Schumann: Syphilis, Suff oder (Selbst)mord – Woran starb er?

  • Schumann: Syphilis, Suff oder (Selbst)mord – Woran starb er?

    1. AKT - Umnachtung (?)

    Wenn man die Briefe und Berichte von und über Robert Schumann aus den letzten Tagen vor seiner Einlieferung nach Endenich liest, kommen einem die verschiedensten Tatsachen und Aussagen mehr als merkwürdig vor. Zwar hat Schumann ganz ohne Zweifel in diesen Tagen (eine knappe Woche, um genau zu sein) "Gehöraffectionen", aber schon am 17ten Feb. 1854 geht es ihm "Beßer". Die Gehörerscheinungen schwanken zwischen schrecklichem und himmlischem Eindruck, aber auch von ersterem scheint sich Schumann nicht wirklich irre machen zu lassen: er schreibt am Dichtergarten, komponiert die sog. "Geistervariationen", macht Korrekturen am Violoncellkonzert, korrespondiert mit Geschäftspartnern (mit seinem Verlag Breitkopf & Härtel, mit Dr. Friedrich Arnold, mit Richard Hol), wird zwischendrin wahnsinnig und springt schließlich in den Rhein.

    Aus dieser Zeit gibt es Tagebucheinträge Schumann, die durchgehend völlig normal wirken, ebenso seine Briefe. Dann sind da die später redigierten (also geschönten) Tagebücher seiner Frau. Und ein Tagebucheintrag von Ruppert Becker (ein mit Schumann befreundeter Geiger):
    "Dienstag, den 21ten Februar 1854. Was ich mir nicht zu denken getraute ist eingetroffen! Schumann ist schon seit einigen Tagen geisteskrank! Gestern früh erfuhr ichs erst durch Dietrich [...] - Heute habe ich ihn denn besucht, aber es würde mir nicht eingefallen sein an die Krankheit zu glauben, wenns mir nicht von Dietrich versichert worden wäre, so fand ich ihn; ganz wie gewöhnlich, eine halbe Stunde unterhielt ich mich mit ihm und dann nahm ich Abschied. Frau Schumann sieht so leidend aus wie noch nie! [...]" (Unterstreichungen von mir). Tja, merkwürdig, oder?

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Lieber Florian, ic hfinde deine Theorie ja serh spannend im Hinblick auf einen tollen Romanstoff mit fiktiven Elementen, aber was Du aus den unterstrichenen Zitaten zu schliessen meinst, leuchtet mir wenig ein.

    Jemand ist weder "seit einigen Tagen geisteskrank", sondern es handelt sich dabei um langwierige Prozesse die auch keinesfalls in regulâren Kurven verlaufen müssen. , noch kann man aus einem Besuch bei einer Person ihren geistigen Gesundheitszustand beurteilen. Es gibt genug psychisch schwer kranke Personen, die das jahrelang verbergen können und wo selbst enge Freunde nicht wirklich Bescheid wissen.

    Die Theorie, dass Schumann ins Irrenhaus abgeschoben wurde, ohne krank zu sein, nur weil seine Frau ihn aus diversen Gründen loswerden wollte, musst du schon anders beweisen. Das jahrelange Komplott mit den Ärzten, das dahinter stehen müsste, ist ein noch schwererer Vorwurf als der an Clara und auch Brahms mitimplizierte.

    Ich kann mich gut in die Rolle einer Frau wie Clara Schumann hineindenken und dass es da keinesfalls so eitel Sonnenschien war, wie von der Nachwelt lange verbreitet wurde, glaube ich nach Lektüre zahlreicher Bücher, Lieder, Briefe etc auch, aber zwischen dem hier aufgestellten Vorwiurf und einer "Ehemüdigkeit" bestehen noch gewaltige Unterschiede.
    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Ich bestreite überhaupt nicht, dass es solche Zwangseinweisungen gibt und gab, aber der ungeheuerliche Vorwurf, der im Falle Schumanns dahinter steht, und der gleichermassen Clara Schumann wie die Ärzte in Endenich und letzlich auch Johannes Brahms trifft,, kann nicht einfach so in den Raum gestellt werden.
    Da bedarf es wirklich handfester Indizien, um sich nicht dem Vorwurf populistischer und sensationsheischender Verleumdung ausgesetzt zu sehen.
    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Ich stimme

    1. Fairy darin zu, daß es psychische Erkrankungen gibt, die lange Zeit von großen Teilen der Außenwelt unbemerkt bleiben, noch dazu, wenn es sich um einen Künstler handelt, dem ja (aus welchen Gründen auch immer) wesentlich mehr exzentrisches Verhalten zugebilligt wird als anderen.

