Unsere Gedenktafel: Aufklären durch Erinnern oder Verschweigen durch Vergessen?

  • Die Diskussionen zwischen Jaspers und Arendt finde ich nicht mehr. Dafür aber ein anderes Zitat von Arendt in einem Brief an Jaspers vom 17. August 1946:

    "Mir ist ihre Definierung der Nazi-Politik als Verbrechen (*kriminelle Schuld*) fraglich. Diese Verbrechen lassen sich, scheint mir, juristisch nicht mehr fassen, und sas macht gerade ihre Ungeheuerlichkeit aus. Für diese Verbrechen gibt es keine angemessene Strafe mehr; Göring zu hängen, ist zwar notwendig, aber völlig inadäquat. Das heißt, diese Schuld, im Gegensatz zu aller kriminellen Schuld, übersteigt und zerbricht alle Rechtsordnungen. ... Eben so unmenschlich wie diese Schuld ist die Unschuld der Opfer. So unschuldig wie alle miteinander vor dem Gasofen waren (der widerwärtigste Wucherer nämlich so unschuldig wie das neugeborene Kind, weil kein Verbrechen eine solche Strafe verdienen kann), so unschuldig sind Menschen überhaupt nicht. Mit einer Schuld, die jenseits des Verbrechens steht, und einer Unschuld, die jenseits der Güte oder der Tugend liegt, kann man menschlich-politisch überhaupt nichts anfangen. Dies ist der Abgrund ... in den wir nun schließlich hineingeraten sind. Wie wir aus ihm wieder herauskommen sollen, weiß ich nicht. ..."

    Mir scheint, die früheren Diskussionen waren erhellender, als die der Nachgeborenen. Und sie lassen auch den Schock noch erkennen, den damals viele empfanden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass heute viel geglättet und darüberhinweg geschrieben wird.

  • Den Satz halte ich also für völlig falsch, aber er steht in unseliger Tradition von christlichen Mißverständnissen des Judentum.


    Ich möchte doch noch ergänzen, dass sehr viele christliche Theologen unterschiedlicher Konfessionen da heute sehr viel weiter sind, wie ich das sogar bei meinen auch nur leider allzu begrenzten Kenntnissen christlicher Gegenwartstheologie wahrnehme.

    Von Kenntnisse kann meinerseits auch kaum die Rede sein, aber folgendes Buch ist mir in Erinnerung geblieben:
    J.B.Metz: Memoria Passionis

    "Die Gottesrede der biblischen Traditionen enthält ein Versprechen der Rettung, [...] die auch die vergangenen Leiden rettend einschließt."

    Damit wird vielleicht auch der Satz von Meier verständlich.
    Womit nicht gesagt sein soll, dass ich ihn auf ganzer Linie verteidigen möchte, seine Schlüsse erscheinen mir auch etwas wacklig.

    Schöne Grüße,
    Peter

  • Aufklärung durch Erinnerung

    Zitat von 'Cherubino


    ...
    Ob es ganz ohne gemeinsame Rituale gehen kann, weiß ich nicht. Ich würde es weder grundsätzlich verneinen noch bejahen wollen, ich kann mir eine zusammengehörige Gruppe einfach zu wenig vorstellen. In meinem idealstischen Menschenbild (nenn mich ruhig naiv 8+) ) würde ich es aber gerne in die Verantwortung jedes Einzelnen stellen, wie und an was er erinnern möchte. Ich mag keine gemeinsame Selbstverpflichtung (das heißt nämlich so oder so bei einer entsprechend großen Gruppe von menschen, dass Andere mir sagen, was ich bitte zu denken habe und woran ich mich zu halten habe), auch keine minimale, keine gemeinsame Erinnerung an gemeinsame Selbstverpflichtung, mein Ideal wäre es, dass jeder für sich entscheiden kann!


