HUMPERDINCK: "Hänsel und Gretel" - Kommentierte Diskographie

  • HUMPERDINCK: "Hänsel und Gretel" - Kommentierte Diskographie

    Meine Lieben,

    Es mag ja sein, daß über diese Oper schon soviel geschrieben wurde, daß man wegen Gefahr von Überfütterung sie bei "Capriccio" bisher weniger beachtet hat, aber auf die Dauer halte ich es ohne diesen Geniewurf nicht aus. Daher weise ich einmal - ohne jüngere Aufnahmen deswegen diskreditieren zu wollen - auf drei vorzügliche Einspielungen älteren Datums hin.

    Am bekanntesten davon und ziemlich verbreitet ist Karajans Aufnahme von 1953, die hier in der 2004 erschienenen Membran-Edition zu sehen ist:

    HvK (mit dem Philharmonia Orchestra) in Hochform mit einer Superbesetzung. Natürlich darf man sich hier keine nachdrücklichen sozialkritischen Akzente erwarten, aber hörästhetisch ist es ein Hochgenuß. Elisabeth Grümmer als Hänsel und Elisabeth Schwarzkopf als Gretel setzten, das kann man wohl keck behaupten, Maßstäbe für Jahrzehnte. Josef Metternich singt einen überragenden Vater, und Anny Felbermayer findet den genau passenden zarten Ton für Sand- und Taumännchen. Else Schürhoff als Hexe und Maria von Ilosvay als Mutter komplettieren mit sehr guten Leistungen. Anhand dieser Aufnahme kann man als Noch-nicht-Humperdinck-Verehrer getrost auch in die Oper einsteigen.

    Viel weniger bekannt ist eine zweite (Rundfunk-)Aufnahme, die Karajan 1954 in Mailand leitete, wohl auch, weil hier italienisch gesungen wird.

    Bei der gezeigten URANIA-Ausgabe von 2004 bekommt am als Draufgabe noch Berlioz' "Symphonie fantastique" mit Karajan und dem Philharmonia Orchestra, was nicht zu verachten ist.

    Italienisch hört sich gerade diese Oper begreiflicherweise anfangs ungewohnt an, aber man gewöhnt sich schnell. Was an volksliedhaftem Klang wegfällt, gewinnt man vokaler Wärme. Italienisch ist nun einmal die perfekte Opernsprache. Karajantypisch wird auch in diesem Fall eine Luxusbesetzung geboten. Elisabeth Schwarzkopf singt auch jetzt mit berückender Perfektion die Gretel, Sena Jurinac ebenbürtig den Hänsel. Überflüssig zu sagen, daß beide - soweit ich es zu beurteilen vermag - die Sprache akzentfrei beherrschen. Zwei Goldkehlchen - und nicht die einzigen auf dieser Platte. Für den Vater holte man den damals dreißigjährigen Rolando Panerai, der sich mit Metternich durchaus messen kann und zum Niederknien schön singt. Die Hexe gibt Vittoria Palombini, welche alle deutschen Hexen, von denen in diesem Beitrag die Rede ist, in den Schatten stellt. Ausgezeichnet weiters die Mutter Bruna Ronchinis. Sandmännchen (hier: "Il nano Sabbiolino") und Taumännchen ("Il nano Rugiadoso") sind geradezu luxuriös besetzt mit Rita Streich. Insgesamt also nicht minder eine Spitzenaufnahme als die andere.

    1956 entstand eine Aufnahem des Hessischen Rundfunks unter Otto Matzerath, der sich klarerweise nicht so kulinarisch anhört, aber keineswegs schwächer als Karajan anmutet. Matzerath formt die inhaltlichen Momente präziser heraus:

    Die PONTO-Ausgabe ist 2004 auf den Markt gekommen (im Beitext ist statt Matzerath irrtümlich Leopold Ludwig genannt, noch dazu mit der falschen Angabe "Hamburg 1969). Wieder singt Elisabeth Grümmer den Hänsel, die Gretel heißt diesmal aber Erika Köth. Unser Tamino-Knuspi verwendete für sie, halb scherzhaft, den wenig respektvollen Begriff "Rampensau". Tatsächlich bietet sie sängerisch und gestalterisch eine derart engagierte Leistung wie selten sonst. ich halte das aber für einen Glücksfall. Marianne Schech ist, weil sie Härte vermittelt, welche die Rolle verlangt, eine sehr gute Mutter. Marcel Cordes ein ausgesprochen intensiv charakterisierender Vater, sodaß man fast vergißt, daß er vom Timbre her eigentlich weniger zu bieten hat. Res Fischer als Hexe verdient gleichfalls Lob. Deutlich schwächer bleibt Ursula Kerp als Sandmännchen, besser , aber nicht an Felbermayer oder Streich heranreichend Christa Degler als Taumännchen. Insgesamt eine sehr stimmige Aufnahme, sodaß ich nur eine Dreier-Empfehlung abgeben kann. Keine Einspielung von den genannten ist den anderen so überlegen, daß sie unbedingt vorzuziehen wäre.