    2. Werden solche Erkrankungen oft selbst heute noch bewusst verschleiert und „unter der Decke gehalten“, weil sie als peinlich, unanständig oder was auch immer gelten, und niemand sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen will „verrückt“ zu sein oder mit einem „verrückten“ Menschen zusammenzuleben.

    3. Gibt es Erkrankungen die Phasenweise verlaufen und durchaus relativ plötzlich aufflackern und wieder abklingen können. In gesunden Episoden kommt niemand auf die Idee, daß der Patient ein psychisches Problem haben könnte.

    4. Ist es vermutlich für Laien manchmal schwierig zwischen einer schwierigen Persönlichkeit und einem bereits krankhaften Zustand zu unterscheiden (ich traue mir das zumindest nicht unbedingt zu)

    5. Muß es die manchmal die Hölle sein mit einem psychisch kranken Menschen zu leben dem nicht geholfen werden kann/der sich nicht helfen lassen will. Selbst wenn Clara (in einer relativ gesunden Phase ihres Mannes) getan hätte was man ihr vorwirft: der werfe den ersten Stein der von sich behaupten kann, er würde nicht irgendwann verzweifelt aufgeben und nur noch seine Ruhe haben wollen.

    6. Kenne ich das alles leider zur Genüge aus dem Freundes- und Bekanntenkreis.

    Ein Paradies ist immer da, wo einer ist, der wo aufpasst, dass kein Depp reinkommt...

  • aber der ungeheuerliche Vorwurf, der im Falle Schumanns dahinter steht, und der gleichermassen Clara Schumann wie die Ärzte in Endenich und letzlich auch Johannes Brahms trifft,, kann nicht einfach so in den Raum gestellt werden.

    Liebe Fairy,
    nur um die Dinge noch mal zu verdeutlichen: ich unterstelle weder Clara Schumann noch Dr. Richarz noch Joh. Brahms etwas, schon gar keine bösen Absichten. Ich sammle nur Auffälligkeiten in der Berichterstattung, in den Briefen, den Tagebüchern, und stelle das zur Diskusssion. Dass Robert Schumann schwere depressive Phasen in seinem Leben durchgemacht hat, das steht wohl ausser Frage, auch die Gehöraffektionen sind immer wieder gut belegt. Zudem hatte Schumann vermutlich sowohl Panikattacken (Schumann schrieb in seinen Tagebüchern bereits im Jahr 1833: "Heftiger Blutandrang, unaussprechliche Angst, Vergehen des Atems, augenblickliche Sinnesohnmacht"), als auch eine leichte Zwangsneurose (insbesondere was Messer anbelangt). Aber ich persönlich bezweifle, dass er geistig umnachtet, also im klassischen Sinne wahnsinnig war. Üblicherweise verlieren gerade Patienten mit Erkrankungen aus dem Formenkreis "Schizophrenie", "Paranoia", "Borderline" jegliches Selbstbewußtsein für ihren Zustand, habe also auch keine Furcht vor dem Wahnsinnig sein, zur Zeit eines Schubes. Wenn hingegen Schumann noch am 11ten März 1855 davon spricht, dass er "befürchte Wahnsinnig zu werden", spricht das für sich.

    Was mich bezüglich Clara Schumann immer wieder wundert sind einerseits ihre, von überschwänglicher Liebe geprägten Tagebucheintragungen dieser Jahre (obwohl wir ja immer bedenken müssen, dass diese Aufzeichnungen von ihr späterhin redigiert wurden), und andererseits ihr mangelnder Wille, Schumann auch nur ein einziges Mal zu besuchen, in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren.

