Anna Netrebko - die viel Gescholtene

  • Anna Netrebko - die viel Gescholtene

    Ich habe zu meiner Überraschung festgestellt, daß Anna Netrebko hier noch keinen eigenes Thema hat, da sie (egal was man nun von ihr hält) in den letzten Jahren aber doch einigermaßen präsent war, habe ich beschlossen ihr einen Thread zu spendieren.
    Da ich die Erfahrung gemacht habe, daß die Wogen beim Thema „Anna Netrebko“ schnell mal hochschlagen, bitte ich, folgendes als rein subjektive Ansicht zu betrachten.
    Ein paar besonders subjektive Ansichten zu Beginn:

    1. Anna Netrebko hat eine wunderschöne Stimme
    2. Anna Netrebko ist eine begabte Darstellerin
    3. Anna Netrebko ist eine solide, zuverlässige Sängerin, die nur selten einen Auftritt absagt und wenn sie singt nahezu immer gut bei Stimme ist.
    4. Anna Netrebko ist eine schöne Frau, der man ihre Rollen optisch glaubt.
    5. Das alles zusammen ist schon sehr viel, und mehr, als man von manchen Kollegen/Kolleginnen sagen kann.
    6. Anna Netrebko wird überschätzt
    7. Das ist nicht ihre Schuld
    8. Anna Netrebko ist keine Belcantistin.
    9. Anna Netrebko ist eine gute, aber keine außergewöhnliche Sängerin.

    Ich habe sie zum erstenmal in der Salzburger Traviata gesehen und gehört, und war, wie an anderer Stelle nachzulesen ist, von der Aufführung begeistert. Zum Geburtstag habe ich dann den CD-Mitschnitt bekommen und festgestellt, daß sie mich beim bloßen hören lange nicht so fesselt wie beim optischen UND akustischen Erlebnis, und ich denke, das liegt daran, daß Netrebko die Gefühle die sie transportieren will DARSTELLEN muß, wo eine Kollegin wie Natalie Dessay oder gar Maria Callas „nur“ singen müssen um einen weit intensiveren Eindruck zu hinterlassen (und beide waren/sind darüber hinaus bekanntermaßen ebenfalls großartige Darstellerinnen).
    Besonders aufgefallen ist mir das, als ich die Liveübertragung der „Lucia di Lammermoor“ gesehen habe, die Netrebko an der Seite von Piotr Beczala in der MET gesungen hat.
    Mein erster Gedanke als sie auf der Bühne den Mund aufgetan hat war „Großer Gott, was für eine schöne Stimme“, denn ich mag ihren dunkel strahlenden Sopran wirklich sehr, und finde, daß sie sich (was die reine Stimmschönheit angeht) nach ihrer Schwangerschaft noch enorm gesteigert hat.
    Mein zweiter Gedanke war ein ketzerisches „Kein Wunder, daß es soviel „provokative“ Stimmgesundheit dem armen Villazón mit seinen Problemen die Stimme verschlägt.“ Mein dritter Gedanke: „Eine Lucia ist sie nicht“.
    Für mich, und die Experten dürfen mich gerne korrigieren, ist eine Belcantistin vor allem eine Sängerin, die in der Lage ist, ein Charakterportrait nur mit ihrer Stimme zu malen, das sollte zwar auf jeden großen Sänger zutreffen, aber aus irgendeinem Grund ist mir das im Belcanto besonders wichtig. Daß Netrebko mit ihrem doch etwas erdenschweren Sopran die Koloraturen der Wahnsinns-Szene gerade mal gemeistert hat, hat mich weit weniger gestört, als die Tatsache, daß ich ihr das traumatisierte, psychisch labile junge Mädchen nicht eine Sekunde lang abgenommen habe. Man muß das von der ersten Sekunde an in der Stimme hören, nicht erst in der Wahnsinns-Szene, denn Lucias Wahnsinn ist das Ende, nicht der Beginn eines langen Leidensweges. diese Frai stammt aus einer gewaltätigen Familie, liebt einen gewaltätigen Mann, ist umgeben von Männern, die über sie bestimmen, wird von seltsamen Träumen gepeinigt, hat gerade ihre Mutter verloren und außer Edgardo niemanden, der sie liebt. Selbst wenn die Sache gut ausgegangen wäre, hätte Edgardo sehr behutsam und liebevoll mt ihr umgehen müssen, um sie ihre düstere Jugend vergessen zu lassen. All das muß man bereits bei der ersten Arie in der Stimme hören.Für mich war diese Aufführung ein Schwelgen in einer wunderschönen Stimme (und das kann ja auch mal ganz schön sein), ein menschliches Drama war es zu keiner Sekunde.
    Zumindest solange nicht, wie ich die Augen geschlossen hatte, wenn ich wieder auf die Leinwand geschaut habe, hat sie mich durchaus gerührt, da sie nunmal spielen kann. Aber das muß sie auch, denn zusammen mit ihrem schönen Timbre ist es alles, was sie hat.