    Das klingt gut, halte ich aber für schwierig. Wer vermag zu sagen, wo das zunächst Aufgezwungene aufhört und die eigene Selbstverpflichtung anfängt? Eigene Einsicht, eigene Selbstverpflichtung nach eigenen moralischen Grundsätzen ist mein Ideal, ohne das etwas aufgezwungen wird! Ich weiß, dass das in der Praxis schwer zu verwirklichen ist, aber es ist ein Ideal (ein zutiefst aufklärerisches, oder?), für das sich meiner Überzeugnung nach zu kämpfen lohnt! Deshalb habe ich auch so meine Probleme mit der Politik der Alliierten im Nachkriegsdeutschland...
    Versteht man, worauf ich hinaus will, oder verenne ich mich gerade total? :hide:


    Ich glaube, im Grunde sind wir uns völlig einig: Demokratische Streitkultur sollte die Erinnerung wachhalten und jeden Einzelnen zum Mitdenken animieren, Erinnerungskultur als volkserziehrische Programmierung taugt nichts. oder?

    Liebe Grüße,

    Lars

    Lieber Lars,

    Nur ein allgemeiner Denkanstoß:
    Es ist fast ausgeschlossen, dass man nicht von bestimmten Ritualen „vereinnahmt“ wird: Weihnachten, Taufe, Konfirmation o. ä. je nach Religion; Hochzeitstage; Silvester; Trauer; Todestage; Geburtstage; Gedenktage z. B. „großer“ Komponisten wie W. A. Mozart etc. Natürlich kann man sich diesen privaten oder öffentlichen „religiösen, kulturellen ‚Zwängen’ oder Erinnerungen“ versuchen zu verschließen, aber man ist in aller Regel und als Mitglied einer Gemeinschaft automatisch Teil dessen und wird sich auf irgendeine Art damit auseinandersetzen. Die Frage muss erlaubt sein, warum bestimmte öffentliche Erinnerungsrituale (um den Begriff 'Ritual' einmal wertfrei zu gebrauchen) kein Unbehagen auslösen und nicht als Oktroyieren, Bevormundung, Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit o. ä. abgewiesen werden (und damit sind nicht nur die angenehmen "Rituale" gemeint) und warum vielleicht diese Haltung gerne bei der Thematik „Auschwitz“ greift.

    Die Idee der absoluten Selbstbestimmung ist ein nicht erreichbares Ideal und mündet meist in Selbsttäuschung.

    Die Frage der Erinnerung im Sinne „Volkserziehung“ lehne ich ebenfalls ab, aber wie steht es mit der Ausbildung von Schülern?

    'Erinnerung': Beispielgebend ist die Capriccio-Gedenktafel: Wir erinnern hier an Persönlichkeiten des Musiklebens*, welche durch den Nationalsozialismus und den dahinter stehenden Menschen ermordet, drangsaliert, verfolgt oder zur Emigration gezwungen waren. Wer sich nicht erinnern (lassen) will - liest es nicht. Aber Erinnern hat nicht nur normative Funktion sondern gleichfalls wissenschaftliche, d. h. Wissen wird festgehalten, gesammelt, geordnet und reflektiert und dient als Grundlage zur Erkenntniserweiterung - also der Aufklärung eng verbunden.

    Bis dann.

    * Es gibt noch eine weitere Gedenktafel.

  • Ich breche morgen in den Urlaub auf, deshalb muss ich mich aus dieser spannenden Diskussion leider erst einmal ausklinken, obwohl mir da noch Einiges unter den Nägeln brennt. Vor allem zu den Nürnberger Prozessen will ich noch etwas schreiben, dass sehe ich nämlich ganz anders! :rolleyes:

    Es ist fast ausgeschlossen, dass man nicht von bestimmter Ritualen „vereinnahmt“ wird: Weihnachten, Taufe, Konfirmation o. ä. je nach Religion; Hochzeitstage; Sylvester; Trauer; Todestage; Geburtstage; Gedenktage z. B. „großer“ Komponisten wie W. A. Mozart etc. Natürlich kann man sich diesen privaten oder öffentlichen „religiösen, kulturellen ‚Zwängen’ oder Erinnerungen“ versuchen zu verschließen, aber man ist in aller Regel und als Mitglied einer Gemeinschaft automatisch Teil dessen und wird sich auf irgendeine Art damit auseinandersetzen. Die Frage muss erlaubt sein, warum bestimmte öffentliche Erinnerungsrituale (um den Begriff 'Ritual' einmal wertfrei zu gebrauchen) kein Unbehagen auslösen und nicht als Oktroyieren, Bevormundung, Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit o. ä. abgewiesen werden (und damit sind nicht nur die angenehmen "Rituale" gemeint) und warum vielleicht diese Haltung gerne bei der Thematik „Auschwitz“ greift.