    Ob Schumann freiwillig in Endenich blieb, ist fraglich. Er hatte durchgehend einen Wärter an der Seite, der auch bei ihm nächtigte, und Schumann äusserte des Öfteren den dringlichen Wunsch, die Heilanstalt verlassen zu dürfen - dem wurde nicht entsprochen. So steht z.B. in seiner Krankenakte unter dem Datum vom 3ten April 1855: "[...] Abends bei der Visite unfreundlich, wolle fort, sprach auch gegen[über] Brahms häufig denselben Wunsch aus". - Das gibt zumindest zu denken.

    Herzliche Grüße Florian

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Ich frage mich, wieso Schumann alleine starb, wo er doch nie (weder am Tag noch in der Nacht) alleine/unbeaufsichtig sein durfte in Endenich, ferner
    wieso seine Krankheitsakte erst 2006 gefunden wurde, und
    Clara ihn 2 Jahre lang nicht besuchte und einen Sohn später auch internieren ließ.
    Alles in allem m.E. eine sehr undurchsichtige Geschichte, deren Wahrheit man wohl nie erfahren wird.
    Ich zitiere:
    Was lange Zeit vermutet wurde, bestätigte sich anhand der 2006 veröffentlichten Krankenakte: Robert Schumann starb an den Folgen einer Neurosyphilis. Einer Geschlechtskrankheit, die sich bis an sein Lebensende in seinem gesamten Nervensystem ausgebreitet hatte und zu Hirnschwund führte. Das Leben und Schaffen Schumanns ist vor dem Hintergrund dieser neuen Dokumente und Erkenntnisse bisher filmisch unerzählt geblieben.
    (Quelle: ARD, MDR, SF)

    Gruß Robert

  • Lieber Florian, was du hier mit "echtem Wahnsinn" im Vergleich zu Depressionen, Angstzuständen etc meinst, ist vermutlich der Realitätsverlust, der mit psychotischen oder Demenz-Erkrankungen einhergeht.
    Ich kann mir serh gut vorstellen, dass Schumann zumindest bis zum Endstadium der Syphilis weder eine Psychose noch eine Demenzerlkrankung hatte, sondern wie du schriebst, Depressionen, Angststörungen und evtl auch Kontrollverlust wegen Alkoholmissbrauchs. Dass er daneben geistig normal wirkte ist in diesem Fall ganz normal- Deprssive, Alkoholkranke, Angstgestörte wirken ausser in den akuten Schüben normal.
    Wenn du nun aber medizinischer Laie bist und ausserdem in einer Zeit lebst, wo die Diagnose psychiatrischer Krankheiten noch in den Kinderschuhen steckt und dein Mann oder Freund in einer akuten Depressionphase in den Rhein geht oder im Suff ausrastet oder Weinkrämpfe hat oder oder oder was dann?
    Das Leben mit psychisch Kranken kann die Hölle sien, Mina sagt das oben.
    Es gibt hochangesehene Personen des öffentlichen Lebens: Künstler, Politiker, Uniprofessoren, denen merkt im Dienst niemand ihre Krankheit an aber die Familie leidet Martyrien. Leider kenne ich solche Fälle aus eigener Erfahrung.

    Warum Clara Schumann ihren Mann nciht bescuht hat, wird vershcieden erklärt.

    Sie durfte nicht, weil die Ärzte abgeraten haben.
    Sie wollte nciht, weil sie den Anblick nciht ertragen konnte und ihre romantische Liebe so nciht enden durfte.
    Sie wollte nciht, weil sie Alles verdrängen wollte, was mit dieser Ehe zusammenhing.
    Sie wollte nciht, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, keine Möglichkeit sah, den kranken Ehemann weiter im Hause zu haben und ausserdem in Brahms verliebt war.

    Vielleicht ist die Wahrheit einfach eine Mischung aus alledem?

    Im Clara Schumann Thread habe ich einige Dinge dazu bereits geschrieben und auch im Thread zum Film von Helma Sanders Brahms gibt es bereits Teile dieser Diskussion.

