J. S. Bach - Sechs Suiten für Violoncello Solo BWV 1007 - 1012

  • Hallo Thomas,

    Ah, danke für den Hinweis. Dann ist die links abgebildete die neue und die in aktuellem Remastering rechts abgebildete die alte Fassung:


    Welche aber sollte ich kaufen, wenn ich nur eine will? Kann man es so zusammenfassen, dass die alte spieltechnisch schlechter, dafür aber nicht so mainstreamig, sondern aufregender als die neue Fassung ist?


    Ohne einer ausführlicheren Befassung vorgreifen zu wollen - zu beiden Aufnahmen gäbe es einiges zu sagen - würde ich ohne wenn und aber zu der älteren raten. Die ist spieltechnisch durchaus nicht schlechter, aber - wie Lotte schon sagte - sehr rythmisch, agil und mit viel Spielwitz.

    Man darf bei der jüngeren Aufnahme aus 1992 nicht vergessen, dass sie im Zusammenhang mit einer filmischen Umsetzung der Suiten entstanden ist. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass Yo-Yo Ma die Tempi so gewählt hat, dass die Musik zu den einzelnen Filmszenen passt. Das geht auch sehr gut. Nur ohne Bilder funktioniert die Einspielung meiner Ansicht nach leider gar nicht. Wenn ich es krass ausdrücken wollte würde ich sagen, sie ist nicht "meditativ" sondern schlicht langweilig. Ohne richtige Spannung, teilweise nach meinem Eindruck fast "heruntergeleiert". Aber nichts für ungut: das ist meine ganz persönliche Auffassung. Es hängt nicht damit zusammen, dass Yo-Yo Ma langsamer spielt. Eine der längsten Aufnahmen ist die von Enrico Mainardi und die ist trotz der sehr betont langsamenen Tempi unerhört spannend und intensiv. Leider gibt es die wohl in Deutschland nicht mehr. Ein weiterer Nachteil ist, dass das Booklet auf japanisch ist. Aber in einem Interview gibt Mainardi Auskunft zu den Suiten und seiner Interpretationsweise.

  • RE: J. S. Bach - Sechs Suiten für Violoncello Solo BWV 1007 - 1012

    Was ist meine persönliche Lieblingsaufnahme ? Nun, das wechselt. Je nach Stimmung ziehe ich eine gute historische Aufnahme, wie die von Wispelwey oder Bylsma den eher modernen vor. Immer wieder komme ich aber auf die Aufnahmen von Janos Starker aus den sechzigern und von 1992, sowie die jüngere Aufnahme von Wen-Sinn Yang (2005) zurück. Und manchmal habe ich Lust, einfach nur in den ausladenden breiten Tönen von Mischa Maisky zu schwelgen.

    Lieber zatopek,

    welche Stimmungen werden Dir von diesen verschiedenen Interpreten vermittelt? Als einer, der 140 Einspielungen gesammelt hat, hast Du selbstverständlich Auskunftspflicht!
    Gibt es einzelne Suiten oder Sätze, die für Dich nur in bestimmten Interpretationen stimmig klingen?


    "Unter den bekannten Malern in Deutschland bin ich der ärmste, der schlecht bezahlteste."
    Markus Lüpertz (http://www.focus.de, 17.4.2015)

  • RE: RE: J. S. Bach - Sechs Suiten für Violoncello Solo BWV 1007 - 1012


    welche Stimmungen werden Dir von diesen verschiedenen Interpreten vermittelt? Als einer, der 140 Einspielungen gesammelt hat, hast Du selbstverständlich Auskunftspflicht!
    Gibt es einzelne Suiten oder Sätze, die für Dich nur in bestimmten Interpretationen stimmig klingen?

    Ich muss um Verständnis bitten, dass ich jetzt nicht ad hoc zu jeder Aufnahme eine genaue Beschreibung liefern kann. Vielleicht kommen wir im Laufe des Threads dazu. Nur zu kurz: die bereits genannte Aufnahme von Mainardi vermittelt mir persönlich eine sehr meditative Stimmung, ebenso wie die späteren Aufnahmen von Tortelier und Starker etwa. Die ebenfalls erwähnten Aufnahmen von Schiff, Harell oder auch Maria Kliegel empfinde ich als wesentlich anregender, lebhafter. Und dann gibt es noch Ausnahmeaufnahmen, wie die frühe von Anner Bylsma oder Pergamentschikow. Da höre ich sehr konzentriert nur der Musik zu, um mir ja keinen Ton entgehen zu lassen. Auch bei mehrmaligem Hören gibt es immer wieder etwas zu entdecken, kleine Verzierungen, Tempovariationen. Bei anderen bin ich nach kurzer Zeit recht entnervt...

