John Coltrane - Der spirituelle Avantgardist

  • Zudem kommt der Jazz auch aus der afrikanischen Ritualmusik *.

    * Das ist inzwischen in einigen Ansätzen zu einer Theorie der Jazz-Improvisation zum Thema gemacht worden, etwa von Peter Niklas Wilson.


    Könnte ich eine genaue Literaturangabe bekommen? Danke!

  • Peter Niklas Wilson: Hear and Now. Gedanken zur Improvisierten Musik
    235 Seiten, Wolke Verlag, Hofheim, 1999

    ders.: Improvisation. 16 Stichworte zu einer flüchtigen Kunst, in: Lettre International, Ausgabe Frühjahr 1994

  • Was wäre die leider dürftige Jazzpublizistik in Deutschland ohne den Wolke Verlag .....

    Ja, das sehe ich auch so. Und der leider viel zu früh verstorbene Jazzbassist und Musikwissenschaftler Peter Niklas Wilson gehörte zu den wirklich Lesenswerten, dessen Bücher zum Teil auch auf Englisch erschienen sind. Sind sonst noch, außer von Ekkehard Jost und Behrend, Bücher deutscher Jazzautoren ins Englische übersetzt worden? Auf Anhieb fällt mir jedenfalls sonst gerade niemand ein.

    Du darfst hier jedoch keine ausgeführte musikhistorische Herleitung erwarten. Da habe ich mich möglicherweise mißverständlich ausgedrückt. Aber seine, bescheiden bezeichneten " Gedanken zur Improvisierten Musik", die durchaus auch: "Zu einer Theorie der Improvisierten Musik" heißen könnten, haben die ethnologischen und musikethnologischen Ritualtheorien und -Forschungen kenntnisreich zum Hintergrund und führen interessant aus, was von ihnen für Jazz/Improvisierte Musik von Bedeutung ist.

    :wink: Matthias

  • Religion ist Privatsache, deshalb sind derart despektierliche Äusserungen gegenüber der spirituellen Orientierung der Coltranes meiner Ansicht nach ziemlich deplatziert und deuten mir eine bedenkliche Intoleranz an.

    Mit Deiner Aussage "Religion ist Privatsache" kann ich mich anfreunden: von mir aus können die Menschen glauben, an was immer sie wollen, solange sie andere Leute damit nicht behelligen. Um ein Beispiel zu nennen: bei Chick Corea hat man als Jazzfan in musikalischer Hinsicht nichts von seiner Hinwendung zu L. Ron Hubbard bemerkt. Chick spielte denselben Jazz wie zuvor mit denselben Musikern wie zuvor (sieht man einmal davon ab, dass er auf L. Ron Hubbards Album "Space Jazz: The Soundtrack of the Book Battlefield Earth" mitwirkte: aber wer kennt dieses Album schon. Ich jedenfalls nicht. Der einzige Hubbard, den ich verehre, heißt Freddie). Es ist auch nicht überliefert, dass er plötzlich von der Bühne aus irgendwelche "Werdet erleuchtet!"-Predigten gehalten hätte. Also blieb es hundertprozentig seine Privatsache, woran er glaubt, weil er es nicht (oder jedenfalls so gut wie nicht, s.o.) nach außen getragen hat. Das von einer deutschen Großstadt 1993 wegen seiner Scientology-Mitgliedschaft gegen ihn verhängte Auftrittsverbot war jedenfalls höchst zweifelhaft.

    Wenn allerdings die Religion Blüten treibt, wie dies im Falle von Alice Coltrane unzweifelhaft der Fall war - nachzulesen etwa in diesem Buch hier

    - und wenn das dann Auswirkungen auf die Musik des Ehegatten nimmt (ein wunderbares Quartett, vielleicht das beste Quartett der Musikgeschichte, wird zerstört und McCoy Tyner wird verdrängt durch eben diese Dame - warum kommt mir eigentlich in diesem Zusammenhang immer der Name Yoko Ono und die Auflösung der Beatles in den Sinn?), dann geht das den Musikhörer schon etwas an. Der Musikhörer darf dann sagen, was ich sage: ich kaufe mir die Platten dieser neuen Formation nicht weiter, weil mir deren inzwischen eher religiös motivierte Musik nicht mehr gefällt. Wenn Du das dann - wörtlich! - "bedenkliche Intoleranz" nennst: bitteschön. Das Nicht-Mögen von Musik und das Nicht-Kaufen von CDs ist bei mir relativ weit verbreitet (ich kaufe z.B. keine Wagner-CDs und auch nichts von Diana Krall, weil ich die Musik von beiden nicht mag). Intolerant habe ich mich deswegen nie gefühlt. Eigentlich eher mit einem bestimmten Musikgeschmack ausgestattet.

