J. S. Bach - Sechs Suiten für Violoncello Solo BWV 1007 - 1012

  • J. S. Bach - Sechs Suiten für Violoncello Solo BWV 1007 - 1012

    Dieser Thread soll den Suiten für Violoncello Solo von Johann Sebastian Bach (1685 - 1750) gewidmet sein. Ich möchte mich nicht mit Einzelheiten zu Bach und dem Wer selbst befassen. da gibt es Literatur in Hülle und Fülle. Vielleicht als Einstieg nur ein paar Links und einige allgemeinere Bemerkungen zur Lage auf dem Platten-/CD-Markt.


    Über Bach informiert Wikipedia recht ausführlich und imo kompetent und zutreffend: http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Sebastian_Bach . Hier findet der geneigte Leser auch eine Vielzahl weiterführender Links und Literaturempfehlungen.

    Auch über die Suiten selbst gibt es bei Wikipedia einen eigenen Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Suiten_f%…llo_solo_(Bach) der zumindest einen ersten Überblick über den streng formalen Aufbau des Werkes gibt.

    Auf der Seite http://www.platte11.de von Heinz Gelking ist im Juli diesen Jahres ein interessantes Interview mit dem deutschen Cellisten Werner Matzke erschienen, in dem dieser zu den meisten strittigen Fragen bei der Aufführung der Suiten sehr persönlich Stellung nimmt: http://www.platte11.de/article/interv…h-bwv-1007-1012 . Meines Erachtens absolut lesenswert.

    Es gibt seit vergangenem Jahr ein Buch von einem kanadischen Musikjournalisten Eric Siblin "Auf den Spuren der Cellosuiten - Johann Sebastian Bach, Pablo Casals und ich", das bei mir - vielleicht auch wegen einer zu hohen Erwartungshaltung - einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterliess. Ich hab darüber bei amazon eine Rezension verfasst, auf die ich interssierte Leser verweisen möchte:


    Die Rezension ist unschwer zu finden.

    Ich sammle Aufnahmen der Suiten schon seit einigen Jahren und kann auf einen Fundus von derzeit 140 verschiedenen Gesamteinspielungen von etwa 130 unterschiedlichen Interpreten blicken. Da es sich um die "Paradestücke" der Cello-Literatur handeln, debutieren viele junge Cellisten mit ihnen. Kaum ein Cellist, der etwas auf sich hält, kommt um mindestens eine Gesamteinspielung herum; viele nehmen sie im Laufe ihrer Karriere mehrfach auf. Die meisten Aufnahmen besitze ich von Janos Starker, nämlich insgesamt vier aus den Jahren 1952 (der Zyklus blieb unvollständig, nur die Nos.1, 3, 4 und 6), 1957/59, 1963/65 und 1992. Enrico Mainardi soll sie ebenfalls wenigstens viermal aufgenommen haben; davon habe ich bisher aber nur die Aufnahme aus den Jahren 1962/63.

    Was kann man zu den vielen Aufnahmen sagen ? Vorweg eine Art "Disclaimer": ich bin kein Musiker, kann noch nicht einmal Noten lesen, erst Recht kein Musikwissenschaftler oder -historiker, sondern ein laienhafter Sammler, der den Großteil seines rudimentären Wissens der eifrigen Lektüre der diversen Booklets und Linernotes verdankt. Wenn ich also versuche, meine Eindrücke zu schildern, so wird sich dem einen oder anderen möglicherweise ein oder mehrere Organe herumdrehen, ob meiner ungeschickten und wenig präzisen Ausdrucksweise. Das liegt ganz einfach daran, dass ich es ungeheuer schwer finde, ohne das richtige Fachvokabular mich ausdrücken zu können. Ich bitte daher schon mal vorab um Nachsicht.