    Dessay dagegen könnte mit Armen und Beinen im Gips und im Rollstuhl singen (falls man damit singen kann) und wäre immer noch wesentlich glaubhafter, da sie alles mit der Stimme macht, was Anna spielen muß. Wie gesagt: daß Dessay zusätzlich auch noch spielen kann (und wie!) ist das unfassbare Tüpfelchen auf dem I.
    Wirklich gut gefallen hat Netrebko mir als Adina im Wiener Liebestrank, was die rein musikalische Seite angeht, bevorzuge ich zwar auch hier eine Sopranistin wie zum Beispiel Maria Bayo, aber sie hat die kokette, eitle Adina so hinreißend gespielt, und ihre männlichen Partner so wunderbar um den Finger gewickelt, daß ich das für dieses eine mal gerne vergesse. Ihr Adina werde ich immer lieben. Was ihren Erfolg in La Traviata angeht so denke ich, daß sie viel der grandiosen Inszenierung und der überaus klugen Personenregie von Willie Decker sowie ihren Bühnenpartnern zu verdanken hat. Es war einer der seltenen Momente, wo einfach alles zusammengepasst hat, in einer „herkömmlichen“ Inszenierung ist sie vermutlich eine gute, solide Violetta, aber keine herzzerreißende Kamliendame wie Teresa Stratas (und das trotz stimmlicher Probleme), Maria Callas oder Rosa Ponselle.
    Ich habe den Eindruck, daß Netrebko diese Rollen zwar singen „kann“, da sie nunmal ausgebildete Sängerin ist, daß sie aber den (vor allem seelisch) zerbrechlichen, zwischen Lebensgier und Todessehnsucht hin und hergerissenen Figuren wie Violetta oder Lucia nicht wirklich gewachsen ist.
    Ich würde sie, wenn die Zeit dafür gekommen ist, gerne einmal als Desdemona, Troubadour-Leonore, Don Carlos-Elisabetta oder Giulietta erleben, und hoffe, daß es eines Tages dazu kommt.
    So, das war mein Senf zu der schönen Russin.

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • Hey!!!


    Ich mag die Russin sehr gerne, sie ist ja nicht um sonst eine meiner Lieblingssängerinen und wird das auch bleiben. Nur stimme ich dir zu: Sie ist keine Belcantosängerin.


    Für mich unschlagbar ist sie aber als Donn`Anna und ich würde liebend gerne eine Contessa oder eine Elsa mit ihr hören. Ich denke, dass sie durch ihr dunkles Timbre vielleicht wirklich in das jugendlich/drammatische Fach passt (was jetzt nicht Brünnhilde oder so heisst, aber Elsa, Elisabeth und Senta kann ich mir schon vorstellen). Sie sollte mal einen Deutschkurs nehmen und uns in genannten Rollen überraschen. Schliesslich bleiben mit so einer Stimme nicht viele Partien übrig: Koloraturen im Übermass gehen ja nicht mehr. Sie ist ja auch klug genug und hat nun vor einer Weile (kurz nach ihrer Traviata in Zürich) alle kommenden Traviatas abgesagt: Ihre Stimme habe sich gewandelt.

    Sie könnte ja auch ein bisschen mehr im russischen und tschechischen Fach aktiv sein: Wieso keine Jenufa, Natacha (wieso singt sie diese nicht mehr?) und alle diese Tatjanas und Olgas?

    SO oder so, ich bin ihr Fan und wohl einer der wenigen der ihre Susanna aus Salzburg liebt, ich finde eben, Mozart und Elsa, das wären ihre Rollen!


