Dichten - aus welcher Motivation?

  • ch Was bitte sind "mediokre Panagyriken"? Tolles Wort!

    Gedichte verstehen...?
    Welches ist denn das "richtige" Verständnis?
    Die korrekte Einordnung in irgendeine erlernte Schublade?
    Oder wenn einem beim Lesen tolle Bilder vor dem inneren Auge erscheinen?
    Wenn man sich tief berührt fühlt? (Auch ohne zu wissen wieso?)
    Das Empfinden von Ehrfurcht vor einer gelungenen Wortkomposition?
    Oder reicht es zu wissen, dass der Dichter eine gute Reputation hat, um ein Werk zu würdigen?

    Ausgenommen die erste und die letzte genannte Möglichkeit sind dies für mich die Kriterien ein Gedicht oder Lyrik für "gut" oder nicht gelungen zu finden.
    aber ich bin ja auch nur Teilzeithausfrau!

    Lustig fand ich das Statement von Florian, laut dessen nur derjenige Gedichte verfassen sollte, welcher sich drei aktuelle Gedichtbände im Jahr gekauft- und gelesen hat!

  • Man kann das Einfachste kompliziert machen, das sehe ich ein. Und Empfindlichkeiten entwickeln, wo Empfindungen angebrachter wären.

    Also zum Ersten: Es gibt Literatur, die gefällt einem, und Literatur, die gefällt einem weniger oder nicht. Das ist wie bei der Musik. Das ist Geschmacksache und über Geschmäcker sollte man nicht streiten.

    Wie bei der Musik lernt man im Laufe der Beschäftigung, Gutes und weniger Gutes zu Unterscheiden. Die brave Truppe, die Metallica nachspielt, ist eben nicht Metallica. Wenn man sich bei Metal nicht auskennt, hört sich (fast) alles gleich an, kennt man sich aus, hört man sofort, was neu ist und was geklaut.

    Man kann sich mit dem zufrieden geben, was die Schulband leistet (und die Mädels und Jungs sind nicht schlecht), aber die meisten fahren erst richtig ab, wenn da Profis anrücken - einfach, weil die wissen, was sie tun, und aus einem guten Einfall ein gutes Stück machen.

    Bei Literatur ist das ebenso. Jeder Interessierte wird Gutes und weniger Gutes unterscheiden, er wird es vielleicht nicht ausdrücken können, warum er das eine gut und das andere weniger gut findet.

    Hier gegen Profis zu stänkern, ist ja wohl das Letzte. ich bin froh, dass es hier Profis in Sachen Jura gibt, da klappt das mit der Sorge ums Copyright, noch mehr freue ich mich aktive Musizierende und studierte Musikwissenschaftler an Bord zu haben. Willst Du mir vorwerfen, dass ich mich seit dem zarten Alter von 6 mit Literatur beschäftige, eine Menge geschrieben, Germanistik studiert zu haben, BTW um anderen Literatur zu vermitteln, wie ich versuche, Musik zu vermitteln?

    Die Mischung macht es, von Anfängern bis Profis haben wir alle an Bord. Das möchte ich gar nicht anders haben. Und man kann immer noch eine Menge voneinander lernen. Ich lese gerne von Deinen Erfahrungen on the road, und ich nehme an, Du liest mit dem gleichen Interesse meine Beiträge über Gluck. Und wenn Du das nicht tust, dann sind wir uns einig, hier soll es Deine und hier soll es meine Beiträge geben. Wir haben alle unsere Leser, manchmal auch diesselben.

    Wenn hier also Gedichte veröffentlicht werden, kann jeder seine Eindrücke äußern, das Rezeptionstheoretiker bin ich daran mächtig interessiert. Ob nun Hausfrau oder Hausmann. Mit meiner Pflegekraft kann ich über Literatur von Dante bis heute sprechen, und selbstverständlich nehme ich ihre Eindrücke Ernst.

    Um das "richtige" Verständnis ist es bei den Beiträgen zur Musik doch (außer in den RT-Diskussionen, die ich eher karnevalistisch verstehe) nie gegangen, warum soll das bei Literatur anders sein. Die Mehrschichtigkeit, die Mehrdeutigkeit ist es doch, was gerade Lyrik ausmacht.

    Die korrekte Einordnung in die erlernte Schublade - was zum Teufel soll das sein? In meinem ganzen Ausbildungsgang als Germanist gehörte ich eher zu den Leuten, die (Epochen-)Schubladen frech geöffnet und einiges durcheinander gebracht haben. Welche Schublade soll ich erlernt haben ineinem Studium, das sich mit Gegenwartslyrik allenfalls am Rande beschäftigte? Analyse-Methoden habe ich allerdings gelernt, zu Hauf. Und Geschichte. Entsprechend kann ich die Eigenschaften eines Barockgedichtes erkennen und zuverlässig beschreiben. Gegenwartslyrik ist für mich ein Feld, auf dem ich mich wie jeder andere immer neu orientieren muss, da hilft keine noch so gute Kenntnis des Barocks. Die Unterstellung einer mechanischen Einordnung finde ich anmaßend. Wo hast Du etwa bei mir oder bei anderen so etwas gelesen? Gedichte sind Individuen, jedes muss intensiv erfahren und erlebt werden, jedem versuche ich seine eigene Poetik abzulauschen.

