Das "Dresdner Amen": Aus der Kirche in den Konzertsaal und ins Opernhaus

  • Das "Dresdner Amen": Aus der Kirche in den Konzertsaal und ins Opernhaus

    Die nachfolgenden Beiträge stammen aus dem Thread Wagner wird zitiert - warum?, wo es darum geht, Stellen zu finden und zu besprechen, in denen unterschiedliche Komponisten aus Werken Richard Wagners zitieren. Dabei fiel auch das Stichwort "Dresdner Amen", eine kirchenmusikalische Floskel, die u. a. von Felix Mendelssohn Bartholdy (Symphonie Nr. 5 d-moll op. 107) und Richard Wagner (Parsifal) aufgegriffen wurde. Da die Diskussion darüber nicht zum ursprünglichen Thema paßt, sondern eine eigene Besprechung verdient, habe ich sie hierhin ausgegliedert.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Mir fällt da so eine Übereinstimmung zwischen einer Passage in Mendelsohns Reformations-Symphonie und - war es nicht eine Passage aus dem Tannhäuser? Ich weiss nicht mal was da zuerst da war, also wer da vom wem abgekupfert hat.

    ... Alle Menschen werden Brüder.
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  • Mir fällt da so eine Übereinstimmung zwischen einer Passage in Mendelsohns Reformations-Symphonie und - war es nicht eine Passage aus dem Tannhäuser? Ich weiss nicht mal was da zuerst da war, also wer da vom wem abgekupfert hat.


    Laut Wikipedia stammt die Reformationssymphonie von 1832 (Uraufführung) bzw. 1829/1830 (Komposition) - da gab's noch keinen Tannhäuser. Wenn, dann ist das also von Mendelssohn zu Wagner gewandert. Ist aber auch unwahrscheinlich, denn Mendelssohns Symphonie ging erst 1868 in den Druck, und da gab's den Tannhäuser schon.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Wagner im Parsifal aus der Reformationssymphonie, oder? Ach nee, genauer:

    Zitat


    Beim Dresdner Amen handelt es sich ursprünglich um eine mehrstimmig gesetzte Antwort des Chores, die in Messen der Katholischen Hofkirche in Dresden gesungen wurde.

    Dresdner Amen
    Seine Herkunft ist nicht ganz geklärt. Das Dresdner Amen ist für die Musik des 19. Jahrhunderts von großer Bedeutung. Unter anderem wurde es von Felix Mendelssohn Bartholdy im Kopfsatz seiner Reformations-Sinfonie und von Gustav Mahler im Schlusssatz seiner 1. Sinfonie verwendet. Auch hat es als zentrales Thema des dritten Satzes seiner 9. Sinfonie verarbeitet.

    Besonders regen Gebrauch machte Richard Wagner von diesem musikalischen Fragment. Er zitiert es im Liebesverbot, im Tannhäuser und vor allen Dingen im Parsifal, wo es als Grals-Leitmotiv erklingt.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Wagner im Parsifal aus der Reformationssymphonie, oder?

    Ich glaube, da geht es um das sogenannte "Dresdner Amen", eine aus der Kirchenmusik geläufige Kadenz, die Mendelssohn in seiner "Reformationssymphonie" vermutlich bewußt aufgreift. Ob es Wagner dagegen bewußt war, daß er im Parsifal ("Gralsmotiv"?) sächsische Sakralmusik und Felix Mendelssohn Bartholdy zitiert, das wäre eine Frage, auf die ich keine Antwort habe - gehört aber eigentlich nicht zum Thema, denn hier zitiert Wagner selbst.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Beim Dresdner Amen handelt es sich ursprünglich um eine mehrstimmig gesetzte Antwort des Chores, die in Messen der Katholischen Hofkirche in Dresden gesungen wurde.

    das ist jetzt ot, aber das wiki-zitat sollte nicht so unkorrigiert hier stehen bleiben:

    das "Dresdner Amen" hat mit der Hofkirche nichts zu tun, es wurde in der Liturgie der Kreuzkirche verwendet und vermutlich auch in den anderen protestantischen Kirchen Dresdens. Mendelssohn hat natürlich in seiner Reformationssinfonie, die anlässlich des 300. Jahrestages der Confessio Augustana komponiert wurde, ein protestantisches Motiv verwendet. Ob Wagner das "Amen" von der Reformationssinfonie hat oder aus seiner Dresdner Zeit kannte, lässt sich wohl nicht mehr nachvollziehen