    Zumindest kann die Ehe der Schumanns auch am Ende nciht total zerrüttet gewesen sein denn aus den Briefen und ROBERTS (die sind wohl weniger redigiert als die von Clara....) Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass bis kurz vor seinem Sprung in den Rhein, das Eheleben seinen normalen Gang ging.
    Ich gehe hier wie gesagt nciht von permanenten Vergewaltigungen aus, sondern glaube dass Clara Schumann ihren Mann wirklich geliebt hat. auch wenn sie als echte Künstlerin aber serh beanspruchte Ehefrau und Mutter von viel zu vielen Kindern von ihrem eigentlichen Lebensnerv nciht zuletzt durch seine Ansprüche schmerzlich abgeschnitten wurde. Und darunter serh gelitten hat.

    Bei aller Empathie für Schumann, sollte man auch nciht vergessen, was diese Frau, die eine sehr grosse Künstlerin war, gelitten hat.
    Und was die Syphilis angeht, hat Schumann selbst gewusst dass und wie er sie sich zugezogen hatte. Lange vor seiner Ehe. Angeblich wusste Vater Wieck das und wollte auch deshalb die Ehe verhindern
    Der echte Wahnsinn, sprich die Demenz, am Lebensende wâren damit jedenfalls erklärt.
    Wenn es keine Syphilis war oder gewesen sein soll, kann man natürlich auch an der Legende Hungersteik und ergo Selbstmord stricken......
    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Das Problem ist, dass nichts auf eine Syphilis hinweist. Es gibt eine Passage im Tagebuch von 1831, die gerne im Sinne eine Lues-Infektion gedeutet wird, die aber gerade nicht die typischen Symptome eben einer solchen Infektion beschreibt. Zudem gibt es ein "Geständnis" Schumanns im Jahre 1855, das in der Krankenakte vermerkt ist. Schumann war also selbst der Meinung, dass er an der Syphilis erkrankt sei, das besagt aber erstmal nichts weiter, denn Schumann war ebenfalls ein ziemlicher Hypochonder. Vielmehr ist z.B. gerade seine Sprachstörung der letzten Jahre untypisch für Lues, ebenso die Art der erweiterten Pupillen, die bei ihm beobachtet wurde.

    Dass sein Gedächtnis in Mitleidenschaft gezogen war, steht wohl ausser Zweifel, aber die Art der Vergesslichkeit läßt eher an Demenz denken, möglicherweise an eine Frühform von Alzheimer. Nicht aber an Syphilis, bei der im Endstadium das Gehirn so beeiträchtigt ist, dass eine völlige Verblödung daraus hervor geht. Das ist bei Schumann gerade nicht festzustellen.
    Ich werde morgen oder übermorgen anhand einiger Belege darauf zurück kommen.

    Etwas anderes: hat denn schon jemand das Buch b.z.w. die zwei Bücher von Uwe Henrik Peters erworben und vielleicht sogar gelesen? Ich leider noch nicht...

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    Immer noch da ... ab und an.

  • ferner
    wieso seine Krankheitsakte erst 2006 gefunden wurde

    Oh, das liegt vermutlich einfach daran, dass die zeitgenössischen Geschichtswissenschaftler meist zu faul sind, in die Archive zu gehen. So simpel.

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    Immer noch da ... ab und an.

  • Oh, das liegt vermutlich einfach daran, dass die zeitgenössischen Geschichtswissenschaftler meist zu faul sind, in die Archive zu gehen. So simpel.

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    In dem Fall liegt die Sache allerdings anders:

    "Jetzt liegen die klinischen Eintragungen jener Jahre endlich als
    Buch vor:
    Robert Schumann in Endenich (1854–1856): Krankenakten,
    Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte,

    herausgegeben von Bernhard R. Appel, mit einem Vorwort des
    Komponisten Aribert Reimann. In dessen Privatbesitz waren die Akten als
    Erbschaft gelangt, die auf familiären Pfaden direkt aus Endenich kam:
    Reimanns Onkel war der Patensohn von Richarz’ Schwiegertochter. Es lag
    ein Bann auf diesen Akten: strengstes Stillschweigen. Richarz hatte die
    Schweigepflicht sehr ernst genommen und das Material der Nachwelt
    vorenthalten.