    Ich sehe schon einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Geburtstag meiner Tante und einer Gedenkfeier und Kranzniederlegung an einer Gedenkstätte. Das eine ist meine Privatsache, genau wie jedes andere Familienfest auch. Sicher kann man von der Taufe bis zur Beerdigung jede Familienfeier als Ritual bezeichnen, das geht meiner Meinung nach an der Alltagsbedeutung des Wortes aber doch vorbei. Außerdem geht es bei dieser privaten Art der Erinnerung nicht darum, eine bestimmte Denkhaltung darzustellen und zu kolektivieren!
    Bei einer Gedenkfeier, in der eine Gesellschaft oder ihre Repräsentanten öffentlich an etwas erinnern, geht es durchaus darum, eine bestimmte Denkhaltung für verbindlich zu erklären, es geht auch darum, Gedenken in gewisser Weise zur Schau zu stellen. Und gerade beim Thema "Auschwitz" greift noch eine ganz andere Haltung: Da bekommen die Gedenkveranstaltungen immer so etwas penetrant Vorwurfsvolles, dass viele Menschen eben einfach nur schwer aushalten. Und, um den Einwand vorweg zu nehmen, da kann meiner Meinung nach dann wieder jeder gedenken oder vergessen wie er will, das muss niemand aushalten!

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Erinnerung - Rituale

    Lieber Lars,

    wie ich bereits schrieb, differenziere ich in persönliche und öffentliche Rituale. Ich habe allerdings Zweifel daran ob diese bzgl. der Ausformung vollkommen voneinander getrennt bzw. unabhängig sind, da Rituale – privat oder öffentlich – gleiche Beweggründe, Strukturen und Ziele ausmachen. Rituale, seien sie kulturell, politisch, sexuell, psychologisch, weltlich oder religiös bedingt, sind Leitfaden, Orientierungshilfe, Bewältigungshilfe, Rahmensetzung, welche durch Feierlichkeit, Symbolcharakter und Regelung gekennzeichnet sind und einen kommunikativen, interaktiven Charakter haben, um emotional und intellektuell eine Auseinandersetzung mit dem Ritualobjekt zu ermöglichen. Ob diese Auseinandersetzung mittels Bräuchen, Gewohnheiten, Zeremonien, Festlichkeiten o. ä. inhaltsverändernd bzw. inhaltsleer (z. B. Erstarrung) wird und wie diese persönlich vonstatten geht, ist die individuelle Herausforderung. Manche empfinden diesen Ausgangspunkt der Auseinandersetzung (ggf. selektiv) als etwas „penetrant Vorwurfsvolles“. Jedoch ist die Basis die eigene oder gemeinsame Erinnerung – ob man will oder nicht.

    Selbstverständlich werde ich auch Deine Sichtweise zu den Kriegsverbrecherprozessen lesen; würde mich allerdings über eine Stellungnahme zur Thematik: Capriccio-Gedenktafel: Erinnern oder Vergessen? - Ritual? freuen.

    Bis dann.

  • Karl Jaspers und Hannah Arendt haben in ihrem Briefwechsel zu Beginn des Kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg diskutiert, dass es nicht "Verbrechen gegen die "Menschheit" sondern Verbrechen gegen die "Menschlichkeit" heißen müsste - ich finde diesen Gedanken sehr überzeugend, ein Verbrechen also gegen das "Sein" des Menschen.
    Leider finde ich die Belegstelle ohne Sachregister nicht, sehe aber sehr interssante Diskussionen über die "Schuld".

    lg vom eifelplatz, Chris.