    Das Besondere an der Matzerath-CD besteht zusätzlich darin, daß eine Art Querschnitt-Fassung von Hänsel und Gretel" aus dem Jahr 1929 (!!) beigegeben ist. In erstaunlich guter Tonqualität sogar! Hermann Weigert dirigiert das Orchester der Deutschen Oper Berlin. Von den Mitwirkenden prägen sich vor allem Eduard Kandl und Maria Schulz-Dornburg als sehr guter Vater und Hexe ein. Ansonsten wird eher gutes Mittelmaß geboten.

    Vorzügliche Interpretationen von "Hänsel und Gretel" gibt es außerdem noch zuhauf. Ihr seid dran!

    Liebe Grüße
    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.



  • Meine liebste Aufnahme mit Solti/Wiener Phiolharmoniker, 1978.
    Späte Analogaufnahme in bester Decca-Qualität.

    Lucia Popp (Gretel) und Brigitte Fassbaender (Hänsel) sind nicht leicht auseinanderzuhalten bieten aber allerhöchste Qualität.
    Ihr Abendsegen ist von wunderbarer Zartheit, wie ich finde, unerreicht.

    Das Dirigat und das Orchester sind erste Sahne, wenn man Wagner mag :D

  • Lieber Waldi,

    schön, dass Du diese Oper gerade jetzt berücksichtigst, wo überall die Weihnachtsartikel aus den Regalen quellen. Kein Wunder, dass sie Dir gerade jetzt abgeht. :D

    Da beteilige ich mich doch gerne und reiche eine Aufnahme nach, die für mich trotz zwei Fehlbesetzungen zu den unverzichtbaren gehört:

    Der Grund ist erstens und vor allem die Hexe von Christa Ludwig, die wohl für immer das unübertreffliche Vorbild aller Opernhexen bleiben wird. Man höre nur einmal, wie sie sich als Rosine Leckermaul vorstellt, welche die Kinder "füttern und nudeln" will, und es entsteht ein Bild vor den Augen des Hörers, mit dem keine DVD an furchterregender, aber auch komischer Plastizität mithalten kann.

    Der zweite Grund ist die Gretel von Helen Donath, die den Tonfall des jungen Mädchens ideal trifft ohne kindertümelnd zu werden und gesanglich tadellos bleibt. Schade nur, dass man ihr als Hänsel ausgerechnet Anna Moffo beigegeben hat. Zu meiner Überraschung gibt sie einen glaubhaften Jungen, aber wohl einen aus Italien adoptierten, so unüberhörbar ist ihr Akzent. Stimmtechnisch ist sie immerhin in Ordnung, aber befremdlich bleibt diese Besetzungsidee allemal.

    Dies um so mehr als das Elternpaar mit dem wieder einmal zu auffällig gestaltenden Dietrich Fischer Dieskau und der glaubhaft grantigen Mutter Charlotte Bertholds größten Wert auf eine aussagekräftige Sprachgestaltung legt.

    Immerhin stört das nur mäßig und wird mehr als ausgeglichen durch die luxuriöse Besetzung von Sand- und Taumännchen durch Lucia Popp und Arleen Auger. Nach diesem superben dritten Grund, sich die Aufnahme zuzulegen, ist es besonders bedauerlich, dass man die Produktion dem arg plakativ dirigierenden Kurt Eichhorn anvertraute und dessen wenig differenzierte Tongebung auch noch durch einen unnatürlich großen Hall betonte.

    Dies war meine erste GA des Werkes und lange prägend. Gegen die orchestral deutlich bessere Karajan-Aufnahme hält sie ordentlich, weil sie in den Hauptrollen besser besetzt ist als mit den wunderschön singenden, aber sehr fraulichen Damen Grümmer und Schwarzkopf. Der Grund aber, warum die Aufnahme trotz der o. g. Einschränkungen für jeden Liebhaber der Oper unentbehrlich ist, heißt Christa Ludwig. Ich bedaure seither jede(n), der ihr die Hexe nachsingen muss.

    Ich finde übrigens, dass auch beste Kinderstimmen der Partitur nicht gerecht werden können. Man braucht auch keine, wenn man Sängerinnen wie Helen Donath und Lucia Popp hat.