    "Im Augenblick sehe ich gerade wie Scarpia / Ruggero Raimondi umgemurxt wird, und überlege ob ich einen Schokoladenkuchen essen soll?" oper337

  • das "Dresdner Amen" hat mit der Hofkirche nichts zu tun, es wurde in der Liturgie der Kreuzkirche verwendet und vermutlich auch in den anderen protestantischen Kirchen Dresdens. Mendelssohn hat natürlich in seiner Reformationssinfonie, die anlässlich des 300. Jahrestages der Confessio Augustana komponiert wurde, ein protestantisches Motiv verwendet. Ob Wagner das "Amen" von der Reformationssinfonie hat oder aus seiner Dresdner Zeit kannte, lässt sich wohl nicht mehr nachvollziehen

    Das stimmt meiner Meinung nach auch nicht ganz: das Dresdner Amen stammte ursprünglich (18. Jh.) durchaus aus der (katholischen) Liturgie der Dresdner Hofkirche, verbreitete sich dann aber ab Anfang des 19. Jh. auch in den lutherischen Kirchen der Stadt. Wagner war seit 1822 Schüler der Dresdner Kreuzschule und musste als solcher an den Gottesdiensten der Kreuzkirche teilnehmen. Es spricht alles dafür, dass er das Motiv dort kennengelernt hat. Es taucht variiert schon in seinem Liebesverbot und im Tannhäuser auf. Vor Mendelssohn haben bereits Carl Loewe und Louis Spohr das Dresdner Amen in Kompositionen zitiert - letzterer in einem Adagio, das nach Angabe des Komponisten "eine Szene aus der katholischen Hofkirche in Dresden" schildert. Meine Ausführungen speisen sich aus "http://www.dw-world.de/popups/popup_pdf/0,,1306648,00.pdf" diesem informativen Radiofeature. Das Thema haben wir auch schon hier behandelt: "Questa poi la conosco pur troppo" - Das musikalische Zitat

    Zum Thema dieses Threads sag ich gleich auch noch was.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • das Dresdner Amen stammte ursprünglich (18. Jh.) durchaus aus der (katholischen) Liturgie


    Hallo Bernd,

    danke für die Korrektur und Ergänzung. Jetzt wird's noch mehr ot: interessant wäre, ob Mendelssohn gewusst hat, dass er ein ursprünglich katholisches Motiv verwendet. Gibt's einen Mendelssohn-thread, in dem man das weiterverfolgen könnte?

    "Im Augenblick sehe ich gerade wie Scarpia / Ruggero Raimondi umgemurxt wird, und überlege ob ich einen Schokoladenkuchen essen soll?" oper337

  • Daß nicht nur Mendelssohn und Wagner sich für das "Dresdner Amen" interessierten, sondern anscheinend auch Anton Bruckner und Gustav Mahler, läßt sich hier nachlesen:

    http://www.dw-world.de/popups/popup_pdf/0,,1306648,00.pdf

    :wink:

    Bei Bruckner und Mahler ist ja allerdings gar nicht mehr zu eruieren, ob sie das Dresdner Amen als musikalisch-liturgische Floskel kannten oder ob sie Mendelssohns Reformationssinfonie oder Wagners Parsifal oder beides zitieren. Ein religiöser Kontext im weitesten Sinne ist aber immer gegeben.


    Jetzt wird's noch mehr ot: interessant wäre, ob Mendelssohn gewusst hat, dass er ein ursprünglich katholisches Motiv verwendet.

    Schwierig rauszukriegen. Keine Ahnung, ob sich die Mendelssohn-Forschung damit befasst hat. Bruckner hat, wie das erwähnte Radiofeature meint, die Reformationssinfonie ja auch gut gekannt - und zitiert sie als erzkatholischer Komponist. Wobei er vielleicht doch eher Parsifal meint, was wieder die Frage nach der Gewichtung der Intention aufwirft... :S


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Zitat

    Beim Dresdner Amen handelt es sich ursprünglich um eine mehrstimmig gesetzte Antwort des Chores, die in Messen der Katholischen Hofkirche in Dresden gesungen wurde.


    Das stimmt meiner Meinung nach auch nicht ganz: das Dresdner Amen stammte ursprünglich (18. Jh.) durchaus aus der (katholischen) Liturgie der Dresdner Hofkirche, verbreitete sich dann aber ab Anfang des 19. Jh. auch in den lutherischen Kirchen der Stadt.

