ELGAR: The Dream of Gerontius

  • Da ich das Werk nicht oft höre, und bei den späteren Aufnahmen die Stimmen gerade mit Heddle Nash und Gladys Ripley nicht konkurrieren können, bin ich es zufrieden.

    Du kennst alle späteren Aufnahmen? Respekt. Diese Basis ist dem Urteil angemessen. Und nur diese.

    Agravain

  • Du kennst alle späteren Aufnahmen? Respekt. Diese Basis ist dem Urteil angemessen. Und nur diese.


    Du hast recht mit Deiner Anmerkung. Nein, ich kenne nur 6 weitere,und somit mag es Aufnahmen geben, die meine Meinung verändern könnten.Es wird entsprechend korrigiert. Danke für den Hinweis.

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Da es von dem Werk noch 22 Aufnahmen unterschiedlichen Formates gibt (von denen ich 18 kenne), hast Du bis zur endgültigen Urteilsfindung dann ja noch allerhand zu tun. ;+)
    Ist aber natürlich eine höchst angenehme Aufgabe. :D

    :wink: Agravain

  • Da es von dem Werk noch 22 Aufnahmen unterschiedlichen Formates gibt (von denen ich 18 kenne), hast Du bis zur endgültigen Urteilsfindung dann ja noch allerhand zu tun. ;+)
    Ist aber natürlich eine höchst angenehme Aufgabe.


    Da habe ich wohl den besseren Part - Du als Elgarian mußt noch 4 hören, ich dürfte noch 15 kennenlernen.Aber da bekomme ich Zeit-und Prioritätsprobleme. Ganz am Rande:die Aufnahme mit Svetlanov hatte ich eine Weile ,weil mir da Davies und Palmer gefielen.Aber nicht so gut wie...s.o.

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Ganz am Rande:die Aufnahme mit Svetlanov hatte ich eine Weile ,weil mir da Davies und Palmer gefielen.Aber nicht so gut wie...s.o.


    Zum Re-Issue des Svetlanov-Mischnittes schreibe ich übrigens demnächst ein paar Zeilen. Davies gefällt mir hier deutlich besser als bei Hickox. Wieso, weshalb, warum erläutere ich bei der besagten Gelegenheit.

    :wink: Agravain

  • Wobei mir noch einfällt, dass ich schon lange auf dieses höchst lesenswerte Buch hinweisen wollte. Wenn man sich für den "Gerontius" interessiert, dann kommt man an ihm nicht vorbei:

    :wink: Agravain

  • Kürzlich auf CD erschienen:

    Edward Elgar: The Dream of Gerontius, op. 38

    Arthur Davies – Gerontius
    Felicity Palmer – Angel
    Norman Bailey – The Priest, The Angel of the Agony

    London Symphony Chorus
    USSR State Symphony Orchestra

    Evgeny Svetlanov

    (live: Moskau, 21.4.1983)

    Melodya MEL CD 10 02266


    Nicht selten hängt die Bewertung einer Aufnahme oder Aufführung eines bedeutenden Werkes klassischer Musik weniger an deren tatsächlicher Qualität, sondern an den Hörgewohnheiten des Bewertenden. Je bekannter das Werk und je gewachsener die Aufführungstradition, desto beschränkter wird bisweilen der Blick auf das vermeintlich Ungewöhnliche. Seit ihrem Erscheinen in den frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kann man zu der vorliegenden Aufnahme von Edward Elgar „The Dream of Gerontius“ immer wieder lesen, sie sei „berühmt-berüchtigt“, „idiosynkratisch“, in Teilen geradezu exzentrisch, alles in allem eine Kuriosität. Diese Sicht spiegelt, es wird den Leser nicht verwundern, vornehmlich die britische Kritik an dieser Aufnahme wider, gab es andernorts in jenen Jahren ja kaum etwas, das man eine „Aufführungstradition“ des Werkes nennen könnte. Sargent, Barbirolli und Boult hatten bis dato der Welt gezeigt, wie der „Gerontius“ zu spielen sei. Diese Interpretationen waren die Benchmark, so wollte man das Werk hören. No experiments. In dieser Haltung liegt eine mir immer wieder begegnende problematische Beschränkung britischer Musikkritik, wenn es um Musik von der eigenen Scholle geht. Es muss immer alles so sein, wie man es "on the home turf" seit Olims Zeiten gemacht hat. Hörgewohnheiten wollen und müssen bedient werden, Abweichendes kann nicht überzeugend sein. Je mehr Mainstream, desto besser. Versucht man sich aber von dem Ballast des Vorurteils zu lösen und Svetlanovs Einspielung des Werkes so unvoreingenommen wie möglich zu begegnen, dann mag man eventuell konstatieren, dass seine Lesart a) gar nicht so exzentrisch ist und dass es sich b) um eine enorm packende, intensive, leidenschaftliche, ja: glühende Interpretation handelt, die manch eine andere, die ganz traditionell daherkommt – ich denke da an beispielsweise an Gibson (1976) Rattle (1987) oder Hickox (1988) – an Ausdrucksstärke weit hinter sich lässt. Das liegt unter anderem daran, dass Svetlanov mit einem anderen Ansatz an das Stück herangeht, es – ähnlich wie es Sinopoli in seiner kaum fassbaren Interpretation der zweiten Symphonie Elgars tut – nicht als spezifisch britisches, sondern als Werk der europäischen Spätromantik ausleuchtet und dabei dessen Bezüge zu Wagner, zur Tradition der Grand Opéra, zu Strauss und zur symphonischen Sprache der europäischen Romantik überhaupt offen legt. Das macht die Aufnahme im positivsten Sinne außergewöhnlich, nicht dass hier und da ein Tempo schneller oder langsamer ist als man es üblicherweise kennt.

