KREISLER, Georg: Heute Abend: Lola Blau
Heute Abend: Lola Blau
Musical für eine Schauspielerin
Musik und Text (Ausnahmen unten bei der Liedfolge): Georg Kreisler
UA: 17.10.1971 Kleines Theater in der Josefstadt (Wien)
Inszenierung: Conny Hannes Meyer
Lola Blau: Topsy Küppers
Klavier: Heinz Hruza und Georg Kreisler
Zum Komponisten:
Georg Kreisler, geb. 18.7.1922 in Wien, Musiker, Kabarettist, Komponist, Satiriker und Schriftsteller. Vielfach bekannt geworden in den 50er und 60er Jahren mit zeitkritischen, oft makabren Chansons (etwa „Taubenvergiften im Park“), sieht sich aber als universeller Künstler, nimmt das Schriftstellerische und vor allem auch seine Bühnenwerke (etwa die Oper „Der Aufstand der Schmetterlinge“) mindestens genauso ernst wie seine Chansons. Musste 1938 in die USA emigrieren. Kontakt mit anderen Exilanten. Wurde amerikanischer Staatsbürger. U.S. Army. In England stationiert. GI Shows (teilweise zusammen mit Marcel Prawy). Als Dolmetscher in Deutschland Verhöre einiger Nazi-Größen. Nach Kriegsende in den USA Filmmusik-Mitarbeit unter anderem bei Charlie Chaplin. Entertainer in New York. 1955 Rückkehr nach Wien. Zunächst Zusammenarbeit mit Gerhard Bronner und dem Kabarett-Team um diesen, dann Schallplatten- und Konzertkarriere mit eigenen Chansons, vielfach auch gesungen von seinen Ehefrauen Topsy Küppers und später Barbara Peters. 1958 Umzug nach München, 1976 nach Berlin, 1988 nach Salzburg, 1992 nach Basel, seit 2007 wieder Salzburg. Seit 2001 vermehrt Romane, Kurzgeschichten und Essays sowie Bühnenkompositionen. Entfernt mit Fritz Kreisler verwandt. Tochter Sandra Kreisler ist als Schauspielerin und Sängerin ebenfalls bekannt geworden (derzeitiges Hauptprojekt „Wortfront“). Im Netz findet man leicht Werkverzeichnisse, Textproben und weitere Informationen zu Georg Kreisler.
Kurzinhalt:
Die junge, politisch naive jüdische Schauspielerin und Sängerin Lola Blau muss mit Kriegsbeginn von Wien aus über Linz und Basel in die USA emigrieren und kehrt nach einer Karriere als Show- und Sexstar incl. alkoholbedingten Abstürzen kabarettistisch resignierend nach Wien zurück.
Entstehung:
Laut Georg Kreisler selbst („Lola und das Blaue vom Himmel“, Edition Memoria - Schumann, 2002) trat seine damalige Noch-Ehefrau Topsy Küppers 1971 an ihn heran, möglichst rasch ein Soloprogramm zusammenzustellen. Aus Zeitmangel griff Kreisler zum Großteil auf bereits vorhandenes Liedmaterial zurück und entwickelte damit die Geschichte zum Musical, mit durchaus autobiographischen Zügen (Thema Emigration).
Aufführungsgeschichte:
Topsy Küppers errang damit einen Riesenerfolg, sie spielte das Werk viele Jahre. Nach der Trennung kam es zu einem Urheberrechtsstreit zwischen dem Ex-Ehepaar, der erst nach einigen Prozessen zugunsten von Georg Kreisler entschieden wurde. In oben genanntem und unterhalb abgebildetem Buch, das auch das komplette Libretto enthält, geht Kreisler sehr genau (allerdings völlig einseitig) auf die Angelegenheit ein. „Heute Abend: Lola Blau“ wurde in viele Sprache übersetzt und wird weltweit auf den unterschiedlichsten Bühnen gespielt. Für die Hauptdarstellerin bietet sich eine breite Palette der Darstellungskunst an, zwischen „zerbrochenen“ Chansons und großem Entertainment. Für einen Showauftritt in den USA lässt Georg Kreisler offen, ob die Darstellerin einen Strip bietet oder eine große Shownummer singt. Vielfach sind die Inszenierungen praktikabel auch für Tourneen entworfen, meist ohne Bühnenbild, nur die Hauptdarstellerin, ein Klavier und ein paar Requisiten. Ton- und/oder Bild- sowie Filmzuspielungen zur Verdeutlichung des zeithistorischen Hintergrunds werden im Libretto empfohlen. Einige Nebenfiguren werden je nach Inszenierung von der Hauptdarstellerin selbst, von der musikalischen Leitung, von weiteren Mitwirkenden oder vom Band geboten – oder weggelassen, wie auch so manche Musiknummer.