    Lieber music lover,
    ich wollte dich nicht in irgendeine konservative Ecke drängen.

    Das ist mir völlig klar, lieber Matthias, und daran habe ich auch keinen Moment gezweifelt.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • von mir aus können die Menschen glauben, an was immer sie wollen, solange sie andere Leute damit nicht behelligen. Um ein Beispiel zu nennen: bei Chick Corea hat man als Jazzfan in musikalischer Hinsicht nichts davon bemerkt, dass er Scientologe wurde. Chick spielte genauso wie zuvor mit denselben Musikern wie zuvor. Es ist auch nicht überliefert, dass er plötzlich von der Bühne aus irgendwelche "Werdet erleuchtet!"-Predigten gehalten hätte. Also blieb es hundertprozentig seine Privatsache, woran er glaubte, weil er es nicht nach außen getragen hat. Und das von einer deutschen Großstadt wegen seiner Scientology-Mitgliedschaft gegen ihn verhängte Auftrittsverbot war höchst zweifelhaft.

    Auftrittsverbote finde ich auch falsch, aber so ganz stimmt das leider nicht. Chick Corea läßt sich schon zu Werbe-Zwecken von Scientology einspannen, wenn auch zumeist nicht bei Aufnahmen und Auftritten mit anderen Musikern. Es gibt jedoch auch eine CD seiner Electric Band mit Musik zu irgendeinem abstrusen Ron Hubbard-Buch und breit ausgeführten Elogen auf seinen Sektenführer von ihm in der Beilage und auf dem Back-Cover - auch musikalisch der absolute Tiefpunkt seiner Karriere. Schon das Titel-Cover ist werbend, wenn auch schon designmäßig für mich eher Anti-Werbung. Weiter möchte ich hier auf dieses Machwerk nicht verweisen.

    - warum kommt mir eigentlich in diesem Zusammenhang immer der Name Yoko Ono und die Auflösung der Beatles in den Sinn

    Tja, ich finde ja auch Yoko Ono interessanter als die Beatles :stumm: :D - etwa ihre Stimmperformance auf einigen Stücken auf Ornette Colemans "Science Fiction"-Sessions oder mit ihrem Sohn Sean Lennon und Musikern der New Yorker Downtown-Scene.

    Muß ich wohl irgendwann mal einen Thread zu Alice Coltrane aufmachen, denn einige ihrer eigenen Aufnahmen finde ich durchaus sehr gut.

    :wink: Matthias


  • Tja, ich finde ja auch Yoko Ono interessanter als die Beatles :stumm: :D - etwa ihre Stimmperformance auf einigen Stücken auf Ornette Colemans "Science Fiction"-Sessions oder mit ihrem Sohn Sean Lennon und Musikern der New Yorker Downtown-Scene.


    Das kann man so sehen - ich erinnere mich dunkel daran, zu LP-Zeiten auch mal irgendein Yoko Ono-Album besessen zu haben. Worauf es mir aber ankam, ist der Beitrag der Ehefrau eines begnadeten Musikers zur Zerstörung einer überaus erfolgreichen Formation (John Coltrane Quartet mit McCoy Tyner / The Beatles), welche die Fans geliebt haben. Und da kann man wohl, wenn man will, hauchzarte Parallelen sehen, ohne dass die beiden Fälle natürlich gleich liegen.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Ich glaube nicht, dass man sagen kann, Alice Coltrane hätte die alte Quartett-Formation "zerstört". Ich schrieb ja bereits, Coltrane war in seinen Soli seit etwa 1960 schon immer bereits zwei Schritte weiter als sein Quartett, wenn man nach den Live-Aufnahmen geht. Das hat zwar bis zu den letzten Quartett-Aufnahmen seine eigene Spannung erzeugt, die durchaus fruchtbar war, aber dennoch lag es irgendwann in der Logik dieser Entwicklung, dass Coltrane schließlich auch eine neue Formation gebildet hat, die auch als Ganze die Bindung an Skalen und einen Takt aufzugeben in der Lage war und mit der er diesen weiteren Schritt in der Radikalisierung des Free Jazz gehen konnte.

