Konserve oder das wirkliche Ding - Musikerlebnis im Konzert- oder Opernhaus oder am CD- und DVD-Player

  • Konserve oder das wirkliche Ding - Musikerlebnis im Konzert- oder Opernhaus oder am CD- und DVD-Player

    Lieber Hildebrandt,

    oh nein! Es war nur ein Argument über ein pars pro toto: Wer sich mit Konserven zufrieden gibt und nicht das Konzert (oder Opern-)erlebnis u.a. als Korrektiv jeder grauen Theorie als integrativen Teil seines Lebens als Musikfreund sieht, den sehe ich mit Skepsis sich als Musikfreund bezeichnen. Du darfst das Opernerlebnis gerne mit allen möglichen Konzerten ersetzen, das gilt auch :wink:

    Liebe Grüße Peter

    Lieber Peter,

    früher bin ich öfter live ins Opernhaus gegangen, was ich mir heute zum großen Teil nicht mehr leisten kann und selbst wenn, ich an so ultramodernen Inszenierungen in München nicht die Bohne interessiert bin. Um kein Risiko einzugehen und weil das auch bezahlbar ist, sind neuerdings meine Alternativen die Übertragungen aus der Met. Ich bekenne frank und frei, daß ich sicher das bin, was man hier aus "Staubi" bezeichnen kann, mein kleinen Einschränkungen. Ich habe einfach keine Lust, daß ich, um eine Oper live zu genießen, die Augen im Opernhaus zumachen muß, damit das Bühnenbild, die Kostüme etc. mir nicht die Freude nehmen, dafür ist eine Opernkarte, sogar in der Galierie, zu teuer. Um das Geld bekomme ich eine CD oder DVD mit Weltklassesängern und in einer Inszenierung, die mir gefällt. Ob die Sänger noch leben oder nicht ist mir egal, Hauptsache mir gefallen die Stimmen.
    Wenn Du mich jetzt mit Skepsis als Musikfreund bezeichnen willst, bitte. Ich sehe das absolut nicht so und finde es auch etwas hart formuliert, was mich betroffen macht. Ich liebe die Musik, schöne Stimmen und auch andere Arten von Musik über alles und Deine Aussage verletzt mich hier.

    Liebe Grüße aus München

    Kristin ?(

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Wenn Du mich jetzt mit Skepsis als Musikfreund bezeichnen willst, bitte. Ich sehe das absolut nicht so und finde es auch etwas hart formuliert, was mich betroffen macht. Ich liebe die Musik, schöne Stimmen und auch andere Arten von Musik über alles und Deine Aussage verletzt mich hier.

    Hallo Kristin.

    Ich denke nicht, daß Peter das so hart gemeint hat wie es geschrieben klingt. - Für mich als zwischenzeitlich leider immer wieder an Soialphobie leidenden Menschen, ist es sehr schwer ins Konzert zu gehen und trotzdem würde ich es mir von Niemandem nehmen lassen, mich als (extremen) Musik"freund" zu bezeichnen. - Wäre es mir gegeben, öfter ins Konzert zu gehen, würde ich das auch tun, aber eine wirklich intensive Beschäftigung mit Musik ist mir eben hauptsächlich zu Hause möglich. - Und mich verbindet mit Musik bei weitem mehr, als eine ordinäre Freundschaft - sie ist in einigen Grenzsituationen das was mir die Kraft gibt, das Leben weiterhin zu akzeptieren.

    Liebe Grüße

    Bernhard


    "Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgehaftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit."
    Joris-Karl Huysmans

  • Lieber Bernhard,

    es steht aber so geschrieben und es verletzt mich, ich kann es nicht ändern. Leider bin ich auch ein durchaus emotionaler Mensch und im Gegensatz zu früher stehe ich heute dazu.
    Ich finde auch, daß man sich sehr intensiv daheim mit Musik beschäftigen kann, was ich seit Jahr und Tag tue, wenn aus den verschiedensten Gründen es live nicht tun kann oder will.
    Zumindest kann ich von mir sagen, daß ich jede Menge Live-Aufnahmen von Opern in meinem Bestand habe, mehr als Studioaufnahmen. ;)
    Aber eigentlich passt das alles gar nicht in diesen Thread.