    Beim Lesen sollen "tolle Bilder" erscheinen - manchmal ist das so, tatsächlich. Das kommt auch auf die Bildmächtigkeit der Vorlage an. Was bei mir auf jeden Fall nicht erscheint, ist ein Artikel aus einer philosophischen Enzyklopädie. Aber Melodien tun sich manchmal auf, Klangbilder, sich bewegende Strukturen. Öfter erscheinen innerliterarische Bezugssysteme, Erinnerungen an andere Literaten und was sie geschrieben haben.

    Natürlich gibt es (s.o.) Werke, von denen ich mich tief berührt fühle. Andere sehe ich tatsächlich mehr mit einem fachlichen Interesse an. Ich entdecke immer mal wieder einen Autor und stelle die Gedichte, die mir gefallen, bei Capriccio ein. Manchmal finde ich sie kurios, machmal lustig, manchmal interessant, manchmal haben sie mich tief berührt. Da habe ich sicher den Vorteil, dass ich somanches artikulieren kann, was bei anderen ungesagt bleibt. Das geht mir auch so, wenn ich hier Beiträge zu musikalischen Werken lese, die mir jemand aufschließt. Und da bin ich sehr neugierig. Über jeden Beitrag zu einem Werk freue ich mich.

    Eine gelungene Wortkomposition (ich nehme das einfach mal so) kann man in allen Bereichen der Sprache finden, nicht zuletzt auch in der Fachsprache. Sollte es Dichtkunst sein, verlange ich ein Stückchen mehr.

    Was hier an putativer Notwehr läuft, hat schon kabarettistisches Niveau. Kein einziger konkreter Kommentar steht da, aber es sammeln sich die Volkscharen, Heiligstes zu bewahren.

    Weiter so

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Jan Stenger, Altphilologe in Glasgow, hat die Betonung einer Vorbildlichkeit des eigenen Handelns mal als »Auto-Panergyrik« beschrieben.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Jan Stenger, Altphilologe in Glasgow, hat die Betonung einer Vorbildlichkeit des eigenen Handelns mal als »Auto-Panergyrik« beschrieben.

    Adieu,
    Algabal

    Der hielt wohl viel von sich ...

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Mein Lieblingsgedicht von Brecht ist "Die Legende vom toten Soldaten".

    Irgendwie gefällt mir auch "Vom ertrunkenen Mädchen" des gleichen Autors, aber irgendwie kommt es mir viel holpriger vor. Was ist davon zu halten? Worauf kann ich als Laie achten, damit ich mehr Freude daran habe?

  • Mein Lieblingsgedicht von Brecht ist "Die Legende vom toten Soldaten".

    Irgendwie gefällt mir auch "Vom ertrunkenen Mädchen" des gleichen Autors, aber irgendwie kommt es mir viel holpriger vor. Was ist davon zu halten? Worauf kann ich als Laie achten, damit ich mehr Freude daran habe?

    Auf den ersten Blick:

    "Die Legende vom toten Soldaten" hat kürzere Verse, es wechseln 4- und 3-Heber mit freier Füllung, aber einer deutlichen Tendenz zum Alternieren. Beim "Vom ertrunkenen Mädchen" dagegen sind die Zeilen länger, 5- und 4-Heber auch mit freier Füllung wechseln, es tauchen aber auch 6-hebige Verse auf ("Pflanzen und Tiere beschwerten noch ihre letzte Fahrt", "Erst ihr Gesicht, dann die Hände und ganz zuletzt erst ihr Haar"). Das gibt den Eindruck des Unregelmäßigeren, das Gedicht stemmt sich gegen das Alternieren.

    "Holprig" deutet auf Metrum bzw. Rhythmus; wenn man das Gedicht laut spricht, fallen Unregelmäßigkeiten auf.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Willst Du mir vorwerfen, dass ich mich seit dem zarten Alter von 6 mit Literatur beschäftige, eine Menge geschrieben, Germanistik studiert zu haben, BTW um anderen Literatur zu vermitteln, wie ich versuche, Musik zu vermitteln?

    Lieber Peter, ich wollte mit meinen Fragen niemandem etwas vorwerfen, und schon gar nicht Dir!
    Ich liebe die Vielfalt. Es verwirrt mich nur, wenn auf Teufel komm raus versucht wird eben diese in ein schlichtes GUT oder SCHLECHT einzuteilen. Darum habe ich einfach mal diese Fragen in den Raum gestellt.