    Talestri hatte in einem Folgebeitrag bereits auf ein Arendtzitat aus "Eichmann in Jerusalem" hingewiesen. Vielleicht ergänzend aus dieser Schrift von Rainer Huhle "Vom schwierigen Umgang mit 'Verbrechen gegen die Menschheit' in Nürnberg und danach", Seite 1, FN 1, mwN:

    http://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user…_menschheit.pdf


  • Talestri hatte in einem Folgebeitrag bereits auf ein Arendtzitat aus "Eichmann in Jerusalem" hingewiesen. Vielleicht ergänzend aus dieser Schrift von Rainer Huhle "Vom schwierigen Umgang mit 'Verbrechen gegen die Menschheit' in Nürnberg und danach", Seite 1, FN 1, mwN:

    http://www.stiftung-evz.de/fileadmin/user…_menschheit.pdf


    Danke, Yukon! Ich muss da noch mal in den Briefwechsel reinsehen, Jaspers und Arendt haben einander ja auch über die Nürnberger Prozesse geschrieben. Und heute denke ich, dass ich damals die Begriffe vertauscht habe, weil - meiner hoffentlich diesmal besseren Erinnerung nach - weil Verbrechen gegen die Menschheit als Verbrechen gegen die Zukunft der Menscheit i.S. von Menschengeschlecht gesehen werden könnte, hingegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit den Taten nicht gerecht werden könnte. Aber ich muss da wirklich noch mal suchen. Mir war allerdings bisher nicht so klar, dass die Begriffe damals nahezu identisch gebraucht wurden.


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Ich muss da noch mal in den Briefwechsel reinsehen

    Liebe Chris,

    da schließe ich mich gerne an, zumal Hannah Arendt mit Blick auf den "Schuldbegriff" derzeit im Mittelpunkt meines Interesses steht.

    Im Übrigen scheint mit Dein kluger Hinweis

    Zitat

    Mir scheint, die früheren Diskussionen waren erhellender, als die der Nachgeborenen. Und sie lassen auch den Schock noch erkennen, den damals viele empfanden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass heute viel geglättet und darüberhinweg geschrieben wird.

    sehr nachdenkenswert.

    Viele Grüße

  • zumal Hannah Arendt mit Blick auf den "Schuldbegriff" derzeit im Mittelpunkt meines Interesses steht.

    Um Arendts Begriffe oder auch ihren Weg zu den Begriffen zu verstehen, sehe ich gerne in ihre "Denktagebücher" rein, hintereinander kann ich die nicht lesen, immer nur Stück für Stück.

    In diesen Heften klärt sie auch die Begriffe "für sich", d.h. man kann nachlesen, was darunter versteht und was nicht, wie sie zum Begriff kommt, wann sie das geschrieben und woran sie gleichzeitig gearbeitet hat - zum Begriff der "Schuld" verzeichnet das Register v.a. Belegstellen aus ca. 1950 - 1952. Mir scheint nach Erfahrungen aus der Lektüre, dass in den 1950er Jahren - entgegen allen Beschreibungen vom Muff dieser jahre, die natürlich auch stimmen, weil sie einen Aspekt der Zeit beschreiben - dass es auch eine lebendige Diskussion in v.a. Periodika des linken Meinungsspektrums gab. Und es existierten im Vergleich zu heute viele Zeitschriften von Verlagen, gesellschaftlichen Gruppen; die Nazizeit, der Krieg, Schuld und Sühne, die Zukunft Deutschlands wurden heftig diskutiert.

    Nun bin ich auch von der Suche infiziert und werde mal ein wenig in meinen Büchern stöbern.


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Nichts gegen solche Bücher, aber meine ernstgemeinte Frage ist, wieso man sich mit Literatur etc. beschäftigt, wo andere darüber diskutieren oder nachdenken, was damals passiert ist und warum es passiert ist.