    Tatsächlich finde ich gerade die oft kritisierten Orchesterpassagen (Preludes zu den beiden Teilen) ausgesprochen gelungen. Zudem empfinde ich die gestalterische Leistung des USSR State Symphony Orchestra, das ja mit diesem Idiom nur wenig Erfahrung hatte, rundum hervorragend. Das Prelude zu Part I, für dessen Gestaltung sich Svetlanov 11:09 Minuten Zeit lässt, finde ich auf seine Weise hervorragend. Sicher, Svetlanov blickt zielsicher an der Notation Viertel = 60 vorbei, aber was für eine Atmosphäre! „Mistico“ - das ist es, was Svetlanov hier liest, und das ist es, was er zum Klingen bringt. Sehr schön gelingt zudem das langsame Wogen des Più mosso – auch hier hört man am ehesten das von Elgar notierte „con molto espressione“. Immer wieder sind es die auf den Affekt zielenden Vortragsbezeichnungen, die Svetlanov wichtig zu sein scheinen, das „Appassionato“ oder das mit herrlich großer Geste realisierte „Con grandezza“ bei Ziffer 14. Auch das Vorspiel zu Part II nimmt Svetlanov – wenn man Erbsen zählt – „zu langsam“. Aber auch hier geht es ihm offensichtlich um die Verinnerlichung, um das notierte „Tranquillo“, weniger um das „Andantino“. Voller Intensität und atmosphärischer Dichte gelingen Svetlanov auch die kurze Orchesterüberleitung zum Haus des Gerichtes (Ziffer 72 „Larghetto“), die in ihrer zwielichtig-uneindeutigen Stimmung enorm spannungsvollen Takte vor der Ankündigung des Urteils (Ziffern 101-102) und der in seiner Unerbittlichkeit und gleißenden Härte erschütternde Moment, in dem die Seele Gerontius’ Gott schaut (Ziffern 118-120). Wie man sich an diesem Ausdruck intensivster Auseinandersetzung mit Komposition und Thematik stoßen kann, will sich mir nicht erschließen. Rundum erlebe ich Svetlanovs Arbeit an der Partitur auf ihre Weise als höchst überzeugend.

    Zu den Solisten.