Aktuelle Aufführungen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Theater HintenLinks Krefeld, 19.2., 20.2., 23.4., 24.4.2010, mit Anuschka Gutowski.
(Eine großartig dem Original verpflichtete und gerecht werdende Produktion.)
Schauspielhaus Graz Ebene 3, 1.3. und 25.3.2010 mit Steffi Krautz
(Ein Beispiel für die praktikablen Tourneeproduktionen – wenig äußerer Aufwand, starke Wirkung des Werks)
Kleine Bühne Flensburg, 12.03.2010, 17.04.2010, 08.05.2010 (letzte Aufführung) mit Gabriela Kuhn.
(Eine eindringliche Produktion, vielfach auch der Originalvorlage verpflichtet.)
Brandenburger Theater, 1., 3. und 24.4.2010, mit Heike Maria Förster.
(Eine sehr ambitionierte Produktion, salopp würde ich sagen: Regietheater im besten Sinn. Wurde 2008 in Duisburg erstmals aufgeführt, gastierte schon in Wien. Musikalische Besonderheit: Akkordeon statt Klavier.)
Neuinszenierung im Clack Theater, Lutherstadt Wittenburg, erste Termine 19. und 23.6.2010, mit Alexandra Herhausen.
Liedfolge:
Im Theater ist was los
Sie war liab
Sympathie
Die Wahrheit vertragen sie nicht
Weder noch
Wie kommt es
Der zweitälteste Frauenberuf
Ich hab a Mäderle
Sie ist ein herrliches Weib
Sex is a wonderful habit
Der Herr ist mir fremd
Fängt's schon wieder an
Heut will ich mich besaufen
Ich hab dich zu vergessen vergessen
Ich liebe dich
Frau Schmidt
Alte Tränen
Im Theater ist nichts los
Wo sind die Zeiten dahin
Zu leise für mich
Musik und Text aller Lieder: Georg Kreisler
Musik „Fängt´s schon wieder an“: Fred Gordoni
Text „Heut werd ich mich besaufen“: Tamar Radzyner
Musik „Wo sind die Zeiten dahin“: Wolfgang Amadeus Mozart (1. Satz „Sonata facile“)
Persönliche Anmerkung:
Ich durfte 1997 im Wiener Theater Pygmalion als Einspringer eine Vorstellung des Werks mit ein paar Proben davor am Klavier begleiten und bin seither ein totaler Fan dieses Musicals, möchte es sogar als mein Lieblingsbühnenwerk fürs Leben bezeichnen. Versuche, jede verfügbare Aufnahme zu bekommen und habe im deutschen Sprachraum seit damals bereits über 30 verschiedene Inszenierungen gesehen.
CD Aufnahmen
(Persönliche Höreindrücke 1)
Ich beschränke mich zunächst auf die derzeit bei amazon oder jpc erhältlichen Aufnahmen.
Teilweise sind sie derzeit auch (nur) als mp3 Downloads verfügbar.