    Ich finde, wesentlich aufschlussreicher ist es, wenn man sich entsprechende Filme aus der Zeit ansieht, mit allen scheusslichen Details. Da haben Menschen andere Menschen systematisch umgebracht. Wenn ich das sehe oder lese dann brauche ich persönlich eigentlich keine Literatur, wo jemand sich intellektuell damit beschäftigt, weil ich finde, dass Massenmord nichts "Gescheites" an sich hat, das man ergründen müsste.

  • Ich meinte keine Spielfilme, sondern echte "Filme" aus den KZ´s etc. Oder auch die Filme, die die amerikanischen Truppen dort gemacht haben, als sie ankamen, von den Verbrennungsöfen, den Massengräbern etc.

    Ich habe deswegen eigentlich auch nie Spielfilme gesehen, wo es um sowas ging, weil man eigentlich nur solche ECHTEN Bilder sehen muss. Wozu soll ich mir z.B. "Schindlers Liste" anschauen, wo das alles nachgespielt wird? Warum soll ich mir Liam Neeson und Ben Kingsley anschauen, während irgendeine traurige Melodie von der Bratsche gespielt wird, wenn es eigentlich auch ausreicht, zu sehen, wie echte, bis auf die Knochen abgemagerte Leichen in Gräber geschaufelt werden? Sowas ist für Schulklassen interessant, für Leute, die null Ahnung davon haben, oder die das nicht so kritisch sehen, was damals passiert ist, als Aufklärung.
    Aber ich brauche das nicht.

    Genauso wie ich mir keine Filme über Drogensüchtige etc. anschaue, weil ich WEIß dass es das gibt. Solche Filme sollen aufrütteln, aber mich rütteln sie nicht auf, weil ich eh schon weiß, dass die Welt oasch ist, wie der Wiener sagen würde. Solche Filme wiederum sind eher interessant für reichere Leute, die im Wohlstand leben und falsche Vorstellungen haben von denen, denen es nicht so gut geht.

  • A propos Filme bzw. lesen:

    Extrem gelobt wird der gerade international vorgestellte, im April in Deutschland anlaufende Film "Lauf, Junge, lauf",
    der die Erlebnisse des damals 8-11 jährigen polnischen Juden Yoram Fridman auf die Leinwand bringt.

    "http://www.sueddeutsche.de/kultur/holocau…ieges-1.1859716"

    "

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    "

    Wer lieber liest, kann das Jugendbuch von Uri Orlev lesen, ebenfalls "Lauf, Junge, lauf".

    "http://www.perlentaucher.de/buch/uri-orlev…junge-lauf.html"

    Sollen beide sehr sehr gut sein.


    :wink:

    amamusica :pfeif:

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Noch ein Zusatz:

    Hier ein guter "making of" von dem Film "Lauf, Junge, lauf":

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  • Heroisierung von Geschichte durch 'Kunst'

    Das ist treffend. Dass derartige Filme noch für Schulklassen interessant sind, bezweifle ich jedoch. Es gibt seit Jahren etwas, was ich als inflationäre Vorführung von 'Auschwitz-Filmen' in Schulen und - hinsichtlich einer 'aufklärerischen' Absicht wohl irgendwie dazugehörig - Gedenkstätten-Hopping (so stand es mal in der SZ) wahrnehme. Ich glaube, dass eine Einschätzung des NS mit Hilfe der Schule nur dann gelingen kann, wenn
    - der NS im Kontext des Kaiserreichs, des 1. WK und der Weimarer Republik behandelt wird