    Zu deiner zweiten Frage: nein, denn das würde ja voraussetzen, dass es so etwas wie eine stimmige Interpretation gibt. Ich denke, Thomas aka Knulp hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die unsichere Quellenlage eine solche einzig richtige Interpretation ausschließt. Dazu kommt ja noch, dass aus den Bezeichnungen der einzelnen Sätze mit ihren Tanzformen es keine gesicherten Angaben über die jeweilige Spielweise zu geben scheint. Da sind Hirn und Herz des jeweiligen Interpreten gefragt, eine in sich schlüssige Interpretation vorzulegen.

    Heute sind wieder ein paar neue Aufnahmen gekommen von Götz Teutsch, den Cellisten des Berliner Philharmonischen Orchesters, Roel Diltjens, Iagoba Fanlo. Besonders gespannt bin ich auf die Einspielung von Dmitry Badiarov. Badiarov hat für Sigiswald Kuijken und Ryo Terakado Violoncelli da spalla nachgebaut und sich nun entschlossen, auf einem ebenfalls von ihm gebauten Instrument die Suiten selbst einzuspielen. Die muss ich jetzt erst einmal hören.

  • Nicht nur hören — bei Mstislav Rostropovich

    Die Suiten für Violoncello sind wahrlich ein weites Thema. An anderer Stelle hatte ich bereits einmal erwähnt, dass ich die Aufnahmen von Maurice Gendron aus dem Jahre 1964 sehr ansprechend und rund finde.


    Eine weitere sehr gelungene Aufnahme ist auf der Doppel-DVD von Mstislav Rostropovich zu finden. Das Aufnahmedatum ist 1991. In einer Einführung spricht Rosotropovich noch über die Suiten und seine Auffassung der einzelnen Sätze. Aufnahmeort ist die Basilika Sainte Madeleine in Frankreich. Da er selbst als Produzent wirkte, hatte er bei den Aufnahmen die alleinige Entscheidung was für gut befunden wird und was auf den „Müll“ kommt. Dies eröffnet dem Hörer und Zuschauer die ganz spezielle Sicht Rostropovichs auf die Cellosuiten.
    Es ist immer ein Genuss, sich einen heimischen Konzertabend mit Ihm zu gönnen. Alles schön groß auf die Leinwand projiziert. Da kann man auch ganz entspannt dem Meister „auf die Finger schauen“.

    Bei den historisch inspirierten Aufnahmen mag ich die von Jaap ter Linden sehr (die dazu auch noch sehr günstig zu haben ist). Er hat mich vor nicht allzu langer Zeit auf die jüngste Bärenreiter-Ausgabe der Cellosuiten aufmerksam gemacht, da er diese für die beste Ausgabe hält. Im Moment arbeite ich noch mit der Wiener Urtext Edition aus dem Jahr 2000. Demnächst werde ich mir wohl einmal die erwähnte von Bärenreiter anschauen und seine spieltechnischen Tipps in die Praxis umzusetzen versuchen.


    Grüße von
    corda vuota

  • PS: Bevor ich es vergesse, für alle aktiven Cellisten, denen bei der sechsten Suite das fünfsaitige Cello fehlt ;( oder die sonst grifftechnische Schwierigkeiten :wacko: damit haben: Es gibt in der Atelier-Edition Röhm für diese Suite eine Ausgabe, die um eine Quinte „tiefer gelegt“ wurde also von D-Dur nach G-Dur transponiert wurde. Aber das nur am Rande.

  • Danke, lieber Bernd. Meditativ wirken die Stücke auf mich besonders beim Live-Hören.

    Kennengelernt habe ich die Suiten mit Bylsmas 92er Aufnahme und bin davon natürlich geprägt. Vor allem von den schnelleren Sätzen habe ich noch keine Interpretation gehört, die mir besser gefallen hat. Freilich gibt es keine beste Einspielung, ich würde aber behaupten, "nirgends" klingen die Sätze tänzelnder - nach völlig fließenden Bewegungen, atemlos, energisch und leichtfüssig zugleich. Oder müssen barocke Tänze steifer klingen?

