Musik für Streichquartett seit 1945 - Werke, Einspielungen, Empfehlungen

  • Musik für Streichquartett seit 1945 - Werke, Einspielungen, Empfehlungen

    Kammermusik ist ja eigentlich nicht so richtig mein Spezialgebiet. Das soll sich aber ändern. Deswegen eröffne ich mal analog zu dem schönen Thread über Klaviermusik nach 1945 einen Faden zu Auseinandersetzungen mit der Form des Streichquartetts nach 1945.

    Man könnte ja meinen, dass sich die Neue Musik von diesem ur-klassischen Genre verabschiedet hätte. Das ist aber offensichtlich ein Irrtum. Allein beim recht oberflächlich-kursorischen Durchgang durch meine Sammlung habe ich folgende Repräsentanten für dieses Thema gefunden (ohne Garantie auf Vollständigkeit – kann ja sein, dass ich was übersehen hab’):

    Jürg Bauer: Et respice finem. Späte Impression für 2 Violinen, Viola und Violoncello
    Günther Becker: Hommage à Joseph Haydn – 3. Streichquartett mit obligatem Flexaton
    Luciano Berio: Notturno (Quartetto III)
    Elliot Carter: Streichquartette 1 + 2
    Christoph Delz: Streichquartett op. 7
    Michael Denhoff: 4. Streichquartett
    Paul-Heinz Dittrich: 1. Streichquartett
    Reinhard Febel: Streichquartett (1982)
    Sofia Gubaidulina: Streichquartette Nr. 1-3
    Karl Amadeus Hartmann: Streichquartett Nr. 2
    Roman Haubenstock-Ramati: Streichquartett Nr. 2
    Hans Werner Henze: Quartett für 2 Violinen, Viola und Violoncello
    Adriana Höszky: Hängebrücken (Streichquartette an Schubert Nr. 1-3)
    Klaus K. Hübler: Erstes Streichquartett – Hommage à Alban Berg
    Wilfried Jentzsch: Streichquartett 72 (1972)
    Klaus Kopitz: »Momente« für Streichquartett
    Ladislav Kubik: Streichquartett Nr. 1
    Ulrich Leyendecker: Streichquartette Nr. 1 und 3
    György Ligeti: Streichquarttete Nr. 1 und 2
    Witold Lutoslawski: Streichquartett (1964)
    Gian Francesco Malipiero: Streichquartette 5, 7, 8,
    Siegfried Matthus: Streichquartett »Das Mädchen und der Tod«
    Conlon Nancarrow: 1. Streichquartett
    Luigi Nono: Fragmente – Stille, an Diotima
    Helmut Oehring: Streichquartett Nr. 1
    Franz-Martin Olbrisch: Ein Quadratmeter Schwärze für 2 Violinen, Viola und Violoncello
    Krzysztof Penderecki: Streichquartette 1 und 2
    Nicolaus Richter de Vroe: lum’q’uart’inance für Streichquartett
    Wolfgang Rihm: Streichquartette Nr. 1-10, 12
    Steffen Schleiermacher: Festgefressen – Streichquartett op. 38
    Alfred Schnittke: Streichquartett Nr. 4
    Dmitri Schostakowitsch: Streichquartette Nr. 3-15
    Cornelius Schwehr: attacca für Streichquartett
    Heitor Villa-Lobos: Streichquartette Nr. 9-17
    Gottfried von Einem: Streichquartett Nr. 1
    Hans Jürgen Wenzel: Streichquartett Nr. 3
    Heinz Winbeck: 1. Streichquartett
    Ruth Zechlin: Streichquartett Nr. 6

    Naja, was sagt man dazu? Erstmal nur, dass das Streichquartett alles andere als tot ist, sondern ein Genre, das bis in die Gegenwart die Tonsetzer herausfordert …

    Also: Welche nach 1945 entstandenen Streichquartette kennt ihr, welche haltet ihr für interessant, wichtig, bedeutend oder einfach nur hörenswert – und warum ist das so? Welche Einspielungen gibt es, welche sind empfehlenswert?

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Eine schöne Idee, da beteilige ich mich gern!