    Liebe Grüße und pass auf Dich auf

    Kristin :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Ich sehe das absolut nicht so und finde es auch etwas hart formuliert, was mich betroffen macht. Ich liebe die Musik, schöne Stimmen und auch andere Arten von Musik über alles und Deine Aussage verletzt mich hier.

    Liebe Kristin,

    es ist meine Meinung, die ich auch nicht zu Deiner Person geäußert habe. Es ist noch nicht einmal hart formuliert, dass es so verstanden wurde, liegt nicht an der Formulierung. Für mich ist Musik zunächst einmal das aktive Produzieren von Musik, dann die Teilhabe an Musik. Dass dann das Abhören von Konserven bei mir an dritter Stelle kommt, ist doch nicht verletzend gemeint, sondern Ausdruck meiner Erfahrungen und meiner Einstellungen. Aber die von mir so geliebte Furtwängler-Einspielung des Freischütz mit dieser wunderbaren Besetzung ist halt nur eine Sache, die ich nach Belieben abrufen kann, wiederholen kann, der all dieses Hier-und-Jetzt einer konkreten Aufführung, dieses Ungewisse, was gelingt und was nicht gelingt, dieses unvermutete Getroffenwerden mangelt. Je öfter ich sie höre, so mehr kann ich aus der Konserve hören, das reizt mich daran; aber auf der anderen Seite steht, dass ich weiß, was kommt, dass ich von dem wunderbar geglückten Moment vorher weiß.

    Mir ist es eine lange Zeit so gegangen wie Dir, als die Kinder kamen, musste ich die ausgedehnte Übung des Konzertbesuches aufgeben, fing damals an, die vielen CDs zu kaufen, die ich jetzt besitze - als ein Ersatz für die Kunsterlebnisse, die ich nun entbehren musste. Ich habe also großes Verständnis für jemanden, der nicht die Möglichkeit findet, am Musikleben teilzuhaben, ob es nun wie bei mir soziale, ob es gesundheitliche oder andere Gründe hat.

    Eine Meinung meine ich äußern zu können, ohne jemanden zu verletzen oder verletzen zu wollen. Sonst darf ich hier keinen Satz schreiben, denn wenn ich etwa die Matatic-Einspielung verurteile, verletze ich vermutlich jemanden, den diese Einspielung gefällt. Insofern finde ich Deine Reaktion zwar verständlich, aber doch in der Art, sie weiterzugeben verfehlt. Eine solche Art der Empfindlichkeit macht jede Meinungsäußerung unmöglich.

    Man kann auf vielen Wegen an der Musik teilhaben. Es ist ja auch nicht so, dass ich einen Weg grundsätzlich ablehne. Aber die verschiedenen Wege zu beurteilen, dürfte doch so Unrecht nicht sein. Ich hatte da einen Musikfreund aus Wien im Auge, der härteste Urteile über das Musikleben gefällt, am Ende gar die Leute exiliert hat, die seiner Meinung nicht waren. Das war so ein Musikfreund, der seit Jahren die Oper nicht besucht, zu Inszenierungen aber eine mE sehr einseitige Meinung hat und äußert - dabei auch nicht groß nachfragt, ob er damit nicht die Gefühle von einem Konwitschny- oder Bieito-Liebhaber verletzt, wie ich es einer bin. Dass Du Dir da einen Schuh angezogen hast, der nicht für Dich gemacht war, lag nicht in meiner Absicht.