    Ich traue meiner Begeisterung allerdings selbst nicht recht. Ist dieser späte Bylsma vielleicht ein virtuoser Weichspüler?
    Was unterscheidet seine beiden Aufnahmen?
    Hatte er früher auch drei metallumsponnene Saiten verwendet und nur die A-Saite aus reinem Darm?


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    Markus Lüpertz (http://www.focus.de, 17.4.2015)

  • Cellosuiten und ihre Interpreten: Pablo Casals

    Es wurden jetzt schon mehrere interessante Aufnahmen angesprochen.

    Vielleicht können wir unsere Hörerfahrungen an Hand der einzelnen Interpreten austauschen.

    Beginnen würde ich mit der Einspielung von Pau (Pablo) Casals. Es gibt sie in mehreren Ausgaben mit verschiedenen Covern. Ich habe zwei und zwar eine von EMI aus der Serie "Great Recordings of the century" und eine von Naxos ("Naxos Historical"):



    Die EMI - Ausgabe hatte ich als erste und es war auch meine erste Aufnahme der Suiten überhaupt. Fas wäre damit die Geschichte erledigt gewesen, denn sie gefiel mir überhaupt nicht ! Was für ein "Geschrammel" ! Die Aufnahme-Qualität ist selbst für eine historische Aufnahme aussergewöhnlich schlecht, fast unterirdisch. Das Cello klingt sehr "kreischig" und ich fand es nur nervig. Die Stücke selbst sprachen mich überhaupt nicht an. Die CD wanderte nach einmaligem Hören sofort in das CD-Regal und verschwanden dort für Jahre aus meinem Hörfeld. Erst nachdem ich andere Aufnahmen gehört hatte und die Naxos-Aufnahme in meine Finger geriet, lebte mein Interesse wieder auf. Ich wollte es kaum glauben, aber das Remastering von Ward Marston hat den Klang des Cello deutlich runder und gefälliger werden lassen. Die Störgeräusche sind zwar immer noch extrem und wirklich "räumlich" klingt es auch nicht, aber jedenfalls muss ich nicht mehr fluchtartig das Zimmer verlassen.

    Oft hilft ja eine gelungene Interpretation über solche aufnahmetechnischen Mängel hinweg und tatsächlich scheinen nicht wenige Liebhaber der Suiten dieser Auffassung zu sein. Beispielhaft sei hier die Besprechung im "Schallplattenmann" genannt. Sal schreibt:

    Zitat

    Was man auf dem vorliegendem Album zu hören bekommt, ist es allemal wert, der musikliebenden Nachwelt präsentiert zu werden, denn Pablo Casals Interpretation der Bach'schen Cello-Suiten sind schlichtweg begeisternd und von der ersten bis zur letzten Sekunde tief bewegend. Mehr noch als seine technische Brillanz, die Variabilität seines Vibrato etwa oder die flexiblen Tempi, mehr noch als der wundervolle Klang, den er seinem Instrument zu verlocken vermag, wühlt Casals sehr persönliche Interpretation den Hörer auf.

    [http://www.schallplattenmann.de/a107269-Pablo-…ites-No-1-6.htm]

    Nun, ich finde, historisch bedeutsam ist die Aufnahme allemale, aber technisch und interpretatorisch dürfte sie heutigen Ansprüchen eigentlich kaum noch genügen. Zu Gute hatlen muss man, dass es die erste Gesamtaufnahme der Suiten überhaupt ist - auch wenn sie nicht in einem Stücken, sondern übe viele Jahre an verschiedensten Orten und unterschiedlichsten Bedingungen aufgenommen wurde.

    Nach meinem Eindruck "verschleift" Casals aber die Töne zu häufig. Sie kommen nicht präzise und klar und an einigen Stellen scheint er sich auch schlicht zu vergreifen. Ich kann das jetzt nicht im einzelnen belegen, weil mir die Fähigkeiten dafür feheln. Es ist mein Eindruck, den ich aus dem Vergleich mit vielen anderen Aufnahmen gewonnen habe. Gewiss sind wir auch daran gewöhnt, dass ein Interpret bestimmte Stellen so oft wiederholt und aufnimmt, bis auch die letzten Unebenheiten ausgebügelt sind. Und damals gab es diese Möglichkeiten wahrscheinlich auch noch nicht. Aber selbst eine Live-Aufnahme etwa von Jerome Pernoo klingt zumindest technisch ausgefeilter und ohne offenkundige Fehler. Aber vielleicht habe ich sie auch nur nicht gehört, kann ja sein ...

