Händel: Der Messias

  • von "dem einen" rede ich gar nicht.
    Kann ja niemand beim "Messiah", völlig richtig.
    Sieh aber mal hin, welche Änderungen Händel vornahm- es geht fast immer um Stimmen und Stimmernverteilung. Da folgt Mozart Händel sehr genau.
    Und genau darum ging es mir, das aufzuzeigen: Mozart ist Händel sehr nahe, auch wenn ich das Ergebnis nicht besonders schätze- den Weg sehr wohl.
    Der Name "Krause" fiel ja auch nicht von ungefähr: war ein Berliner Komponist um 1770, der sich Händels Werk annahm.
    Auf andere Art als Mozart, im Ergebnis so weit weg nicht.
    Mozart geht respektvoller um mit der Musik, Krause greift tiefer ein.
    Er sucht, Graun aus Händel zu machen.... was auch geht.
    Wie gründlich Mozart aber an Händel arbeitet, sich an ihm orientiert, darum ging es mir in der Schilderung.
    Und darum: dass selbst "HIP"- Dirigenten wie Gardiner nicht hinsehen: nicht sehen, wie genau Händel Besetzungen vorschreibt. Instrumentale Soli gegen Tutti, Soli gegen Chori vokal.
    Scherchen hat das gemacht, aber mit seinen Mitteln und kommt heute nicht mehr so gut an, die Tempi wirken altbacken.
    Im: "For unto us a Child is born" ein Streichquartett zu hören, hinführend zum Gesamtcharakter, das geht uns heute ab: es muss "unser" Händel- Bild sein.
    Wie genau, wie aufgedröselt Händel das eigentlich komponiert, wollen wir gar nicht wissen- und weder Gardiner noch Hickox.

    Wie schlicht Händels Musik eigentlich ist, und so ihren tiefen Eindruck erzeugt, verleugnen wir gern.
    Und ja, ich nehme mich selbst nicht aus in diesem Irrtum.

    Scherchen war da jemand wie Mr. Spock: ganz sachlich an das Thema gehen, ohne Emotionen, rein logisch.
    Kalt ist das nicht. Führt aber zu ungewöhnlichen Schlüssen, die unter Umständen überzeugender sind als die gewohnten.
    Ich finde also erstaunlich, wie genau Mozart Händel folgt.
    Im Grunde so wie Mr. Spock es täte.
    Rein logisch, alles andere ist unsere Interpretation, unsere Sicht auf Mozart, auf Händel. Wie Mozart Stimmen füllt oder überträgt, das ist pure Logik.
    Und macht mir große Freude!
    Überzeugender ist das Original für mich.
    In seiner Schlichtheit- und emotionalen Wucht, die manchmal aus dem Nichts zu entstehen scheint.

    Herzliche Grüße,
    Mike

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Du redest von "unserem" Händel-Bild, Hempel - was genau meinst du damit?

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Lies mal bitte zurück. Im Grunde sind wir uns alle einig, was ein "Händel- Bild" angeht. Das sich zusammensetzt aus Colin Davis, Mackerras, Beecham, Gardiner, McCreesh...
    Irgendwie ohrenfällig, mehr oder weniger.
    Aus allem, was wir kennen.

    Ganz spannend finde ich sehr historische A>ufnahmen- die torpedieren in aller "Romantik" "unseren" Händel noch erheblich.
    Aber auch Hinsehen, was Mozart mit dem Werk anfängt, da den Ursprüngen, den Noten näher als alles oben genannte.
    Auch wenn wir hier wieder auf Interpretationen angewiesen sind- aber "Freiheiten" erlauben sich die Musiker bei der Mozart- Fassung seltener als beim ursprünglichen Werk.
    Merkwürdig!
    Aber ich gelange wieder ins Ungefähre.....ich suche noch nach ganz historischen Aufnahmen aus den 20ern etc., die zwar "romantisch" sind, aber ohne das "Fett" der heutigen Aufnahmen. Gefunden, so melde ich mich wieder.