In der Uraufführungsbesetzung erschien bei Preiser Records eine Doppel LP. 1990 wurde diese Aufnahme auch als Doppel CD (Preiser 90044) veröffentlicht, ergänzt mit einigen weiteren Liedern aus den 60ern, die Georg Kreisler für Topsy Küppers geschrieben hat. Dies ist das Dokument eines großartigen Werks, welches an einem persönlichen Schicksal die Zeit von 1938 bis nach dem Krieg in Form eines Hörspiels mit Chansons einfängt. Den zeitgeschichtlichen Hintergrund besorgen Radioeinblendungen und Tagesschlager. Die meisten Chansons vertiefen Lolas Gefühlswelt, ein paar sind gekonnte, intelligente Shownummern. Hört man die Aufnahme, ist man gebannt und erschüttert – die Tragik der Emigranten des 20. Jahrhunderts wie die geradezu beängstigend gut ausgefeilte Interpretation durch Topsy Küppers nehmen total gefangen. Die hörspielartigen Überleitungen zwischen den Chansons leben vom Lokalkolorit der Umgebungen (Wien, Schweiz, USA). Zwar sind die beiden Pianisten Heinz Hruza und Georg Kreisler bei den Credits genannt, man verschweigt aber die Sprecherinnen und Sprecher der markanten kleinen Nebenrollen. Die Zimmerwirtin zu Beginn spricht breiten Wiener Dialekt, Lola meldet sich am Telefon – ganz die junge, naive, hoffnungsvolle Künstlerin – mit bewusst erotischem Tonfall, um nach dem Erkennen des anderen Gesprächsteilnehmers in einen natürlichen Sprachduktus zu wechseln. Vom ersten Lied an erweist sich Topsy Küppers als kongeniale Chanson-Interpretin zwischen Sprechgesang und für ihre Zwecke fulminant wechselnden Gesangsnuancen. Sie gewinnt jedem Lied den nötigen Charakter ab, und das ist in den etwa 100 Minuten Spieldauer des Werks eine wahrlich großartige Leistung. Die Psychologie der Lieder ist nuanciert ausgearbeitet. Man hört, wenn man genau aufpasst, dass sie keine Wienerin ist. Doch Topsy Küppers „spielt“ die Wienerin genauso intensiv und vielseitig wie alle anderen Rollen, in die Lola zu schlüpfen hat. Ihre Stimme steht bei der Aufnahme schön im Vordergrund. Man versteht jede winzigste Nuance. „Sympathie“ oder „Weder noch“ sind so verinnerlicht, wie „Die Wahrheit vertragen sie nicht“ oder „Sie ist ein herrliches Weib“ den nötigen „Drive“ haben. Am Schiff nach Amerika spricht der jüdische Passagier Herr Berger die Lola an. Man vermutet es und es liegt nahe: Das ist Georg Kreisler selbst, der uns als Herr Berger begegnet. „Sex is a wonderful habit“ wird von Topsy Küppers fast gehaucht, es ist das Lied, das sie als Sängerin in den USA einführt. Der Hall erzeugt die Konzertatmosphäre. Und die große Shownummer, von Kreisler freigestellt, ist bei Topsy das Lied „Fängt´s schon wieder an“ (Musik: Gordoni), mit Bigband begleitet. Der Hörspielcharakter unterstreicht sich, als Lola zu einer Instrumentalpassage vor sich hin sinniert, Zitate aus dem Lied „Sie war liab“ wiederholt. Der Zuhörer beginnt mit ihr zu hinterfragen, welche Rolle ein Künstler auf der Bühne eigentlich spielt, wie weit er er selbst bleibt in dem was er tut. Georg Kreisler zitiert sich akustisch selbst mit einem englischen Lied aus der „Georg Kreisler Show“ – letzter Beweis des autobiographischen Hintergrunds dieses Werks. Die große Shownummer nach der Rückkehr nach Wien, in der sich Lola Blau einem Theaterdirektor in verschiedenen Nationalcharakteren vorstellt, spart die Schweizerin aus. (Das ist die einzige Kürzung bei Topsy Küppers, viele Nachfolgerinnen werden mehr weglassen als sie.) Topsy Küppers´ Aufnahme ist eine starke Vorgabe für künftige Darstellerinnen der Lola Blau, die vielen Farben, mit denen sie die Lieder auslotet, scheinen wenig Spielraum für neue Facetten offen zu lassen. Beim Lied „Heut will ich mich besaufen“ ist Tamar Radzyner für den Text genannt, bei „Wo sind die Zeiten dahin“ wird allerdings Mozart als Komponist (der Sonata facile) verschwiegen. Das wunderbar nachdenkliche Schlusslied „Zu leise für mich“ wird ganz langsam interpretiert. Hier merkt man, wie die Zeit seither schneller geworden ist. Etliche Coverversionen lassen sich weit weniger Zeit für dieses Finale. Fazit: Die Referenzaufnahme des Werks, Vorbild und Maßstab. Wer die Aufnahme im Ohr hat, wird jede andere an ihr messen.
Die Produktion im Stadttheater Fürth (Regie: Werner Müller, Bühnenbild: Ruth Zadek) wurde ab 10.4.1999 gespielt. Es wird wohl eine „konservative, werkgetreue“ Inszenierung gewesen sein. Man hört Radiomusik, Bahnhofsgeräusche, die für die 78 Minuten Spielzeit der CD (Stadttheater Fürth STF-03) verknappten Zwischentexte, zum Teil von zwei Männerstimmen geboten (Raimund Gensel, Sevan Minasian), und man hört vor allem die berührende Geschichte der jüdischen Künstlerin Lola Blau, die 1938 von Österreich über Basel in die USA emigrieren muss, dort Showkarriere macht und als resignierende, politisch bewusster gewordene Kabarettistin wieder in Wien landet.