    Bei mir findet sich z. B. das hier, eben gehört:

    György Ligeti (1923-2006)
    Streichquartett Nr. 1 (1953/54)
    Streichquartett Nr. 2 (1968)
    Arditti-String-Quartet
    Wergo, aufg. 1978

    Beide Werke sind recht unterschiedlich. Das erste Quartett, mit dem Untertitel Métamorphoses nocturnes, ist einsätzig, in mehrere Abschnitte unterteilt und noch deutlich der Tradition verpflichtet; ich höre da als Vorbild Béla Bartók heraus. Recht stimmungsvoll und emotional, was auch in der Interpretation deutlich wird: ein harscher, aufgerauhter Quartettklang, expressiv, spannungsreich. Das gilt auch für das zweite Quartett, fünfsätzig (trotzdem nur gut 20 Minuten dauernd wie Nr. 1), offensichtlich komplexer und feiner gearbeitet, die Sätze kontrastieren stark, faszinierend, wie Ligeti die klanglichen Möglichkeiten ausreizt.

    Ein anderer Komponist, den ich hochschätze und der ebenfalls zwei Streichquartette hinterlassen hat, ist der Katalane mit schweizerisch-elsässischen Wurzeln und Schönberg-Schüler Roberto Gerhard (1896-1970):


    Kreutzer Quartet (Metier, aufg. 1999).

    Die beiden Werke habe ich vor einiger Zeit an dieser Stelle vorgestellt. Ein Selbstzitat:

    Zitat

    Das 1. Streichquartett (1950-55) orientiert sich, was Dauer, Gliederung (4 Sätze) und Klangsprache angeht, recht deutlich am Modell der beiden letzten Streichquartette (Nr. 3 und 4) Arnold Schönbergs. Die Entstehungszeit fällt auch in die Periode, in der Gerhard begann, nach 20jähriger "Inkubationszeit", die zwöltönigen und seriellen Verfahren seines Lehrers in sein eigenes Werk zu integrieren.

    Interessanter und spannender noch finde ich das 2. Streichquartett (1960-62), knapp viertelstündig, in sieben Abschnitte aufgeteilt, die ineinander übergehen. Gerhard kontrastiert langgezogene, kantilenenartige Tonfolgen mit abrupten "Störungen" durch Pizzicato-Einwürfe und Cluster-Schübe, gelegentlich verdichtet zu schrillen Klang-Zusammenballungen, dennoch insgesamt in einer verhaltenen, lyrischen Stimmung. Auffällig ist, daß der Komponist es schafft, bei extremer Komplexität des musikalischen Geschehens immer einen emotionalen Ausdruck zu gestalten; es klingt nie kalt oder abstrakt. Das scheint mir ein Charakteristikum Gerhards zu sein, das durchscheint unabhängig davon, welcher kompositorischen Verfahren er sich bedient.

    Meines Wissens gibt es lediglich die genannte Einspielung, die ich insgesamt überzeugend finde.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • In Deiner Liste fehlen auf jeden Fall noch die 3 Lachenmanns:


    wovon das erste ("Gran Torso") das spektakulärste ist - mit seinen mit durchgedrücktem Bogen erzeugten Knirschgeräuschen und ähnlichen "Sounds" stellt es nachgerade die Antipode zum Klischee der beschaulich-lyrischen Kammermusik dar.

    Nr. 2 ("Reigen seliger Geister") geht in die Gegenrichtung, da dominieren eher hauchig-rauschige Schleifklänge (Nebengeräusche ohne Ton, sozusagen... ;+)

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Zitat

    Naja, was sagt man dazu? Erstmal nur, dass das Streichquartett alles andere als tot ist, sondern ein Genre, das bis in die Gegenwart die Tonsetzer herausfordert

    ganz meine Meinung (Totgesagte leben länger :thumbup: ) =>

    Ergänzungen, aber ohne Anspruch auf Vollständigkeit (leider nur ein Teil auf CD, vieles Radio, manches in Youtube; zeitgenössische Quartette machen richtig youtube-süchtig):

    Elliott Carter: Streichquartett Nr. 3-5 (Arditti, Amati oder Pacifica)

    Denhoff: Streichquartett Nr. 3 + 8 (Artemis)

    Berio: Streichquartette Nr. 1, 2 + 4 (Arditti, Kairos)