    Arthur Davies, den ich bei Hickox (1988) einigermaßen gesichtslos finde, gefällt mir hier zwar insgesamt besser, aber dennoch spielt er nach meinem Empfinden eher im Mittelfeld der auf Tonträger verfügbaren Interpreten dieser bedeutendsten britischen Tenorpartie vor Peter Grimes. Auf der Haben-Seite ist sicher Davies Stimmmaterial zu verbuchen. Kraftvoll, klar und ohne störende Enge in der Höhe, glänzend im Timbre. Es gibt aber auch eine Downside. Davies ist nicht eben ein subtiler Gestalter. Es stört mich noch nicht einmal so sehr, dass er bis auf ganz wenige Ausnahmen keines der notierten Piani oder Pianissimi singt (beim herrlich gesetzten „Novissima hora est“ klappt’s immerhin), sondern einen im Prinzip sehr virilen Sterbenden präsentiert. Es sind auch nicht die zahlreichen Schluchzer und „coups de glotte“. Es ist die Facettenlosigkeit seiner Textausdeutung, das Fade seiner Interpretation besonders im zweiten Teil, die seine Gesamtdarstellung nach meinem Dafürhalten nicht über das Mittelmaß hinauswachsen lässt. Die Vielfalt der Gemütsregungen des Gerontius bzw. der Seele desselben, die ja seinen gesamten langen Dialog mit dem Engel durchzieht, wird von Davies kaum zum Ausdruck gebracht. Seine Stärke liegt eher im Bereich des Zupackenden, wie seine Wiedergabe der leidenschaftlichen Paradearie „Sanctus fortis“ zeigt. Hier notiert Elgar immer wieder Vortragsbezeichnungen, die zeigen, dass ihm durchaus eine extrovertierte Darstellung vorgeschwebt haben dürfte. So heißt es da immer wieder „con molto esaltazione“, „agitato“, „risoluto a stringendo molto“ oder auch „disparato“. Es ist jenes Stück im Gesamtzusammenhang, das am unmittelbarsten Elgars Bemerkung, er hätte den Part des Gerontius absichtsvoll mit „vollblutiger, romantischer […] Weltlichkeit“ gefüllt, in Erinnerung ruft und das am ehesten Bühnenqualität hat. Und hier ist Davies hervorragend. Es ist die Extraversion, die ihm liegt. Die Innenschau liegt ihm nicht. Doch ist es eben die Fähigkeit zu beidem, was einen ausgezeichneten Interpreten dieser Rolle auszeichnet. Davies bringt sie hier (und auch bei Hickox) nicht mit.

    Ganz anders Felicity Palmer, die ich für eine ideale Interpretin Elgar’scher Mezzo-Partien halte (speziell ihre Interpretation der „Sea Pictures“ beispielsweise ist in meinen Augen unerreicht). Nicht nur, dass mich auch hier ihre warme, volle, aber nicht dicke, in der Höhe strahlende und im tiefen Register dunkle Stimme sofort für sich einnimmt. Es sind speziell ihre enorm am Text orientierte Darstellung, die geradezu exzeptionelle Arbeit am Text und die Fähigkeit kleinste Ausdrucksnuancen und –schattierungen vollkommen schlüssig und ungezwungen umzusetzen, die mich immer wieder aufs Neue begeistern. Selten habe ich solche Stellen wie „A presage falls upon thee as a ray“ lichter, die die Dämonen beschreibenden Worte „Hungry and wild to claim their property“ gruseliger, die Ankündigung „Yes, for one moment thou shalt see thy Lord“ ehrfurchtsvoller, „Thy judgement is near“ düsterer oder den Beschluss des Werkes („Softly and gently“) wärmer, gütiger, ja im besten Sinne mütterlicher gehört. Anders ja, überzeugender nicht.

    Norman Bailey präsentiert einen würdigen Priester, wobei er sich bei dem „Profiscere, anima Christiana“ zunächst doch etwas zu sehr auf die wotaneske Größe seiner Stimme baut. Da erlebt der Hörer zunächst ein Fortissimo am Rand des Brüllens. Doch schaltet Bailey schnell etwas herunter und versucht diese kleine Partie zumindest etwas zu gestalten. Besser gefällt sein Angel of the Agony, den er mit großer Intensität als schon fast verzweifelt Flehenden präsentiert.

    Der London Symphony Chorus wurde von Richard Hickox tadellos einstudiert. Sicher, bisweilen klingen die Chöre etwas mulmig, dies scheint aber im Wesentlichen den Aufnahmebedingungen geschuldet zu sein. Insgesamt wird tadellos gestaltet. Das „Kyrie/“Holy Mary, pray for him“ klingt wunderbar entrückt, die „Be merciful“-Passage voll zurückhaltender Ehrfurcht. Dem Bittgesang „Noe from the waters“ indes fehlt vielleicht etwas das Ätherische. Packend und voller Klangkraft gelingt das „Finale“ des ersten Teiles „Go, in the name of Angels and Archangels“. Hier offenbart sich erstmals die gesamte enorme dynamische Bandbreite des großen Ensembles, die wirklich beeindruckend ist. Hat man zunächst das Gefühl von einem regelrechten Sturm der Festlichkeit hinweggefegt zu werden, so säuseln die letzten verklärenden Takte („May thy dwelling be the Holy Mount of Sion“) ätherisch-licht an der Grenze des Unhörbaren. Wie eindrucksvoll mag das wohl dereinst live im Großen Saal des Moskauer Konservatoriums geklungen haben? Enorm ausdrucksstark gelingt auch der von Svetlanov mit maximalem Biss genommene, ja beinahe gewalttätig daherkommende Dämonenchor. Schlicht exemplarisch gelingt dem LSC die Gestaltung. Nachgerade ätzend werden die Textzeilen „Each forfeit crown / To psalmdroners, / And canting groaners, / To ev’ry slave, / And pious cheat, /And crawling knave“ heraus- und dem Hörer geradezu ins Gesicht gespuckt. Grässlicher kann man das wilde Gelächter der höllischen Kreaturen kaum herausschreien, sinnvoller einer Überzeichnung nicht einsetzen. Der Chorsatz „Praise to the Holiest“, bei dessen Einsatz sich Chor und Orchester schon am Rande des Bombastes bewegen, gelingt in seiner Gänze ebenso wie der sanft-melancholische Schluss.