    Unter uns - da Ingrid mich gut mit ihren Erfahrungen aus der Münchener Opernszene versorgt - glaube ich Dir sagen zu können, dass Du auch dort eine Vielzahl von Inszenierungen finden kannst, die Deinem harschen Urteil widersprechen. So hatte es - aber davon kann Ingrid selbst erzählen, dann kommt es aus erster Hand - eine Armida-Aufführung gegeben, von der sie begeistert war.

    Meine Bitte am Ende: nimm nicht alles gleich persönlich, frage nach

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Das sehe ich auch so und bitte deshalb um Verständnis, wenn ich diesen Exkurs, der eigentlich eine ideale Angelegenheit für eine PN-Wechsel gewesen wäre, löschen werde, sobald mir Kristin signalisiert hat, dass sie Peters Antwort kennt. Rideamus

    Lieber Rideamus,

    es ist zwar durch die Antwort von Kristin ein so kräftiger OT-Zweig geworden, dass er hier nicht mehr hinpasst. Aber es sind mE keine Beiträge für eine PN-Auseinandersetzung und keine für den Thread "Gelöschtes". Vielleicht kann man einen neuen Thread anlegen "Konserve oder das wirkliche Ding - Opernerlebnis im Opernhaus oder am DVD-Player?" und die Beiträge dorthin schieben.

    Wenn wir hier keine kontroversen Themen mehr diskutieren können, können wir das Diskutieren gleich lassen und ein Internet-MGG schreiben und einer gemütlichen Geselligkeit pflegen. Ich zeige meinen Respekt vor Kirstins Meinung eben darin, dass ich sie ernsthaft diskutiere und nicht einfach über sie hinweg gehe. Ich möchte ja auch etwas von ihr verstehen - und nebenbei wird es diese Positionen in unterschiedlicher Gewichtung auch bei anderen Mitgliedern des Forums geben.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Lieber Peter,

    wäre froh über die Anlegung eines neuen Threads, denn ich saß schon vor den Tasten, um Kristin ganz in Deinem Sinne zu antworten, aber da kam mein Mann aus der Kirche und ich mußte schnell zum Herd und danach natürlich noch die Früchte meines Werkes genießen.

    :wink: und bis hoffentlich bald, denn ich traue mich nun doch nicht an die Neueröffnung.

    Ingrid

  • Lieber Peter,

    danke für Deine Antwort. Mir ist sehr wohl bewußt, daß Deine geäußerte Meinung zum Thema "Musikfreund" allgemein gemeint war. Ich habe mich betroffen gefühlt, das kann auch vorkommen. Mit meiner Antwort wollte ich mich gegen Pauschalierungen auf diesem Gebiet wehren, denn ich fühlte mich, auch wenn Du natürlich nicht mich direkt gemeint hast, in eine Schublade gelegt.

    Zugegebenermaßen habe ich vielleicht etwas überreagiert, aber diese Bemerkung ging mir sowas gegen den Strich. Zu einer Diskussion gehört auch persönliche Betroffenheit und daß man sich mal über was ärgert, weil der andere völlig unbeabsichtigt irgendeinen Punkt von jemand erwischt.
    Es ist mehr als Dein gutes Recht, Deine Meinung zu äußern und auch meines, gegen diese Meinung hier persönlich etwas zu haben. Ich lasse Dir trotzdem, wenn auch zähneknirschend, die Deine, das ist Demokratie, lach. Du siehst, mein Humor ist wieder da.
    Manchmal, wenn was geschrieben steht, wirkt es auf mich wie festbetoniert, in einem persönlichen Gespräch kann man sowas gleich ausräumen, was halt in einem Forum nicht so unkompliziert immer möglich ist.

    Und im Allgemeinen bin ich eher für den öffentlichen Austausch und habe es nicht so mit den PN'en, was vielleicht ein Vorurteil ist. Aber wahrscheinlich werde ich mich da nicht so leicht umstellen und sehe eigentlich auch keine Notwendigkeit.

    Hoffentlich habe ich jetzt auf meine Weise es noch einmal erklären können.