    und
    - der NS im Kontext der Entstehung des Verfassungsgedankens der Aufklärung (Locke, Montesquieu) und seiner Anwendungen etwa seit 1848 in Deutschland
    behandelt wird. Wenn man Schüler fragt, was Dikatur ist, was Demokratie ist u. dgl., wird oft deutlich, dass z. B. der Aspekt der Gewaltenteilung kaum repräsentiert ist.
    Dem steht eine alte Neigung gegenüber, sozialpsychologische Vorgänge in den Mittelpunkt zu stellen, z. B. mit Hilfe von "Die Welle" oder dem Blaue-Augen-Experiment (siehe Jane Elliott) - was meines Erachtens weitgehend für die Katz ist.
    Mit Recht, meine ich, sprach Finkelstein von der 'Holocaust-Industrie', die extrem pietätlos ist und zu der ich im weiteren Sinne auch jene beliebten Filme (z. B. "Junge im gestreiften Pyjama") zähle. Es liegt genug eher (ist ja eine graduelle Sache) dokumentarisches Material vor, das man nutzen kann - und sollte.
    Ich habe an einer VHS drei Klassen in Geschichte unterrichtet, Themen von 1848 bis 1945. Was den NS betrifft, habe ich erst einmal die 'Aushebelung' der Weimarer Verfassung recht detailliert behandelt, womit ich an die Verfassungen von den 48ern bis Weimar anknüfen konnte. Was Auschwitz usw. betrifft, ließ sich natürlich gut an Kolonialismus und an Sozialdarwinismus der Kaiserzeit anknüpfen. Mit der Methodik (Wannsee-Konferenz, 'Durchkämmen' von West nach Ost -> Ghettos -> Vernichtungslager) zeigt sich dann vor dem Hintergrund der ideologischen Bedingungen deutlich eine gewisse 'Einzigartigkeit' - wenn es auch gut wäre, die Entwicklung moderner Totalitarismen mit Lenin und Stalin usw. mit anzureißen (wozu mir leider die Zeit fehlte). Und es kommt mir tatsächlich auch pietätlos vor, schauspielerische Bemühungen heranzuziehen, anstatt z.B. das gute alte "Der gelbe Stern" zu nutzen - einen Film, der die Entwicklung und Durchführung des NS-Rasseprogramms anschaulich zeigt.

    Ich habe den Eindruck, dass das ständige 'Kunst'-Produzieren und -Rezipieren im Rahmen des Themas NS zu viel Aufmerksamkeit auf schauspielerische Leistung sowie auf 'Interpretation' lenkt, also letztlich auf Künstler. Wozu das? In der Tat: Es gibt genug Material, das vor Ort entstand.
    Das filmische 'Interpretieren' hat meines Erachtens stark zu Heroisierungen beigetragen - etwas, was mich insbesondere in 'linker Kultur' immer wieder nervt - daher steht für mich auch seit dem Mandela-Thread und seiner Schließung die Beteiligung am Forum in Frage.


    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Ich habe den Eindruck, dass das ständige 'Kunst'-Produzieren und -Rezipieren im Rahmen des Themas NS zu viel Aufmerksamkeit auf schauspielerische Leistung sowie auf 'Interpretation' lenkt, also letztlich auf Künstler. Wozu das?

    Ganz genauso geht es mir auch dabei.

    Wenn ich in Filmkritiken solche Sätze lese wie "Regisseur XY gelingt es, in eindrucksvollen Bildern die Geschehnisse zu vermitteln" oder "Schauspieler XY legt ein einfühlsames Portraits eines Soldaten/Opfers/wasauchimmer ab", dann frage ich mich: geht es da überhaupt noch um die Zeit damals? Oder versucht man da einfach nur, diese Zeit, diese Geschehnisse zu verwenden, um Kunst zu produzieren?
    Immerhin: Kritiker müssen vorsichtiger sein, denn einen Film, in dem es um den 2. Weltkrieg oder gar KZ´s geht, darf man gar nicht kritisieren. Es hieß z.B. auch, dass Spielberg "Schindlers Liste" nur gedreht habe, um endlich einen Oscar zu gewinnen (was er dann auch tat).
    Ich finde diesen Film schon fürchterlich. Wenn da diese s/w-Bilder kommen, und dazu diese kitschige Solobratsche irgendeine traurige Melodie spielt ... Ich habe in meiner Hauptschule, als wir eine Projektwoche zu dem Thema hatten, alle 5 Tage den Fernseher mitsamt Videorekorder betreut, weil ich mich mit dem Gerät gut auskannte, Verkabelung, Umstecken und Programm einstellen etc.). An jedem Tag wurde der Film 2x vor verschiedenen Gruppen vorgeführt, so dass ich ihn auch zwei Mal hintereinander sah, also insgesamt 10x in einer Woche. Für mich war es bequem, weil ich in der Schule bleiben konnte und meine Ruhe hatte, aber der Film hat mich doch immer wieder genervt.