    Ich würde die Aufnahmen in wenigstens drei Gruppen aufteilen wollen: Da sind zunächst die Aufnahmen, die der historischen Aufnahmepraxis huldigen. Dazu gehören die beiden Einspielungen von Anner Bylsma, Jaap ter Linden, Phoebe Carrai aber auch die von Peter Wispelwey und anderen. Kennzeichend hierfür ist der Versuch, die Suiten auf möglichst originalen Instrumenten in einer Weise zu spielen, wie man glaubt, dass sie zu Zeiten Bachs gespielt worden sein könnten. Dass dies - gerade bei der sechsten Suite, in der statt des üblichen Violoncello ein fünfsaitiges Instrument verlangt wird - auf Probleme stößt macht Matzke in dem obigen Interview sehr plastisch deutlich. Die zweite Gruppe würde ich als die modernen Einspielungen bezeichnen. Man könnte sie mit der legendären Aufnahme von Pablo(Pau) Casals beginnen lassen, der ersten Einspielung überhaupt aus den dreißiger Jahren. Casals hat als erster die Suiten aus dem Dornröschenschlaf reiner Übungsstücke wachgeküsst und sie öffentlich zur Aufführung gebracht. Dass er sie dabei in einer - zur damaligen Zeit - sehr modernen Art spielte, dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass es so etwas wie historische Aufführungspraxis erst sehr viel später gab. Casals war sicherlich stilprägend für viele nachfolgende Generationen von Cellisten. Ein wichtiger Interpret in diesem Zusammenhang ist Pierre Fournier, dessen Aufnahme für die DGG aus den sechziger Jahren ein großer Publikumserfolg war; vielleicht, weil sie in ihrer wenig revolutionären Art mit viel Leichtigkeit und Esprit auch leicht konsumierbar ist. Moderne Interpreten sind etwa André Navarra, Maurice Gendron, Paul Tortelier und von den jüngeren Cellisten Jean-Marie Queyras, Steven Isserlis oder Bruno Cocset. Zur dritten Gruppe würde ich diejenigen zählen, die sich abseits des Mainstream um eine betont eigenwillige Interpretation bemühen. Da fielen mir auf Anhieb Matt Haimovitz, Anne Gastinel, Mischa Maisky oder Gavril Lipkind ein. Zum Teil spannend, manchmal auch eher eigenwillige Aufnahmen, die nicht unbedingt jedermanns Sache sind.

    Zum Schluss noch zu den Kuriositäten. Neben den genannten Aufnahmen gibt es nicht wenige Transkriptionen für andere Instrumente. Das hat durchaus seine Berechtigung, hat doch Bach selbst die 5. Suite für die Laute transkribiert (oder war´s doch eher umgekehrt ?). Da Bach nicht nur ein exzellenter Organist und Cembalist war, sondern - wenn man der Überlieferung glauben darf - auch ein ausgezeichneter Bratscher, dürfte die Vermutung nicht ganz abwegig sein, dass er selbst die Suiten auf der Viola gespielt hat. Von den Übertragungen seien hier bespielhaft erwähnt das Bariton Saxophon (Henk van Twillert), Klavier (Godowsky)die Viola (Nobuku Imai, Michael Zaretsky, Barabara Westphal u.a.), Blockflöte (Marion Verbruggen, Lendeert de Jonge), Violoncello da spalla (Sigiswald Kujiken, Ryo Terakado und demnächst Dimitry Badiarev), Gambe (Paolo Pandolfo) Harfe (Veronika Drake), Marimba (Ivan Mancinelli) und Laute (Nigel North). Von den Übertragungen finde ich am gelungesten die für Gitarre etwa von Andreas von Wangenheim oder Kazuhito Yamashita. Anders als die Streichinstrumente erlaubt die Gitarre als Zupfinstrument eine echte Mehrstimmigkeit, wie sie sonst nur zu erahnen ist.

    Was ist meine persönliche Lieblingsaufnahme ? Nun, das wechselt. Je nach Stimmung ziehe ich eine gute historische Aufnahme, wie die von Wispelwey oder Bylsma den eher modernen vor. Immer wieder komme ich aber auf die Aufnahmen von Janos Starker aus den sechzigern und von 1992, sowie die jüngere Aufnahme von Wen-Sinn Yang (2005) zurück. Und manchmal habe ich Lust, einfach nur in den ausladenden breiten Tönen von Mischa Maisky zu schwelgen.

    Peter Wispelwey (1998)

    Janos Starker (1963/65)



    Janos Starker (1992)

    Wen-Sinn Yang (2005) 2 DVD und 2 CD

    Mischa Maisky (1999)

    Viele weitere wären noch zu nennen...


    Welche Aufnahmen kennt und schätzt ihr ?