    Interpretatorisch spielt Casals die Suiten sehr bewegt, bestimmt auch mit viel Schwung. Aber in seine Interpretation die Tragik des europäischen Geschichte hineinlesen zu wollen, scheint mir denn doch ein wenig zu weit zu gehen. Sie dürfte eher in die Richtung einer "romantischen" Auffassung gehen. Damit ist sie wohl dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Für heutige Ohren, die auch an der historischen Schule geübt sind, ist diese Aufnahme aber kaum noch hörenswert. Wobei ich nicht missverstanden werden möchte: ich bin keineswegs der Ansicht, barocke Werke dürften nur historisch aufgeführt werden.

    Wie gesagt, ich bin nur Laie, kann selbst kein Cello spielen, nicht einmal Noten lesen. Nun würde mich interessieren, wie ihr die Qualität der Aufnahme einschätzt: hat sie mehr als nur historischen Wert ?

  • Freilich gibt es keine beste Einspielung, ich würde aber behaupten, "nirgends" klingen die Sätze tänzelnder - nach völlig fließenden Bewegungen, atemlos, energisch und leichtfüssig zugleich. Oder müssen barocke Tänze steifer klingen?


    Noch einen Spur mehr tänzerisch klingt für mich die Interpretation von Paolo Beschi. Schön artikuliert, sehr energisch und anregend. Er konzentriert ganz darauf die Charakteristika der Tänze auszuarbeiten und überzeugend darzustellen.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Hallo,

    Danke, lieber Bernd. Meditativ wirken die Stücke auf mich besonders beim Live-Hören.

    Kennengelernt habe ich die Suiten mit Bylsmas 92er Aufnahme und bin davon natürlich geprägt. Vor allem von den schnelleren Sätzen habe ich noch keine Interpretation gehört, die mir besser gefallen hat. Freilich gibt es keine beste Einspielung, ich würde aber behaupten, "nirgends" klingen die Sätze tänzelnder - nach völlig fließenden Bewegungen, atemlos, energisch und leichtfüssig zugleich. Oder müssen barocke Tänze steifer klingen?

    Ich traue meiner Begeisterung allerdings selbst nicht recht. Ist dieser späte Bylsma vielleicht ein virtuoser Weichspüler?
    Was unterscheidet seine beiden Aufnahmen?
    Hatte er früher auch drei metallumsponnene Saiten verwendet und nur die A-Saite aus reinem Darm?

    Bei der früheren Aufnahme aus dem Jahre 1979 verwendet Bylsma für die Suiten Nos.1 bis 5 ein Violoncello von Matteo Gofriller aus dem Jahre 1699 im Gegensatz zu dem Stradivari. In beiden Aufnahmen setzt er aber für die 6. Suite ein Violoncello Piccolo aus Tirol ein. Ich vermute, es ist dasselbe Instrument. Zu Bespannung habe ich leider keine Informationen finden können und es wäre vermessen würde ich behaupten, dass ich den Unterschied heraushören könnte.

    Diese frühe Aufnahme scheint mir fast noch ein wenig lebendiger, schwungvoller zu sein, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Ich muss aber zugeben, ich habe sie leider nur auf LP und schon längere Zeit nicht mehr gehört; auf CD scheint es sie derzeit nicht zu geben. Zu einem genaueren Vergleich müßte ich sie mir noch einmal vornehmen. Und dazu fehlt mir jetzt die Zeit, weil ich gerade noch einige andere Aufnahmen erstmalig durchhören möchte. Aber eines kann ich schon jetzt sagen: Bylsma ist meiner Auffassung nach mit Sicherheit kein "Weichspüler". Im Gegenteil: sein fast vibratoloses Spiel fordert vom Hörer schon einiges ab. Das mag durchaus nicht jeder, vor allem, wenn man einen "romantischen" Klang gewöhnt ist. Man vergleiche einfach mal seine Einspielung mit der von Mischa Maisky.