    Da überschätzt man vielleicht doch etwas Alice Coltrane und unterschätzt John Coltrane, der ja selbst auch schon länger an afrikanischen und indischen Musiken und "Spiritualitäts"-Konzepten interessiert war.

    :wink: Matthias

  • Ich glaube nicht, dass man sagen kann, Alice Coltrane hätte die alte Quartett-Formation "zerstört". Ich schrieb ja bereits, Coltrane war in seinen Soli seit etwa 1960 schon immer bereits zwei Schritte weiter als sein Quartett, wenn man nach den Live-Aufnahmen geht. Das hat zwar bis zu den letzten Quartett-Aufnahmen seine eigene Spannung erzeugt, die durchaus fruchtbar war, aber dennoch lag es irgendwann in der Logik dieser Entwicklung, dass Coltrane schließlich auch eine neue Formation gebildet hat, die auch als Ganze die Bindung an Skalen und einen Takt aufzugeben in der Lage war und mit der er diesen weiteren Schritt in der Radikalisierung des Free Jazz gehen konnte.

    Da überschätzt man vielleicht doch etwas Alice Coltrane und unterschätzt John Coltrane, der ja selbst auch schon länger an afrikanischen und indischen Musiken und "Spiritualitäts"-Konzepten interessiert war.

    :wink: Matthias


    Das sehe ich im Großen und Ganzen auch so. Schreibt das etwa Dombrowski mit dem "Zerstören"? Wie auch immer, eine solche Behauptung halte ich für ausgemachten Blödsinn.
    Die Ehe mit Naima war im Lauf der Jahre brüchig geworden - Coltrane hätte sie gern in seine Musik integriert, kaufte ihr eine Harfe, die sie nie anrührte - Alice spielte schon Vibrafon ausser Klavier, als sie John kennen lernte, und nahm sich der Harfe gerne an. Mit Alice konnte er Musik machen, Traum jedes musizierenden Ehemanns. Ins Quartett holte ihr Mann sie übrigens erst, nachdem Tyner gegangen war! Sie wollte erst nicht, weil sie nach der Geburt der beiden Söhne sich erst einmal um diese gekümmert und zwei Jahre kaum gespielt hatte und es sich nicht zutraute.
    Die Neigung zu Orientalismen und einer immer stärkeren Ausweitung der rhytmischen und tonalen Grenzen lag schon bei Gründung des Quartetts mit Tyner und Jones in der Luft - im Nachhinein kann man das zumindest sagen.
    Der Weggang Tyner's und Jones' geschah nicht über Nacht - das kann man sehr differenziert bei Lewis Porter nachlesen (ab S. 262), dessen Lektüre ich jedem nur ans Herz legen kann, er schafft es Coltrane's Entwicklung in allen Facetten darzustellen.

  • Schreibt das etwa Dombrowski mit dem "Zerstören"? Wie auch immer, eine solche Behauptung halte ich für ausgemachten Blödsinn.