    Nach langer Überlegung zerschlug Reimann den Knoten aus Pietät,
    Datenschutz und Öffentlichkeitspflicht. Ein Impuls war der Wunsch, einen
    Schlussstrich unter »Verleumdungen und abenteuerliche Erfindungen« über
    Schumanns Endenicher Zeit zu ziehen. Das mag eine zulässige Motivation
    sein, wenn man glaubt, in Schumanns Nachwelt tummele sich viel Halbwelt,
    ein Volk von Klitterern, Sensationsschleichern und Mystagogen, die bar
    aller Fakten nur Märchen erzählen – etwa dasjenige von Claras Freude an
    der Abschiebung Roberts, damit sie endlich Zeit für den jungen Johannes
    Brahms habe."
    http://www.zeit.de/2006/30/SM-Schumann

    “There’s no point in being grown up if you can’t act a little childish sometimes” (Doctor Who, der Vierte Doktor)

  • Warum Clara zunächst ihren Mann nicht besuchen ging, in Endenich, wird damit begründet, daß sie von ihm schwanger war mit Felix, und die Ärzte ihr davon abrieten.
    Ansonsten kann man sich nur an die Fakten halten, die im Schumann Portal wiedergegeben sind, eben auch die Geschichte der Krankenakten und Aribert Reimann, und es wird halt weiter vieles ungewiß bleiben, bei einer derartigen Faktenlage. Schumann Portal Link:
    "http://www.schumann-portal.de/pgcms/output.p…2b01c9c99259c8a"

    Robert

    PS: ihren Sohn Ludwig ließ Clara 1870 in eine Irrenanstalt einweisen, die anderen Kinder kamen außer Haus, nach Berlin und Leipzig.

  • Das Schicksal der meisten Schumann Kinder ist wahrlich traurig und ich bin relativ sicher, dass die Kinder von Clara Seite eher als eine Last als ein Geschenk angesehen wurde, womit sie in ihrer Zeit keinesfalls alleine steht.
    Wenn man gezwungen ist, Kinder zur Welt zu bringen, in Wahrheit aber einen ganz anderen Lebensplan und Lebenssinn hat, ist Mutterglück à la Chamisso Frauenliebe- und leben kaum zu erwarten.
    Clara Schumann ist zur Künstlerin erzogen worden und sie war von Kind an auf der Bühne und in der Musik zu Hause. Dass sie nicht nur ein Klavierautomat sondern eine echte Künstlerin war, zeigen nicht nur ihre Kompositionen. Künstler und überhaupt alle Menschen, die von ihrem Lebensnerv abgeschnitten werden, entwickeln wenig sympathische Verhaltensweisen.
    Clara Schumann war in ihrer Ehe ständig schwanger. Feministinnen können zwar behaupten, dass sei ein Druckmittel gewesen um sie zu knechten und an ihrer Karriere zu hindern, und einige Briefe von Robert Schumann belegen auch seinen Wunsch, eine "brave Hausfrau und Ehefrau" im Hause zu haben, aber vor allen Dingen war das eine biologische Notwendigkeit. Robert Schumann konnte nichts dafür, dass die Pille noch nciht erfunden war und dafür, dass er seine geliebte Frau lieben wollte, kann man ihm wohl keinen Vorwurf machen. Zumal ich nach wie vor davon ausgehe, dass das durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte; es gibt aus der Korrepondenz und der mir bekannten Literatur keine Gegenbeweise- im Gegenteil.

    Bei einem Biographen, ich weiss nciht ob Kühn oder Beci oder Weissweiler habe ich gelesen, dass Clara Liebesfähigkeit nur fûr die Musik und ihren Mann gereicht habe, fûr die Kinder sei nichts mehr übrig gewesen.
    Das ist sehr traurig, aber ncht ganz an den Haaren herbeigezogen. Auch wenn Mutterliebe sakrosankt ist, automatisch ist sie dennoch nicht. Und wenn nicht gewünschte Kinder Lebenspläne zerstören, kann daraus sogar Aggression werden.

    Für mich ist Clara Schumann eine wirklich tragische Figur, die zwischen ihrem Frausein und ihrem Künstlertum in der bürgerlichen Welt des 19 Jh zerrieben wurde und Übermenschliches einfach nicht leisten konnte. Auch wenn das bei Helma Sanders- Brahms so dargestellt wird.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Zitat von Florian Voß


    Das Problem ist, dass nichts auf eine Syphilis hinweist.