  • Liebe Lotte

    Es scheint im Allgemeinen bei den neueren Aufnahmen "in" zu sein, die Bach-Suiten langsamer zu spielen und diese Spielart als historisch intendiert zu betrachten. Ich dagegen mag die zuweilen etwas schnellere Gangart der älteren Aufnahme Yo Yo Ma´s, sie erzeugt einen Spannungsbogen, der mir gut gefällt.

    Das ist eine spannende Frage, wie sich die Interpretation der Suiten im Laufe der Jahre verändert hat !

    Ob man generell sagen kann, heutigen Tags würden sie "meditativer" eingespielt, wage ich aber zu bezweifeln. Es finden sich durchaus sehr moderne Aufnahmen, die um den "tänzerischen" Gehalt der Suiten betonen. Bei wiederholten Aufnahmen muss man auch bedenken, dass die Cellisten älter werden und deshalb vielleicht einfach einen Gang zurückschalten. Als Beispiel würde ich Starker und Tortelier nennen, deren spätere Aufnahmen deutlich ruhiger sind, als die früheren. Aber auch das gilt nicht uneingeschränkt; ein Gegenbeispiel wäre aus meiner Sicht Roel Diltiens.

    Wenn man eine Tendenz angeben wollte, so würde ich sie vielleicht eher darin sehen wollen, dass die Interpreten sich zunehmend um eine eigene Klangsprache bemühen, die sie von den bisher vertretenen abheben. Und das scheint mir auch verständlich zu sein.

  • Noch einen Spur mehr tänzerisch klingt für mich die Interpretation von Paolo Beschi. Schön artikuliert, sehr energisch und anregend.

    Beschis kräftigeres Spiel dürfte mich besonders in der 6. Suite überzeugen und in den Préludes.

    Es finden sich durchaus sehr moderne Aufnahmen, die um den "tänzerischen" Gehalt der Suiten betonen.

    Dazu gehört bestimmt auch die von Kuijken. Bin jedenfalls gespannt, was Du zu Badiarov schreibst.

    Zu Casals: mein Erstkontakt war leider ähnlich.


    "Unter den bekannten Malern in Deutschland bin ich der ärmste, der schlecht bezahlteste."
    Markus Lüpertz (http://www.focus.de, 17.4.2015)

  • Ob man generell sagen kann, heutigen Tags würden sie "meditativer" eingespielt, wage ich aber zu bezweifeln.


    Apropos langsame Interpretationen:

    Bei Alexander Kniazev dauert die sechste Suite über 40 Minuten. Die Allemande und die Sarabande sind sowas von langsam, das man es kaum aushalten kann. Obwohl ich meistens langsame Einspielungen mag (wie auch besonders schnelle: ich liebe scheinbar die Extreme), ist das schon so erbärmlich schleppend, das es mir davon schlecht wird. Laaaaaaangweilig. (P.S.: und lächerlich).
    (Interessanter Weise spielt er aber die erste Suite ganz flott.)

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Cellosuiten und ihre Interpreten: Alexander Kniazev

    Hallo Tamás

    Apropos langsame Interpretationen:

    Bei Alexander Kniazev dauert die sechste Suite über 40 Minuten. Die Allemande und die Sarabande sind sowas von langsam, das man es kaum aushalten kann. Obwohl ich meistens langsame Einspielungen mag (wie auch besonders schnelle: ich liebe scheinbar die Extreme), ist das schon so erbärmlich schleppend, das es mir davon schlecht wird. Laaaaaaangweilig. (P.S.: und lächerlich).
    (Interessanter Weise spielt er aber die erste Suite ganz flott.)

    Seine Interpretation ist bestimmt sehr eigenwillig. Die Tempi sind überaus extrem. Aber ich habe die 6. Suite nicht als langweilig empfunden. Ich denke schon, er sich dabei etwas gedacht hat. Ich möchte ihn gar nicht verteidigen. Man sollte sich einfach darauf einlassen, und sehen, ob man selbst etwas mit dieser Spielweise anfangen kann. Es ist ja gar nicht so selten, dass ein Künstler seine eigenen Tempovorstellungen verwirklicht, ohne sich um die Angaben des Komponisten zu scheren. Ich denke dan Celibidache, der nun oft auch sehr eigenwillige Vorstellungen hatte. wie schnell, bzw. wie langsam ein Wer aufgeführt werden sollte.

    Übrigens ist nicht nur die erste, sondern eigentlich alle fünf Suiten sind in einem nicht übermäßig flottem, aber gemessen an anderen Aufnahmen durchaus "normalen" Tempo gespielt.