    Lg


    PS. alles rein subjektiv. Aber niemand kann abstreiten, dass sie nicht überdurchschnittlich gut ist. Nicht die beste, aber ganz klar über dem Durchschnitt. Und alle die behaupten sie könne nicht singen sind wohl einfach eifersüchtig. :P

  • Das nenne ich mal gut zusammen gefasst. :klatsch:
    3-9 völlig d'accord.
    Zu 1. : schöne Stimme ja, aber für meinen Geschmack ohne individuelle Merkmale. Auch wenn man sie ja ständig hört, ich schaffe es einfach nicht, ihre Stimme wieder zu erkennen, ohne vorher den Namen zu hören. Ihre massiven Intonationsprobleme hat sie ja zum Glück mittlerweile weitestgehend in den Griff bekommen.
    Zu 2.: Nun, solange sie nur einen schöne Frau spielen muss, OK. Ich habe bei ihr immer den Eindruck, sie spielt lediglich sich selbst und gibt auch nicht wirklich viel in den Rollen.

    Es tut mir bei dem ganzen Hype um die vielen gleichwertigen (und auch nicht hässlichen) Fachkolleginnen leid - aber so ist nunmal das Big Business.

    Elsa, Elisabeth, Senta?!?!? In welcher Sprache?!?!? :stern: Eigentlich müsste Minas Liste Pkt. 10: -Sie hat enorme Probleme mit Fremdsprachen- hinzugefügt werden. Insofern wäre es tatsächlich mal interessant, sie in einer russischen Oper zu sehen. Tatjana kann selbst ich mir (als Nicht-Netrebko-Fan) gut mit ihr vorstellen.

    LG
    Rosenkavalier

    Ich glaube, dass es in jedem Sänger einen einzigen, reinen und kleinen Ton gibt, welcher der wahre Ton der Stimme ist, und was immer man tut und wie man auch seine Stimme auf diesen Ton aufbaut, man muss zu ihm zurückkehren können, sonst ist es aus. (Agnes Baltsa)

  • Meien Lieben!

    Ich bin nicht der ganz große AN - Fan, aber als Lisa in "Pique Dame" könnte ich sie mir wunderbar vorstellen.

    Die Koloratur - Partien [Lucia - Traviata] sollte sie, meiner Meinung, ablegen und sich dem lyrischen Sopran zuwenden, wir haben nicht allzu viel gute Sängerinnen, in dieser Sparte.

    [Aber ehrlich in welcher Sparte haben wir denn wirklich gute Sänger? Wenn, dann müsste man ganez Opernhäuser in aller Welt abgrasen, dass man eine gute Aufführung zusammenstellen könnte?]

    Liebe Grüße sendet Euch Euer Peter, der langsam gesundet, aus Wien. :wink: :wink:

  • in paar besonders subjektive Ansichten zu Beginn:


    Elsa, Elisabeth, Senta?!?!? In welcher Sprache?!?!? :stern: Eigentlich müsste Minas Liste Pkt. 10: -Sie hat enorme Probleme mit Fremdsprachen- hinzugefügt werden.


    Nun ja, ich sage ja, sie müsste dazu bereit sein, dass ganze richtig zu lernen, also auch mit Sprachcoaching. Aber rein musikalisch kann ich mir sehr gut vorstellen, dass ihr diese Partie liegen würde.


    Lg

  • Aber ehrlich in welcher Sparte haben wir denn wirklich gute Sänger?


    Najaaa, Michael Schade als Mozartsänger finde ich schon ziemlich genial :)
    Rosenkavalier
    Ja in der Tat: es gibt eine Menge Kolleginnen die ebenso gut oder wesentlich besser sind, und im allgemeinen Anna-Hype untergehen. Aber wer weiß, vielleicht ist es ja auch ganz gut, wenn die einfach nur ihren Job machen können und ansonsten ihre Ruhe haben. Nicht jeder will auf die Waldbühnen dieser Welt. Wie wir alle an prominenten Beispielen feststellen können hat diese Art Ruhm seine Tücken.

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • Liebe Mina, zu Anna N. gab es ehedem andernorts einen Never-Ending Thread , in dem sich auch ziemlich viel Häme über ihren Status als Superstar ergoss und ihr vorgehalten wurde, dass sie ausser einem hübschen Gesicht und medienwirksamen Beinen nichts zu bieten habe.
    Da ich finde, dass Schönheit keine Schande ist und es sehr ungerecht ist, dass schönen Frauen nichts weiter als Verführungskünste zugetraut werden, habe ich immer versucht, Gerechtigkeit walten zu lassen.
    Du fasst das aber m.E. serh gut zusammen.
    Ich finde Anna Netrebko immer dann serh gut, wenn sie in ihrer eigenen Sprache oder im grossen lyrischen italienischen Fach singt. es gibt eine ganz wunderbare Cd mit ihr, da kann man sie in russischen Opernrollen und mit Liedern von Rachmanninoff etc hören- das ist das Beste, was ich von ihr kenne.