    Hmm...

    ...ziehe gerade mal kurz "Kerners Krankheiten" zurate, in dessen 6. Auflage von 2008 auch die Endenicher Krankenakten berücksichtigt werden. Die beiden Autoren, beides Fachärzte, sind da anderer Meinung:

    "Die ausführlichen Endenicher Krankenakten belegen relativ eindeutig, dass Schumann an den Folgen einer Spätsyphilis des Zentralen Nervensystems (ZNS) [Neuolues] starb."


    Am Rande sei vermerkt, dass dieses Buch mit seiner skurrilen Mischung wirklich lesenswert ist. Bei allem Chaos im Gesundheitswesen bin ich nach dem Lesen doch recht froh darüber, dass ich nicht vor hundert oder noch mehr Jahren gelebt habe... ein Irrsinn, an welchen heutzutage läppischen Dingen da Menschen elend zugrunde gegangen sind!

    Zitat von FairyQueen

    Das Schicksal der meisten Schumann Kinder ist wahrlich traurig und ich bin relativ sicher, dass die Kinder von Clara Seite eher als eine Last als ein Geschenk angesehen wurde, womit sie in ihrer Zeit keinesfalls alleine steht.

    ...

    Für mich ist Clara Schumann eine wirklich tragische Figur, die zwischen ihrem Frausein und ihrem Künstlertum in der bürgerlichen Welt des 19 Jh zerrieben wurde und Übermenschliches einfach nicht leisten konnte. Auch wenn das bei Helma Sanders- Brahms so dargestellt wird.

    Wenn ich mich recht erinnere, hast Du auch die Schumann-Biographie von Veronika Beci gelesen?! Mir wurde da Clara Schumann jedenfalls nicht sympathischer. Aber klar wurde mir auch, dass sie einfach nur ein Kind ihrer Zeit war. Vieles, was heute so brutal und umenschlich an ihrem Verhalten gerade gegenüber ihren Kindern wirkt, war damals "zeitgemäß" und mehr oder weniger normal.

    Aber eine tragische Figur? Finde ich nicht! Sie hat doch recht zielstrebig ihr Künstlerleben verfolgt, und dem alles ziemlich skrupellos und egozentrisch untergeordnet. Und war erfolgreich damit.

    Parrot

    In "Lohengrin" gibt es hübsche Augenblicke, aber bittere Viertelstunden.
    (Gioacchino Rossini)

  • Guten Morgen und erstmal- Deine Signatur gefällt mir! :yes:

    Ja, ich habe Vernonika Beci, Kühn und Weissweiler gelesen und mich aber auch sehr intensiv mit Clara Schumanns Kompositionen befasst. Das Urteil skrupellos und egozentrisch teile ich so nicht, auch wenn ich mir serh gut vorstellen kann, wie diese Sicht entstehen kann.
    Aber hier tut sich leider- auch wenn Viele das nciht hören wollen- ein Abgrund zwischen einem Frauen-Künstler-Leben und einem Männer-Künstler -Leben auf. Gerade im 19 Jahrhundert. Wer nennt denn einen Mann egozentrisch und skrupellos wenn er seiner tiefsten inneren Berufung folgen will?
    Wenn ein Mann sich nicht sonderlich um seine Kinder kümmert und sich in seinem Studierstübchen einschliesst ist das normal und sogar notwendig. Wenn eine Frau auf Konzertreise gehen will und keine Lust hat am Herd zu stehen ist das skrupellos.

    Für mich ist Clara Schumann insofern eine tragische Figur als sie zunächst von ihrem Vater auf eine internationale Musiker-Karriere gedrillt wurde und sich dabei als Hochbegabung zeigte. Dass sie dann einer grossen Liebe folgte, die von ihr sowohl den Bruch mit dem Vater als auch den vorläufigen Verzicht auf die Künstlerkarriere bedeutete. (Schumann hat eindeutig in den Brautbriefen geschrieben, dass er seine Frau als Mutter und Ehefrau sah und nciht als reisende Piansitin- was man ja auch verstehen kann und was zeitgemäss war). Zwsichen der Liebe zu einem Menschen und der künstlerischen Bestimmung zerrissen zu werden, IST tragisch.