    Weitere Aufnahmen und meine Lieblings-DVD folgen demnächst.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • RE: HUMPERDINCK: "Hänsel und Gretel" - Kommentierte Diskographie

    Das Besondere an der Matzerath-CD besteht zusätzlich darin, daß eine Art Querschnitt-Fassung von Hänsel und Gretel" aus dem Jahr 1929 (!!) beigegeben ist. In erstaunlich guter Tonqualität sogar! Hermann Weigert dirigiert das Orchester der Deutschen Oper Berlin. Von den Mitwirkenden prägen sich vor allem Eduard Kandl und Maria Schulz-Dornburg als sehr guter Vater und Hexe ein. Ansonsten wird eher gutes Mittelmaß geboten.

    Lieber Waldi,

    es ist kein Querschnitt, sondern eine der "Kurzopern", die Weigert 1929 für das Papiertheater schuf. Dabei sind nicht vollständige Nummern auf der Einspielung wie bei einem Querschnitt, sondern die einzelnen Stücke sind gekürzt. Ich habe inzwischen einen ganzen Stapel dieser Weigert-Produktionen (im Freischütz-Thread habe ich schon eine besprochen) und plane demnächst zu diesem Thema einen Thread zu eröffnen.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Hier nun die zweite Aufnahme, deren Qualität mich nach vielen anderen eindrucksvollen Einspielungen der Oper ganz besonders überrascht hat. Bei dieser Oper stoße ich nämlich auf das seltene Phänomen, dass mir immer die Aufnahme besonders gut gefällt, die ich gerade höre, denn sie hat mit ihren Einspielungen sehr viel Glück gehabt. So finde ich auch die Aufnahmen von Karajan, Solti und Colin Davis - immer mit kleineren Abstrichen - durchweg gelungen. Eigentlich dachte ich, schon alle je denkbaren Lieblingsaufnahmen dieser Oper zu kennen, bis ich kürzlich in die folgende Aufnahme hinein hörte und spontan begeistert war. Obwohl die Einspielung mit einer Superluxusbesetzung aufwartet, wird hier nirgendwo große Oper aufgeführt, sondern ein musikalisches Märchen gespielt - und das, ohne der Partitur nur ein Stück von dem zu nehmen, was sie an reifem Musizieren braucht. Von Stade und Cotrubas lassen trotz leichter, aber nie störender Akzente zu keinem Zeitpunkt den Eindruck aufkommen, hier agierten "klein" spielende Diven, die Eltern werden ihren Rollen voll gerecht, und die Hexe wäre mindestens eine meiner Spitzenkandidatinnen, hätte Christa Ludwig nie diese Rolle aufgenommen.

    Das beginnt mit dem Hänsel von Frederica von Stade, bei der ich allerdings notorisch voreingenommen bin. Sie schafft es sogar, meiner Live Erinnerung an Agnes Baltsa gerecht zu werden, die die Partie leider nie eingespielt hat. Ihr geringer Akzent stört kaum, so überzeugend ist sie als der junge Held dieses Märchens. Ihr mindestens gleichwertig ist die Gretel der Ileana Cotrubas. Eine überzeugendere Gretel hat auch die starke Konkurrenz nicht zu bieten, und das sage ich nicht nur, weil ich sie vor langer Zeit in Frankfurt zum Glück neben Agnes Baltsa auch live erlebt habe, wo beide auf mich einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen haben, der inzwischen schon fast vier Jahrzehnte hält.

    Der Vater von Siegmund Nimsgern ist für mich die große Überraschung der Aufnahme. Für ihn gilt dasselbe wie für den Dirigenten John Pritchard. Man hat stets das Gefühl: genauso muss der Vater klingen. Man höre ihn nur mal, wenn er von der Hexe erzählt. Da bleibt sogar die Mutter der Christa Ludwig zurück. Sie ist eine Luxusbesetzung auf dem Weg zur Hexe, scheut also keine hässlichen Töne, bleibt aber sympathisch genug um Mitgefühl nicht auszuschließen.

    Elisabeth Söderström löst die undankbare Aufgabe, mit der Hexe von Christa Ludwig mithalten zu müssen, fabelhaft. Sie ist eine herrlich fiese Hexe, die zudem noch perfekt singt, fast etwas zu perfekt, zumal ihr Sopran sie sehr jung wirken lässt. Ihre manchmal doch fehlende Tiefe kompensiert sie aber vorzüglich, denn in der Gestaltung kommt sie für mich gleich nach Christa Ludwig. Bei Sandmännchen und Taumännchen brauche ich nur sagen, dass sie mit Kiri Te Kanawa und Ruth Welting traumhaft luxuriös und doch auch stimmig besetzt sind.