    Als Belcanto-Sängerin war sie eine wunderbare Adina an Villazons Seite (ich bin restlos begeistert von dieser DVD-Einspîelung trotz der langweiligen Regie!), aber das ist auch bereits die einzige Belcanto-Rolle, in der ich sie überzeugend fand.
    Ihre Traviata zu hören kann man sich sparen, sie zu sehen, ist schon etwas Anderes. Hier ist eine Inszenierung, die auf Netrebko zugeschnitten wurde und deshalb all ihre Vorzüge gekonnt in den Vordergrund rückt. Dass das Eindruck machen muss, ist nciht verwunderlich, denn sie war auf dem Höhepunkt ihrer Attraktivität, hatte genau das passende Kostüm, einen Alfredo, der ihr zu Füssen lag- sie konnte genau das tun, was Rosenkavalier sagt: sich selbst spielen und das war wirklich gut!
    Was das Gesangliche angeht, meisterte sie diese Rollen(Violetta, Lucia, Manon) durchaus (sie hat eben solide Grundlagen, daran gibts es nciht zu rütteln!)da gab es keinen groben Ausfälle, aber leider auch keine Highlights.
    Die Manon war sprachlich und stilistisch total daneben- wenn man das mit Dessay oder de los Angeles vergleicht, ist ihr Starruhm wirklich unverständlich.
    Aber die Bühnenpräsenz ist manchmal halt erschlagend und betäubt alle übrigen Sinne.... siehe Domingo als Boccanegra....... :rolleyes:
    Mir war selbst die Antonia,nun nach der Schwangerschaft, noch zu lyrisch fûr Netrebko, ich bin der Ansciht, dass das inzwischen eine Stimme ist, die mindestens Puccini braucht und eigentlich ins grosse lyrische oder jung-dramatische Fach gehört.
    Schwindsüchtige Frauen sollte sie ohnehin tunlichst beiseite lassen, ihr sprüht die Gesundheit und Lebensprallheit so aus jeder Pore, dass das einfach nicht glaubwürdig ist. Ihre Antonia war eine totale Fehlbesetzung sie wâre als Giulietta 100mal besser gewesen.
    Ich hoffe für sie und für uns, dass sie in Zukunft die Finger vom Belcanto und von fragilen Frauengestalten lässt und das macht, was sie richtig gut kann. Puccini, Verdi, Rusalka, Tatjana etc pp Auch in grossen Operettenrollen wäre sie gewiss nicht schlecht.
    Aber vor allen Dingen: KEIN deutsches Kunstlied- das muss einfach verboten werden! :o:

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Meine Lieben,

    Das mit der Bühnenpräsenz kann ich nur hundertprozentig unterschreiben; ich würde es aber nicht nur dem optischen Faktor zuschreiben (übrigens: so toll sind ihre Beine nun auch wieder nicht, doch sie weiß, sie zu bewegen). Wenn man sie mit Villazón die Lucia singen hört, dann wird ganz klar, daß sie da - ebenso wie er - keine Idealbesetzung darstellt - aber sie schafft es, glaubhaftes Gefühl zu transportieren, nicht gerade das richtige Lucia-Gefühl, aber stimmliche Ausstrahlung besitzt sie da schon.
    Das Malheur ist, daß sie viel zu viele Partien übernimmt, die ihr eigentlich nicht ganz passen, und sich willig und professionell in jedes Regiekonzept fügt, auch wenn das nicht ideal gestrickt ist. Daß sie bei den richtigen Regisseuren ordentlich aufblüht, beweist ihre Wiener Adina, die auch keine perfekte Donizetti-Adina war, aber eine perfekte Leistung sui generis und eine Opernsternstunde (man muß hier anmerken, daß die Inszenierung nach Otto Schenk war, also die Abendspielleitung einerseits und das spontane Talent und das Zusammenspiel der Protagonisten andererseits den "Regie"-Erfolg ausmachten).
    Auch ich finde, sie sollte die slawische Oper pflegen. Was ich von ihr russisch höre, klingt ausgezeichnet. Und Operette läge ihr auch sehr, da müßte sie freilich noch daran arbeiten.
    Sie ist alles in allem sicher eine Ausnahmeerscheinung in ihren Allroundfähigkeiten, und an ihrem Timbre wüßte ich nichts auszusetzen. Um das Publikum um den Finger zu wickeln, bräuchte sie keinen Sex. Als Adina kam sie ganz ohne den aus und wirkte trotzdem auf die netteste und reizendste Weise erotisch, sodaß man ihrem Rolando seine Verdrehtheit willig nachsah. Sie läßt aber völlig in die Vermarktungsmaschinerie einspannen, das heißt sie macht sich auch mitschuldig daran. Andererseits finde ich es großartig, eine Künstlerin von ihrer oft hinreißenden Intensität zu erleben. Übrigens: Ihre Kleider sind meist große Klasse. Man muß halt auch über Geschmack verfügen, selbst wenn man ihn nicht immer beweist.