Der Mitschnitt beginnt gleich mit „Im Theater ist was los“. Am Klavier ist Thomas Fink ein hörbar hochkarätiger, routinierter Begleiter derartiger Produktionen. Er orientiert sich viel am Original, weiß aber mögliche sinnvolle Freiheiten sehr schön (und einfühlsam!) auszukosten. Die Frau Fini, die Lola Blau zum möglichst raschen Auszug aus der Pension Aida nötigt, wird hier weggelassen. Jutta Czurda ist eine echte Dame, auf jeden Fall stimmlich. Sie wäre auch (und ist es sicher) eine ideale Interpretin der großen Chansons der Damen Dietrich oder Leander, und es gibt von ihr (ebenfalls vom Stadttheater Fürth produziert) auch eine Brecht CD. Noch in Wien singt Lola „Sie war liab“, in Basel dann „Sympathie“, „Die Wahrheit vertragen sie nicht“, „Weder noch“ und „Wie kommt es“, auf dem Schiff nach Amerika (in Herrn Bergers Monolog eingeflochten) „Der zweitälteste Frauenberuf“, „Ich hab a Mäderle“ und „Sie ist ein herrliches Weib“, in den USA (sehr bluesig) „Sex is a wonderful habit“, „Der Herr ist mir fremd“, als Shownummer „umnebelt mit Big Band im Hall „Love me“, „Heut´ werd ich mich besaufen“ und „Ich hab dich zu vergessen vergessen“, und wieder zurück in Wien „Alte Tränen“, die große Präsentationsnummer vor dem Theaterdirektor „Im Theater ist nichts los“, als Kabarettnummer hier nachgereicht die „Frau Schmidt“ sowie als langsam verklingendes Finale „Zu leise für mich“.
Man hört, dass Jutta Czurda auf der Bühne „arbeitet“, aber sie kann offenbar gut „tanzen“, ohne dabei stimmliche Einbußen in Kauf nehmen zu müssen. Ein Profi durch und durch, vielleicht die stimmstärkste Lola zumindest der CD-Einspielungen, in der großen Tradition des deutschsprachigen, von Frauen gesungenen Chansons. Das an sich recht liebevoll gestaltete achtseitige Beiheft verschweigt allerdings Tamar Radzyner als Textdichterin von „Heut´ werd ich mich besaufen“.
Ewa Teilmans spielte im August 2000 ihre Produktion von Georg Kreislers „Heute Abend: Lola Blau“, die einige Jahre im Repertoirebetrieb aufgeführt wurde, auf der Bühne der freien Waldorfschule in Münster zusammen mit dem Pianisten Wilhelm Rodenberg für CD ein (CD Musicom 010908). Es ist kein richtiger Livemitschnitt. Man hört Ewa Teilmans zwar „über die Bühne gehen“ und Szenen von rechts oder links singen, es gibt aber keinen Applaus, keine Geräusche, nur hin und wieder wohl Rodenberg als zweite Stimme. Die stark am Original orientierten Zwischentexte sind auf CD-Länge gekürzt, die Monologe (Berger, Schmidt, Pförtner) kann man im Klappcover nachlesen. Die CD beginnt direkt mit Lolas Telefonat mit Onkel Paul. Statt der Frau Fini ist hier ein Herr Josef für die Pension Aida verantwortlich. An sich zeigen Teilmans und Rodenberg aber großen Respekt vor der Vorlage, Rodenberg spielt ziemlich genau, was im Klavierauszug steht, nimmt sich kaum Freiheiten. Es fehlen keine Musiknummern, auch das „Mäderle“ und Mozarts „Sonata facile“ („Wo sind die Zeiten dahin“) sind auf der CD enthalten. (Somit bietet Ewa Teilmans neben Topsy Küppers, was die Musik betrifft, den vollständigsten CD-Mitschnitt des Werks.) Als Shownummer wählt Ewa Teilmans Cole Porters „My heart belongs to daddy“. Von Anfang an strahlt die Künstlerin (zu selbstverständliche?) Souveränität aus. Sie hat mit dem Pianisten genau alle Rubati einstudiert, damit man auch wirklich jede Nuance gut versteht. „Sex is a wonderful habit“ singt sie mit einem ganz bewusst volkstümlich-deutschen Akzent. Die Aufnahme wirkt von den verfügbaren für mich am pädagogischsten.
Weitere CD-Aufnahmen gibt es etwa mit Stella Fürst, Ines Martinez, Ursula Ruhs, Heike Maria Förster und Morag McLaren (letztgenannte englischsprachig, aus London).