    Genauso tragisch finde ich das Ende der Ehe der Schumanns, die ja immerhin aus einer ganz grossen romantischen Love-Story hervorgegangen ist. Die Briefe und die Lieder, die ncihts als Liebesbriefe waren und sein sollten, sprechen da Bände genug.
    Je höher der Beginn, desto tiefer der Fall. Auch das ist zwar einigermassen normal, aber dieses Ende dann doch nicht.

    Sollte es eine Liebegeschichte mit Brahms gegeben haben, ist auch die tragisch. Selbst wenn Clara Schumann mehr als Freundschaft für Brahms empfunden hat, nach der Erfahrung mit Schumann hatte sie gewiss keine Kraft und keine Nerven mehr, sich noch einmal auf eine Künstler-Ehe einzulassen. Und vor allen Dingen: wieder mit dem Kinderkriegen anzufangen . Sie war ja noch nciht zu alt, um erneut schwanger zu werden und ein junger verliebter Mann wie Brahms hätte gewiss nicht minder als Robert Schumann dazu beigetragen.

    Tragisch ist und bleibt für mich die Zerrissenheit zwischen dem Frausein und dem Künstlersein, die etwas wirklich Geschlechtsspezifisches in dieser Zeit war und leicht als Skrupellosigkeit ausgelegt werden kann.
    Sympathisch ist mir Clara Schumann auch nicht immer, aber empathisch kann ich serh wohl sein und das drängt sich geradezu auf.

    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Verzeihung, dass ich erst jetzt wieder schreibe (und das hier wird nicht einmal die angekündigte Fortsetzung meiner "Analyse"). Ich habe mir das Schumann-Buch von Peters gekauft, "Gefangen im Irrenhaus", heute ist es geliefert worden. Und da Peters möglicherweise die gleiche These zu Schumanns Tod vertritt wie ich, wollte ich - bevor ich das Buch lese - nur kurz einen Brocken in die Arena werfen, und meine bislang unbegründete These vortragen:
    Ich bin mir ziemlich sicher, dass Robert Schumann an einer Leberzirrhose gestorben ist, eventuell verstärkt durch eine weitere (unabsichtliche) Vergiftung. Eine Begründung folgt natürlich, da ich aber zur Zeit ziemlich gebunden bin durch meinen Sohn und meinen neuen Roman, kann das noch etwas dauern.

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  • Ich melde mich hier auch mal zu Wort:
    Für mich war Clara Schumann, so etwas, das man heute Weltstar nennen würde, und dementsprechend groß die Last dem zu entsprechen, und ich finde (damals gab es ja noch keine Pille und dergleichen, nur knaus ogino oder so ähnlich), eine Ehe war für sie nicht ideal, zumal mit so vielen Kindern (7 denke ich). Klar, sie war keine Putze, aber auch die Tatsache, daß sie Brahms nicht mehr ehelichen wollte, weißt darauf hin, daß sie keine gute Erfahrung damit gemacht hatte, die Gesellschaft hat es ihr wohl eher vorgeschrieben. Man bedenke, daß sie als Mädel dem Paganini vorgestellt wurde und ihn sicher auch gehört hat. Liszt genauso.

    Zu Schumanns Krankheit: wie soll da heute noch etwas bewiesen werden?

  • "Abstruse Argumente"

    Leserbrief im heutigen Kölner Stadtanzeiger:

    Zitat

    Ein 80-jähriger, emeritierter Psychiater und Professor aus Köln hat das Ei des Kolumbus gefunden: Robert Schumann, dessen 200. Geburtstag die Musikwelt begeht, war gar nicht geisteskrank. Krank, ja verrückt machen ihn heutge Schumann-Interpreten, die dessen letztes Klavierwerk, die "Geistervariationen", so langsam spielen, dass es nicht zu ertragen ist. Lässt sich eine abtrusere Argumentation denken? Oh doch. Prof. Dr. Dr. h.c. Peters hat es in zwei jüngst erschienen Büchern über Schumanns letzte Zeit vor und in Endenich bewiesen. Sein geheimes Wissen hat er bis jetzt zurückgehalten. Was ist neu an diesen Theorien? Jedenfalls nicht die Internierungsgeschichte samt Clara-Diffarmierung. Sie wurde vor allem von Eva Weissweiler - ebenfalls aus Köln! - in ihrem unsäglichen Kolportageroman über Clara Schumann wider besseres Wissen verkündet. Es bleibt also bei Theorien, die mit großem Aufwand an Eigenwerbung verkündet wurden, deswegen aber nichts an Wahrheit und Wahrhaftigkeit gewinnen. Die etablierte Schumann-Forschung wird ihre Zeit nicht damit verschwenden, sie im Einzelnen zu widerlegen, wohl aber ist ihr zu verdanken, was Professor Peters in der Eile entgangen ist: die komplette und akribische Aufarbeitung und Rehabilitierung des Schumann'schen Spätwerks inklusive "Geistervariationen" und natürlich des übrigen reichen kompositorischen Œuvres sowie die ehrliche Publikation der tragischen Krankengeschichte, so weit sie heute noch fassbar ist.

    Dr. Irmgard Knechtges-Obrecht, Robert-Schumann-Gesellschaft Düsseldorf

    Der etablierten Schumann-Forschung sind argumentative Abstrusitäten immerhin auch nicht fremd, wie das 'Argument' "ebenfalls aus Köln!" eindrucksvoll belegt. Weia!

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

  • 2. Akt - Ein Jahr später

    Machen wir einen kleinen Sprung und schauen uns Schumann in der Irrenanstalt von Endenich an, ein Jahr nach seiner (freiwilligen) Einlieferung. Er hat sich lange geduldet, kaum Besuch bekommen - zwei mal kam Joh. Brahms für wenige Stunden vorbei - auch Clara ist noch kein einziges Mal erschienen, obzwar sie an Freunde und Bekannte immer wieder schreibt, dass es ihr das Herz zerreissen würde, ihren Robert nicht zu sehen.
    Nach einem Jahr unter Aufsicht, teilweise auf der Abteilung für renitente Patienten, immer in Begleitung eines "Pflegers" (vielmehr also eines Wachmanns, der ihn auf jeden kleinen Spaziergang begleitet, der selbst in seinem Zimmer nächtigt), verliert Schumann langsam die Geduld. Er verlangt in zunehmender Häufigkeit und mit Nachdruck seine Entlassung. Weder Dr. Richarz, noch Clara, noch Brahms gehen auf diese Forderung ein.
    Schumann ergibt sich vorerst seinem Schicksal und arbeitet, so wie er das letzte Jahr - das erste Jahr in der Anstalt - gearbeitet hatte. Er korregiert Druckfahnen seiner Kompositionen, korrespondiert mit Freunden und Kollegen, mit seinen Verlegern. Er liest Fachzeitschriften und Tagespresse. Er spielt viel, sehr viel Klavier, teilweise ganze Tage. Und er komponiert wieder. Seit spätestens Anfang des Jahres 1855 komponiert er wieder, und zwar nicht wenig. Das wird immer wieder in der Krankenakte erwähnt, so zum Beispiel im Eintrag vom 16. April:

    "... den ganzen Tag mit Notensetzen beschäftigt, ging nur in den Garten; bei der Abendvisite eigensinnig auf seinen irrigen Behauptungen bestehend. Sprach gestern viel vor sich hin, ging auf und ab, den Takt schlagend. Aß gut. Stuhl fest. Bei der Visite einsylbig."

    Auch wird im Krankenjournal immer wieder angegeben, dass Schumann bis spät in die Nacht schreibt, ob Wörter oder Noten, geht nicht klar hervor.
    Einerlei: alles was er zu Papier brachte in der Endenicher Zeit ist später vernichtet worden, in erster Linie vermutlich von Clara und Brahms in den 1880er Jahren. In einem Freudenfeuer. Geisteskranke Musik.

    Das also sind so die Tätigkeiten des syphilitischen, also gehirnerweichten, des wahnsinnigen Komponisten Robert Schumann in den ersten Monaten des Jahres 1855. Und dann kommt Bettine von Armin zu Besuch, und sie ist entschieden nicht der Meinung, das Herrn Schumann irgendetwas an geistiger Gesundheit fehlen würde. Dazu mehr im nächsten Akt.

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