    Trotz all dieser großartigen Leistungen war die eigentliche Überraschung jedoch das idiomatische Dirigat des Kölner Gürzenich Orchesters durch John Pritchard. Er schafft etwas ganz Außerordentliches: ohne jemals auf sich zu lenken, klingt alles einfach nur genau so, wie es soll. Größeres Lob gibt's nicht. Als Gesamtleistung ohne einen einzigen Ausreißer ist diese Aufnahme für mich seit dem ersten (späten) Hören ungeachtet einzelner gelegentlich noch besserer Besetzungen die absolute Referenz.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Die Aufnahme mit dem Gürzenich-Orchester unter Pritchard ziehe ich allen anderen mir bekannten vor, da sie - wie es Rideamus schon beschrieben hat - keine sängerische Schwachstelle aufweist. Hinzu kommt, dass das Gürzenich-Orchester ganz ausgezeichnet klingt, vor allem in den Solobläsern für meine Ohren um etliche Längen besser als die Wiener Philharmoniker (das sowieso! :D ) oder als das RSO München (wobei mir Eichhorns Stabführung nicht wirklich missfällt).

    Viele Grüße

    Bernd

  • Aufgenommen 1953, BRILLIANT 2011

    Fritz Lehmann dirigiert die Münnchner Philharmoniker und schlägt eine dezidiert lyrisch-ästhetisierende, eher ruhige Linie ein. Er macht das sehr bezwingend, aber man würde sich doch mehr Ausdruck und Dramatik wünschen, mehr Wagnerismus sozusagen. Marianne Schech ist eine erprobte Mutter und Res Fischer eine ebensolche Hexe. Beide lassen das Streben nach glaubwürdiger Gestaltung deutlich werden. Rita Streich als Gretel und Gisela Litz als Hänsel singen hingegen wunderschön, aber mit wenig innerem Bezug zum Vorgang. Schöne Form kann jedoch auch hinreißen. Das Duett vor dem Knusperhäuschen läßt mich hinschmelzen! Horst Gunter singt den Vater in ähnlicher Weise. Etwas abfallend gegen die übrigen Mitwirkenden ist das Taumännchen, das mit einem Knabensopran besetzt ist. Dieser macht seine Sache ja ganz brav, aber man wünscht sich sofort den Streifenpeter von einst herbei, um zu zeigen, wie es wirklich sein soll.
    Insgesamt macht man mit dieser Aufnahme natürlich nichts falsch, sie ist gut und wertvoll, und jeder Liebhaber dieser Oper sollte sie anschaffen, aber mit Ausnahme einiger Momente ist sie wohl nicht ganz das, was Humperdinck beabsichtigte. Denen, die sich mit Wagner schwer tun, wird Lehmanns Interpretation aber vielleicht sogar besser gefallen als die in diesem Thread sonst am meisten gelobten Aufnahmen.

    Liebe Grüße

    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Lieber Waldi!

    Ich habe in dieser Oper, an der Volksoper, sowohl das Sandmännchen und auch das Taumännchen gesungen - nur gibt es keine Mitschnitt mit mir.

    In einer Aufführung bei und mit den Sängerkaben auch die Gretel. Lang ist's her.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter.

  • Hänsel und Gretel 1964

    Diese Aufnahme ist mittlerweile Out of Print, auf Amazon, Ebay etc. wird sie deswegen von Privatanbietern entsprechend teuer verkauft. Um es gleich zu sagen, sie gehört absolut nicht zu meinen Favoriten. Und das liegt in erster Linie an der Besetzung von Hänsel und Gretel. Irmgard Seefrieds hatte zur Zeit der Aufnahme stimmliche Probleme, und das hört man leider sehr deutlich, besonders die höheren Töne werden oft mühsam angestemmt. Zudem wirkt ihre Darstellung teilweise eher übertrieben kindisch als kindlich, speziell während ihrem „Tralalala“ am Ende des Tanzduetts.

    Wie aber kann ich meinem Unmut Ausdruck verleihen über den „Gesang“ von Anneliese Rothenberger als Gretel? So unprofessionell es klingen mag, aber sie singt ständig so, als ob sie auf einer Waschmaschine sitzen würde, die sie durchrüttelt. JEDE, wirklich jede Silbe wird von ihr mit einem heftigen Vibrato gesungen, und dazu auch noch extrem laut. Kommen höhere Töne, dann will sie offenbar allen zeigen, wie toll sie doch singen kann, und schmettert einem Schalmeien entgegen, daß das Trommelfell um Hilfe schreit; von piano-höhen scheint sie noch nie etwas gehört zu haben. Noch nicht mal im Abendsegen, in der Humperdinck noch „mit halber Stimme“ notiert hat, kommt sie zur Ruhe, auch da muss möglichst laut und voller Vibrato gesungen werden. Vielleicht ist das passend für manche Operetten, aber eine Gretel ist das mit Sicherheit keine! Wie sehr ich da eine Barbara Bonney oder Erika Köth vermisse!