    Insgesamt eine Aufnahme, an der man, wenn man sich für das Werk interessiert, nicht vorbeigehen sollte.

    Das Booklet bietet einen lesenswerten Einführungstext von Elena Kuznetsova in russischer, englischer und französischer Sprache. Das Libretto ist nicht enthalten.

    :wink: Agravain

  • Danke,Agravain. Darauf habe ich 21 Tage gewartet. Und geahnt, daß ich mir nach deinem Beitrag die Aufnahme doch wieder zulegen werde.

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Danke,Agravain. Darauf habe ich 21 Tage gewartet. Und geahnt, daß ich mir nach deinem Beitrag die Aufnahme doch wieder zulegen werde.


    "Demnächst" kann bei mir schon mal drei Wochen bedeuten. :hide: Ich warte halt immer noch auf den Lotto-Gewinn, der es mir ermöglicht, nur noch CDs zu besprechen. Ich sollte vielleicht einmal anfangen zu spielen... :D
    Solltest Du noch einmal zugreifen, dann viel Vergnügen mit der Aufnahme - die Du ja ohnedies schon kennst.

    :wink: Agravain

  • Veranstaltungshinweis: Am 27.11. kann man den Gerontius in Basel hören, tags darauf in Zürich.

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • ... und am 10.10. in der Thomaskirche, am 22.11. in Bremerhaven, im Februar in Tübingen.
    Wenn eines der großen Chorwerke Elgars in Deutschland eine Renaissance erlebt, dann der "Gerontius", der übrigens dereinst tatsächlich von Deutschland und nicht von GB aus seinen "Siegeszug" antrat.

    :wink: Agravain

  • Ohne klugsche.ßen zu wollen: Deine Erinnerung trügt etwas.

    Es gab in Düsseldorf zwei Aufführungen unter der Leitung des damaligen Leiters des Niederrheinischen Musikfestes Prof. Julius Buths, der behufs dessen auch das Libretto der deutschen Zunge angepasst hatte. Die erste Aufführung fand am 19.01.1901 statt und war ein fulminanter Erfolg: 2000 People im Saal, Jubel, Ovationen, Ehrenkränze - the works.

    Strauss war erst im Folgejahr bei der Aufführung am 19.02.1902 anwesend und bedachte Elgar beim anschließenden Bankett (angeblich) mit den Worten "I raise my glass to the welfare and success of the first English Progressivist, Meister Edward Elgar, and of the young progressive school of English Composers." Das war natürlich schön für Elgar, der nach der Aufführung übrigens erneut Ovationen im Stile des vorherigen Jahres entgegengenommen hatte. Abgehoben hatte der "Gerontius" aber bereits nach der 1901er Aufführung. Strauss' Bemerkung war da höchstens das Tüpfelchen auf dem allseits beliebten "i".

    :wink: Agravain

  • The Dream of Gerontius, op. 38

    Peter Pears - Gerontius
    Janet Baker - The Angel
    John Shirley-Quirk - Priest, Angel of the Agony

