Die Diskothek in SRF 2 Kultur widmete sich gestern, am 12.2.2018, Maurice Ravels Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand, und das habe ich zum Anlass genommen, nicht nur die Sendung, sondern danach auch die vier Aufnahmen, die mir zur Verfügung stehen (zwei davon gibt es auch in der Sendung), konzentriert durchzuhören.
Norbert Graf diskutierte die Aufnahmen in der Diskothek mit der Musikpublizistin Corinne Holtz und dem Pianisten Tomas Dratva.
Aufnahme 1: Jean-Yves Thibaudet, Orchestre symphonique de Montréal, Charles Dutoit (Decca 1995)
Aufnahme 2: Yuja Wang, Tonhalle-Orchester Zürich, Lionel Bringuier (DGG 2015)
Aufnahme 3: Leon Fleisher, Boston Symphony Orchestra, Seiji Ozawa (Sony 1990)
Aufnahme 4: Krystian Zimerman, London Symphony Orchestra, Pierre Boulez (DGG 1996)
Aufnahme 5: Jean-Efflam Bavouzet, BBC Symphony Orchestra, Yan Pascal Tortelier (Chandos 2010)
Die Sieger in der Diskothek sind Yuja Wang, für die Wertenden energiegeladen, farbenreich, elastisch souverän, alles drin von Unterhaltung bis zum Kriegsmarsch, aber auch (gleich gut) Bavouzet, genauso souverän, genau, dunkler und härter, mit rhythmischem Drive.
Mir stehen die Aufnahmen mit Krystian Zimerman und Yuja Wang sowie zwei historische Aufnahmen auf CD zur Verfügung.
Meine Höreindrücke:
Die Aufnahme mit Krystian Zimerman und dem von Pierre Boulez geleiteten London Symphony Orchestra (CD DGG 449 213-2) entstand im Juli 1996 in der Main Hall im Colosseum in Watford. Sie wirkt auf mich vom Pianisten her nobel-kontrolliert, in sich sehr rund. Auch das Orchester erscheint mir vielfach gedämpft. Innerlich höre ich das Werk exaltierter. Aber dann, in der großen Kadenz vor dem Ende, spielt Zimerman eine tief mitempfindbare Poesie aus, das bewegt schon ganz stark, so eintauchen in diese Musik, das muss man erst mal können.
Das Klangbild der im April 2015 in der Tonhalle Zürich entstandenen Aufnahme mit Yuja Wang und dem von Lionel Bringuier geleiteten Tonhalle-Orchester (CD DGG 479 4954) erscheint mir offener, das gibt schon einmal dem Orchester mehr Differenziertheit und Strahlkraft. Auch Yuja Wang spielt souverän „offen“, sie schafft es, eine starke Innenspannung aufzubauen und aufrecht zu erhalten, auch im Zusammenspiel mit dem Orchester. Wangs Interpretation hat wieder einmal auch etwas Kaltes, faszinierend Unheimliches für mich. Die kristallklare Brutalität des Marsches und der Kadenz wünscht sich etwas von Zimermans „liebevoll poetischem“ Blick aufs Geschehen. Beängstigend gut finde ich diese Züricher Aufnahme.
Einer der zeitlos ganz großen Interpreten dieses Ravel Konzerts war sicher der in diesem Thread schon genannte Pariser Pianist, Klavierlehrer und Komponist Robert Casadesus (1899-1972), der auch eine Zeit lang in engem Kontakt mit Ravel stand (allerdings vor der Komposition der Klavierkonzerte). Ich habe zwei Liveaufnahmen des Konzerts mit ihm, beide finde ich nun exzeptionell gut, von zeitloser Größe und pianistischer Kraft.
Die erste wurde am 30.10.1952 im Wiener Konzerthaus mit den von Sergiu Celibidache geleiteten Wiener Symphonikern aufgenommen (2 CDs Orfeo C 788 122 B), die zweite am 28.8.1957 bei den Salzburger Festspielen mit Dimitri Mitropoulos und den Wiener Philharmonikern (CD Orfeo C 586 021 B). Casadesus spielt bei beiden Livedokumenten mit beeindruckend präsenter Ausstrahlung, da offenbart sich eine singuläre Persönlichkeit, die drübersteht im besten Sinn – was dieser Pianist für eine Intensität aus dem Klavierpart herausholt, unglaublich! Die Wiener Aufnahme hält im Monoklang das Orchester hinter das Klavier zurück, trotzdem wird auch Celibidaches wuchtig-präsenter Ansatz für das Orchester mehr als deutlich, die Farben und Energien voll eruptiver Kraft, die der Dirigent da rausholt aus der Partitur. Die Salzburger Aufnahme aus dem Festspielhaus „bestätigt“ Casadesus´ Wiener Sternstunde souverän-kraftvoll. Mitropoulos gibt dem Orchester wie ich es höre einen opernhafteren, theatralisch auftrumpfenden, spektakulären Schlag, das macht auch mächtig Wirkung. Vor allem die Wiener Aufnahme von 1952 finde ich herausragend, ich meine man kann dieses Werk vielleicht anders spielen, aber nicht besser.