    Überhaupt fällt auch auf, dass Filme, die sich mit dem 2. Weltkrieg beschäftigen (ich meine jetzt ernste Filme, nicht sowas wie Spielbergs "1941"), von Kritikern gerne hochgelobt werden. Ob das jetzt der Schindler ist, oder der gestreifte Pyjama, ob es die Blechtrommel oder ein anderer Film ist, immer ist von eindrucksvollen Bildern die Rede, von großartigen Schauspielleistungen, usw.


    '

  • Ich sehe das mit den "Spielfilmen" nicht so kritisch. Eines der wichtigsten Hilfsmittel für das Verstehen ist die Identifikation. Und die rein sachlichen Dokumentationen führen durch ihre nackte Brutalität oft zur inneren Distanzierung des Betrachters zum Gezeigten. Wen tangieren heutzutage noch bloße Bilder in der Tagesschau? Gut gemachte Spielfilme wie z. B. Polanskis "Der Pianist" schaffen eine ganz eigene Intimität und dadurch Identifikation mit den Figuren, was m. E. oftmals einen viel nachhaltigeren Effekt erzielen kann. Nebeneffekte wie Hascherei nach dem Oscar sehe ich da eher pragmatisch als Mittel zum guten Zweck.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Gut gemachte Spielfilme wie z. B. Polanskis "Der Pianist" schaffen eine ganz eigene Intimität und dadurch Identifikation mit den Figuren, was m. E. oftmals einen viel nachhaltigeren Effekt erzielen kann.

    Das ist die eine Seite - die Vergangenheit durch persönliche Identifikation oder auch nur Nähe zu Figuren "lebendig" oder "plastisch" zu machen.

    Nichts gegen solche Bücher, aber meine ernstgemeinte Frage ist, wieso man sich mit Literatur etc. beschäftigt, wo andere darüber diskutieren oder nachdenken, was damals passiert ist und warum es passiert ist.

    Ich finde, wesentlich aufschlussreicher ist es, wenn man sich entsprechende Filme aus der Zeit ansieht, mit allen scheusslichen Details. Da haben Menschen andere Menschen systematisch umgebracht. Wenn ich das sehe oder lese dann brauche ich persönlich eigentlich keine Literatur, wo jemand sich intellektuell damit beschäftigt, weil ich finde, dass Massenmord nichts "Gescheites" an sich hat, das man ergründen müsste.

    Die "nackten Tatsachen" erklären leider garnichts. Sie machen es leicht, sich zu distanzieren und helfen überhaupt kein bißchen, zu verstehen, wie es zu solchen Dingen kommen konnte. Da kommt man nicht umhin, sich, ja, auch intellektuell damit zu beschäftigen - falls man denn - verstehen will. Muss man ja garnicht wollen, aber Deine "ernstgemeinte Frage" kannst Du Dir selbst beantworten: Es gibt Menschen, denen der einfache Ekel vor den nackten Tatsachen nicht reicht, die verstehen wollen, was dahinter steckt. Insofern ist der Vergleich der Auseinandersetzung einer Philosophin mit Eichmann mit der filmischen Verarbeitung z.B. in Hollywood irreführend.

    Ich habe den Eindruck, dass das ständige 'Kunst'-Produzieren und -Rezipieren im Rahmen des Themas NS zu viel Aufmerksamkeit auf schauspielerische Leistung sowie auf 'Interpretation' lenkt, also letztlich auf Künstler.

    Nun ja, betrifft das nicht jede Kunst, zu jedem Thema? Oder willst Du sagen,das Thema NS sei zu ernst für Kunst?

    Das filmische 'Interpretieren' hat meines Erachtens stark zu Heroisierungen beigetragen

    Ein ernstzunehmender Einwand - der allerdings auch das "Interpretieren" von Historikern und anderen betrifft, ja, jeder "Interpretation" kann das unterlaufen. Ist deswegen jede Auseinandersetzung, die einen anderen als den offensichtlich vo Dir bevorzugten verfassungsrechtlichen Zugang wählt, verdächtig?