    Panufnik String: Quartet No. 2 (Youtube)

    George Perle, String Quartet No 5 1960 (Youtube)

    Ferneyhough Streichquartette; plus Sonatas für Streichquartet (Arditti)

    Hans Zender: Streichquartette Nr. 1-4 (Arditti)

    Boulez: Livre pour quatuor (Perrenin über Youtube oder Arditti oder Quatuor Parisii)

    Fedele: Streichquartette 1- 5 (Arditti)

    Babbitt: Streichquartette Nr. 2 - 6 (verschiedene, auch Youtube)

    Gunther Schuller: Streichquartet Nr. 2 (Julliards)

    Erhardt Grosskopf: Streichquartet Nr. 1-3 + 5 (Nr. 4 hab ich verpasst) Arditti, Vogler)

    Simaku: Streichquartett Nr. 2 + 3 (kreutzer Quartett, gute Billlig CD)

    Phillippe Schoeller: Tree to Soul , Oper-spective Hölderlin (mit Live-Elektronik) Kairos + Arditti

    Xenakis: Streichquartette (bin gerade dabei mir diese zu entdecken) -> Youtube

    Feldman: Streichquartett Nr. 1 +2 (Ives Ensemble)

    Harvey: Streichquartette Nr. 1 - 5 (Arditti)

    Schnebel: Streichquartett nr. 1 + 2 (konnte mir leider nur Auszüge daraus reinziehen)

    Krenek: Streichquartette Nr. 1 - 8 (Sonore, gute Billlig-CDs)

    Neuwirth: Oeuvre nouvelle (ganz brandneu, France Musique Januar 2010)) (Arditti)

    Brün: Streichquartette Nr. 2 + 3 (Pellegrini)

    Gielen: 2 Streichquartette: ein frühes und ein späteres (Pellegrini + Lasalle)

    Wolpe: Streichquartett (Pellegrini u.a.)

    G. M. König: Streichquartett (1959) Lasalle, mono)

    Hugh Wood: Streichquartett Nr. 3 (Youtube)

    Ruzicka: Streichquartette Nr. 1 - 6 (Arditti, Minguet)

    Etler (1913-73): Streichquaretett Nr. 1 (Youtube)

    Busotti: Streichquartett (Arditti, Youtube)

    Amy: Streichquartett Nr. 2 (Youtube)

    Fenelon: Onze Inventions quatuor à cordes (Youtube)

    Cerha: Streichquartette (Arditti)

    Crumb: Black Angels (Kronos)

    Evangelisti: Aleatoria I-III (Leonardo Quartett)

    Mendoza, Elena : Contradicció

    Prelevic: Streichquartett "don Ro" (Inhouse, verschiedene Musiker)

    Wuorinen: Str.Qu. Nr. 1

    Dillon: Streichquartett Nr. 2 (Arditti, Youtube)

    Mel Powell: String Quartet (1982) (youtube)

    Elisabeth Lutyens: String Quartet No 6 (Youtube)

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Hey, danke für die schnellen Reaktionen, die Ergänzungen und Empfehlungen!

    Ich wollte mit meiner Liste eigentlich nicht so sehr den Versuch starten, einen möglichst vollständige Liste aller nach 1945 entstandenen Streichquartette zu erstellen, sondern war gestern einfach erstaunt, wieviele Streichquartette aus diesem Zeitraum sich in meiner Sammlung finden und hab die nur aufgelistet, um gleich mal der Vorstellung entgegenzuwirken, diese Gattung sei i-wie mit Bartok und Schostakowitsch verstorben ...

    Ich werde mal in den nächsten Tagen aus meiner Liste das eine oder andere, das ich für besonders hörenswert halte, kurz vorstellen und auch was zu den mir bekannten Einspielungen sagen.

    Vielleicht läuft das dann hier ähnlich wie im von Gurnemanz gestarteten Klavierthread ... :)

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Spannendes Thema... Bei einer Diskographie von weit über 150 CDs und vielen hundert Uraufführungen sorgt alleine das Arditti-Quartett dafür, dass an neuen Streichquartetten kein Mangel herrscht...