    Liebe Grüße

    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Was ich Netrebko wirklich hoch anrechne , ist das sie die Oper bei vielen Menschen ein gutes Stück populärer gemacht hat als sie es vorher war, auch wenn das vielleicht gar nicht mal in ihrer Absicht lag.
    Ich weiß, manche finden das ganz schrecklich, ich finde es toll, auch wenn ich nicht verkenne, welche Gefahren damit verbunden sein können, wenn Sänger sich wie Popstars vermarkten lassen.
    Welcher Name da mal wieder durch den Raum schwebt dürfte wohl klar sein...
    Dennoch: ich finde es klasse, daß Oper seit einigen Jahre im deutschen Fernsehen nicht mehr ganz so stiefmütterlich behandelt wird wie früher, und „Der Rosenkavalier“ „Lohengrin“ etc. imemr mal wieder zur Besten Sendezeit gebracht werden, wenn zur Zeit auch noch überwiegend auf 3Sat oder ARTE. Ich finde es toll, daß im Deutschen Fernsehen die „Schönste Oper aller Zeiten“ gesucht wurde, auch wenn der Titel bescheuert war, die Inszenierungen teilweise grausam und die finale Show dermaßen peinlich, daß ich nach D’Arcangelos Auftritt entsetzt abgeschaltet und mir zum Trost eine Riesenportion Kindergeburtstag-Essen gegönnt habe (Pommes mit Bockwurst, Mayo und Ketch-Up)
    Das wird beim nächstenmal hoffentlich besser. Dennoch war es toll, daß es unsereins endlich mal geht, wie normalen Leuten bei der Fußball-WM: jede Menge Spiele, manche grausam, andere großartig und viel Stoff zum diskutieren mit ähnlich veranlagten Mitmenschen.
    Ich finde es toll, daß Opernhäuser im Sommer Leinwände zum Rudelgucken aufstellen, ich finde es toll, daß es die Aktion „Klassik im Kino“ und die Liveübertragungen aus der MET gibt und andere Opernhäuser über ähnliche Konzepte nachdenken und ich ziehe meinen Hut vor jedem Sänger, der sich diesem zusätzlichen Streß und Druck aussetzt, mag er nun zu meinen Lieblingskünstlern gehören oder nicht.
    Das ist sicher nicht ausschließlich Anna zu verdanken, und es hat auch Schattenseiten, aber es ist zu einem großen Teil Anna (und Rolando) zu verdanken, und m.E. überwiegen die Vorteile.
    Ich erinnere mich an den Kommentar einer offenbar völlig opernunerfahrenen Rudelguckerin die nurbei der Leinwand-Übertragung der Manon aus Berlin war, weil sie „Die Netrebko“ mal sehen wollte. „Ich habe immer gedacht, Oper ist Gekreische, aber da muß man ja weinen so schön ist das“.
    Ich denke, im Gegensatz all den Divos, Adoros, Helmut Lottis, Filippa Giordanos (teeren und federn sollte man sie, teeren und federn!!!) und wie all die Pseudo-Klassikkünstler heißen, die sich vorgenommen haben, die Oper zu „entstauben“ beherrscht sie ihr Fach und zeigt auch opernunkundigen, die durch all den Rummel auf sie aufmerksam wurden, was Oper wirklich ist.
    Sie ist ganz sicher nicht die gottbegnadete Callas-Nachfolgerin zu der sie zeitweise erklärt wurde, aber die schlechteste Botschafterin für diese Kunstform ist sie wahrlich auch nicht.