    Die Tonqualität ist für 1964 gar nicht schlecht, wenngleich die Aufnahme sehr stark nach Studioproduktion klingt; das Orchester klingt sehr gedämpft, auch strahlende Bläserakkorde werden schnell verschluckt. Dafür ist das Klangbild sehr ausgewogen, man hört die Instrumentengruppen schön heraus, alles klingt transparent und nicht verwaschen. Lediglich ein bißchen mehr Bass hätte vielleicht nicht geschadet.

    Das Dirigat von André Cluytens finde ich relativ unspektakulär, es klingt meiner Meinung nach eher routiniert. Ich habe weder bei „Der Besen, der Besen“, noch am Ende des Hexenritts, wo plötzlich noch mal ab Richtziffer 67, die vier Hörner bedrohlich aus dem ruhigen Klangteppich der Streicher und Posaunen hervorbrechen, eine Gänsehaut bekommen. Bei Solti läuft es mir an dieser Stelle kalt den Rücken runter. Auch die sehr atmosphärische Echo-Szene im 2. Akt, wird durch zwei Dinge ruiniert: die 4 Echos werden laut Partitur jedesmal leiser, die letzten beiden schon im drei- und vierfachen piano gesungen, damit ein Eindruck von räumlicher Tiefe entsteht – hier klingen die Echos viel zu laut. Und zum anderen ist der Kuckuck, für den Humperdinck extra notiert hat, daß er an dieser Stelle so leise sein muss, „dass sein Ruf mehr errathen, als wirklich gehört wird, um so den Eindruck völliger Verlassenheit zu vervollständigen“ auch in dieser Aufnahme viel zu laut. Stimmung kommt leider keine auf.

    Gelungen finde ich allerdings die Stelle ab Richtziffer 159, in der die Hexe wieder aus ihrem Haus herauskommt – das wird vom Orchester so plastisch dargestellt, man sieht richtig diese gefräßige Alte aus dem Haus humpeln!

    Der CD liegt ein Booklet mit vollständigem Libretto in Deutsch und Englisch bei, dazu noch ein kurzer Einführungstext. Ich empfehle diese Aufnahme niemandem, und schon gar nicht, soviel Geld dafür zu bezahlen, denn das ist sie garantiert nicht wert. Da gibt es viel schönere Aufnahmen mit besserer Besetzung die wesentlich preiswerter sind.

  • Hänsel und Gretel 1992

    Hier liegt eine Gesamtaufnahme in englischer Sprache vor; es handelt sich um eine Live-Aufführung aus Sydney, Australien, so muß man hier in die Musik hineinklatschendes Publikum, Getrampel auf der Bühne und andere Geräusche in Kauf nehmen. Wann diese Aufnahme gemacht wurde, steht leider weder auf der Rückseite noch im Booklet; erst nach einer Recherche fand ich heraus, daß 1992 das Aufnahmejahr ist.

    Diese Aufführung gibt es auch auf einer 2001 in den USA erschienenen DVD, von daher hätte es wahrscheinlich sowieso wenig Sinn, sich diese CD zu kaufen. Laut den Rezensionen auf der amerikanischen Amazon-Seite ist die Inszenierung aber ziemlicher Käse gewesen, modernes Regietheater, völlig entstellt. Ob der Ton auf der DVD besser ist kann ich leider nicht sagen, da diese noch nicht in meinem Besitz ist.

    Über diese Aufnahme kann ich leider nichts Gutes berichten: das fängt schon an mit dem hohen Grundrauschen, das von der ersten Sekunde an präsent ist, und dem unangenehmen Brummen, das ebenfalls ziemlich nervt. Die Tonqualität ist für 1992 aber ein absoluter Witz: es klingt so, als ob jemand den schlechtesten Platz in der Oper erwischt hätte und dort die Aufführung mit seinem Kassettenrekorder aufgenommen hätte. Absolut hallig und verwaschen klingt das. Deswegen fällt es mir auch schwer, über das Dirigat von Johannes Fritzsch (und nicht Fritzch, wie er auf der Rückseite genannt wird) zu reden, weil man im Prinzip nichts hört, außer einen diffusen Klangbrei.