    Herzliche Grüße,
    Mike

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Danke für die interessanten Kommentare. Wahrscheinlich hätte ich diese Version mit Tenor-Zion und Solistenquartett viel mehr genossen, wenn die Stimmqualität der Solisten-Herren besser gewesen wäre...... Was "unser" Händelbild" angeht habt ihr sicherlich Recht. Wenn man den Messias selbst gefühlte 100mal gesungen und gehört hat, ist es einfach seltsam ungewohnt, plötzlich eine andere Version zu erleben. Das spricht nicht gegen die andere Version, im Gegenteil, sie weckt die Öhrchen auf. 8o
    Der Chor von Radio flamande war 24 Mann bzw Frau stark, und ich persönlich empfinde kleine Chöre immer als angenehmer, wenn es um solche "Kracher" geht. Mein Erweckungserlebnis mit Messiah war das Concert d'Astrée in kleiner Besetzung. Bei aller Wohne die singende Rieseneffektive hervorrufen können, sind kleine Besetzungen ideal, um wieder richtig hinzuhören anstatt zu schwelgen, wenn man ein Werk schon zu gut kennt. Daher finde ich die Solistenquartette gar nicht schlecht. Allerdings, wenn der Chor weit besser singt als die Solisten (zumindest männlicherseits, die Damen waren gut), möchte man dann doch lieber den Chor hören :whistling: :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Der Thread liegt schon eine Weile brach, gestern bin ich bei youtube zufällig über eine Aufführung mit Voces8 gestolpert, ganz hören konnte ich sie noch nicht, aber "Worthy is the lamb" fand ich sehr vielversprechend:

    Händel: der Messias mit Voces8Händel: der Messias mit Voces8

    Hört doch mal hinein :)


    Tue ich gerade - der Chor ist der Hammer :verbeugung2:
    Und der Sänger der allerersten Arie, Blake Morgan, ebenfalls: Gänsehautstimme :love: Und eine wunderschöne Interpretation der Arie mit Verzierungen, wie ich sie hier noch nicht kenne ... leider scheint das sein einziger Auftritt in diesem Werk zu sein :(

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Tue ich gerade - der Chor ist der Hammer :verbeugung2:
    Und der Sänger der allerersten Arie, Blake Morgan, ebenfalls: Gänsehautstimme :love: Und eine wunderschöne Interpretation der Arie mit Verzierungen, wie ich sie hier noch nicht kenne ... leider scheint das sein einziger Auftritt in diesem Werk zu sein :(

    viele Grüße von musica

  • Wirklich wunderschön, Blake Morgan einzigartig. Die Altistin war mir leider nicht "altig" genug, das Rejoice der Sopranistin leider in den Koloraturen unsauber. Der Chor war super. Was mir gut gefallen hat, dass die Solisten abwechselnd ihre Arien gesungen haben, mal etwas ganz anderes. Da sieht man auch, dass ein kleiner Chor großes leisten kann

    viele Grüße von musica

  • Die Altistin war mir leider nicht "altig" genug

    Mir auch nicht.

    Aber auch die Orchesterversion mit dem reinen Streichorchester (abgesehen von der zwingend notwendigen Trompete und dem b.c. natäürlich), die ja wohl anscheinend Händels Urfassung ist, gefällt mir sehr gut.

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Kennt jemand diese Aufnahme schon?


    Blitzlicht: Eine gut anzuhörende Aufnahme, wenngleich im Kontext weiterer, auch "klassischer" Aufnahmen im historisierendem Gusto nach meinem Dafürhalten nicht außergewöhnlich. Chor und Orchester hervorragend. Die Solisten sprechen mich unterschiedlich stark an. Julia Doyle: stimmlich schön, aber etwas nichtssagend ("I know that my Redeemer liveth"); Tim Mead: technisch und gestalterisch ohne Abzüge; mir gefällt sein Hang zur gelegentlich eigentümlichen Vokalfärbung nicht so recht; Thomas Hobbs: durchweg sehr schön; Roderick Williams: etwas zu glatt, wenig prägnant ("For behold!" / "The people that walked in darkness"); Julian Doyles Lesart: auf der flotten, aber nicht überdurchschnittlich eiligen Seite, Ausnahme: die Rezitative und Accompagnati empfinde ich bisweilen als zu eilig.
    Alles in allem wird - da beißt die Maus keinen Faden ab - durchweg auf sehr hohem Niveau engagiert musiziert. Die genannten Einschränkungen ergeben sich ausschließlich aus persönlichen Vorlieben.

    :wink: Agravain

  • Aus Toronto kann man eine sehr stark gekürzte Fassung des Messiah auf Youtube anschauen: Diversität und Lokalität sind die Themen der verschiedenen Aufführenden, weniger musikalische Überwätigung durch Perfektion: ich will damit die Qualität des Gebotenen nicht schmälern (das Toronto Symphony Orchestra spielt unter Leitung von Johannes Debus), aber die Assoziationen der Aufführenden mit ihren Stücken wirken aus Sicht eines weißen Mitteleuropäers immer erfrischend und persönlich: ein Kirchenchor steht in seiner Kirche, andere Sänger gehen in ihre Heimatregion hinaus in die Natur. Ich finde das Ganze sehr sympathisch und überzeugend: was an Assoziationen zu dieser Musik alles möglich ist.