    Nein, das schreibe ich. Und wenn Du das, was ich geschrieben habe, als "ausgemachten Blödsinn" bezeichnest, haben wir nun auch im Jazz-Bereich des Forums einen Ton erreicht, der im Klassik-Sektor des Forums bei nicht wenigen Diskussionen anzutreffen ist, während die Jazzfans eigentlich immer pfleglich miteinander umgegangen sind. Schade drum.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Liebe Jazzer, das kriegt Ihr aber jetzt wieder hin, und zwar ohne Moderation, oder? ;+)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich bin jetzt kein ausgemachter Coltrane-Spezialist wie ihr anderen, aber die These, Alice Coltrane habe das Quartett »zerstört«, hat mich - als ich das gestern Abend las - etwas überrascht. Aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen weil sich mein geringer, allein durch Artikel in Jazz-Lexika, -Handbüchern und dem WWW grundierter Kenntnisstand hinsichtlich des Ausscheidens von Tyner weitgehend mit dem deckt, was Miguel hier ausführt. Zum anderen dachte ich, dass Coltrane eigentlich ab spätestens 1965 das »Quartett« doch immer wieder sukzessive überschritten und erweitert hat - nicht nur in den Ascension-Sessions, sondern eben auch durch immer häufigeren Ausbau des Quartetts zum Quintett, in dem ein zweiter Hornist - nämlich Sanders - hinzutritt; oder auch zum Sextett unter Hinzuziehung eines zweiten Bassisten. Das verweist doch ziemlich deutlich darauf, dass es nicht unbedingt eines in die Band Drängens von Alice bedurfte, um das Quartett zu »zerstören«, Vielleicht hat das klassische Quartett Coltrane schlicht nicht mehr genügt, um seine musikalischen Ideen zufriedenstellend zu verwirklichen. Und was die Spiritualität anbetrifft: Ist dafür wirklich Alice verantwortlich? »A Love Supreme« erschien 1965 - eingespielt mit dem klassischen Quartett. Und »Crescent« ist gar von 1964.

    Ich finde übrigens diese »Übergangsphase« vom »klassischen« Coltrane-Quartett (das ist sehr schätze) zur den späteren Formationen mit Pharoah Sanders, Alice Coltrane und Rashid Ali (die ich genauso sehr schätze) ziemlich interessant, weil sich da gewissermaßen zwei Zeit- und Stilphasen überlagern und so eine - für mein Empfinden - ungeheur produktive, elektrisierend-sinnliche Spannung entsteht. Ganz wunderbar zu hören im Seattle-Konzert (1965):

    Und zuletzt: Dem Hinweis von Miguel folgend, habe ich gestern Abend seit ewiger Zeit mal wieder »Stellar Regions« gehört - das hat mich schon wieder sehr aus den Socken gehauen, wie hier freies Spiel (das Tranes Soli in Seraphic Light und Offering sind wirklich Offenbarungen!) und formale Geschlossenheit miteinander harmonieren. Ich zeig nochmal das Bildchen:

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Zum anderen dachte ich, dass Coltrane eigentlich ab spätestens 1965 das »Quartett« doch immer wieder sukzessive überschritten und erweitert hat - nicht nur in den Ascension-Sessions, sondern eben auch durch immer häufigeren Ausbau des Quartetts zum Quintett, in dem ein zweiter Hornist - nämlich Sanders - hinzutritt; oder auch zum Sextett unter Hinzuziehung eines zweiten Bassisten. Das verweist doch ziemlich deutlich darauf, dass es nicht unbedingt eines in die Band Drängens von Alice bedurfte, um das Quartett zu »zerstören«


    Erweiterungen des jeweiligen John Coltrane Quartets hin zu einem Quintett oder Sextett hat es eigentlich immer gegeben: zum Beispiel auf der Blue Note-CD "Blue Train" (plus Lee Morgan und Curtis Fuller) oder in den frühen 60er Jahren (plus Eric Dolphy). Dass er Sanders mit in die Band nahm, war also nichts Ungewöhnliches. Und schon gar nicht etwas, was das Existenzrecht von McCoy Tyner als festes Bandmitglied in Frage gestellt hätte: schließlich haben ja McCoy Tyner und Pharoah Sanders auf den Alben "Ascension" und "Meditations" prima miteinander harmoniert (und auch nach Coltranes Tod miteinander gearbeitet). Dass sich McCoy Tyner immer unwohler in der Band fühlte und diese schließlich verließ, woraufhin Coltranes Ehefrau den freigewordenen Platz einnehmen konnte, hatte andere Gründe. Zu diesen kann ich gern mal - falls gewünscht - detaillierter etwas schreiben, wozu ich allerdings meine diversen John Coltrane-Bücher benötige. Zur Zeit habe ich diese allerdings nicht zur Hand. Also muss ich Euch vertrösten.

