berichtete. "Aber beim Wohltemperierten Klavier hast du die Einspielung von Gould, nicht?" Auf mein "Nein.", las ich in seinen Augen leises Entsetzen. "Und was dann?". "Richter" gab ich zur Antwort, worauf er lächelte und sagte: "Aber ja, natürlich, klasse!".

    Gruß, Beryllo

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

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