    Viele Grüße, Bernd

  • Lieber Bernd,

    ich habe deinen Beitrag mit grossem Interesse gelesen, vielen Dank dafür. Meine Lieblingsaufnahme ist diese hier:

    Ich mag vor allem die Spielweise der ersten Suite von ihm sehr, die Akzente, die er setzt, den dramaturgischen Verlauf. Ich gebe zu, wenn ich mich selber an dieser Suite probiere, speziell das Prelude, so habe ich ihn immer mit ihm Ohr und versuche seine Interpretation umzusetzten. Das geht mir übrigens bei vielen anderen Cello-Stücken auch so, dass mir beim Vergleichshören Yo Yo Ma meist am Besten gefällt, dicht gefolgt von Peter Wispelwey (z.B. auch das 1. Cello-Konzert von Schostakowitch).

    Ich habe auch schon Wispelwey diese Suite live spielen hören (auf einem historischen Instrument) und fand seine Dynamik auch sehr schön. Wobei ich manchmal den Eindruck habe, wenn ich mich einmal in ein Stück verliebt habe, so fällt es mir schwer, auch anderen Interpretationansätzen mit derselben Leidenschaft zu begegnen. Fast so, als hätte sich das Stück in der jeweiligen Spielart in mir als Unikum verankert und alle anderen Variationen sind nur Kopien...

    Natürlich ist André Navarra in den Augen meines Cello-Lehrers oftmals das non-plus-ultra, da er ja Meisterschüler bei ihm war, daher darf ich ihn natürlich nicht unerwähnt lassen. ;+)

    Gerade Tempo, Dynamik, Gestaltung differieren bei den Cello-Suiten zwischen den einzelnen Interpreten sehr stark, so dass ich es oftmals schwierig finde, sie miteinander zu vergleichen.


    LG Lotte

    P.S. Ich habe die Bach-Suiten auch schon auf einem grossen Holz-Xylophon gehört....seeeeehr interessant :rolleyes:

  • Momentan ist diese mein Favorit, da rythmisch sehr ausgefeilt:


    aber auch diese beiden Aufnahmen möchte ich nicht missen:


     

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Danke, lieber zatopek, auf diesen Faden habe ich schon gewartet! Bin gern bereit, mich auf vergleichende Besprechungen einzulassen; vorerst die drei Aufnahmen, die sich bei mir finden und die alle ihre eigenen Qualitäten haben:


    Boris Pergamenschikow, Hänssler, 1998


    Jaap ter Linden, Brilliant, 2006


    Jean-Guihen Queyras, HMF, 2007

    Demnächst gern mehr.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • was man weiss war aber das Bach laut legende diese Suiten das erstemal selbst spielte

    Lieber Steinle, woher weiß man, daß Bach diese Suiten selbst spielte? Mir ist das so nicht bekannt.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Zur Zeit Bachs war es allgemeingültig Das ein Kapellmeister nur für diese Instrumente komponieren durfte die er auch tatsächlich beherrscht (Wir reden von Kammermusik) Denn der jeweilige Fürst ect. konnte nach Belieben den Komponist jener Werke in seine Kammer rufen um diese für ihn zu spielen, das hat sich noch bis Haydn hin der ja bei Fürst Esterhazy arbeitete hingezogen. Haydn lernte dafür extra noch Baryton spielen, er sagte immer er habe es zu recht guten Ergebnissen gebracht!
    So hat Bach nicht nur Cello, sondern auch Violine Oboe und Cembalo gespielt also eben jene Instrumente die er in seiner Kammermusik verwendetet! :wink:

  • Zur Zeit Bachs war es allgemeingültig Das ein Kapellmeister nur für diese Instrumente komponieren durfte die er auch tatsächlich beherrscht (Wir reden von Kammermusik) Denn der jeweilige Fürst ect. konnte nach Belieben den Komponist jener Werke in seine Kammer rufen um diese für ihn zu spielen, das hat sich noch bis Haydn hin der ja bei Fürst Esterhazy arbeitete hingezogen. Haydn lernte dafür extra noch Baryton spielen, er sagte immer er habe es zu recht guten Ergebnissen gebracht!
    So hat Bach nicht nur Cello, sondern auch Violine Oboe und Cembalo gespielt also eben jene Instrumente die er in seiner Kammermusik verwendetet! :wink:

    Lieber Steinle,

    du musst allerdings auch bedenken, dass gerade Melodiestimmen (Violine - Oboe - Flöte!) im Barock gut und gern auch austauschbar waren und man es mit der Besetzung nicht so genau genommen hat. (Von Telemann gibts da doch diese tollen Duos für zwei Sopraninstrumente ohne Generalbass, oder?) Drum weiß ich nicht, ob man da so einfach Rückschlüsse ziehen kann, welche Instrumente Bach nun tatsächlich beherrschte (und wie gut), wenn es da nicht noch weitere Quellen gibt.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Zur Zeit Bachs war es allgemeingültig Das ein Kapellmeister nur für diese Instrumente komponieren durfte die er auch tatsächlich beherrscht

    Gibt es dafür auch einen Beleg? Insbesondere in Bachs Fall meine ich? Mir scheint das reichlich dünn.

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Gibt es dafür auch einen Beleg? Insbesondere in Bachs Fall meine ich? Mir scheint das reichlich dünn.

    Ich meine, mich erinnern zu können, dass der Gast (der Cellist Wolfgang Boettcher) in einer der letzten „Interpretationen“-Sendungen (es ging um die Cello-Suiten) sagte, dass Bach eben kein Cello gespielt habe.

    Ich kenne übrigens nur Starker und Queyras, aber die in der o.g. Sendung vorgestellte Gavriel Lipkind-Aufnahme steht noch auf meiner Wunschliste. Boettcher meinte, er würde keinen Cellisten kennen, der ähnlich virtuos wie Lipkind spielt. Jedoch war Lipkinds Spiel nicht nur virtuos, sondern auch sehr eigenwillig und faszinierend in seiner Musikalität.

    Gruß, Cosima

  • Eine meiner liebsten Aufnahmen der Suiten - die Empfehlung kam damals von Michael Schlechtriem meine;

    Hidemi Suzuki:

    Gehört habe ich die CD allerdings länger nicht mehr - der Thread wäre eine gute Idee das zu ändern ;+)

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • aber die in der o.g. Sendung vorgestellte Gavriel Lipkind-Aufnahme steht noch auf meiner Wunschliste. Boettcher meinte, er würde keinen Cellisten kennen, der ähnlich virtuos wie Lipkind spielt. Jedoch war Lipkinds Spiel nicht nur virtuos, sondern auch sehr eigenwillig und faszinierend in seiner Musikalität.


    Die hab ich und ist wirklich sehr gut!

    Sehr gut ist auch diese sehr tänzerische hippe Aufnahme - eine die die Suiten tatsächlich als Suiten spielt und darauf verzichtet Philosophisches einlesen zu wollen.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Nochmals zur Entstehungsgeschichte der sechs Cellosuiten: In der umfangreichen Bach-Biographie von Christoph Wolff heißt es dazu lediglich, daß sie zu den Instrumentalwerken zählen, deren erhaltene Quellen sich auf Bachs Zeit am Hof in Köthen (1717-23) datieren lassen (wie auch die Brandenburgischen Konzerte, die Französischen Suiten und die Sonaten und Partiten für Violine solo), und daß sie "zu unterschiedlichen höfischen Funktionen aufgeführt wurden". Unklar dagegen ist, wann genau und zu welchem Zweck Bach seine Cellosuiten komponiert hat: für sich selbst, für Unterrichtszwecke, für seinen Fürsten? Wir wissen es nicht.

    Auch ist kein Autograph überliefert; es gibt, glaube ich, drei von einander in Details abweichende Abschriften, so daß Interpreten sich im Einzelfall zwischen verschiedenen Lesarten entscheiden müssen. Vielleicht weiß jemand darüber Genaueres? Cellisten und Bach-Kenner gibt es hier ja mehrere... :whistling:

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Auch ist kein Autograph überliefert; es gibt, glaube ich, drei von einander in Details abweichende Abschriften, so daß Interpreten sich im Einzelfall zwischen verschiedenen Lesarten entscheiden müssen. Vielleicht weiß jemand darüber Genaueres? Cellisten und Bach-Kenner gibt es hier ja mehrere... :whistling:

    Ja eben ... Das ist doch aber gerade das Interessante und Spannende in der Interpretationsgeschichte dieser Suiten, wenn ein verbindlicher Urtext nicht existiert, dadurch mehrere gültige Einspielvarianten (ob nun z.B. durch Casals, Starker, Harnoncourt, Schiff oder Rostropovich) ermöglicht werden.