    Suzanne Johnston und Christine Douglas in den Titelpartien sind gute solide Bühnenstimmen, aber mehr eigentlich auch nicht. Das häufige starke Vibrato vom Hänsel bei länger ausgehaltenen Tönen empfinde ich oft als störend, aber das ist natürlich Geschmackssache. Beide klingen für mich zu erwachsen.

    Zumindest eine Stelle möchte ich erwähnen, die doch positiv ist: nämlich die Echoszene: zwar schreit auch hier der Kuckuck schön laut herum, aber die Echos werden tatsächlich immer leiser, und man hört richtig, wie Hänsels Ruf „Wer da?“ immer tiefer im Wald verschwindet. Der Abendsegen ist Streichermatsch, von den Sängerinnen hört man ab und zu mal die Gretel, wenn sie höhere Töne singt. Die Hexe von Margaret Haggart ist mir viel zu schrill, und klingt meistens eher wie eine angeschwipste 50jährige auf einer Party, als eine Hexe. Speziell beim „Hurr hopp hopp hopp“ fällt das auf.

    Zum Schluß bleibt mir noch zu sagen, daß diese CD keine „Doppeldecker-Box“ ist, sondern eine dünne. Ich weiß nicht ob ich eine schlechte Version erwischt habe, aber meine Hülle fällt, obwohl sie unversehrt ist, immer auseinander, der Deckel schließt sich nicht richtig. Das Cover sieht zwar recht atmosphärisch aus, das Booklet ist allerdings mehr als dürftig: ein in englischer Sprache geschriebener Hinweis, daß Humperdinck nichts mit dem Sänger zu tun hat, er ein Wagner-Schüler war, und eine Inhaltsangabe der Oper. Das war’s. Keine Infos zu den Sängern, kein Libretto, nichts. Die Kapitelsetzung auf CD1 ist auch nicht glücklich gewählt: so landet man, wenn man von „Suse, liebe Suse“ ein Kapitel weitergeht, schon bei der Szene, in der die Mutter nach Hause kommt; will man also z.B. das Griesgram-Duett oder "Brüderchen, komm tanz mit mir" hören, muß man herumspulen.

    Von dieser Firma habe ich übrigens auch die weiter oben von Waldi vorgestellte Karajan-Aufnahme von 1954 – auch dort steht im Booklet das Gleiche drin wie hier, diesmal aber war die Hülle in Ordnung.

  • Ich muss ja gestehen, wenn ich mir die akademischen, einwandfreien Abhandlungen mancher Sinfonien etc. durchlese, komme ich mir mit meinen simplen Besprechungen eher schäbig vor. :hide: ;(

  • Lieber merkatz!

    Deine Beschreibungen sprechen mich besonders an, bei Anneliese Rothenberger hast Du bestimmt Recht und Irmgard Seefried war schon über ihren Zenit heraus.

    Bitte mach weiter, ich mache mich ja ansonsten lieber über die Oper lustig, denke aber ganz Ernst über dieses Fach, habe ich ja selbst genug Vorstellungen gesungen, speziell in "Hänsel und Gretel".

    Liebe Grüße und bitte weitermachen, Peter aus Wien. :wink:

  • Danke für dein Lob!

    Es ist natürlich nicht leicht, eine Aufnahme in aller Kürze vorzustellen, aber es würde den Rahmen sprengen, über jeden einzelnen Sänger, die Tontechnik, das Dirigat etc. zu schreiben ... besonders schwer wird es, wenn es viele Stellen gibt die wirklich toll sind, und man logischerweise am liebsten auf jede einzelne hinweisen würde. (Habe aber immer brav Amazon-Verlinkungen gemacht bei meinen Bildern :angel: )

    Leider habe ich, bis auf meinen Klavierunterricht und ein wenig Theorie, keinerlei musikalische Ausbildung genossen. Ich bin kein Musiktheoretiker, kein Dirigent, spiele in keinem Orchester oder ähnliches, und vor allem kann ich mich auch nicht so wortgewandt ausdrücken wie ein professioneller Kritiker. Ich versuche in meinen Rezensionen möglichst plastisch zu beschreiben, was mir gefallen, oder weniger gefallen hat.

    Zum Hänsel und Gretel - Thema selber ... ich habe eigentlich nie verstanden, wieso so viele Leute glauben, dass diese Oper in irgendeiner Form lustig sei; auf manchen Schallplatten steht sogar "Heitere Oper" drauf. Die meisten Inszenierungen, in der die Titelpartien (und meistens auch die Hexe) eher debil und übertrieben komisch dargestellt werden, tun sicher ihr Übriges.

