Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?

  • Hier mal eine Kontroll-Überlegung. Möge sich bitte jeder mal "reinziehen".

    Bibel, Neues Testament

    Bekannt, oder? Falls nicht: Lesen!

    Ergebnis: Da wird recht häufig das Thema "Wein" behandelt.

    Nun wissen wir leider nichts über das persönliche Verhältnis der einzelnen Verfasser zum Thema Wein. Aber wenn wir das wüssten, wäre es dann zulässig, bestimmten Büchern der Bibel "weinverherrlichende Tendenzen" zuzuweisen, weil der eine oder andere Verfasser zusätzlich auch ein Buch über Wein geschrieben hat? Oder gar Alkoholiker war?

    Zeigt Maria Tendenzen einer Alkoholikerin (Bibelleser wissen, welche Geschichte ich meine), so wie Beckmesser "antisemitische" Stereotype bestätigt?

    Beides könnte man "beweisen", und beides wäre Blödsinn. In beiden Fällen versucht man, das Privatleben des Autors mit seinem Werk und dessen Figuren zu verquicken. In beiden Fällen legt man vorher fest, was man "beweisen" will. In beiden Fällen handelt es sich um unwissenschaftliches Arbeiten.

    In beiden Fällen muss ich mir die einzelne Figur ansehen (Maria bzw. Beckmesser), ihren Sinn innerhalb der Erzählung verstehen und dann prüfen, ob ihr Handeln in sich stimmig ist. Und dann wird man feststellen, dass Maria mit Alkoholismus genauso wenig zu tun hat wie Beckmesser mit Antisemitismus.

    Ja, dazu muss schon ein bisschen was lesen. Aber keine pseudowissenschaftlichen Pamphlete. Es reichen die Originalliteratur und ein paar Bücher über den geschichtlichen Hintergrund.


    Thomas

  • Da es offensichtlich grad nicht so klar ist, worum es hier eigentlich geht, empfiehlt es sich vielleicht, die Fragen des Eingangsbeitrags vor 8 Jahren wieder aufzugreifen:

    also, Ecclitico ging es ja wohl um die Werke (vgl. bei ihm "Phase 1" und "Phase 2"), also Unterpunkt 2 von Amfortas' Threadprogramm. Eusebius antwortete darauf mit einem Verweis auf das "Denken des Heros". Daher zabki: "Darum ging es nicht". Cherubino bekräftigte das, indem er als "Kernfrage" bezeichnete: "Wie direkt, wie stark und in welcher Art und Weise spiegelt sich diese aus den Selbstzeugnissen herauszulesende Geisteshaltung in den künstlerischen Werken wider?"

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Nun wissen wir leider nichts über das persönliche Verhältnis der einzelnen Verfasser zum Thema Wein. Aber wenn wir das wüssten, wäre es dann zulässig, bestimmten Büchern der Bibel "weinverherrlichende Tendenzen" zuzuweisen, weil der eine oder andere Verfasser zusätzlich auch ein Buch über Wein geschrieben hat?

    zumindestens ist z.B. im AT " Wein" nicht automatisch in einem pejorativen Kontext gesetzt.

    Beispiele:

    Genesis:

    Zitat

    Lot aber zog von Zoar hinauf und wohnte im Gebirge, [er] und seine beiden Töchter mit ihm; denn er fürchtete sich in Zoar zu wohnen. Und er wohnte in einer Höhle, er und seine beiden Töchter. 31 Und die Erstgeborene sprach zu der Jüngeren: Unser Vater ist alt, und es gibt keinen Mann im Land, der zu uns eingehen könnte nach der Weise aller Welt. 32 Komm, lass uns unserem Vater Wein zu trinken geben und bei ihm liegen, damit wir von unserem Vater Nachkommenschaft am Leben erhalten! 33 Und sie gaben ihrem Vater in jener Nacht Wein zu trinken, und die Erstgeborene ging hinein und legte sich zu ihrem Vater; er aber merkte weder [etwas] von ihrem Niederlegen noch von ihrem Aufstehen. 34 Und es geschah am Morgen, da sprach die Erstgeborene zu der Jüngeren: Siehe, ich habe mich gestern abend zu meinem Vater gelegt. Lass uns ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben, dann geh hinein, liege bei im Gebirge, [er] und seine beiden Töchter mit ihm; denn er fürchtete sich in Zoar zu wohnen. Und er wohnte in einer Höhle, er und seine beiden Töchter. 31 Und die Erstgeborene sprach zu der Jüngeren: Unser Vater ist alt, und es gibt keinen Mann im Land, der zu uns eingehen könnte nach der Weise aller Welt. 32 Komm, lass uns unserem Vater Wein zu trinken geben und bei ihm liegen, damit wir von unserem Vater Nachkommenschaft am Leben erhalten! 33 Und sie gaben ihrem Vater in jener Nacht Wein zu trinken, und die Erstgeborene ging hinein und legte sich zu ihrem Vater; er aber merkte weder [etwas] von ihrem Niederlegen noch von ihrem Aufstehen. 34 Und es geschah am Morgen, da sprach die Erstgeborene zu der Jüngeren: Siehe, ich habe mich gestern abend zu meinem Vater gelegt. Lass uns ihm auch diese Nacht Wein zu trinken geben, dann geh hinein, liege bei ihm, damit wir von unserem Vater Nachkommenschaft am Leben erhalten! 35 Da gaben sie auch in dieser Nacht ihrem Vater Wein zu trinken, und die Jüngere stand auf und lag bei ihm; und er merkte weder [etwas] von ihrem Niederlegen noch von ihrem Aufstehen. 36 Und die beiden Töchter Lots wurden von ihrem Vater schwanger. 37 Und die Erstgeborene gebar einen Sohn, und sie gab ihm den Namen Moab; der ist der Vater der Moabiter bis auf diesen Tag. 38 Und die Jüngere, auch sie gebar einen Sohn, und sie gab ihm den Namen Ben-Ammi. Der ist der Vater der Söhne Ammon bis auf diesen Tag.

    oder aus dem Hohen Lied Salomons:

    Zitat

    Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes;
    denn deine Liebe ist lieblicher als Wein..........

    ....denn die Sonne hat mich so verbrannt. Meiner Mutter Söhne zürnten mit mir. Sie haben mich zur Hüterin der Weinberge gesetzt; aber meinen eigenen Weinberg habe ich nicht behütet...

    Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen,..............

    das zwischen meinen Brüsten hängt.......

    .. Mein Freund ist mir eine Traube von Zyperblumen

    etc..

    leider sind von den Autoren/Autorenkollektiv keine Tagebücher einer Lebensgefährtin überliefert bzw. erhalten, die auf genauere Umstände z.B. Alkoholismus, Weinknappheit, Alkoholprohibition schließen lassen, die Impulse für derlei Metaphern bzw. Texte gegeben haben mögen ....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Das ist genau der Grund, warum ich es aufegeben habe, zu diesem Thema tiefergehend zu schreiben

    Manchmal wäre es besser sich an seine Vorsätze zu halten.

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Wer gleich mir der Ansicht ist, dass es mitunter hilfreich ist, das von anderen zusammengetragene Wissen zu nutzen, dem möchte ich die Lektüre des Bandes 5 aus der Serie Musik-Konzepte empfehlen.

    Insbesondere im letzten Artikel von Hartmut Zelinsky wird der Einfluss von Wagners Gedankenwelt auf sein Werk, insbesondere dem "Ring" und "Parsifal" sehr ausführlich beschrieben.
    Wagner hat im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen nicht einfach Libretti aus fremder Hand vertont, sondern sah Drama und Musik immer als Einheit, und hat daher seine dramatischen Vorlagen auch selbst erstellt. Daher ist es nur folgerichtig, wenn er auch seine Weltanschauung und sein Leitthema, nämlich das Judentum, mit in seine Dramen einbezogen hat. Darüber hinaus bieten wie bereits gesagt die Tagebücher von Cosima einen reichen Schatz an Zeugnissen, die ebenfalls viel über Wagner aussagen. Diese waren ja nicht zur Veröffentlichung sondern nur für ihre Kinder bestimmt. Daher musste sie keine Rücksicht auf eventuell kompromittierende Äusserungen nehmen. Mir hat die Lektüre dieser Tagebücher einen teilweise erweiterten aber auch ganz neuen Blick auf die Gedankenwelt Richard Wagners eröffnet.
    Wir haben freilich keine 100% beweisbaren Tatsachen zu Wagners antisemitischen Konnotationen in seinen Werken, aber die von vielen Autoren angeführten Indizien, und meine eigenen Erfahrungen ergeben für mich ein eindeutiges Bild. Ich kann auch nicht erkennen warum das schädlich für die Musik sein sollte, und daher immer wieder versucht wird den antisemitischen Einfluß zu negieren. Die Musik des Parsifal wird dadurch nicht schlechter, dass Wagner hier offenbar die "Erlösung vom Fluch des Ahasver durch das arische Christentum" zelebriert. Ohnehin müssen wir Wagner als historische Figur so annehmen wie er war. Aber wir müssen uns keine Illusion über seinen Charakter machen, wenn er ihn uns selber so bereitwillig durch seine Schriften offenbart.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Die Musik des Parsifal wird dadurch nicht schlechter, dass Wagner hier offenbar die "Erlösung vom Fluch des Ahasver durch das arische Christentum" zelebriert.