    Wie bei der Klaviermusik auch hier ganz spontan 2 Beispiele:


    mit einem sehr schönen "Nymphea" für Elektronik und Streichquartett von Saariaho


    oder


    - das ist eine tolle Platte. Das Werk besteht aus 9 Streichquartett-Sätzen, zwischen denen 9 Vertonungen von Celan-Gedichten für Sopran und Ensemble stehen. Ich habe das vor fast 20 Jahren in Witten gehört, bei den Tagen für Neue Kammermusik, wo das Arditti-Quartett bis heute Stammgast ist. Auch in diesem Jahr übrigens - wer sich also für neue Streichquartette interessiert, der sollte mal in Witten vorbeischauen.

    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • ... und dieser WDR3-Mitschnitt vor ein paar Tagen (ein neuer Super-Mario :thumbup: :(

    Mario Davidovsky: Streichquartett Nr. 5
    Juilliard String Quartet (es muss ja nicht immer nur Arditti sein :D )
    Aufnahme aus dem Stadttheater Marl 2010

    das zum Schnuppern:

    Mario Davidovsky - Synchronisms No. 1 (1962) For flute & recorded electronic sounds.
    nicht über mp3-Konverter, nur durch z.B. Totalrecorder
    Tape created at the Columbia-Princeton Electronic Music Center, Samuel Baron plays flute on all pieces on the album this track came from.
    "http://www.youtube.com/watch?v=uRLzaIfriZg"

    Mario Davidovsky Synchronisms No. 6 for Piano and Electronic Sound (1970)
    http://www.youtube.com/watch?v=7yIWJPmFW14&feature=related
    Performed by Mark Lewis
    Hosmer Hall
    The Crane School of Music
    Potsdam, NY
    1992-11-14
    "http://www.youtube.com/watch?v=UNcVjQ…ynext=1&index=2"

    Lynn Kuo, violin: Davidovsky Synchronisms No. 9
    nicht über mp3-Konverter, nur durch z.B. Totalrecorder

    "http://www.youtube.com/watch?v=wdtMlOd0c_w"
    "http://www.youtube.com/watch?v=7yIWJPmFW14&feature=related"

    Synchronisms No. 10 (Mario Davidovsky) Performed by Travis J. Andrew
    nicht über mp3-Konverter, nur durch z.B. Totalrecorder
    May 1st, 2009. San Francisco Conservatory of Music.
    "http://www.youtube.com/watch?v=TAAs74kVhcc"

    Zitat

    ich war gestern einfach erstaunt, wieviele Streichquartette aus diesem Zeitraum sich in meiner Sammlung finden und hab die nur mal aufgelistet, um gleich mal der Vorstellung entgegenzuwirken, diese Gattung sei i-wie mit Bartok und Schostakowitsch verstorben ...

    genau, nämlich ganz im Gegentum, ich sage voraus, deine Sammlung wird mächtig überquellen :thumbup: ...

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Recht gut gefiel mir:

    Henri Dutilleux (* 22. Januar 1916):

    "Ainsi la Nuit - A la mémoire d'Ernest Sussman, en hommage à Olga Koussevitzky" (1976-1977)

    mit den Abschnitten:

    1. Nocturne
    2. Miroir d'espace
    3. Litanies 1
    4. Litanies 2
    5. Constellations
    6. Nocturne 2
    7. Temps suspendu

    Ich habe die Aufnahme mit dem Schoenberg Quartett. Muss ich mal wieder hören.

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Recht gut gefiel mir:

    Henri Dutilleux (* 22. Januar 1916):

    "Ainsi la Nuit - A la mémoire d'Ernest Sussman, en hommage à Olga Koussevitzky" (1976-1977)

    [...]

    Ich habe die Aufnahme mit dem Schoenberg Quartett. Muss ich mal wieder hören.

    Den Dutilleux hab ich auch - letzthin aber übersehen. Das ist ein ganz wundervolles Werk! Ich habe eine IMO sehr gute Einspielung mit dem Quatour sine Nomine, die in dieser ohnehin unbedingt empfehlenswerten Box enthalten ist:

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • :wink:

    Ganz wunderbar gefallen mir die Quartette von Jörg Widmann. Sie sind einzelne Werke, in Abständen geschrieben, können aber als Zyklus gehört werden. Eine spannende, moderne Sicht mit Bezug zur Streichquartett-Tradition, z.B. ein Jagdquartett, das auch zeigt wie unterhaltsam moderne Musik oft ist. Hier die überaus gelungene Aufnahme von den Leipziger Q bei MDG:

    Gruß, Frank

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Die Quartette von Widmann kenne ich leider noch gar nicht - muss das wohl unbedingt mal ändern ...