    Was die Kleiderfrage angeht, möchte ich betonen, daß mir sowohl Annas als auch des lieben Rolando Konzertgarderobe immer sehr gefallen hat. :thumbup:

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • Inzwischen hat sich Hype m. E, bisschen gelegt und interessanterweise geht das damit einher, dass sie gereift ist, m. E. also besser geworden ist.

    Ich denke noch an diese nach meinem Geschmack reichlich blöde Manon - Inzenierung in Salzburg (vor dem Kind), wo dem Regisseur nicht Intelligenteres eingefallen ist als diese bescheuerte Kissenschlacht - Betthupferei, was man in jedem drittklassigen Commedy - Streifen sehen kann und schließe daraus, dass ihr wohl die Regisseure auch nichts anderes zugetraut haben als dämliches Betthäschen - Getue. Schade eigentlich, denn die gesangliche Darstellung hatte da schon merkbar mehr positive Entwicklung als noch an Anfang der "Traumkarriere", aber das haben wohl die wenigsten konstatiert.

    Die russische Literatur gefällt mir auch recht gut von ihr. Man merkt, sie ist da "daheim". Aber die angeredete Außergewöhnlichkeit kann ich nicht entdecken.

    LG
    :wink:

    Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren (Bert Brecht)

    ACHTUNG, hier spricht Käpt´n Niveau: WIR SINKEN!! :murg: (Postkartenspruch)

  • Anna Netrebko ist eine optimal ausgebildete, hoch talentierte Sängerin, die m. E. zurecht zur Spitzengarde zählt. Leider wird das russische Repertoire im Westen kaum goutiert, sodass sie z. B. als Ludmila ( Glinka ) nicht brillieren kann. Mit dieser Rolle sorgte sie damals in St. Petersburg für Furore, womit schließlich ihre internationale Karriere begann.

    Für mich besteht ihr größtes Defizit darin, dass ich mir - wie Rosenkavalier - die Stimme nicht merken kann. Ein unverwechselbares Timbre wie das der Cotrubas z. B. fehlt ihr leider.

    Ihr größtes Verdienst liegt in der Konsequenz, mit der sie das blöde Vorurteil der breiten, opernabstinenten Bevölkerung ausräumte, Opernsängerinnen seien grundsätzlich dick und hässlich. Inzwischen sind die attraktiven Sängerinnen Legion, nicht nur zur Freude der männlichen Zuschauer. Brava, Anna !


    Ciao. Gioachino :klatsch:

    miniminiDIFIDI

  • Ich finde es sehr erstaunlich, wie wenig das "Phänomen Netrebko" hier polarisiert, wie einig sich alle in der Bewertung ihrer Leistungen sind. Dem Meisten von dem, was hier geschrieben wurde, kann ich völlig zustimmen, aber trotzdem will ich auch noch ein paar Sätze zu ihr loswerden.

    Nur stimme ich dir zu: Sie ist keine Belcantosängerin.


    Jetzt mag das vielleicht stimmen, aber als Anna Netrebko ihren Durchbruch zur Weltkarriere erlebt hat, da war sie eine Belcantosängerin, und zwar beileibe keine schlechte. Die Rollen des Belcanto-Repertoires sind es doch, mit denen sie Kariere gemacht hat, ihre ersten Soloalben nach dem Durchbruch 2003 bestanden doch gerade aus Verdi, Bellini, Donizetti, aus "Lucia di Lammermoor", "La sonnambula", "I Puritani" etc.! Netrebko hat im Prinzip als Sängerin des Belcanto-Repertoires begonnen und ihre ersten internationalen Erfolge gefeiert.
    Hört man sich Netrebkos ersten beiden Soloalben an, ist sie als Lucia meiner Meinung nach hervorragend, ebenso als Marguerite, als Amina, Elvira, Violetta gut. Überragend finde ich von diesen "frühen" Aufnahmen ihre Version von Musettas Walzer. Dass sie inzwischen eine viel gelobte Mimi ist, zeigt ja schon die Entwicklung, die sie in den letzten sieben Jahren genommen hat. Wohin der Weg gehen würde, ist meiner Meinung nach auch schon an diesen ersten Visitenkarten des neu gemachten Stars zu erkennen. Auf ihrem zweiten Recital 2004 singt Netrebko Ausschnitte aus "La Traviata", "La sonnambula", "I puritani" und "Lucia di Lammermoor", alles gut, keine Frage, und dann die große Soloszene der Desdemona in Verdis "Otello". Und da blüht sie plötzlich auf, klingt beseelt und so unverstellt und unmittelbar wie sonst selten. Sie geht in der Musik förmlich auf!