    Liebe Grüße in Sympathie nach wie vor

    Kristin

    Lieber Jacques,
    in der Tat passt das Ganze nicht in diesen Thread und ich bitte, wenn Peter einverstanden ist, um Löschung dieser Diskussion.
    Danke und liebe Grüße
    Kristin

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Meine Lieben,
    darf ich darauf hinweisen, dass es bereits einen Thread gibt, in den diese Diskussion wunderbar passen würde?
    "Wert und Besonderheiten von Studioaufnahmen" oder so ähnlich.
    Ich fürchte nur, wenn Kristin mein Post dort liest, ist sie auch nicht begeistert........
    lg Severina :wink:

    "Das Theater ist ein Narrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare!" (Franz Schalk)

  • Liebe Severina,

    ich weiß nicht, ob die Diskussion wirklich so wunderbar dort hinein passt, denn da geht es weniger um Live vs. Konserve, sondern um die Bearbeitungen von Aufnahmen für Konserven.

    Ich überlasse es aber Peter, wie er mit dieswr Diskussion verfahren und ob er ggf. einen neuen Thread eröffnen will

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Konserve oder das wirkliche Ding - Musikerlebnis im Konzert- oder Opernhaus oder am CD und DVD-Player

    Jetzt ist die OT-Diskussion eines anderen Threads hier gelandet, denn ich halte die Diskussion durchaus für wichtig. Auslöser war die Bemerkung, dass ich jemanden, der sich als Musikfreund bezeichnet, mit Skepsis ansehe, wenn ich erfahre, dass seine Begegnung mit der Musik nur von der Konserve her erfolge. Skepsis heißt Zweifel - wer sich vom Zweifel schon angegriffen fühlt, hat sich auch durch meine "harten" Worte verletzt gefühlt, einen wirklichen Grund kann ich darin nicht sehen.

    Deshalb nehme ich meine These in dem neuen Thread noch einmal mit klaren Worten auf - und wie immer geht es mir hier um die Sache und nicht die Person: Das Sammeln und Hören von CDs ist eine sekundäre Liebe zur Musik. ich kann schon nicht mehr die Anzahl von Werken benennen, die mich nur auf einem Medium gehört, nicht überzeugen konnten, die mich aber in einer konkreten Aufführung überzeugten. Wie viele Komponisten und ihre Werke habe ich erst im Konzert kennen- und lieben gelernt. Johann Christian Bach ist dafür ein Beispiel. Natürlich kannte ich ihn - aber entzündet wurde meine Liebe erst im Konzert (damals mit Ross Pople und dem London Festival Orchestra). Und Gluck schlug mit einem gewaltigen Blitz bei mir ein, als ich die Guth-Inszenierung der tauridischen Iphigenie in Nürnberg erlebte (dabei hatte ich schon vorher Gluck gekannt).

    Wenn man ein so begeisterter Konzert- und Operngänger gewesen ist, wie ich es war, kann man es wohl nur so sehen: der kleine Bildschirm beim Fernseher kann ein (hohler) Ersatz nur sein, wenn man die vielen Dinge ergänzt, die bei einer wirklichen Opernaufführung dazu gehören: es fehlt der Dampf und der Schweiß der Arena, der Funke, der bei einer Liveaufführung zu einem herüberfliegen kann, die Spannung, die mich von der ersten Sekunde an auf der Stuhlkante kleben lässt, je mehr ich von der Musik weiß: welche Färbung gibt hier der Dirigent seinem Orchester, welche Klangfarbe gibt die Sängerin dort dieser Note, wo werde ich von der Musik getroffen. Jede Aufführung ist neu, lebendig mit ihren Höhen und Tiefen. Selbst bei einem Schülerkonzert sitze ich da und höre unvermutet einen neuen Ton in einem altbekannten Stück. Dann mag ich im Nachhinein meine CDs mit ihren großen Künstlern auflegen ... um durch das Gehörte noch einmal den neuen Ton als neuen zu erleben.