    Ich empfehle erstmal folgende:

    Also, Wolfgang Rihm ist naklar immer eine Hausnummer und er gehört sicherlich auch zu den Komponisten der Gegenwart, der mit seinen bisher 12 Streichquartetten (das erste entstand 1970) in jüngerer Zeit mit die umfänglichste Literatur für diese Besetzung vorgelegt hat. Die Nrn. 1-10 und 12 sind auch auf Tonträger dokumentiert (beim Label ColLegno); das 11. ist erst 2009 in Essen uraufgeführt worden, als Rihm dort Composer in Residence war). Am liebsten unter seinen Streichquartetten ist mir das 1976 entstandene Dritte, das den Titel »Im Innersten« trägt und mit einer Dauer von gut 26 Minuten zugleich das längste der frühen Streichquartette ist. Eine überaus fassliche, hochexpressive und überaus berührende Musik hat Rihm da in diesem sechssätzigen Werk für die Besetzung des Streichquartetts geschrieben. Wenn man nur eine Scheibe mit Rihmschen Streichquartetten besitzen möchte, würde ich die mit den Quartetten 1-4 in der Interpretation des Minguet Quartetts empfehlen:

    Sehr gut, wenn auch im Gestus etwas distanzierter, ist die Interpretation der Ardittis - wobei die Scheibe den Vorteil hat, dass sie mit den Quartetten Nr. 5 (1981-83) und insbesondere Nr. 8 (1988/89) Werke aus einer späteren Schaffensperiode Rihms enthält und so ein wenig seine kompositorische Entwicklung nachvollziehen läßt:

    Sehr gut gefällt mir auch das Streichquartett Ein Quadratmeter Schwärze (1999) von Franz-Martin Olbrisch, das als Auftragswerk für die Wittener Tage für Neue Kammermusik entstand und dort (also in Witten) als installative Raummusik in der ehemaligen Zeche Nachtigall uraufgeführt wurde. Die Musik wirkt aber für sich auch ohne den Raum ... ;+) Eine äußerst suggestive, sich an der Grenze zum Verstummen artikulierende Musik hat Olbrisch komponiert, deren ersten Teil computergenerierte Tonreihenfragmente dekonstruiert und rekombiniert, um immer neue Klangräume zu evozieren, während der - selbst wiederum dreiteilige - zweite Teil insbesondere mit Reminiszenzen an andere jüngere Werke für Streichquartett arbeitet (Nonos »Fragmente - Stille« und Bartoks 4. Streichquartett habe ich selbst erkannt, weitere Passagen verweisen wohl auf Lachenmann und Cornelius Schwehr). Leider ist das Werk aktuell offensichtlich nur im Rahmen dieser (IMO allerdings ohnehin unbedingt lohnenswerten) Box erhältlich, die zudem auch enige weitere der von mir im Eröffnungsbeitrag genannten Werke für Streichquartett enthält:

    Gespielt wird das Olbrisch-Werk hier vom Rubin-Quartett - und das macht das sehr gut.

    Sehr viel unmittelbarer zugänglich (schlicht weil sie mit ihrer ungeschützen Expressivität den Hörer direkt angehen) sind die Streichquartette von Sofia Gubaidulina, die ich auch nachdrücklich empfehlen würde (das Danish String Quartett macht hier seine Sache ebenfalls sehr gut):

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Hallo zusammen!

    An dieser Stelle möchte ich auch gerne auf die Streichquartette von Alfred Schnittke aufmerksam machen.

    Hiervon liegen mir diese beiden Aufnahmen vor:

    Ich mag beide Aufnahmen, ziehe aber die Letztere mit dem Kronos Quartett vor, da hier alle Quartette komplett vertreten sind.