    Das sollte sich leicht überprüfen lassen. Dann sollten wir es nämlich auch in Webers Messen für den Dresdner Hof wiederfinden.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Das sollte sich leicht überprüfen lassen. Dann sollten wir es nämlich auch in Webers Messen für den Dresdner Hof wiederfinden.

    ?(

    Nur weil das "Dresdner Amen" als musikalische Amen-Floskel im liturgischen Alltag verwendet wurde, heißt das ja nicht, dass sich das Motiv in jeder für die Hofkirche komponierten Messe wiederfinden muss.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Höre grad Parisfal (Barenboim, Kupfer, Tomlinson etc.). Staatsoper Berlin.
    Dachte, ich guck mir mal das Dresdner Amen an.

    Da ist jetzt auf Wikipedia zu lesen:
    Johann Gottlieb Naumann hätte das komponiert.
    15 Jahre älter als Mozart.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Dresdner_Amen

    Etwas verknappt, keine Kadenz über Parallele und Subdominante wie bei Wagner (jetzt lacht mich Zwielicht wieder aus) wie bei Wagner, aber erkennbar.

    Die Dresdner sind bekannt für ihre Selbstliebe. Fragt mal Leute, die dort wohnen und nicht eingeboren sind.
    Also. Stimmt das mit dem Naumann?

    Interessante Lektüre übrigens zum Thema Wagner / Mendelssohn von Hansjörg Ewert, Uni Würzburg:

    http://www.zeit.de/zeit-geschicht…rer-neu/seite-3

    Besonders schön:

    "Wagner aber war unauflösbar beides: Meisterdieb und Originalgenie."


    audi

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Hier das Bild, das bei Wiki zu sehen ist:

    [Blockierte Grafik: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/7b/Dresdner_Amen.png/220px-Dresdner_Amen.png]

    Wenn ich B-Dur als Grundtonart annehme, dann ist das doch S - Sp - D (letztes Achtel im ersten Takt) - T?

    Eigentlich dasselbe wie bei Wagner (ab Takt 2):

    [Blockierte Grafik: http://www.rwagner.net/midi/parsifal/p03.jpg]

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ist aber eher Es-Dur. Me thinks.

    Ich würde im Zweifelsfalle auf den Schlussakkord schauen ... damit geht die Gemeinde nach dem Schlusssegen plus Amen nach Hause.

    Aber egal, wenn wir Es-Dur für die Dresden-Version annähmen, dann müssten wir bei Wagner Des-Dur annehmen. Dann sind die Funktion alle um eine Quinte verschoben (T - Tp - DD - D) und immer noch auf beiden Seiten dieselben.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • ich würde im Zweifelsfalle auf den Schlussakkord schauen ... damit geht die Gemeinde nach dem Schlusssegen plus Amen nach Hause.

    Nee nee, die gehen mit einer Dominante nach Hause. Bei Wagner nicht.
    Aber das letzte Wort ist ja mit diesem Amen noch nicht gesprochen.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Dieser Beitrag und die nachfolgenden Beiträge (bis einschl. Nr. 33) wurden aus dem "Wagner-Bücher"-Thread hierher verschoben.
    Lionel - Für die Moderation -


    (Dass Drüner wieder die alte Geschichte aufwärmt, nach der Wagner das Gralsmotiv des »Parsifal« der Reformationssinfonie entnommen habe, wobei ihm anscheinend nicht einmal auffällt, dass dasselbe Motiv schon im »Liebesverbote« und im »Tannhäuser« vorkommt, passt da perfekt ins Bild.)

    PS: Das "Motiv" ist doch einfach das Dresdner Amen und dürfte auch Wagner vermutlich doch nicht nur aus der Reformationssinfonie bekannt sein.

  • PS: Das "Motiv" ist doch einfach das Dresdner Amen und dürfte auch Wagner vermutlich doch nicht nur aus der Reformationssinfonie bekannt sein.

    Vor allem ist es überaus unwahrscheinlich, dass er die »Reformationssinfonie« überhaupt gekannt hat. Während es sehr wahrscheinlich ist, dass er das Dresdner Amen genau dort kennengelernt hat, wo es herstammt, nämlich in Dresden. Da wurde diese Formel sowohl in der Hofkirche als auch in der Kreuzkirche verwendet. Außerdem kommt es auch bei einigen anderen Komponisten der Zeit vor, wenn es um sakrale Inhalte geht. Und schließlich hat Wagner das Motiv nicht nur im »Parsifal« verwendet. Das alles scheint Drüner, dem Autor der bahnbrechenden Wagner-Biografie nicht bekannt zu sein.

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