    Leider komme ich auch viel zuwenig in Oper und Konzert, und ich bin recht froh, wenn mich da einer entschieden anstupst und mitnimmt (wie Fairy Queen in diese Menuhin-Hommage mit Daniel Hope - und am Ende war nicht die virtuose Tzigane der Höhepunkt des Abends, sondern der programmsprengende Raga Pilu). Natürlich höre ich viel aus der Konserve. Aber für mich ist das ein Monitor, an dem ich sitze, nicht das wirkliche, das wilde Ding: die Aufführung mit all ihren unvorhersehbaren Ereignissen, die mir das Herz aufgehen lassen.

    Vieles lässt sich nicht anders als über die Konserve erreichen, dass ich jetzt Glucks "La Clemenza di Tito" kenne, verdanke ich der Konserve, denn man kann die Oper nicht auf der Bühne sehen. Jetzt gab es mal den "Ezio" in Nürnberg, zu der Armida kann und werde ich nach Berlin fahren. Und da wird musiziert und gesungen - ohne Filter und Weichzeichner, mit allem, was eine Aufführung ausmacht, einer aufregenden Inszenierung, einem vorzüglichen Orchester mit einem hervorragenden Dirigenten, Sänger, die sich engagiert für Werk und Inszenierung einsetzen. Was davon könnte mir eine DVD der "Armida" bieten?

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Nur ganz kurz, weil es so viel dazu auch für mich gar nicht zu sagen gibt:
    ich ziehe eine hervorragende Interpretation auf Tonträger dem Live-Erlebnis einer mittelprächtigen Darstellung durchaus vor. Die meisten Interpreten, die ich als herausragend empfinde, könnte ich nicht mehr live hören, weil sie schon tot sind. Und die meisten, die ich live hören könnte, weil sie noch leben, finde ich nicht herausragend.
    Bei Oper ziehe ich Live-Tonträger bei weitem den Studioaufnahmen vor. (Was den visuellen Aspekt angeht, führe ich hier beim Hören im Kopf selbst Regie - auch nicht die schlechteste Alternative.) Aber hier ist es in noch stärkerem Maße als bei Nicht-Vokalmusik so, dass ich eine riesige Qualitätsdiskrepanz empfinde zwischen dem, was etwa zwischen 1930 und 1960 zu hören war und dem, was heute wo auch immer erlebbar wäre. Und das nicht, weil ich nicht informiert wäre über das Aktuelle.

    Was mich angeht also ein klares Bekenntnis zum Tonträger, zum intensiven Interpretationsvergleich und zu den alten Meistern.

    Grüße,
    Micha

  • Nur ganz kurz, weil es so viel dazu auch für mich gar nicht zu sagen gibt:
    ich ziehe eine hervorragende Interpretation auf Tonträger dem Live-Erlebnis einer mittelprächtigen Darstellung durchaus vor.

    Was mich angeht also ein klares Bekenntnis zum Tonträger, zum intensiven Interpretationsvergleich und zu den alten Meistern.

    Lieber Micha,

    wenn ich versuche, einem Musikwerk beizukommen, dann greife ich zu den Noten und bediene mich der Medien und einschlägiger Bücher. Auch können mich darüber hinaus Interpreten alter Zeit begeistern und ich versuche ihren Interpretationsansatz zu erkunden. Und dann höre ich die Passionen unter Ramin, Mengelberg u.a. Ich begegne dort Haltungen, die uns heute verloren gegangen sind und kann so meinen kritischen Rückraum bei modernen Interpretationen bestücken. Ich kann Konserven auch künstlerisch intensiv erleben, wenn ich mich in diese Vergangenheit zurückziehe und das emotive Erbe in mir auch in dem heute missbilligten Pathos entdecke. Aber so sehr ich analytisches Interesse mit historischen Bewusstsein zu vereinigen versuche, ebenso wichtig ist mir das Hier und Jetzt, Künstler und Interpretationen, die mich als Zeitgenossen berühren und befragen. Beides zusammen ist es, was für mich den Musikfreund ausmacht. Was man vorzieht, wird auch immer im Augenblick entschieden. Aber ich gehöre nicht zu jenen, die auf dem Stuhl im Konzert sitzen und Beinchen zählen - vor dem Tonträger tue ich das schon hin und wieder :angel:

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Aber so sehr ich analytisches Interesse mit historischen Bewusstsein zu vereinigen versuche, ebenso wichtig ist mir das Hier und Jetzt, Künstler und Interpretationen, die mich als Zeitgenossen berühren und befragen.

    Aber tun sie das? Mir erscheinen heutige Interpretationen, live oder konserviert, weniger modern, weniger "zeit-genössisch" im Sinne einer Widerspiegelung ihrer Zeit als ältere. Ich habe mich nicht besonders intensiv mit zB Rattles Beethoveninterpretationen beschäftigt, aber doch reingehört, und mir kam das mehr als beliebig vor. Mit anderen neueren, Gardiner, Norrington, Zinman, Jansons, ging es mir nicht anders. Vielleicht sind sie Spiegelbild einer Zeit, die beliebig geworden ist - aber reicht das als Interpretationsansatz? Berührt es mich als Zeitgenossen? Mich fordert ein Interpret heraus, der deutlich Stellung bezieht. Er wird mein Zeitgenosse. Scherchens Beethoven, nur als Beispiel, ist nicht "historisch". Auch wenn ich, gerade bei den Aufnahmen dieses Dirigenten, deutlich den Aufruhr und die Widersprüche der Zeit, in der sie entstanden, heraushöre - es sind Widersprüche, die unterschwellig fortwirken in unsere Zeit. Ich will das Heutige nicht in Bausch und Bogen abtun, aber wo ist der Dirigent, der, bleiben wir beim Beispiel, Beethovensymphonien heute so interpretiert, dass sie die sublimen Verwerfungen der Welt zu Anfang des 21. Jahrhunderts widerspiegeln?

    Grüße,
    Micha

  • aber wo ist der Dirigent, der, bleiben wir beim Beispiel, Beethovensymphonien heute so interpretiert, dass sie die sublimen Verwerfungen der Welt zu Anfang des 21. Jahrhunderts widerspiegeln?

    Dieses Beispiel mag zu solchen Gedanken führen.
    Aber bei Telemanns Alster-Ouvertüre fällt es mir schon deutlich schwerer, die Hamburger Flutkatastrophe von 1962 mitklingen zu lassen.
    Will sagen, dass es sehr wohl im Ohr des Hörers liegt, was er jeweils wahrzunehmen meint.

    Es werden ja nicht nur sublime Verwerfungen transportiert, sondern auch sämtliche Irrtümer und Fehlinterpretationen tradiert, wenn man nicht ab und zu den dunkel gewordenen Firnis erneuert.

  • Ohne Peters Argumente und die anderer für das Liveerlebnis geringschätzen zu wollen, aber ich bleibe ein Anhänger der Konserve. Die äußeren Begleitumstände eines Konzertbesuchs (Parkplatzsuche oder lange Anfahrt mit der S-Bahn, Kartenpreise vs. CD-Preis, nervendes Gehüstel und Geraschel, aufdringlich parfumierte "Damen", schwatzende Menschenmassen im Foyer, überheizte oder zu kalte Säle mit schlechter Akustik, die fehlende Möglichkeit zum schnellen Wechsel des Programms bei Nichtgefallen uswusf.) halten mich von jedem Konzertbesuch ab.

    Das könnte sich zwar durchaus mal ändern, aber bisher verspüre ich jedoch kein Verlangen nach einem Konzertbesuch.

    Die Grünen sind die Partei für all diejenigen, die bisher FDP gewählt haben und jetzt noch eine verkehrsberuhigte Straße vor ihrer Villa haben möchten.