    Du wiederholst einmal mehr die kunstfeindliche Agitation deiner Vorredner.

    Ich habe euch eine Anleitung gegeben, wie man sich dem Thema wissenschaftlich(!) nähern kann. Anhand des Beispiels Bibel und Alkoholismus. Indem man die Texte anhand ihres Inhaltes zu verstehen versucht und die einzelnen künstlerischen Hilfsmittel (Wein in der Bibel, Beckmesser bei den Meistersingern) hinsichtlich ihrer Funktion im Gesamtzusammenhang des jeweiligen Werkes sieht. Selbstverständlich kann Wein ein Hinweis auf Alkoholismus sein. Und Ahasver kann eine antisemitische Figur sein. Aber in dem jeweiligen Zusammenhang sind sie es eben nicht. Und da ist es völlig irrelevant, wie der Autor privat zu dem Thema steht.

    Und was soll das überhaupt mit "Die Musik des Parsifal"???

    Der Parsifal ist doch kein Musikstück. Es ist Theater. Musiktheater. Und es enthält eine Grundidee. Diese ist ist maximal weit vom Antisemitsmus entfernt. Und es geht auch nicht um "arisches Christentum" (was für ein Bullshit), sondern um Erlösung durch Mitleid. Kundrys Problem ist nicht ihr von manchen herbeifantasiertes jüdisches Blut, sondern ihr fehlendes Mitleid, als sie damals einen gequälten Menschen verspottet hatte.

    Übrigens hätte Wagner ganz leicht antisemitische Bezüge beim Parsifal unterbringen können, nämlich in der Gestalt des Klingsor. Warum lässt er sich diese Gelegenheit entgehen? Weil ihn das Thema in diesem Zusammenhang schlichtweg nicht interessierte. Oder genauer: Weil es die künstlerische Aussage schwächen würde.

    Wagner war unter anderem auch ein fanatischer Künstler. Solche Leute gehen keine Kompromisse ein, jedenfalls nicht bei ihrer Kunst.


    Thomas

  • Du wiederholst einmal mehr die kunstfeindliche Agitation deiner Vorredner.

    Diese Aussage ist kompletter Unsinn.
    "kunstfeindlich" ist einzig dein unzulänglicher Versuch einer Reduktion von Wagner-Mucke zur Ikone bzw. seinen Parsifal auf weihevollen Andachtskitsch.

    Ich habe euch eine Anleitung gegeben, wie man sich dem Thema wissenschaftlich(!) nähern kann. Anhand des Beispiels Bibel und Alkoholismus. Indem man die Texte anhand ihres Inhaltes zu verstehen versucht und die einzelnen künstlerischen Hilfsmittel (Wein in der Bibel, Beckmesser bei den Meistersingern) hinsichtlich ihrer Funktion im Gesamtzusammenhang des jeweiligen Werkes sieht.

    Ja. Augenscheinlich von dir ernst gemeint, deshalb ist das recht lustig. Aber ist schon okay.

    Der Parsifal ist doch kein Musikstück. Es ist Theater. Musiktheater. Und es enthält eine Grundidee. Diese ist ist maximal weit vom Antisemitsmus entfernt. Und es geht auch nicht um "arisches Christentum" (was für ein Bullshit), sondern um Erlösung durch Mitleid. Kundrys Problem ist nicht ihr von manchen herbeifantasiertes jüdisches Blut, sondern ihr fehlendes Mitleid, als sie damals einen gequälten Menschen verspottet hatte.