    London Philharmonic Choir
    London Philharmonic Orchestra

    Sir Adrian Boult

    Es war schon ein gewaltiges Unterfangen, das das im Frühjahr des Jahres 1968 in England auf den Weg gebracht wurde. Sir Adrian Boult war von der BBC dafür gewonnen worden, gemeinsam mit dem London Philharmonic Orchestra, dem London Philharmonic Chorus und den Solisten Peter Pears, Janet Baker und John Shirley-Quirk Sir Edward Elgars Meisterwerk „The Dream of Gerontius“ für das Fernsehen aufzuzeichnen. Boult, den Elgar selbst vertrauensvoll als Sachverwalter seines Werkes angesehen hatte, konnte im Aufnahmejahr auf eine 64-jährige Bekanntschaft mit dem Werk zurückblicken und war somit der bestmögliche Interpret, den man sich wünschen konnte. Nachdem klar war, dass die Dreharbeiten nicht – wie ursprünglich geplant war – in der Kathedrale zu Worcester, sondern in Canterbury stattfinden würde, entstand dort am 29. März 1968 unter Verwendung von acht der neun in Großbritannien existierenden Farbfernsehkameras die erste klassische Musikproduktion in Farbe.

    Es wundert vor diesem Hintergrund nur wenig, dass Produzent Brian Large darum die Schwerpunkte seines Filmes auf die Darstellung sowohl der Solisten als auch besonders auf die Darstellung der Schönheiten der Kathedrale von Canterbury legt. Sein spezielles Augenmerk liegt dabei auf den mittelalterlichen Buntglasfenstern, die er immer wieder im Detail als „Close-Up“ aber auch in der Totale zeigt. Was auf den heutigen Betrachter vielleicht etwas obsessiv wirken mag, dürfte den Fernsehzuschauer von einst unmittelbar fasziniert haben. Hier hat auch die DVD-Bearbeitung, die die originalen BBC-Bänder restauriert hat, allerhand geleistet. Der Blick auf das große Westfenster, die Farben der Detailaufnahmen – das hat schon etwas. Daneben hat aber Large nicht nur die Schönheit der Fenster zeigen wollen, er hat sie auch symbolisch in Bezug zum Werk selbst gesetzt. So beginnt der Film unter den Klängen des Preludes mit der visuellen Beschäftigung mit dem großen Westfenster der Kathedrale. Westen, das ist der Bereich des Menschen. Der Mensch „an sich“ wiederum ist Gerontius, der sterbende Jedermann, dessen Sterben und Gang zu Gott und zum Purgatorium im Werk dargestellt wird. Der Gang des Menschen von West nach Ost durch den Kirchenraum nun symbolisiert seinen Weg vom weltlichen hin zur Welt des Geistigen des Ewigen. Diesen Bogen schlägt auch Brian Large, denn am Ende des Werkes, kurz bevor der filmische Blick schließlich noch einmal die Ausführenden fokussiert, wandert der Blick der Kamera mit Gerontius in den Bereich des östlichen Hochchores und der Trinity Chapel und verweist so auf die jenseitige Welt, in der der Hörer Gerontius und den Engel schließlich zurücklässt. Insgesamt nutzt Large seine Bilder des Sakralraumes meist schlüssig zur Unterstreichung der im Oratorium dargestellten Szenen und Gemütszustände. Besonders eindrucksvoll stechen die auf Fenstern, Friesen und Kapitellen zu findenden Dämonenfratzen ins Auge, die Large unter Nutzung von Blur- und Verzerrungseffekten zum „Demon’s Chorus“ zeigt. Etwas psychedelisch hingegen wirken die Farbspiele, die eingesetzt werden, als sich Engel und Gerontius Gott nahen.

    Die Aufführung des Werkes selbst kann man guten Gewissens exemplarisch nennen. Sir Adrian, der das Werk nur einmal kommerziell für die Schallplatte aufgenommen hat (1975) präsentiert hier eine dieser Aufnahme konzeptionell durchaus ähnliche Aufnahme. Präzise, ohne trocken zu sein, ausdruckstark; ohne sich emotional zu exhibitionieren, kontrolliert, ohne die Leidenschaft zu verlieren – so mag man dieses Dirigat wohl nennen.

    Dazu hat man drei Solisten, die sich hier auf dem Höhepunkt ihrer Darstellungskraft befinden. Wie auch immer man zur Stimme von Peter Pears stehen mag: Seine Darstellung der Titelpartie ist meisterlich, nicht nur, weil der zum Aufnahmezeitpunkt 58 Jahre alte Sänger seine Stimme bestens unter Kontrolle hat und es nicht einen Moment gibt, der sich rein unter technischen Aspekten als Schwachstelle offenbaren würde. Es ist vielmehr die Tatsache, wie intensiv Pears mit und am Text arbeitet, wie er die enorme emotionale und psychologische Spannbreite dieser Partie durchmisst, ohne dabei einen Moment verkopft zu wirken. Pears durchlebt und durchleidet diese Partie, was auch immer wieder in den Close-Ups deutlich wird. Auch wenn es Momente gibt, in denen seine Mimik nur hart am Grimassieren vorbeischrammt (z.B. im Angesicht Gottes), so ist doch alles, was Pears hier präsentiert höchst überzeugend.