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • (P) 2001 Archiv Produktion 471 341-2 (2 CDs) [123:20]

    rec. Oktober 1997 (Salle Debussy, Opéra Bastille, Paris)

    Nicole Heaston & Lynne Dawson (s)

    Magdalena Kožená (ms)

    Charlotte Hellekant (ca)

    Brian Asawa (ct)

    John Mark Ainsley (t)

    Russell Smythe (bt)

    Brian Bannatyne-Scott (b)

    Choeur des Musiciens du Louvre

    Les Musiciens du Louvre

    D: Marc Minkowski

    Mit immerhin acht Solisten läßt Minkowski den Messiah einspielen - in seiner Art, alles sehr flott und aufreibend neu zu gestalten. Sicherlich wird hier nicht alles dem Tempo geopfert (für He was despised braucht er zwölf Minuten), aber viele Stücke laufen doch mit einer sehr beschleunigten Weise ab. Manche wirken zu sehr gehetzt (All they that see Him/He trusted in God), während bei anderen ein gutes Maß anliegt (Comfort ye/Ev'ry valley) - ja, er kann auch ruhig und besonnen sein (Thy rebuke/Behold and see). Der Chor erweist sich als sehr gut artikulierend und intonationssicher, das Orchester spielt wie immer formidabel.

    Die Solisten gefallen mir nur zum Teil: je nach Stück singen sie entweder wunderbar lyrisch oder mit großer Vehemenz in der Stimme, wenn der Ausdruck lebendiger wird. Aber gerade der letzte Punkt wirkt fast immer als zuviel des Guten. Bannatyne-Scott z.B. kann kaum was dafür, daß er Why do the nations so wuchtig absolvieren muß, daß es raucht. Dawson singt fast nur die ruhigen Stücke, was zu den gelungensten Momenten der Aufnahme gehört, und Ainsley überzeugt ebenso vor allem in den ruhigen Nummern; wird es energischer, hat auch er ähnliche Probleme wie Bannatyne-Scott. Bei Nicole Heaston muß ich aber gestehen, daß sie überhaupt nicht paßt: sie hat ein zu starkes Vibrato und ramponiert die feine Helligkeit im There were shepherds unmißverständlich.

    Diese Probleme der Solisten ist aber eher konzeptionell begründet als ihrer Technik geschuldet. Minkowski schattiert die Möglichkeiten des Messiah viel zu wenig. Sehr häufig akzentiuert er den Ausdruck der Gegensätze (von sehr ruhig zu absolut kräftig), er spielt in einem Duktus, der kaum eine Variabilität im Ausdruck zuläßt, er rast im Shinkansen, wo der Intercity besser geeignet wäre. Es ist eines der wenigen Male, wo ich ganz klar sagen muß, daß hier HIP zu einer Karikatur ihrerselbst degradiert wird, obwohl das bei diesem Werk kaum möglich ist und auch nicht nötig wäre.

    Nein, mir gefällt das nicht sonderlich: das ist Ausdruck eines Hochleistungssports unter Dopingbedingungen. Große Virtuosität, aber ohne Nachhall.

    :neenee1: :neenee1: :neenee1: :neenee1:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Zitat von Josquin Dufay

    Nein, mir gefällt das nicht sonderlich: das ist Ausdruck eines Hochleistungssports unter Dopingbedingungen. Große Virtuosität, aber ohne Nachhall.

    :neenee1: :neenee1: :neenee1: :neenee1:

    Danke dir, Gottseidank bin ich nicht der einzige dem die Aufnahme nicht gefällt!

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • Danke dir, Gottseidank bin ich nicht der einzige dem die Aufnahme nicht gefällt!

    Es ist schon eklatant, wie hier Minkowski alles aus den Händen gleitet. Ich weiß, daß er polarisiert und daß er sehr eigen sein kann, aber so deutlich habe ich ihn nie scheitern hören... :(

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Es ist schon eklatant, wie hier Minkowski alles aus den Händen gleitet. Ich weiß, daß er polarisiert und daß er sehr eigen sein kann, aber so deutlich habe ich ihn nie scheitern hören... :(

    :thumbup: :thumbup: Ich war nie der große Freund von Minkowski, er hat selten ein gutes Händchen bei den Solisten.

    Bei der Begleitung von Solo Künstlern hält er sich doch meistens etwas zurück!

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
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