    Gurnemanz
    Klar - kriegen wir schon hin 8+)

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Dass sich McCoy Tyner immer unwohler in der Band fühlte und diese schließlich verließ, woraufhin Coltranes Ehefrau den freigewordenen Platz einnehmen konnte, hatte andere Gründe. Zu diesen kann ich gern mal - falls gewünscht - detaillierter etwas schreiben, wozu ich allerdings meine diversen John Coltrane-Bücher benötige. Zur Zeit habe ich diese allerdings nicht zur Hand. Also muss ich Euch vertrösten.

    Gurnemanz
    Klar - kriegen wir schon hin 8+)


    Da bin ich sehr gespannt, auf die anderen Gründe - bitte mit Buchangaben.
    Dass sich jemand in einer Band nicht mehr wohlfühlt und schließlich geht, ist normal - habe ich schon selbst erlebt - auf beiden Seiten. Von außen sieht das dann oft völlig anders aus - habe ich auch erlebt.

  • coltrane hat 65 ja diesen berühmten trip genommen, woraufhin der die platte om gemacht hat. manuel de landa hat geschrieben, dass man, wenn man auf trip ist, zum flüssigen computer wird, weil sich dein hirn verflüssigt, ich glaube, das ist es, was ungefähr 65 mit coltrane passiert ist. er fängt an, "om", diesen indischen gesang zu benutzen und er versucht eine universale musik herzustellen: eine heiligkeit durch lautstärke, eine heilige verstärkung.

  • manuel de landa hat geschrieben, dass man, wenn man auf trip ist, zum flüssigen computer wird, weil sich dein hirn verflüssigt, ich glaube, das ist es, was ungefähr 65 mit coltrane passiert ist. er fängt an, "om", diesen indischen gesang zu benutzen und er versucht eine universale musik herzustellen: eine heiligkeit durch lautstärke, eine heilige verstärkung.


    Du bringst es auf den Punkt. Genau solch ein Käse kam plötzlich in Tranes Gehirnwindungen. "Verflüssigtes Hirn", "Heiligkeit durch Lautstärke, eine heilige Verstärkung": Wahrscheinlich hat er sich genau das nach jahrelangem Missbrauch von Heroin bzw. LSD sowie den Beeinflussungen durch "Lehren" irgendwelcher fernöstlicher Gurus gedacht.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

    Einmal editiert, zuletzt von music lover (6. April 2022 um 01:01)

  • Sorry, nimm's mir nicht übel, aber ich glaube, jetzt verrennst du dich vollends. Coltrane war doch die letzten Jahre drogenfrei und Alice Coltrane hatte mit Drogen nie was am Hut.

    Auch, dass "Om" auf Trip enstanden wäre, lese ich zum ersten Mal. Wenn das mehr als gestells eigene Assoziation war, scheint mir das eher ein Mythos aus der weißen Hippie-Szene zu sein, wo Coltrane ohne längere Wirkung für den Jazz vorübergehend populär war, wahrscheinlich in der Breite ebenso oberflächlich aufgenommen, wie asiatische Religionen. "Om", von 1965, noch mit McCoy Tyner und Elvin Jones, schätze ich übrigens sehr. Kann ich mir schon vorstellen, das es interessant wäre, das mal auf Trip zu hören. Notwendig, um solche Musik zu machen oder zu hören, ist es sicherlich nicht. Die bewußtseinsverändernde Wirkung von LSD ist interessant, etwa die synästhetischen Eindrücke auf Trip, wenn man gerade gut drauf ist und sich gut genug kennt, um das realistisch genug einschätzen zu können. Man sollte damit aber verdammt vorsichtig umgehen, weil das auch schnell ganz furchtbar werden kann, etwa bei Satre, der nach LSD-Experimenten noch monatelang immer in Flash-Backs von riesigen Krabben verfolgt wurde und bewußtseinserweiternd ist das m.E. nicht, nur verändernd. Die Evolution von Coltranes Musik auf LSD zurückzuführen, scheint mir eher abwegig.