    Das wurde bereits alles im Parsifal-Thread durchgekaut, mit entsprechenden Hinweisen. Deshalb 0- Bock nochmal drauf einzugehn.
    Dir steht es selbstverständlich frei, das autistisch in Endlosschleife zurückzuweisen. Nur verschwinden damit nicht Wagners antisemitische Bezüge.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ihr habt ein Gehirn, aber ihr weigert euch, es zu benutzen. Ihr habt das Denken outgesourct.

    Falls jemand selber denken will, hier eine kurze Anleitung dazu.

    Ja, die Verachtung von Kunst macht mich wirklich wütend.

    Wer das abstreitet, betreibt die gleiche Art von Kunstschändung, wie wir das z.B. von AfD-Wählern kennen.

    Ja, dazu muss schon ein bisschen was lesen. Aber keine pseudowissenschaftlichen Pamphlete.

    Du wiederholst einmal mehr die kunstfeindliche Agitation deiner Vorredner.


    :ohnmacht1:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich habe ja absolut keine Lust, mich in die Literatur zu dem Thema einzulesen, aber ich teile Eccliticos Skepsis gegenüber einem Betrieb, in dem die "Stoßrichtung" vor Aufnahme der wissenschaftlichen Arbeit fest steht, und in dem der "Nachweis" zu gutem Teil aus der zitattechnischen Vernetzung möglichst vieler gleicher Beurteilungen abgeleitet wird. Diese Probleme als Anlass zu nehmen, die gesamte Arbeit an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten als "unwissenschaftlich" zu bezeichnen, geht zwar zu weit, ich stimme aber überein, dass man durchaus sein eigenes Hirn benutzen darf, und dass man keineswegs verpflichtet ist, die Meinung des Geisteswissenschafts-Mainstreams zu teilen.

    Ich hoffe, dass das hier ohne gröberen Crash weitergehen kann ... ob es in Wagners Opern Antisemitismus gibt, ist für mich völlig offen. Wenn, dann ist er wahrscheinlich so unterschwellig, dass es nicht der Rede wert ist.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • ob es in Wagners Opern Antisemitismus gibt, ist für mich völlig offen

    Dass lässt sich ja auch nur klären wenn

    Ich habe ja absolut keine Lust, mich in die Literatur zu dem Thema einzulesen,

    man genau das vermeidet, denn ohne Literaturstudium geht es nicht.

    Wenn Wagners Antisemitismus tatsächlich nur unterschwellig in seinen Werken vorhanden wäre, dann stellt sich die Frage warum so viele Kommentatoren ihn genau dort verorten. Man kann wohl kaum unterstellen das die alle voreingenommen sind.

    ich stimme aber überein, dass man durchaus sein eigenes Hirn benutzen darf,

    z.B. dazu sich mit dem Leben Wagners und seinen Schriften zu befassen, um Indizien zu sammeln die uns ein Bild ermöglichen. Die Libretti geben das nicht her. Wagner hat kein "privates" Leben geführt mit einer Trennung von Arbeit und Privatspäre. Er hat sich als künstlerischer Geist begriffen, bei dem sich alles um seine Kunst drehte (s. dazu seine Autobiografie). Demzufolge ist sein Denken untrennbar mit seinem Werk verbunden. Und wer sich so ausgiebig mit dem Judentum beschäftigt, legt diese Obzession nicht ab wenn er neue Werke schafft. Schon gar nicht, wenn sich jemand nicht nur als Musiker sondern vor allem als Dramatiker begreift.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • ich stimme aber überein, dass man durchaus sein eigenes Hirn benutzen darf, und dass man keineswegs verpflichtet ist, die Meinung des Geisteswissenschafts-Mainstreams zu teilen.

    sich einem angeblichen Mainstream nicht zu verweigern, ist nicht gleichzusetzen, damit seine eigene Rübe bloß als Hutständer zu benutzen.
    Wagners Antisemitismus in seinem Werk bildet keineswegs Mainstream, weil auch Autoren, Regisseure, Musiker das bagatellisieren bzw. bestreiten.
    Und Meinung als Bestandteil des Mainstreams, sagt nichts über ihre Triftigkeit aus…

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Ganz ehrlich:Die bisherige Diskussion (auch die länger zurückliegenden Teile davon) habe ichmit steigender Verwunderung verfolgt. Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?