    Das 1. Quartett (1966 komponiert) fällt noch in Schnittkes serielle Schaffensperiode. Ab dem 2. Quartett wendet Schnittke erstmals seine "Polystilistik" an, sprich er exponiert hier musikalische Zitate aus mehreren Jahrhunderten Musikgeschichte und verarbeitet diese weiter.

    Besonders im 3. Quartett gut hörbar, werden Lasso, Beethoven und Shostakovich "zitiert". Und trotz der "Zitate" schafft es Schnittke, das Ganze nicht zu einem Stil-Mix verkommen zu lassen, sondern zu etwas ganz Eigenem weiterzuverarbeiten. Melancholie vermischt mit schriller Dramatik.

    Liebe Grüße

    Peter

  • Giacinto Scelsi

    Hallo zusammen,

    die Steichquartette von Scelsi wurden hier noch nicht erwähnt, sollte man vielleicht mal nachholen (um Scelsi ist es ohnehin wieder recht still geworden, wenn ich nicht irre).

    Scelsi schrieb 5 Streichquartette praktisch in allen Phasen.

    Das erste Streichquartett ist von 1944 und zählt also eigentlich noch nicht. Es ist damit auch noch vor Scelsis großen Krise, die in den 50er Jahren seinen Kompositions-Stil radikal verändert hat.

    In seinen Kopmpositionen nach 1952 entstehen radikale Kompositionen, in denen ein einziger Ton im Zentrum steht, die mittels minimaler Schwankungen (Vibrati und Triller aller Art) und wechselnder Klangfarbe (Spielart, Dämpfer etc) variiert wird. Ein Beispiel hier wäre wohl das Streichtrio von 1958, dass aber in einen anderen Thread gehört.

    In nächsten drei Quartetten, die relativ kurz hintereinander entstanden sind, spielen Einzeltöne und ihre Varianten und mikrotonalen Umspielungen immer noch eine große Rolle, aber nicht mehr als ausschließliches Tonmaterial. Es sind:

    - Quartett Nr. 2 in 5 Sätzen von 1961
    - Quartett Nr. 3 in 5 Sätzen von 1963.
    - Quartett Nr. 4 in einem Satz von 1964

    Das vierte habe ich gerade nach langer Zeit wieder gehört. Wie kann ich das beschreiben? Das Stück zwingt zum Hören der Einzelklänge und der langsamen Änderungen, die diese Klänge durchlaufen. Rhytmus oder Melodien spielen keine Rolle. Die Änderung des Klangs laufen eher langsam und kontinuierlich. Nach einer langsamen Steigerung ausgehend vom Ton C (sagt das Programmheft), veklingt das Stück ganz leise

    Das letzte Quartett Nr. 5, ebenfalls in einem Satz, wurde 1985 vollendet und ist das letzte Werk Scelsis. Das Stück ist sehr kurz (unter 7 Minuten). Hier sind irgendwie nur noch Einzelklänge aneinander gereiht, die von allen 4 Streichern gespielt werden, verklingen, dann kommt der nächste. Dadurch entsteht immerhin sowas wie ein langsamer Rhytmus. Ein irgendwie karges Stück.

    Die Werke wurden zusammen mit dem Streichtrio und Khoom (für Streichquartett, Horn und Schlagzeug) 1988 vom Arditti-Quartett aufgenommen. Das ist wahrscheinlich diese Aufnahme, meine Ausgabe stammt noch aus dem Verlag Salabert:

    Natürlich vergriffen, bei Amazon Frankreich zum Schnäppchenpreis von 189,- aber noch erhältlich :shake:

    Das vierte Quartett gibt es auch noch auf dieser Aufnahme:

    Das Klangforum Wien braucht allerdings 14 Minuten versus 9 Minuten bei den Ardittis (!) Bitte frage jetzt keiner nach, ob die auch wirklich genau das gleiche spielen, oder ob die Ardittis irgendwelche Wiederholungen auslassen :D

    Tatsächlich klingt das Klangforum Wien viel ruhiger, die Ardittis haben mir aber gerade wegen der leicht nervösen Spielweise besser gefallen.