    Elvin Jones kam übrigens erst sehr viel später vom Heroin los, Das war immer wieder zum großen Problem für das Quartett geworden. Deswegen spielte etwa Roy Haynes auf "Dear Old Stockholm". Elvin Jones ist erst später vom Heroin losgekommen durch seine japanische Frau. Ich habe beide noch kennengelernt, als ich sie auf Elvin Jones letztem Konzert in Berlin für ein italienisches Jazzmagazin interviewt habe. Zusammen gaben sie ein lustiges Bild ab: Elvin Jones mit seiner auch im Alter noch großen, durchtrainierten, wesentlich jünger erscheinenden Basketballer-Figur und die kleine Japanerin, die ihm nur knapp über den Bauchnabel ging, aber eine sehr resolute und bei den Clubbesitzern als seine Tour-Managerin gefürchtete Dame, die ihren Mann ziemlich unter der Fuchtel zu haben schien. Für asiatische Religionen hatten übrigens beide auch einiges übrig. :D

    Und McCoy Tyner ist übrigens selbst Muslim sufistischer Richtung :D , wie der auch von dir geschätzte Art Blakey.

    Aber wie auch immer, dass Bands sich irgendwann erschöpft haben und Leute etwas Neues machen wollen, ist normal, dafür braucht es keine 'bösen' neuen Ehefrauen und keine asiatischen Religionen.

    :wink: Matthias

  • bewußtseinserweiternd ist das m.E. nicht, nur verändernd

    aye? Wenn man Dinge feiner wahrnimmt als sonst, überhaupt mehr wahrnimmt als sonst, ist das schon eine Veränderung, die man guten Gewissens auch Erweiterung nennen kann. Jetzt mal vom paranoid verengten Blick beim bad trip zu schweigen :pfeif:


    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Sorry, nimm's mir nicht übel, aber ich glaube, jetzt verrennst du dich vollends.

    Völlig klar - das war auch nicht ernst gemeint, sondern sollte eine ironische Antwort auf ge-stell sein. Glaube mir: ich weiß, dass Coltranes Hirn sich 1965 nicht verflüssigt hat :D

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Dass Coltrane OM mehr oder weniger auf LSD aufgenommen hat, gilt als verbürgt - das und die Quellen (d.h. Musiker, die es berichtet haben) kann man bei Lewis Porter nachlesen - Porter scheint mir ohnehin der objektivste Chronist zu sein, der vorurteilslos die Quellen sichtet und die Entwicklungen, persönlich und musikalisch nachzuvollziehen versucht. Auch die These, dass der LSD-Gebrauch letztlich seine Leber hat umkippen lassen, betrachtet er.
    Aufgrund Coltranes langjähriger Beschäftigung mit verschiedenen Religionen und Kulturen war die LSD-Erfahrung aber wohl nur ein weiterer Mosaikstein in seinem universal-spiritualistischen Weltbild - ein Mann, der es schafft, alleine einen kalten Entzug nach seiner Gotteserfahrung durchzuziehen, muss ausser erheblicher Willensstärke auch echte mystische/spirituelle Erfahrungen gehabt haben, das scheint mir unbestreitbar. Dass dies das Leben eines Menschen prägt und sich in seiner Kunst niederschlägt, ist zu erwarten.

    Etwas davon, dear music lover, scheint Dir zutiefst zuwider zu sein, anders kann ich mir diese Äusserungen nicht erklären, und die Ironie der Hirnverflüssigung ist bei der angespannten Debatte - auch in ge-stells Post - eine heikle Sache.

    Man muss ja nicht jede Platte von Coltrane lieben - aber wenn man ihn als ganzen Menschen liebt, akzeptiert man auch seine Veränderungen. Das wäre ein interessantes, über die Musik weit hinaus gehendes Thema, wie die Debatte über spirituelle oder übersinnliche Erfahrungen unter deutschen Intellektuellen abläuft. Eine ähnliche Auseinandersetzung hatten wir mal im Organissimo Forum, wo dann ein Mitglied Coltranes spirituelle Interessen als "religious garbage" bezeichnete ... ich muss es mal suchen und einen Link posten.

    Wahre Toleranz, so scheint mir, ist hier das einzige Heilmittel.

    p.s. Hier die Diskussion über OM beim Organissimo Forum.

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