    Viele Grüße, Bernd

  • zu Casals:

    Eggebrecht spricht in seinem Cellistenbuch von Casals als dem Begründer, dem Urknall des modernen Cellospiels. Von Feuermann gibt es das Zitat, dass jeder, der Casals gehört habe, wisse, dass eine neue Periode des Cellospiels angebrochen sei, Casals habe gezeigt, dass das Cello singen könne ohne Schmalz, dass auf keinem Instrument weicher phrasiert werden könne, dass Casals gezeigt habe, was auf dem Cello alles getan werden könne usw. Furtwängler hat geäußert, dass wer Casals nie gehört habe, nicht wisse, wie ein Streichinstrument klingen könne. Dieser Mann ist ein Gott des Cellospiels!

    Zugegeben, die oben vorgestellte Aufnahme ist technisch nicht mangelfrei und natürlich gemessen an heutigen HIP-Maßstäben veraltet. Aber, Casals war zurzeit der Aufnahmen 1936-39 rund 60 Jahre alt (* 29.12.1876) und damit weit weg von der für einen Cellisten besonders wichtigen körperlichen Höchstleistungsfähigkeit. Will sagen: Wer die Aufnahme an den technischen Fehlern misst, verkennt die Bedeutung Casals vollends und schließt von einer Altersaufnahme mit Fehlern unzulässigerweise auf technische Mängel von Casals insgesamt. Das Gegenteil war der Fall. Zu seiner Zeit war keiner technisch so weit wie er (später: Feuermann).

    Nun, lieber Bernd, du beschränkst deine Kritik nicht nur auf das Technische, sondern bist der Auffassung, dass sie auch interpretatorisch heutigen Ansprüchen eigentlich kaum genügen könne. Ich bin völlig anderer Auffassung! Du gestehst ein, dass Casals die Suiten sehr bewegt spielt, doch schreibst weiter, die Aufnahme gehe in Richtung einer „romantischen“ Auffassung.

    Nein, überhaupt nicht, finde ich. Im Gegenteil. In meinen Ohren ist diese Aufnahme ganz und gar nicht romantisch, sondern herb und schroff. Gerade das wunderbare Zusammentreffen von tiefer Bewegtheit und Herb- und Schroffheit macht für mich das Besondere dieser Aufnahme aus, ist eine für mich ganz eigentümliche, unverwechselbare, ungemein faszinierende Mischung. Es vergehen überdies keine zwei Takte, ohne dass ich Casals nicht seine lebenslange Beschäftigung mit den Suiten anhöre. Ein Künstler bringt auch eine Tonleiter zum klingen, heißt es. Wenn ich Casals höre, dann klingen die Noten nicht nur, sondern sie leben. Für mich, ich schrieb es oben bereits, ist diese Aufnahme noch immer das Herz aller Aufnahmen.

    Falsch wäre es übrigens, anzunehmen, diese Einspielung wäre Casals einzige Art gewesen, die Suiten zu spielen. So meine ich, im Erinnerungsbuch (Casals – Licht und Schatten auf einem langen Weg) gelesen zu haben, dass jemand bei Casals die Suiten studiert hat und Casals ihm zu seiner Verblüffung die Suiten vollkommen anders vorgespielt hat als zuletzt (oder in den Aufnahmen, blöderweise ist meine Erinnerung ein Sieb mit großen Löchern). Glücklicherweise gibt es aber weitere Aufnahmen der Suiten von Casals:

    Im Jahre 1915/1916 nahm Casals für Columbia größtenteils die Suite Nr. 3 auf, enthalten auf dieser CD (die ohnehin für an der Entwicklung des Cellospiels Interessierte sehr empfehlenswert ist, aber natürlich trotz aller Remasteringkünste arg historisch klingt):

    Wir hören ein ganz anderes, technisch viel saubereres Cellospiel (das nach heutigen Maßstäben gleichwohl alt wirkt, wie könnte es aber auch nicht, 95 Jahre später?). Eggebrecht beschreibt den Unterschied im o. g. Buch sehr treffend: „1915 nahm Casals zum ersten Mal Bach auf, vier Sätze aus der dritten Suite C-Dur BWV 1009. Sinnlicher, ja feuriger Glanz liegt bei aller Ruhe über der Sarabande in diesem hocheleganten Spiel. Das ist noch weit entfernt von jenem typischen Altersstil einer rauen, kompromisslosen Expressivität, die heutige Hörer sofort mit Casals verbinden.“

    Bei Youtube gibt es überdies eine Filmaufnahme der Suite Nr. 1 aus 1954 zu sehen.

