HUMPERDINCK: "Hänsel und Gretel" - Kommentierte Diskographie
Meine Lieben,
Es mag ja sein, daß über diese Oper schon soviel geschrieben wurde, daß man wegen Gefahr von Überfütterung sie bei "Capriccio" bisher weniger beachtet hat, aber auf die Dauer halte ich es ohne diesen Geniewurf nicht aus. Daher weise ich einmal - ohne jüngere Aufnahmen deswegen diskreditieren zu wollen - auf drei vorzügliche Einspielungen älteren Datums hin.
Am bekanntesten davon und ziemlich verbreitet ist Karajans Aufnahme von 1953, die hier in der 2004 erschienenen Membran-Edition zu sehen ist:
HvK (mit dem Philharmonia Orchestra) in Hochform mit einer Superbesetzung. Natürlich darf man sich hier keine nachdrücklichen sozialkritischen Akzente erwarten, aber hörästhetisch ist es ein Hochgenuß. Elisabeth Grümmer als Hänsel und Elisabeth Schwarzkopf als Gretel setzten, das kann man wohl keck behaupten, Maßstäbe für Jahrzehnte. Josef Metternich singt einen überragenden Vater, und Anny Felbermayer findet den genau passenden zarten Ton für Sand- und Taumännchen. Else Schürhoff als Hexe und Maria von Ilosvay als Mutter komplettieren mit sehr guten Leistungen. Anhand dieser Aufnahme kann man als Noch-nicht-Humperdinck-Verehrer getrost auch in die Oper einsteigen.
Viel weniger bekannt ist eine zweite (Rundfunk-)Aufnahme, die Karajan 1954 in Mailand leitete, wohl auch, weil hier italienisch gesungen wird.
Bei der gezeigten URANIA-Ausgabe von 2004 bekommt am als Draufgabe noch Berlioz' "Symphonie fantastique" mit Karajan und dem Philharmonia Orchestra, was nicht zu verachten ist.
Italienisch hört sich gerade diese Oper begreiflicherweise anfangs ungewohnt an, aber man gewöhnt sich schnell. Was an volksliedhaftem Klang wegfällt, gewinnt man vokaler Wärme. Italienisch ist nun einmal die perfekte Opernsprache. Karajantypisch wird auch in diesem Fall eine Luxusbesetzung geboten. Elisabeth Schwarzkopf singt auch jetzt mit berückender Perfektion die Gretel, Sena Jurinac ebenbürtig den Hänsel. Überflüssig zu sagen, daß beide - soweit ich es zu beurteilen vermag - die Sprache akzentfrei beherrschen. Zwei Goldkehlchen - und nicht die einzigen auf dieser Platte. Für den Vater holte man den damals dreißigjährigen Rolando Panerai, der sich mit Metternich durchaus messen kann und zum Niederknien schön singt. Die Hexe gibt Vittoria Palombini, welche alle deutschen Hexen, von denen in diesem Beitrag die Rede ist, in den Schatten stellt. Ausgezeichnet weiters die Mutter Bruna Ronchinis. Sandmännchen (hier: "Il nano Sabbiolino") und Taumännchen ("Il nano Rugiadoso") sind geradezu luxuriös besetzt mit Rita Streich. Insgesamt also nicht minder eine Spitzenaufnahme als die andere.
1956 entstand eine Aufnahem des Hessischen Rundfunks unter Otto Matzerath, der sich klarerweise nicht so kulinarisch anhört, aber keineswegs schwächer als Karajan anmutet. Matzerath formt die inhaltlichen Momente präziser heraus:
Die PONTO-Ausgabe ist 2004 auf den Markt gekommen (im Beitext ist statt Matzerath irrtümlich Leopold Ludwig genannt, noch dazu mit der falschen Angabe "Hamburg 1969). Wieder singt Elisabeth Grümmer den Hänsel, die Gretel heißt diesmal aber Erika Köth. Unser Tamino-Knuspi verwendete für sie, halb scherzhaft, den wenig respektvollen Begriff "Rampensau". Tatsächlich bietet sie sängerisch und gestalterisch eine derart engagierte Leistung wie selten sonst. ich halte das aber für einen Glücksfall. Marianne Schech ist, weil sie Härte vermittelt, welche die Rolle verlangt, eine sehr gute Mutter. Marcel Cordes ein ausgesprochen intensiv charakterisierender Vater, sodaß man fast vergißt, daß er vom Timbre her eigentlich weniger zu bieten hat. Res Fischer als Hexe verdient gleichfalls Lob. Deutlich schwächer bleibt Ursula Kerp als Sandmännchen, besser , aber nicht an Felbermayer oder Streich heranreichend Christa Degler als Taumännchen. Insgesamt eine sehr stimmige Aufnahme, sodaß ich nur eine Dreier-Empfehlung abgeben kann. Keine Einspielung von den genannten ist den anderen so überlegen, daß sie unbedingt vorzuziehen wäre.
Das Besondere an der Matzerath-CD besteht zusätzlich darin, daß eine Art Querschnitt-Fassung von Hänsel und Gretel" aus dem Jahr 1929 (!!) beigegeben ist. In erstaunlich guter Tonqualität sogar! Hermann Weigert dirigiert das Orchester der Deutschen Oper Berlin. Von den Mitwirkenden prägen sich vor allem Eduard Kandl und Maria Schulz-Dornburg als sehr guter Vater und Hexe ein. Ansonsten wird eher gutes Mittelmaß geboten.
Vorzügliche Interpretationen von "Hänsel und Gretel" gibt es außerdem noch zuhauf. Ihr seid dran!
Liebe Grüße
Waldi