    Ich finde die ganze Geschichte eigentlich ziemlich traurig und dramatisch: eine Familie, die um ihr Überleben kämpft; da sind diese zwei Kinder, die hungern, dann werden sie von einer wütenden Mutter fortgeschickt, verlaufen sich im Wald, fürchten sich vor grausigen Gesichtern und anderen Erscheinungen im Dunkeln, geraten dann in die Fänge einer Hexe, Gretel soll im Haus den Tisch decken für ein Mahl, in dem sie selbst verspeist werden soll (DAS ist ja überhaupt grausam) ... eigentlich 3 Akte reiner Psychoterror gegen zwei unschuldige arme Kinder. Vor diesem Hintergrund klingt der "Hexenritt" gleich viel dämonischer und dramatischer, der freudige Tanz der Hexe, der die Situation der Kinder völlig egal ist und Gretel den Tisch decken lässt, noch böser und härter.

    Und die Omis, oder Eltern, die meinen, dass sie ihre Kinder an klassische Musik „heranführen“ müssen, sagen dann „Schauen wir Hänsel und Gretel, das ist lustig“. Und dann sehen sie so misslungene moderne Inszenierungen, wo der Hänsel natürlich übertrieben kindisch hinfällt beim Tanzduett, oder die Hexe sich den Allerwertesten am Ofen wärmt. Wozu dann diese so bedrohlich klingende Hexenballade des Vaters, wenn die Hexe dann zu einer kinderfreundlichen Lachnummer verkommt?

  • Humperdincks Oper "Hänsel und Gretel" ist für mich keine "Kinderoper" sondern eher eine "Märchenoper". Zwar gibt es eingängige volksliedhafte Stücke wie z. B. "Suse, liebe Suse" oder "Ein Männlein steht im Walde" aber insgesamt ist die spätromantische, von Wagner beeinflusste Musik doch eher zu schwer für Kinder, wobei auch ich zum ersten Mal als 11-jähriger Knirps zusammen mit meinen Eltern dieses Werk in der Oper gesehen und gehört hatte und das hat mich zumindest nicht "traumatisiert" ;+) Im Gegenteil, denn damals erwachte mein Interesse insgesamt für die klassische Musik, was u. a. auch an "Hänsel und Gretel" lag.

    Von dieser Oper besitze ich nur eine Aufnahme und zwar diese hier:

    Diese Aufnahme habe ich ehrlich gesagt schon längere Zeit nicht mehr gehört aber ich erinnere mich dunkel, dass sie damals bei ihrem Erscheinen von der Fachpresse, z. B. FonoForum, ganz gut bewertet wurde. Deshalb kaufte ich sie mir dann auch. Dank dieses Threads werde ich mir diese Aufnahme mal wieder reinziehen. So langsam passts ja auch zur Jahreszeit, wobei meines Wissens diese Oper mit Weihnachten eigentlich gar nix zu tun hat.

    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • 8o

    (bezieht sich auf die entsprechenden Stellen vom Posting #18 von Merkatz)

    Ich glaube, das Thema "Kinder, Oper und Musik" gehört, wenn überhaupt, dann wohl lieber in einen getrennten Thread...

    ...man kann sicherlich unterschiedlicher Meinung hierzu sein, doch belassen wir es hierbei! ;+)

    :wink:

    amamusica :pfeif:

    P.S.:
    Doch wo steht geschrieben, daß eine Kinderoper keine kompositorischen Finessen aufweisen darf? Zumal sie so gut hörbar "verpackt" sind?

    Ein Blümchen an einem wilden Wegrain, die Schale einer kleinen Muschel am Strand, die Feder eines Vogels -
    all das verkündet dir, daß der Schöpfer ein Künstler ist. (Tertullian)

    ...und immer wieder schaffen es die Menschen auch, Künstler zu sein.
    Nicht zuletzt mit so mancher Musik. Die muß gar nicht immer "große Kunst" sein, um das Herz zu berühren...


  • Hänsel und Gretel Fantasie (1914)

    http://www.fotos-hochladen.net/uploads/hnself…ec5abinte0k.jpg


    Beide Seiten dieser Aufnahme wurden am 23.1.1914 aufgenommen; die Platte allerdings stammt aus den frühen bis mittleren 20er Jahren. (Das Foto hab ich vorher selber aufgenommen) Üblich für viele akustische Aufnahmen klassischer Werke war, dass man Konzessionen bezüglich der Instrumentierung machen musste; so hört man auf dieser Platte kein volles Orchester, sondern ausschließlich laute Blech- und Holzblasinstrumente, um halbwegs hörbare Töne zu erzeugen. Eine Basstuba ersetzt einen Kontrabass oder eine Klarinette die Violinen.