  • Aber bei Telemanns Alster-Ouvertüre fällt es mir schon deutlich schwerer, die Hamburger Flutkatastrophe von 1962 mitklingen zu lassen.

    Nunja. Ich kenne die Alster-Ouvertüre nicht, aber ich vermute stark, dass sie auch zu ihrer Entstehungszeit nicht sich in einen gesellschaftlichen, politischen, philosophischen Diskurs begeben hat, wie es bei Beethovens Symphonien, spätestens ab der Dritten, aber durchaus der Fall war. Barockmusik klingelklangelt nunmal in allen Jahrhunderten mehr oder weniger gleich - von innermusikhistorischen Aufführungserwägungen abgesehen.

    Grüße,
    Micha

  • FRüher war alles besser...

    Nur ganz kurz, weil es so viel dazu auch für mich gar nicht zu sagen gibt:
    ich ziehe eine hervorragende Interpretation auf Tonträger dem Live-Erlebnis einer mittelprächtigen Darstellung durchaus vor. Die meisten Interpreten, die ich als herausragend empfinde, könnte ich nicht mehr live hören, weil sie schon tot sind. Und die meisten, die ich live hören könnte, weil sie noch leben, finde ich nicht herausragend.
    Bei Oper ziehe ich Live-Tonträger bei weitem den Studioaufnahmen vor. (Was den visuellen Aspekt angeht, führe ich hier beim Hören im Kopf selbst Regie - auch nicht die schlechteste Alternative.) Aber hier ist es in noch stärkerem Maße als bei Nicht-Vokalmusik so, dass ich eine riesige Qualitätsdiskrepanz empfinde zwischen dem, was etwa zwischen 1930 und 1960 zu hören war und dem, was heute wo auch immer erlebbar wäre. Und das nicht, weil ich nicht informiert wäre über das Aktuelle.

    Was mich angeht also ein klares Bekenntnis zum Tonträger, zum intensiven Interpretationsvergleich und zu den alten Meistern.

    Grüße,
    Micha

    Lieber Micha,

    Ich lasse hier einen Berufeneren als mich sprechen, nämlich den zweimaligen Staatsoperndirektor Egon Seefehlner: "In meiner Jugend kannte ich viele Menschen, die immer wieder von den Wundern der Ära Mahler erzählten und - wie es auch heute üblich ist - über die Gegenwart lästerten. Wenn ich in Bewunderung von Lauritz Melchiors Siegfried sprach, wurde mir sofort entgegengehalten: 'Was ist der Melchior gegen den Schmedes", und wenn ich von Elisabeth Schumann schwärmte, musste ich zur Kenntnis nehmen, dass Selma Kurz in allem und jedem weit besser gewesen sei."
    Wie bekannt mir das vorkommt..... Nur wurde mir der früher so geschmähte Melchior als "Referenz" vorgehalten, wenn ich mich für meine Lieblinge begeisterte, und ich kann nur hoffen, dass ich mich in zwanzig Jahren nicht zu dem blödsinnigen Satz hinreißen lasse "Ach, du hättest den Araiza oder Flórez als Nemorino hören sollen, dieser XY da ist doch nur eine Lachnummer!"
    Wenn das stimmt, dass jede Sängergeneration um so viel schlechter ist als die vorhergehende, brauchen wir bald keine Opernhäuser mehr, weil eh niemand mehr singen kann.
    Gottlob kenne ich noch einige Opernveteranen (mein über 90jähriger Stehplatznachbar z.B. ), der die "goldenen Zeiten" live erlebt hat und vieles relativieren kann. Und der mir erst unlängst versichert hat, noch nie hat ihm das Operngehen so viel Spaß gemacht wie in den letzten Jahren. Aber wahrscheinlich ist er halt schon senil.......
    Ich hoffe, du fasst das nicht als Angriff auf, denn natürlich ist es dein gutes Recht, lieber CDs zu hören statt dir Oper live anzutun, aber dieses Diktum "Früher war alles besser!" macht mich immer ziemlich kribbelig. Natürlich habe ich mich, nicht zuletzt dank Saschas missionarischem Eifer, auch mit historischen Stimmen beschäftigt, aber bis auf wenige Ausnahmen kann ich mit diesem manirierten Gesangsstil nur wenig anfangen. Unlängst z.B. habe ich mir die im Forum so hoch gelobte "Manon" mit Victoria de Los Angeles gekauft. Nun, sie finde ich wirklich großartig und kann die allgemeine Begeisterung verstehen, aber Henry Legays gepresste Höhen machen wirklich keinen Spaß. Piani hat er ja sehr schöne, aber die St-Sulpice-Szene ist hart an meiner Schmerzgrenze.....
    Aber gottlob sind die Geschmäcker verschieden, kann ich nur immer wiederholen, denn wovon würde sonst die Plattenindustrie leben????? :D :D :D :D :D :D :D
    lg Severina :wink:

    "Das Theater ist ein Narrenhaus, aber die Oper ist die Abteilung für Unheilbare!" (Franz Schalk)

  • Sowohl als auch

    Hier kann es meines Erachtens statt eines „entweder oder“ nur ein „sowohl als auch“ geben. Allein zeitlich und finanziell begrenzte Ressourcen erschweren doch manchen Konzert- oder Opernbesuch. Auch ich würde gerne weiter umherreisen, allein mir fehlt die Zeit und letztlich wohl auch das Geld. Manche Aufführungen kann ich nicht besuchen, weil man noch nicht weit genug vorn auf der Warteliste steht (Bayreuth). Da muss ich, um bestimme Inszenierungen kennenzulernen, auf die Konserve zurückgreifen. Und je spezieller das Interesse, umso schwieriger ist es, einer Live-Aufführungen beizuwohnen. Gestern habe ich das Requiem des Schweden Hans Eklund gehört. Eine Aufführung davon werde ich in diesem Leben wohl kaum erleben können.

    Und doch ist der Opern- und der Konzertbesuch natürlich intensiver, echter als die Konserve. Trotz oder gerade wegen seiner ganzen Nebengeräusche. Jemand hat das mal als die Schlacke des Musikmachens oder so ähnlich bezeichnet. Wenn man ein schlackeloses Produkt will, ist man mit CD und DVD gut aufgehoben. Wenn man aber auch die Geräusche braucht, die beim Musikmachen entstehen, muss man live hören (und natürlich auch sehen). Der nur CD-Hörer kommt mir ein wenig vor wie jemand, der auch bei schönem Wetter sein Haus nicht verlässt, obwohl ihm die Eindrücke draußen ein intensiveres Erleben ermöglichten. (Damit habe ich nicht gesagt, dass CD-Hörer Stubenhocker sind).

    "Give me all you've got, then crescendo!" Leonard Bernstein

  • Meine Lieben!

    Ich war Jahrzehnte am Stehplatz, auch Galerie in der WStO, nur kann ich jetzt, bedingt durchs Studium nicht mehr gehen und so habe ich die LIVE Aufnahmen halt als Ersatz, ist nicht das selbe.

    Wir waren, damals, eine Gruppe die befreundet war, und konnte einer sich nicht anstellenn,da hat ein anderer für ihn die Nummer geholt, das ging damals. Mein, verstorbener Bruder, der Schauspieler war, ging lieber auf den Parkett Stehplatz, aber die Galerie hatte den Vorteil, man konnte sich auch manchmal hinsetzen.

    Aber heute sehr ich mir halt die DVDs an, und genieße so den Opernabend. Auch beiLPs oder CDs, habe ich eine große Auswahl und abends bin ich manchmal erst nach 19 Uhr von der UNI raus, da gehts halt nicht.

    Liebe Grüße sendet Euch Peter. :wink: :wink:

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