    Das ganze läuft doch (in der Causa Wagner) auf eine Diskussion mit Scheinargumenten hinaus!

    Fragen wir doch mal anders: Wie antisemitisch (rassistisch, sexistisch, what ever) darf IRGEND jemand sein? Ist es dabei irgendwie von Interesse, welchen Beruf derjenige ausübt? Wenn er jetzt z.B. Maurer wäre, dürfte er antisemitsch sein? Doch nicht, oder? Auch nicht wenn er qualitativ hochwertige Häuser baut. Dürfte er es sein, wenn man es seinen Gebäuden nicht ansieht, daß er antisemitich (rassistisch, sexistisch...) ist? Das wäre doch offensichtlich Quatsch, denn was hat das Produkt seiner Arbeit mit seiner diesbezüglichen Einstellung zu tun? Nichts! Und: würde man versuchen, seine Einstellung zu relativieren, wenn man es im Bauwerk nicht nachvollziehen kann? Doch kaum! Dürfte er es sein, wenn er sich publizistisch (oder anderweitig öffentlich) in diesem Sinne äußert? Selbstverständlich nicht,das würde zumindest heute u.U. den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen.Aber auch wenn unser Maurer erwiesen antisemitisch (rassistisch, sexistisch...) wäre, würde man wohl kaum deswegen die von ihm gebauten Häuser abreissen.

    Also: Was unterscheidet einen Künstler moralisch (und strafrechtlich) vom Rest der Menschheit, daß Diskussionen darüber geführt werden können, wie antisemitisch (rassistisch, sexistisch...) jemand sein DARF? DARF ein Regisseur sexuelleGewalt ausüben, WEIL er Künstler ist? Darf er es, wenn (oder weil) er in seinen Filmen keine Vergewaltigungen verherrlicht? Aber wenn er's macht, dann doch? Damit wird es zwar noch schlimmer, aber relativiert das die Tat an sich, wenn er es nicht macht? Darf er es, weil es andere Regisseure auch machen? (Um hier keinen sinnlosen Nebenkriegsschauplatz aufzumachen: Es geht mir hier um die Fragestellung als solcher, nicht um reale Fälle mit der Problematik der Vorverurteilung!)

    Ihr seht: Wenn man den Sachverhalt "Küntler und Unrecht" mal unter einem etwas weiteren Gesichtspunkt sieht, dann wird es sehr schnell sehr skurril, wenn man da Sonderbehandlung reklamieren möchte.

    Wagner hat eine fatale Hetzschrift verfasst und die auch noch mehrfach publiziert, weil ihm das Echo auf die Erstveröffenlichung nicht groß genug war. Fakt. Nicht zu diskutieren. Auch nicht mit dem Argument, daß andere ja auch so etwas verfasst haben. Unrecht wird nicht Recht, weil es andere auch begehen. Es bleibt verwerflich. Ob er anderweitig bleibende Werte geschaffen hat, ist bei dieser Betrachtung völlig irrelevant.Ganz im Gegenteil: Wenn jemand schon einen gewissen Ruf in der Öffentlichkeit hat, vielleicht sogar Vorbildfunktion, auf welchem Gebiet auch immer ("Künstler"), dann ist auch seine Verantwortung für solche Publikationen höher, weil er eine größere Reichweite hat, als das Geschwätz am Stamtisch in Hintergraswachshöring. Und es ist dabei auch irrelevant, ob jemand dabei ein Unrechtsbewußtsein hatte oder nicht (hatte Wagner nicht, sonst wäreer in diesem Punkt kein Wiederholungstäter)