  • Es gibt nicht drei, sondern vier alte Abschriften, eine davon von Anna Magdalena. Gemäß dem Bach-Handbuch, herausgegeben von Küster, ist diese hinsichlich der Noten im Wesentlichen fehlerfrei, hinischtlich der Artikulationsbezeichnung aber konfus, diesem zugehörig ist die zweite unvollständige Abschrift von Kellner wohl aus 1725. Zwei andere der vier ähneln einander stark, die Urheberschaft ist allerdings unbekannt. Dem gemäß hat man sich in der NBA für zwei Notentexte entschieden und im Kritischen Bericht alle vier abgedruckt. Mit anderen Worten: Es gibt keine eindeutigen Noten der Cellosuiten. Jeder Cellist steht mithin vor dem Problem: Was spielen?

    Zur Frage, welche Streichinstrumente J. S. Bach gespielt hat, gibt es einen Brief von C. P. E. Bach an Forkel, in dem er schreibt (Bach-Dokumente, Hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig, Bd. 3, Leipzig 1972, S. 285, von mir zitiert nach Geck, Bach - Leben und Werk, S. 91):

    "Als der größte Kenner u. Beurtheiler der Harmonie spielte er am liebsten die Bratsche mit angepaßter Stärke u. Schwäche. In seiner Jugend bis zum ziemlich herannahenden Alter spielte er die Violine rein u. durchdringend u. hielt dadurch das Orchester in einer größeren Ordnung als er mit dem Flügel hätte ausrichten können. Er verstand die Möglichkeiten aller Geigeninstrumente vollkommen. Dies zeugen seine Soli für die Violine und das Violoncell ohne Baß."

    Dem folgend dürfte die Annahme, Bach habe seine Cellosuiten selbst gespielt, zutreffend sein.

    Nichtsdestotrotz ist vieles rund um die Cellosuiten ungeklärt. So wird der Entstehungszeitraum um 1720 regelmäßig mit dem Autograph der Violingegenstücke, auf deren Titelblatt Libro primo steht, begründet. Sehr nahe liegt es, die Cellosuiten als zweiten Teil anzusehen. Schon aber beginnt der Streit: Sind nicht die Violinstücke kompositorisch ausgefeilter? Müssten dann nicht die Cellosuiten vor den Violinwerken entstanden sein? Also doch nicht Libro 2? Verbreitet ist überdies die Vermutung, die Abschrift von Anna Magdalena sei zu Verkaufszwecken erfolgt. Warum dann aber die seltsamen Artikulationsbezeichnungen?

    Ich persönlich gestehe: Mir ist das alles herzlich egal. Faszinierend finde ich allerdings - und das ist für mich das Wesentliche der obigen Ausführungen -, dass es keinen eindeutigen Notentext gibt.

    Zu meinen Aufnahmen vielleicht später mehr (ich habe bei Weitem nicht so viele wie Zatopek, sondern "nur" 14), vorerst nur soviel:

    Kennen und lieben gelernt habe ich die Suiten mit der Gesamtaufnahme Casals (es gibt frühere Aufnahmen einzelner Suiten auf CD und sogar einen Film, sehr interessant). Diese Aufnahme ist meiner Emfpindung nach das Herz aller anderen.

    Wenn ich allerdings drei empfehlen sollte, dann ist es die Aufnahme Schiffs im Hinblick auf das Tänzerische, Pergamentschikows und Suzukis im Hinblick auf das Meditative - beiden Aufnahmen merkt man eine sehr, sehr lange Beschäftigung mit dem Werk an, Pergamentschikow klingt für mich durchdachter, Suzuki für mich altersweiser und schließlich noch - ja, ich weiß, es ist Nr. 4, aber ich kann nicht anders - Ter Lindens Brilliant-Aufnahme, welche für mich die ideale Hip-Aufnahme ist.

    Yo-Yo Ma hat die Suiten übrigens zwei Mal aufgenommen. Man weiß beim Betrachten der Cover leider nie, um welche der beiden Aufnahmen es sich handelt. Charlottes beispielsweise, ist das die inspirete oder die alte?