    Herzlichst
    Thomas

  • Cellosuiten und ihre Interpreten: Pablo Casals

    Lieber Thomas,

    herzlichen Dank für deinen Hinweis auf die frühe Aufnahme der 3.Suite, die ich noch nicht kannte, obwohl ich das Buch von Eggebrecht natürlich auch gelsen habe. Ein wirklich vorzügliches Werk das ich sehr schätze, und immer wieder mal zur Hand nehme, wenn ich bestimmte Dinge nachschlagen möchte. Leider scheint es mir an einigen Stellen etwas zu oberflächlich zu sein und geht dann für mein Empfinden nicht genug in die Tiefe. Ich hätte mir für etliche seiner Wertungen den einen oder anderen Beleg gewünscht; so bleibt doch einiges was er schreibt ein wenig in der Schwebe. Aber das ist nur mein persönlicher Eindruck, ohne dass ich den Wert des Buches damit schmälern möchte. Derzeit scheint es ja das einzige Werk zu sein, dass sich ausdrücklich mit Cellisten - und Bratschisten - befasst.

    Bitte verstehe mich nicht falsch: ich wollte die Ausnahmestellung Pablo Casals nicht in Frage stellen. Er war mit Sicherheit und ohne jeden Zweifel einer der bedeutendsten Cellisten des vergangenen Jahrhunderts, übertroffen vielleicht nur noch von Emmanuel Feuermann - aber von dem haben wir ja wegen seines allzufrühen tragischen Todes zu wenig Aufzeichnungen in z.T. mehr als fragwürdiger Qualität. Aber das ist ein anderes Thema.

    Dass Casals bei der Aufnahme bereits älter war und vielleicht seinen Zenit schon überschritten hatte, mag sein. Tatsächlich nehmen viele Cellisten - denk an Starker Rostropwitsch, Mainardi oder Tortelier - die Suiten noch hohem Alter auf und da leidet die technische Umsetzung vielleicht schon mal. Ein besonders bewegendes Dokument ist die DVD "Testament to Bach" mit der Aufzeichnung des wohl letzten Konzertes von Paul Tortelier, wenige Monate vor seinem Tod. Er war damals bereits 86 und auch seine Spielweise ist natürlich stark eingeschränkt. Trotzdem hört man auch hier die lebenslange Beschäftigung mit den Suiten ganz deutlich heraus.

    Aber darum ging es mir nicht. Ich kann dieser Aufnahme ganz unabhängig davon nun wirklich nichts abgewinnen, was irgendwie für die Interpretation der Suiten massstabsetzend wäre. Da geht es mir völlig anders als dir und ich bin mir gewiss, dass ich da möglicherweise recht einsam mit dieser Meinung bin. Herb, ja das ist sie wohl, aber das schließt ja nicht eine romantische Deutungsweise - jedenfalls nach meinen Verständnis - nicht aus. Unter einer "romantischen" Spielweise verstehe ich immer eine solche, die versucht die Musik zum Vehikel anderer, aussermusikalischer Bedeutungen und Emotionen zu machen. Vielleicht ist das ein falsches Verständnis des Begriffs einer "romantischen" Aufführung. Aber so wollte ich es jedenfalls verstanden wissen.

    Ich sag mal, was die Auffassungen zur Bedeutung dieser Aufnahme angeht dürfte es dann jetzt eins zu eins stehen :pfeif: !

  • zu Kniazev

    Seine Interpretation ist bestimmt sehr eigenwillig. Die Tempi sind überaus extrem. Aber ich habe die 6. Suite nicht als langweilig empfunden. Ich denke schon, er sich dabei etwas gedacht hat. Ich möchte ihn gar nicht verteidigen. Man sollte sich einfach darauf einlassen, und sehen, ob man selbst etwas mit dieser Spielweise anfangen kann. Es ist ja gar nicht so selten, dass ein Künstler seine eigenen Tempovorstellungen verwirklicht, ohne sich um die Angaben des Komponisten zu scheren. Ich denke dan Celibidache, der nun oft auch sehr eigenwillige Vorstellungen hatte. wie schnell, bzw. wie langsam ein Wer aufgeführt werden sollte.