    Bleibt noch das Argument, daß er das, was ein paar Jahrzehte später tatsächlich geschehen ist, ja nicht voraussehen konnte und sicher nicht beabsichtigt hat. Im Prinzip bleibt Letzteres Spekulation: Wir wissen nicht, ob er (und was er) gutgeheißen hätte oder nicht - die Frage ist müßig. Aber konnte er es tatsächlich nicht voraussehen? Die Shoa vielleicht nicht, aber was hat er denn mit seinem Pamphlet bezweckt? "Gewiß hatte ich schon bei der Abfassung und Veröffentlichung jenes Aufsatzes Nichts weniger im Sinne, als den Einfluß der Juden auf unsre Musik mit Aussicht auf Erfolg noch zu bekämpfen" (Gesammelte Schriften und Dichtungen Bd.8, S. 320) Ist das ein anderes Ziel, als das, was die Reichskammer für Musik (die für bildende Kunst, Theater, Film, Schrifttum usw. entsprechend) ab 1935 unter Peter Raabe durch Ausschluß aller jüdischen Musiker und durch Aufführungsverbote von Werken jüdischer Komponisten realisiert hat? Wieso schreibt man so etwas, wenn man nicht möchte, daß es realisiert wird? Nur so zum Nachdenken.

    Und noch etwas zum Nachdenken: Das Thema lautet "Wie antisemitisch darf ein Künstler sein", nicht: "Sind Wagners Opern antisemitisch"...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ganz ehrlich:Die bisherige Diskussion (auch die länger zurückliegenden Teile davon) habe ichmit steigender Verwunderung verfolgt. Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?

    diese Frage ist mit Sicherheit von ihren Urhebern (den Herausgebern des gleichnamigen Musik-Konzepte-Bandes) nicht so verstanden worden, als stünde zur Debatte, ob ein Künstler, quasi durch sein Künstlertum entschuldigt, in gewissem Maße antisemitisch sein dürfte, und dieses Maß eben zur Diskussion gestellt wäre.

    Ich verstehe die Frage so, daß sie ergänzungsbedürftig ist, und die Ergänzung unser Verhältnis zu dem Werk des Künstlers befragt, beispielsweise so:

    Wie antisemitisch darf ein Künstler sein ... damit wir sein Werk pflegen und aufführen dürfen, und falls ja, in welcher Weise - oder dürfen wir dies nicht, sondern müssen es vielleicht bekämpfen?

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Und noch etwas zum Nachdenken: Das Thema lautet "Wie antisemitisch darf ein Künstler sein", nicht: "Sind Wagners Opern antisemitisch"...

    wie kürzlich noch zitiert, hat Amfortas bei Threaderöffnung an eine ganze Reihe von Fragestellungen gedacht.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Gab es in Europa/Deutschland zur Zeit Wagners (bis zum Ende der Weimarer Republik) [der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung] vergleichbare Bewegungen oder irgend welche bekannten Politiker, um grassierenden Antisemitismus die rote Schiri-Karte zu zeigen ?

    auf ein Beispiel stoße ich gerade (keine Ahnung, welches Gewicht diesem zukommt):

    [Lang, Julius]: Der Antisemitismus vom katholischen Standpunkt als Sünde verurtheilt. Studie über die Frage: Kann ein gläubiger Katholik Antisemit sein? - Wien: Verlag zur Abwehr des Antisemitismus, 1891.
    (Hat immerhin anscheinend mehrere Auflagen gegeben).

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Wenn Wagners Antisemitismus tatsächlich nur unterschwellig in seinen Werken vorhanden wäre, dann stellt sich die Frage warum so viele Kommentatoren ihn genau dort verorten. Man kann wohl kaum unterstellen das die alle voreingenommen sind.

    Im Gegenteil: Davon muss man ausgehen in Anbetracht der deutschen Geschichte.

    Zitat

    z.B. dazu sich mit dem Leben Wagners und seinen Schriften zu befassen, um Indizien zu sammeln die uns ein Bild ermöglichen. Die Libretti geben das nicht her. Wagner hat kein "privates" Leben geführt mit einer Trennung von Arbeit und Privatspäre. Er hat sich als künstlerischer Geist begriffen, bei dem sich alles um seine Kunst drehte (s. dazu seine Autobiografie). Demzufolge ist sein Denken untrennbar mit seinem Werk verbunden. Und wer sich so ausgiebig mit dem Judentum beschäftigt, legt diese Obzession nicht ab wenn er neue Werke schafft. Schon gar nicht, wenn sich jemand nicht nur als Musiker sondern vor allem als Dramatiker begreift.

    Nun ja, die Frage ist, ob durch die Übersetzung in mythologische Handlungen das, was da übersetzt wurde, noch das ist, was es vorher war. Und wenn die Libretti keinen Antisemitismus mehr hergeben, dann ist ja sozusagen keiner mehr drinnen. Da Antisemitismus im 19. Jahrhundert nicht verpönt war, gab es auch keinen Anlass, ihn zu verstecken.