    :wink: Thomas

  • Schiff (den ich auch schon live erleben durfte), ist in der Lage den Saiten Töne, Schwingungen, Gedanken und Sternenflüge zu entlocken, wie ich selte von einem anderen Cellisten erleben durfte. Ein Ton und solch eine Gestaltungsmöglichkeit :faint: :faint:

    LG Lotte

  • Hallo Thomas,

    Dem folgend dürfte die Annahme, Bach habe seine Cellosuiten selbst gespielt, zutreffend sein.

    Yo-Yo Ma hat die Suiten übrigens zwei Mal aufgenommen. Man weiß beim Betrachten der Cover leider nie, um welche der beiden Aufnahmen es sich handelt. Charlottes beispielsweise, ist das die inspirete oder die alte?


    1. Die Frage ist aber, auf welchem Instrument ? Hat er sie - wie viele Bratischisten heute - auf der Viola gespielt oder tatsächlich auf einem Violoncello ? Und falls letzteres zutrifft: auf welcher Art von Cello ? Vielleicht ein fünfsaitiges Violoncello piccolo (oder Viola da spala) ? Ich meine gelesen zu haben, wahrscheinlich in der Ausgabe der Suiten von Sigiswald Kujiken, dass der Bau des Violoncello piccolo auf einen Vorschlag Bachs zurückgehen soll. Müsste ich noch einmal überprüfen.
    2. Das ist die alte Aufnahme aus 1982. Kann man an einem Vergleich der Tracklängen sehen. Die neuere Aufnahme ist deutlich langsamer.

    Viele Grüße, Bernd

  • 2. Das ist die alte Aufnahme aus 1982. Kann man an einem Vergleich der Tracklängen sehen. Die neuere Aufnahme ist deutlich langsamer.

    Ah, danke für den Hinweis. Dann ist die links abgebildete die neue und die in aktuellem Remastering rechts abgebildete die alte Fassung:

    Welche aber sollte ich kaufen, wenn ich nur eine will? Kann man es so zusammenfassen, dass die alte spieltechnisch schlechter, dafür aber nicht so mainstreamig, sondern aufregender als die neue Fassung ist?

  • Hallo Thomas,

    ich kann dir diese Frage leider nicht beantworten, da ich nur die alte Fassung habe und die neuere nicht kenne. Aber zatopek kann bestimmt etwas dazu sagen.

    Es scheint im Allgemeinen bei den neueren Aufnahmen "in" zu sein, die Bach-Suiten langsamer zu spielen und diese Spielart als historisch intendiert zu betrachten. Ich dagegen mag die zuweilen etwas schnellere Gangart der älteren Aufnahme Yo Yo Ma´s, sie erzeugt einen Spannungsbogen, der mir gut gefällt.

    LG Lotte

  • Ich bin zwar ein großer Freund Bachs, aber weder Cellist noch einer, der bei Bach von der instrumentalen Seite herkommt. Ich bin als Sänger mit Bach aufgewachsen und hier liegt auch bis zum heutigen Tage mein Interessensschwerpunkt. Und doch liebe auch ich die Cello-Suiten, denn herrliche Musik ist das ja in der Tat. Die Aufnahmen, die in meinem Schrank herumlungern, kann ich allerdings an einer Hand abzählen. Ich höre sie auch - ich gebe es gern zu - eher selten, bin gerade aber wieder einmal dabei. Diesem Thread und seinem Initiator gebührt der Dank.

    Die favorisierte Aufnahme (unter meinen fünf) ist

    Ich meine mich zu erinnern, dass die Aufnahme bei ihrem Erscheinen Mitte der Neunziger nicht auf eine ungeteilt positive Kritik stieß. Einstimmen kann ich in selbige, die sich oft dahingehend äußerte, Rostropovich hätte seine besten Zeiten zum Aufnahmezeitpunkt bereits hörbar hinter sich gehabt, allerdings nicht so recht. In meinen Ohren wird ein sehr flexibler, kraftvoller und dennoch vielfarbig changierender Bach präsentiert, sicher nicht im HIP-Gewand, das ist mir aber nicht ganz so wichtig. Vielleicht schätze ich die Aufnahme auch mehr als meine anderen (Cohen, Ma, Kuijken, Maisky), weil Rostropovich meine Erstbegegnung war. Gegenwärtig frage ich mich, ob ich noch Lynn Harrels oder Schiffs EMI-Aufnahme auf meine (zu lange) Wunschliste setzen sollte.

    :wink: Agravain

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