    Sie könnte ja auch ein bisschen mehr im russischen und tschechischen Fach aktiv sein: Wieso keine Jenufa, Natacha (wieso singt sie diese nicht mehr?) und alle diese Tatjanas und Olgas?


    Na ja, sie singt ja schon relativ viel russisches und tschechisches Repertoire! Angefangen von ihrem ersten Soloalbum (das immerhin schon Rusalkas Lied an den Mond enthielt" über das "Russian Album", das ganz der russischen Oper gewidmet war, bis hin zu ihrem jüngsten Album mit Liedern von Rimsky-Korsakoff und Tschaikowsky hat sie sich ja durchaus stark gemacht für das osteuropäische Repertoire und reichlich "exotische" Stücke an den Mann/ die Frau gebracht. gemessen daran, welche Bedeutung diese Stücke im internationalen Musikleben haben, hat Netrebko sich da schon achtbar engagiert, finde ich!

    Aber ehrlich in welcher Sparte haben wir denn wirklich gute Sänger?


    Mozart! Für Mozart haben wir so viele wirklich gute Sänger wie zuletzt vielleicht vor 50 Jahren! Oder tue ich jetzt den ganzen Mozartsängern der 70er und 80er Jahre Unrecht? Und werde ich in ein paar Jahrzehnten auch mal soetwas sagen??

    Liebe Grüße,
    Lars

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • http://anna-netrebko.blogspot.com/2012/02/anna-n…ry-gergiev.html


    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • In dem Blog steht ja wenig drin.

    "Nachdem publik geworden ist..." - mich würde interessieren, wie das publik geworden ist und wie vertrauenswürdig das ist.

    (Persönlich erschüttert mich mehr, dass auch V.Gergiev auf der Liste auftaucht...)

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)

  • "Nachdem publik geworden ist..." - mich würde interessieren, wie das publik geworden ist und wie vertrauenswürdig das ist

    "publik, vertrauenswürdig" ? ...ich habs erst durch Tamino erfahren. Dazu noch ein paar Links:

    http://diepresse.com/home/politik/a…-Wladimir-Putin
    http://www.3sat.de/page/?source=/…0348/index.html
    [font='&quot']http://www.br.de/radio/br-klassik/sendungen/allegro/operndiva-netrebko-als-wahlhelferin-fuer-putin100~popup.html

    [/font] :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Persönlich erschüttert mich mehr, dass auch V.Gergiev auf der Liste auftaucht...


    Ich habe vor längerer Zeit eine Dokumentation über Gergiev im Fernsehen verfolgt, da wurde von einer schon jahrelang bestehenden Freundschaft zwischen Putin und Gergiev gesprochen - insofern verwundert mich die Unterstützung nicht.

    :wink:
    Renate

    Unsre Freuden, unsre Leiden, alles eines Irrlichts Spiel... (Wilhelm Müller)

  • Da dem Vernehmen nach eine gute Freundschaft zwischen Putin und einem deutschen Ex-Kandesbunzler besteht, verstehe ich nicht so ganz, was nun schockierend daran sein soll, dass zwei sehr berühmte russische Künstler mit dem russischen Ex- und Demnächst-Präsidenten auf vertrautem Fuße sind...

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Das werden irgendwann die Historiker diskutieren.

    Einstweilen bin ich persönlich einigermaßen enttäuscht, ganz subjektiv und ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)

  • Im System Putin läuft vieles ganz ungut. Wir kennen uns aber wahrscheinlich alle nicht gut genug aus in der russischen Innenpolitik, um sagen zu können, welche konkrete Person oder Partei eine bessere Alternative zu Putin wäre. Aus welchen Gründen auch immer: auch abzüglich der skandalösen Wahlmanipulationen steht die Mehrheit der Russen hinter Putin. Dies zu bewerten steht mir nicht zu. Sich enttäuscht zu zeigen, dass zwei Künstler ihre Stimme für Putin erheben, das hat für mich aber einen undemokratischen Beigeschmack.

    :wink:

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

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