    Dazu Janet Baker, deren Engel hier noch luzider, noch weicher, noch ätherischer daherkommt als in Barbirollis berühmter Aufnahme aus dem Jahre 1964. Wie glänzend die Phrasierung, die Artikulation, die Diktion und wie vollkommen erhaben die Herrschaft über ihr Stimme. Hat sie das „Softly and gently“ jemals ergreifender gesungen als hier?

    Schließlich erweist sich auch John Shirley-Quirk als idealer und höchst intensiv gestaltender Interpret der beiden „kleinen“ Rollen des Priest und des Angel of the Agony.

    Das London Philharmonic Orchestra und der London Philharmonic Choir musizieren in jedem Moment auf höchstem Niveau.

    Kurzum: Hier haben wir ein Elgar-Dokument, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

    Ein weiterer Leckerbissen ist übrigens die beigefügte Dokumentation „A.C.B. – A Portrait of One of the Century’s Greatest Musicians – Sir Adrian Boult C.H. An der Hand von Vernon Hadley, der sensibel und mit viel persönlichem Hintergrundwissen durch diese 1989 erstmals ausgestrahlte Dokumentation führt, erfährt der interessierte Zuschauer eine Menge über Boult, und zwar nicht nur aufgrund der reichhaltigen Kommentare vieler berühmter Persönlichkeiten des britischen Musikgeschäftes (z.B. André Previn, Sir Colin Davis, Robert Simpson uva.), sondern auch immer wieder von Boult selbst, der sich hier beispielsweise intensiv über seine Vorstellungen zum Dirigieren, zur Orchesterbalance und vielem mehr äußert.

    Veröffentlichungen dieser Art und Qualität dürfte es häufiger geben.

    :wink: Agravain

  • Etwas ärgerlich für Elgar-Fans, dass zeitgleich zu "The Kingdom" in Köln diese Veranstaltung in Dortmund stattfindet :( :

    "The dream of Gerontius"

    Brenden Gunnell Tenor
    Ann Hallenberg
    Mezzosopran
    Karl-Heinz Lehner
    Bass

    Philharmonischer Chor des Dortmunder Musikvereins
    Dortmunder Philharmoniker
    Granville Walker
    Dirigent

    Je niedriger der Betroffenheitsgrad, desto höher der Unterhaltungswert!

  • Neue Erkenntnisse zum Thema Elgar-Rezeption in Deutschland.

    „The Dream of Gerontius“, der nach den berühmten Aufführungen 1901/1902 für eine Weile im Westen Deutschlands sehr populär war, wurde - wie ich jetzt ermitteln konnte - in der deutschen Hauptstadt erst kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erstmals aufgeführt.

    Die Berliner Erstaufführung fand am 8. Juni 1947 im Rahmen der „Englischen Musiktage Berlin“ statt. In einer von Mitte Mai bis Anfang Juni durchgeführten Konzertserie wurden Werke von Britten (Peter Grimes), Vaughan Williams, Walton, Rawthorne, Ireland, Tippett and Rubbra gespielt. Auf dem Programm des Abschlusskonzertes stand der „Gerontius“, wobei man die Aufführung - fälschlicherweise - als deutsche Erstaufführung ankündigte.

    Es sangen der Chor der St. Hedwigs-Kathedrale, das Orchester der Städtischen Oper Berlin (heute Deutsche Oper Berlin), die Leitung hatte Karl Forster. Die Solisten waren Margarete Klose (Angel), August Friedrich Buschmann (Gerontius) und Wilhelm Schirp (Priest, Angel of the Agony). Aufführungsort war die Stadtmissionskirche (ehemals Evangelische Garnisonkirche, heute: Kirche am Südstern).

    :wink: Agravain

  • In Bonn (Opernhaus) wird The Dream of Gerontius am 29.03.2024 (Karfreitag) mit dem Philharmonischen Chor Bonn, der Kartäuser-Kantorei Köln und dem Beethovenorchester unter Thomas Guggeis aufgeführt; Solisten sind Djamiljah Kaiser und Carl Rumstadt aus dem Ensemble der Bonner Oper sowie Nicky Spence.

    Bernd

    Fluctuat nec mergitur

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