    Viele Grüße,

    Melanie

    With music I know happiness (Kurtág)

  • Hallo Mela,

    seltsamer Zufall, Scelsis 5 Streichquartette mit den Ardittis habe ich mir auch gerade angehört. Ich mag diese langsam sich entwickelden Klangstudien. Im Kompositionsprozess sind sie, wie fast immer bei Scelsi, Ergebnis von immer wieder erneut transkribierten und übereinandergelegten Improvisationen Scelsis, die so eine Palimpsest-Struktur bekommen und dann in der Endfassung für Esemble und Orchester umgesetzt werden können.

    Ein Freund, der zu mir kam, während diese CD lief, meinte aber: "Klingt wie die Linie 1 in der scharfen Kreuzung Bülowstr. -Quiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeetsch!" - Auch nicht ganz falsch. :D

    :wink: Matthias

  • Unter den 18 Quartetten, die Darius Milhaud komponiert hat, müssten doch auch ein paar nach 1945 entstanden sein. - Greifbare Aufnahmen gibt es ja leider kaum und auch ich habe nur kurz Ausschnitte gehört, die allerdings waren sehr interessant und würden zu einem Kauf der 18 führen, bestünde die Möglichkeit dazu. - Hat da wer was? Kennt da wer was? - Erwähnt haben mag ich Milhaud hier auf jeden Fall.

    Bernhard


    "Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgehaftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit."
    Joris-Karl Huysmans

  • Re: Darius Milhaud

    Unter den 18 Quartetten, die Darius Milhaud komponiert hat, müssten doch auch ein paar nach 1945 entstanden sein. - Greifbare Aufnahmen gibt es ja leider kaum und auch ich habe nur kurz Ausschnitte gehört, die allerdings waren sehr interessant und würden zu einem Kauf der 18 führen, bestünde die Möglichkeit dazu. - Hat da wer was? Kennt da wer was? - Erwähnt haben mag ich Milhaud hier auf jeden Fall

    Die Streichquartette sind schon interessant, gehören m.E. zum Besten in Milhauds heterogenem Riesenwerk, aber sind überwiegend vor 1945 entstanden, die letzten beiden 1950, wenn ich mich richtig erinnere. Ich habe die gute Gesamteinspielung des quatuor parisii. Auf der Suche nach einem link habe ich dies gefunden, wo man sich offenbar diese vergriffene Gesamteinspielung kostenlos herunterladen kann. (Habe ich aber nicht ausprobiert.)


    ... von der Moderation gelöscht...

    Liebe Leute

    Aus Gründen des Urheberrechts bitten wir Euch, hier keine Links auf Downloadquellen zu veröffentlichen, deren Legalität nicht zweifelsfrei feststeht.

    Le Merle Bleu für die Moderation.

    :wink:Matthias

  • Zitat

    Scelsis 5 Streichquartette mit den Ardittis habe ich mir auch gerade angehört. Ich mag diese langsam sich entwickelden Klangstudien. Im Kompositionsprozess sind sie, wie fast immer bei Scelsi, Ergebnis von immer wieder erneut transkribierten und übereinandergelegten Improvisationen Scelsis, die so eine Palimpsest-Struktur bekommen und dann in der Endfassung für Esemble und Orchester umgesetzt werden können.

    ich habe die 5 Scelsi-Quartette (die ich mir vor langer Zeit mir zugelegt hatte) + seine Orchestermusik mir jahrelang nicht mehr reingezogen. Bin von dem was ich von Scelsi habe, momentan sehr weit entfernt. Vielleicht wird irgendwann der Scelsi-Funke wieder zu mir rüberspringen.... das 2. Streichquartett von Dusapin fesselt mich augenblicklich (dank Youtube). ....so stilll ist es - nach meinen Eindruck - eigentlich nicht um Scelsis Musik....

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Liebe Leute

    Aus Gründen des Urheberrechts bitten wir Euch, hier keine Links auf Downloadquellen zu veröffentlichen, deren Legalität nicht zweifelsfrei feststeht.

    Le Merle Bleu für die Moderation.

    War doch kein "echter" Link?


    "Alles Syphilis, dachte Des Esseintes, und sein Auge war gebannt, festgehaftet an den entsetzlichen Tigerflecken des Caladiums. Und plötzlich hatte er die Vision einer unablässig vom Gift der vergangenen Zeiten zerfressenen Menschheit."
    Joris-Karl Huysmans

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