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Es gibt Menschen, denen der einfache Ekel vor den nackten Tatsachen nicht reicht, die verstehen wollen, was dahinter steckt.

    Zu diesen Menschen gehöre ich. Letzte Woche habe ich den Spielfilm über Hannah Arendt (Margarethe von Trotta) gesehen; den fand ich recht aufschlußreich, Stichwort: "Banalität des Bösen". Jetzt erwäge ich, mich da näher einzulesen, denn selbst ein gelungener Film ersetzt nicht die Lektüre.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Die "nackten Tatsachen" erklären leider garnichts. Sie machen es leicht, sich zu distanzieren und helfen überhaupt kein bißchen, zu verstehen, wie es zu solchen Dingen kommen konnte.
    Da kommt man nicht umhin, sich, ja, auch intellektuell damit zu beschäftigen - falls man denn - verstehen will.

    Die "nackten Tatsachen" rütteln natürlich selbst schon gründlich auf, aber da sieht man nicht das einzelne menschliche Schicksal, die ganze Leidensgeschichte dahinter, es fehlt das "persönliche Antlitz", dass ein tieferes Verständnis ermöglicht.

    Jeder geht anders mit dem Thema um und hat andere Bedürfnisse, für mich waren Erlebnisberichte oder gute Romane und gute Spielfilme jedenfalls sehr prägende "Schlüssel" zum Thema.

    Sehr prägend war für mich in meiner Kindheit übrigens auch folgender sehr empfehlenswerter Fernseh-Mehrteiler, der inzwischen endlich wieder erhältlich ist:

    "Ein Stück Himmel" nach der Autobiographie von Janina David

    "http://www.amazon.de/Grosse-Geschic…l/dp/B002LYC1KU"


    :wink:

    amamusica :pfeif:

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Die "nackten Tatsachen" erklären leider garnichts. Sie machen es leicht, sich zu distanzieren und helfen überhaupt kein bißchen, zu verstehen, wie es zu solchen Dingen kommen konnte. Da kommt man nicht umhin, sich, ja, auch intellektuell damit zu beschäftigen - falls man denn - verstehen will. Muss man ja garnicht wollen, aber Deine "ernstgemeinte Frage" kannst Du Dir selbst beantworten: Es gibt Menschen, denen der einfache Ekel vor den nackten Tatsachen nicht reicht, die verstehen wollen, was dahinter steckt. Insofern ist der Vergleich der Auseinandersetzung einer Philosophin mit Eichmann mit der filmischen Verarbeitung z.B. in Hollywood irreführend.


    Offenbar findest du meinen Einwand nicht "ernstzunehmen", aber ich antworte trotzdem mal drauf.

    Natürlich ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, wie es dazu kommen konnte - aber geht es in den meisten Filmen nicht eben um die erwähnten Einzelschicksale? Da wird einfach gezeigt, was die Nazis angerichtet haben, und wie die Leute damit leben.

    Filme wie "Die Welle" sind da schon aufschlussreicher, finde ich.

    Aber im Grunde ist es nicht so schwer, dahinterzukommen, was die Nazis gemacht haben: die Menschen sind Obrigkeitshörig, das sieht man noch heute, wie viele Respekt vor irgendwelchen Uniformen haben. Die Menschen sind ausserdem gesellig, sie mögen das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein - wenn man dann noch mit 100.000 anderen da steht, während eine tolle Parade mit klingendem Spiel vorbeifährt, hilft das umso mehr. Und jede Gruppe braucht irgendein Arschloch, das diesen Frieden, dieses Zusammensein stören will, auf das man schimpfen und losgehen kann - in diesem Fall waren das eben Juden, Homosexuelle etc.


    Einen Satz aus "Mein Kampf" habe sogar ich verstanden, und er zeigt auch ziemlich deutlich, wie das Ganze funkioniert: "Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein, und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt."

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