    Ich finde die Eingangsfrage schon interessanter, wenn wirklich die Stereotypen offen daherkommen. Z.B. im Roman "Der Büttnerbauer", der den Untergang eines Bauern beklagt und den jüdischen Kapitalisten verdammt. Oder von mir aus das Judenquintett in der Salome. Zwei Beispiele, die mir allerdings auch keine Probleme beim genüsslichen Rezipieren bereiten, da ich hier nicht irgendwelche Unterdrückungsgelüste im Vordergrund sehe. Polenz steht ja auf der Seite des Schwachen, das liest sich eigentlich so ähnlich wie die kommunistische Propaganda von Brecht u.a.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
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  • sich einem angeblichen Mainstream nicht zu verweigern, ist nicht gleichzusetzen, damit seine eigene Rübe bloß als Hutständer zu benutzen.
    Wagners Antisemitismus in seinem Werk bildet keineswegs Mainstream, weil auch Autoren, Regisseure, Musiker das bagatellisieren bzw. bestreiten.
    Und Meinung als Bestandteil des Mainstreams, sagt nichts über ihre Triftigkeit aus…

    Du hast ja in allem völlig Recht.
    :)
    Ich hatte Ecclitico allerdings so verstanden, dass er es ablehnt, wenn jemand ein Buchcover postet, und meint, damit sei alles bewiesen. Da wollte ich ihn unterstützen ... und wenn bei Wagner der Mainstream tatsächlich nicht dahingeht, in den Opern lauter Antisemitismus-Äußerungen zu sehen, freut mich das.

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  • Zum Verständnis des "Parsifal" wie auch des "Rings" halte ich es für unabdingbar, die Weltsicht Wagners und vor allem auch sein Verhältnis zum Judentum zu kennen. Das ist weder eine künstlerische Bewertung noch eine Wertung von Wagners Geisteshaltung. Gedanken wie Erlösung, neue Religion, Kapitalismus oder eben die Gefährdung der deutschen Rasse durch das Judentum spielen dabei eine besondere Rolle, und sind elementarer Bestandteil dieser beiden Werke.

    Die Eingangsfrage hingegen kann man je nach Standpunkt sehr einfach beantworten. Als Gegener jeglichen Antisemitismus mit "überhaupt nicht" und als Verfechter einer antisemitischen Haltung mit "so viel er mag". Damit wäre dieser Thread also an sein Ende gelangt. Weitere Diskussionen erübrigen sich, bzw. müssten von den beiden Fraktionen geführt werden. Steht hier jemand offen für Fraktion 2? Dann bitte loslegen. Ansonsten wären wir uns alle einig.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Ich hatte Ecclitico allerdings so verstanden, dass er es ablehnt, wenn jemand ein Buchcover postet, und meint, damit sei alles bewiesen

    Eccliticos Posting wies generell Studien über Wagners Antisemitismus zurück; also war nicht bloß auf Postings von Cover bezogen.

    und wenn bei Wagner der Mainstream tatsächlich nicht dahingeht, in den Opern lauter Antisemitismus-Äußerungen zu sehen, freut mich das.

    .. und in wagner-kritischen Schriften wie z.B. im Gutman oder im Büchlein "Versuch über Wagner" (die einen beim Reinziehn nicht besonders mainstreamig rüberkommen) wird Wagners Werk keinesfalls auf seinen Antisemitismus reduziert. Auch Gielen hob mal in einer Preisrede hervor, Wagner nicht bloß als Antisemiten zu verstehen (ohne allerdings diesen antisemitischen Teil darin zu unterschlagen !) wie z.B. Schönberg nicht bloß als Kleinbürger und Monarchist.. .....

    Zum Verständnis des "Parsifal" wie auch des "Rings" halte ich es für unabdingbar, die Weltsicht Wagners und vor allem auch sein Verhältnis zum Judentum zu kennen

    deshalb würde ich das gerne dahin etwas modifizieren, vielleicht etwa so: Um einige Schichten in Wagners Ring oder Parsifal zu checken, halte ich es für unabdingbar, die Weltsicht Wagners und sein Verhältnis zum Judentum zu kennen...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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