    Hier gegen Profis zu stänkern, ist ja wohl das Letzte. ich bin froh, dass es hier Profis in Sachen Jura gibt, da klappt das mit der Sorge ums Copyright, noch mehr freue ich mich aktive Musizierende und studierte Musikwissenschaftler an Bord zu haben. Willst Du mir vorwerfen, dass ich mich seit dem zarten Alter von 6 mit Literatur beschäftige, eine Menge geschrieben, Germanistik studiert zu haben, BTW um anderen Literatur zu vermitteln, wie ich versuche, Musik zu vermitteln?

    :hide: ich wollte auch gewiss nicht stänkern. Es interessiert mich wirklich herauszufinden, wer hier wie zwischen Können und Dilettantismus unterscheidet.
    Ich fand Deine Ausführungen sehr interessant.
    (Aber das mit den 3 gekauften Bänden Zeitgenössischer Lyrik finde ich trotzdem lustig, das war allerdings nicht von Dir ;+) )

    Was hier an putativer Notwehr läuft, hat schon kabarettistisches Niveau. Kein einziger konkreter Kommentar steht da, aber es sammeln sich die Volkscharen, Heiligstes zu bewahren.

    Was ist putative Notwehr? Mein Rechtschreibprogramm zeigt mir einen Rechtschreibfehler an, es kennt dieses Wort auch nicht.

    Danke an Algabal für die Erklärungen.

  • Zitat

    Danke an Algabal für die Erklärungen

    Sehr gern geschehen. :)

    Es gab aber nur eine Erklärung.
    Das andere war ein Kommentar.

    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Was ist putative Notwehr? Mein Rechtschreibprogramm zeigt mir einen Rechtschreibfehler an, es kennt dieses Wort auch nicht.

    Danke an Algabal für die Erklärungen.

    Es bedeutet "vorsorgliche Notwehr". Die Kenntnis des Wortes stammt bei mir aus Anfang der 70er, wo es im Zusammenhang mit Vermutungen auftauchte, dass Einsatzkräfte Schüsse auf (unbewaffnete) Mitglieder der linken Szene abgegeben hätten, bei denen davon ausgegangen worden war, dass sie bewaffnet seien. Da habe man in Notwehr gehandelt - vorsorglich, eben - lat. putativ.

    Es ist ein Beispiel dafür, was an Wortschatz in Gedichten verborgen sein kann - und wo kleine historische Hilfestellungen mehr als erwünscht sind. Ich habe vor, dieser Tage ein Gedicht ausführlicher zu besprechen, das ich aus einem Kindle-Band entnehme. Da ich nicht einfach zitiere, sondern die Zitate umfänglich kommentieren werde, sind die Zitate erlaubt (eines der Probleme, die man hat, wenn man mit Gegenwartslyrik umgeht. Stellt der Autor seinen Text selbst in das Forum, ist das natürlich kein Problem.)

    In der Lyrik erscheinen oft Bezüge, die Wissen voraussetzen. Ich habe einmal im Rahmen eines Seminars ein Gedicht aus Handkes "Deutsche Gedichte" umfassend analysiert, wo ohne die gute Kenntnis des Schachspiels nur ein Teil der Informationen zugänglich waren. Mit der umfassenden Analyse ließ sich da schon einiges schreiben. Übrigens ist das mir bei Beckett auch mal so gegangen, wo ein (scheinbares) Schachspiel beschrieben wurde. Literarische Texte mit Schachbezug sind leider selten, da muss man schon mehr an Weltwissen beibringen. Das ist die Frage (und die stellt sich ja bei der Klassischen Musik ähnlich): Was setzt der Autor eigentlich beim Rezipienten voraus - wieweit wird das, was der Leser/Hörer erfährt ohne das Wissen nicht etwas Anderes? Das Wissen kann bewusst eingebracht sein (Haydn erwartet etwa, dass man eine Scheinreprise erkennt, sonst verliert die ganze Stelle ihren Witz), es kann aber einfach auch gängiges Zeitwissen sein (jeder, der der Linken in den 70er nahe stand oder sich mit ihr beschäftigte, wusste war putative Notwehr bedeutet (Zitat wikipedia: "Beispiele für Entscheidungen auf der Grundlage putativer Notwehr sind das umstrittene Urteil zur Tötung Benno Ohnesorgs durch den Berliner Polizisten Karl-Heinz ..."). Das wurde damals auch in der DDR rezipiert, ist also nicht ein BRD-Sonderwortschatz, sondern ein Terminus aus der Juristerei, dessen allgemeine Kenntnis offenbar zeitgebunden war.

    Es gibt aber nichts, was man nicht wieder beleben könnte, fast nichts ...

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Nun habe ich Florians Anregungen aufgegriffen und lese gerade Gedichte von Lutz Seiler, Gerhard Falkner und Jan Wagner. Diese Reise sollte man sich gönnen.

    Bis bald
    corda vuota

  • Ich hoffe, Du berichtest dann von deinen Eindrücken. Denn die würden mich sehr interessieren!


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    Immer noch da ... ab und an.

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