    Seite 1 beginnt mit Fragmenten aus der Ouvertüre. Zuerst hört man das „Hokuspokus“-Motiv der Hexe (Takt 36-39, nur Melodie), danach nochmal von Takt 36 an bis Takt 43, diesmal wird die Melodie von den dazugehörigen Akkorden begleitet.

    Plötzlich geht es von Takt 68-89 weiter, wobei die erste Note von Takt 89 als Anfang für die erneute zweimalige Wiederholung des Hokuspokus-Motivs dient.

    Es folgt das Tanzduett der Titelfiguren; zuerst Gretels Aufforderung „Brüderchen, komm tanz mit mir“, Hänsels „Tanzen soll ich armer Wicht“, und dann das jeweilige „Mit den Füßchen tapp tapp tapp“ der beiden. Das Tanzduett wird in dieser Form (wieder mit Hänsels Einwurf) noch einmal wiederholt, und damit endet Seite 1.

    Seite 2 beginnt mit dem Hexenritt (den unheimlichen Effekt der Halbtontriller in Takt 13 hört man hier besonders deutlich heraus), der etwa in Takt 18 übergeht in die letzten Takte, das ruhige Ende, das normalerweise von den Streichern gespielt wird.

    Darauf folgt „Ein Männlein steht im Walde“, in der ein Kuckuck hineinruft, das kurze Solo der Clarinette, und damit ist Seite 2 auch schon wieder vorbei.

    Natürlich läßt sich so eine alte Aufnahme nicht wirklich gut rezensieren, das hier ist eine völlig bearbeitete und umarrangierte Version, die mit dem Original nicht zu vergleichen ist. Dennoch ist die Klangqualität für eine akustische Aufnahme von 1914 ziemlich gut geworden; wenn Melodie und Begleitung zusammen gespielt werden, kann man die einzelnen Instrumente gut heraushören. Positiv auch, dass das Tempo hier nicht, wie auf vielen anderen klassischen Schellackaufnahmen, extrem gehetzt ist, sondern durchweg „gemütlich“. Und es ist doch interessant, eine HuG-Aufnahme zu hören, die entstand, als der Komponist noch gelebt hat :) (Am liebsten würde ich meine Schellackaufnahmen ja mal auf Youtube stellen, leider hab ich nicht die technischen Möglichkeiten dazu, und mit der Digicam zu filmen wird klanglich auch nicht wirklich berauschend sein)

  • Zitat

    amamusica:

    Ich glaube, das Thema "Kinder, Oper und Musik" gehört, wenn überhaupt, dann wohl lieber in einen getrennten Thread...

    Das ist eine gute Idee, zumal hier ja schon einiges zu diesem Thema zusammengekommen ist. Mein Vorschlag: Ich kopiere den Beitrag Nr. 14 von merkatz, der sowohl zur Diskographie passt als auch das neue Thema begonnen hat, in einen neuen Thread "MIt Kindern in die Oper (?)" und verschiebe diejenigen Beiträge, die sich darauf beziehen, dorthin. Viele Grüße, Federica

  • Das ist eine gute Idee, zumal hier ja schon einiges zu diesem Thema zusammengekommen ist. Mein Vorschlag: Ich kopiere den Beitrag Nr. 14 von merkatz, der sowohl zur Diskographie passt als auch das neue Thema begonnen hat, in einen neuen Thread "MIt Kindern in die Oper (?)" und verschiebe diejenigen Beiträge, die sich darauf beziehen, dorthin. Viele Grüße, Federica


    Ich wäre dafür. Leider bin ich bei dem Thema zu sehr abgeschweift. Ich hätte auch kein Problem, wenn man alle Beiträge von mir, die nicht zur Diskografie passen, löscht oder verschiebt, nicht nur den einen, damit es in diesem Thread nur um die Diskografien geht.

    Liebe Grüße, merkatz :)

  • Zitat

    merkatz:

    Ich hätte auch kein Problem, wenn man alle Beiträge von mir, die nicht zur Diskografie passen, löscht oder verschiebt, nicht nur den einen, damit es in diesem Thread nur um die Diskografien geht.

    Löschen würde ich schade finden, denn die Frage, ob und inwieweit Kindern die Oper zugänglich gemacht werden kann, ist doch ein interessantes Thema, dem ich in einem neuen Thread einen eigenen Raum geben möchte. Dass sich in den Fäden hier immer mal wieder Diskussionen anbahnen, die mit dem ursprünglichen Thema nicht viel zu tun haben, ist ja ganz normal und doch positiv, da sie ja als Anstupser zu neuen Themen gesehen werden können. ;+)

    :wink:
    Federica

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