    Wie gesagt stechen für eigentlich nur die beiden langsamen Tänze, und vor allem die Allemande heraus - die ist aber sooooo laaaangsam, dass man keinen Duktus mehr wahrnehmen kann, die Melodiebögen brechen auseinander, es wird auch dem interpreten unmöglich Artikulation und Gefühle einzubringen, so lange müssen einzelne Töne ausgehalten werden - mitunter verflüchtigt sich beim Hörer auch das Tonarten- und Taktgefühl. (Bei Celibidache geschieht das nie: er weiß sehr gut, wie weit man das tempo noch dehnen kann.)
    Das ähnelt nicht mehr an Bach sondern an ein postmodernes Experiment: man könnte eigentlich unzählige weitere "Werke" schaffen, wo bekannte (alte) Musikstücke bis zur Unerkennbarkeit gedehnt würden... :D

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Cellosuiten und ihre Interpreten: Alexander Kniazev

    Lieber Tamás

    ...
    Das ähnelt nicht mehr an Bach sondern an ein postmodernes Experiment: man könnte eigentlich unzählige weitere "Werke" schaffen, wo bekannte (alte) Musikstücke bis zur Unerkennbarkeit gedehnt würden... :D

    Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass Kniazev sich im Booklet nicht zu dieser eigensinnigen Spielweise geäußert hat. Ausser den üblichen Lobhodeleien - "...einer der bedeutendsten Cellisten seiner Generation..." - und ganz allgemeinen Ausführungen zur Entstehung und Aufbau der Suiten, fehlt mir hier eine überzeugende Begründung. Eigentlich bestätigt das meine These, dass heutige Aufnahmen versuchen, sich durch besonders "originelle" Spielarten von der Unzahl der bereits vorhandenen Einspielungen abzusetzen. Kniazev macht es durch diese extrem langsame Spielweise, Gastinel durch eine hektische Agogik usw.

  • Eigentlich bestätigt das meine These, dass heutige Aufnahmen versuchen, sich durch besonders "originelle" Spielarten von der Unzahl der bereits vorhandenen Einspielungen abzusetzen. Kniazev macht es durch diese extrem langsame Spielweise, Gastinel durch eine hektische Agogik usw.


    Das nimmt ja kein Wunder: das kann als Motivation für die Anschaffung von "noch einer Einspielung" dienen. Und damit habe ich eigentlich auch kein Problem - wenn diese Originalität tatsächlich durchdacht und nicht sinnentstellend ist: so schätze ich Gastinael Interpretation überaus (obwohl von den Neueren mir Mork, Beschi, Queyras oder Lipkind viel-viel besser gefallen).

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Fugato

  • Einige Neuerscheinungen und eine Wiederentdeckung bei meinem Lieblingsinternetversandhandel:

    Helen Callus spielt die Suiten auf der Viola:

    http://www.helencallus.com/site/

    Der australische Cellist David Perreira

    http://www.davidpereira.com.au/

    Ovidiu Marinescu

    http://marinescu.com/index.php

    Tanya Tomkins

    http://www.tanyatomkins.com/

    Und zum Schluss eine Entdeckung aus den Archiven des tscheischen Rundfunks: Mstislav Rostropovich hat die Suiten 1955 live aufgenommen.

    Die Qualität ist für eine historische Aufnahmen durchaus akzeptabel. Interpretatorisch würde ich sie in eine gemäßigt romantische Richtung einordnen.

    Viele Grüße, Bernd

  • Eine schon etwas ältere Einspielung, die hier nicht vergessen werden sollte, ist die von Guido Schiefen. Er hat eine Professur an der Musikhochschule in Luzern, Schweiz. Seine Interpretation der Cellosuiten sollte man sich meines Erachtens anhören. Und da im Moment gerade hier im Forum parallel ein Thread über die Musik Max Regers läuft, will ich hier Guido Schiefens Einspielung der Solosuiten von eben diesem nicht unerwähnt lassen

    LG
    corda vuota

    Auszüge aus den Suiten gibt es hier:

    Komplett gibt es sie hier:

    Live hören sich die Suiten wunderbar an!


    Hallo Bernd,
    bei Rostropovich gebe ich Dir recht: Bach war nicht so ganz seine Welt - zu romantisierend!

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