Schostakowitsch - Die 15 Streichquartette

  • Schostakowitsch - Die 15 Streichquartette

    Auch wenn ich die Streichquartette Schostakowitschs nicht ganz auf eine Stufe mit jenen Beethovens oder Bartóks stellen möchte, so gehören sie doch zu den ganz vorzüglichen Werken des Genres. Erstaunlich, dass ihnen noch kein eigener Faden gewidmet ist.

    Ich selbst habe die Einspielungen vom Borodin Quartett (Chandos, Melodiya (GA) und Virgin), vom Beethoven Quartett (GA) sowie vom Brodsky Quartett (GA) als auch vom Hagen Quartett. Schon lange liebäugle ich mit der GA des Shostakovich Quartets. Diese ist aber mittlerweile bei einem ganzen Haufen von Labels veröffentlicht worden, nämlich bei Olympia, Regis, Alto, Vista Vera.

    Kann mir jemand sagen, welche dieser Ausgaben klanglich am besten ist, (und damit meine ich, welche am behutsamsten remastered worden ist, also wo die größte Dynamikbreite belassen wurde, das Räuscheln nicht entfernt und der Pegel nicht unnatürlich auffettend mittels Kompressoren angehoben wurde).

    Außerdem habe ich entdeckt, dass es eine GA des Taneyev Quartetts bei Aulos gibt, einem Label, das ja berühmt ist für vorzügliche Klang. Kennt jemand diese Einspielung und kann ein paar Worte zu deren Interpretation machen?

    Danke! :wink:

    A propos: Gesamtaufnahmen scheint es noch zu geben vom:

    Eder Quartet
    Emerson String Quartet
    Fitzwilliam String Quartet
    Mandelring Quartet
    Manhattan String Quartet
    Quatuor Danel
    Rasumowsky Quartet
    Rubio String Quartet
    Sorrel Quartet
    St. Petersburg String Quartet

    Habe ich etwas übersehen?

    Gruß a.b.

    ----

    In der Musik geht es nicht um Perfektion, sondern um die Freiheit, zu zeigen, wer man wirklich ist.

  • Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass es zu den DSch-Quartetten weiter nichts zu sagen gibt :huh:

    Dieser Zyklus steht für mich unbedingt auf Augenhöhe mit den Werken Beethovens, Bartoks und Zemlinskys (jawoll). Was die 15 Sinfonien Schostakowitschs im sinfonischen Repertoire sind, stellen die ebenfalls 15 Quartette für ihre Gattung dar: Gipfelwerke.

    Mich erreichte heute die Gesamtaufnahme des Fitzwilliam Quartets per Post aus Los Angeles - ich habe sie auf einem dortigen market place ziemlich günstig erworben; inzwischen ist sie aber auch in Deutschland zu einem mehr als fairen Preis erhältlich. Für diese Aufnahme habe ich mich nach sehr ausgiebigem Vergleichshören (mit den Brodskys, Borodins, Emersons, Rubios, Sorrels, Shostakovichs etc) bei youtube, simfy, amazon etc entschieden.

    Im Beiheft erfährt man genaue Details über Aufnahmeort und -zeit (All Saints Church, Petersham, Surrey; 1975-77) - dagegen überhaupt nichts über das 1968 in Cambridge gegründete Fitzwilliam String Quartett, dessen relativ wenige Aufnahmen (überwiegend aus den 70ern) in Deutschland zunehmend vom Markt verschwinden. Auf der website des Ensembles erfährt man jedoch, dass es nach wie vor existiert und tourt: http://www.fitzwilliamquartet.org/recordings Mitglieder zur Aufnahmezeit waren Christopher Rowland und Jonathan Sparey, Violinen; Alan George, Viola und Ioan Davies, Cello.

    Die Fitzwilliams haben DSchs drei letzte Streichquartette "im Westen" uraufgeführt. Gegenüber Benjamin Britten äußerte DSch, er halte die Fitzwilliams, mit denen er in regelmäßiger Korrespondenz stand, für die besten Interpreten seiner Quartette. Es gab Pläne für eine engere Zusammenarbeit der Musiker mit dem Komponisten in Moskau, die jedoch durch den Tod DSchs im August 1975 vereitelt wurden.

    Auch wenn ich bislang nur die Quartette Nrn. 3, 4 und 9 gehört habe, kann ich doch sagen, dass ich mit meiner Wahl sehr glücklich bin. Die vier Briten sind sicherlich keine stupenden Virtuosen wie die Emersons, und sie spielen auch nicht mit "russischer Seele" wie die Borodins. Es fehlt vielleicht in manchen Passagen an "Biss" und "Furor", aber andererseits offenbart sich in ihren Interpretationen ein besonders tiefes Verständnis für den emotionalen Gehalt der Werke. Zudem ist die Aufnahmetechnik superb.

    "Gramophone" nahm diese Einspielungen übrigens in ihre Liste der "100 All-time great recordings" auf.

    Hier spielen die aktuellen Fitzwilliams den Kopfsatz des Quartetts Nr. 14 und berichten über ihre Kooperation mit DSch: "

    Externer Inhalt www.youtube.com
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    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "

    Ich bin sicher, dass ich mit dieser Box noch viel Freude haben werde. Dennoch kommen vielleicht einmal die Borodins als Vergleichseinspielung hinzu.

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Auch wenn ich die Streichquartette Schostakowitschs nicht ganz auf eine Stufe mit jenen Beethovens oder Bartóks stellen möchte

    Warum nicht?

    so gehören sie doch zu den ganz vorzüglichen Werken des Genres

    Warum tun sie das?

    Was die 15 Sinfonien Schostakowitschs im sinfonischen Repertoire sind, stellen die ebenfalls 15 Quartette für ihre Gattung dar: Gipfelwerke.

    Was macht sie dazu?

    Zitat

    Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass es zu den DSch-Quartetten weiter nichts zu sagen gibt


    Das kann wirklich nicht wahr sein.

    Viele Grüße,

    Christian

  • Guten Tag.

    Ich liebe Streichquartette von Schostakowitsch. Aber ich kenne nicht so gut Schostakowitsch und seine Streichquartette aus, deshalb hatte oder habe ich nichts viel dazu beizutragen.

    Hallo, Herr Lavine.

    Gegenüber Benjamin Britten äußerte DSch, er halte die Fitzwilliams, mit denen er in regelmäßiger Korrespondenz stand, für die besten Interpreten seiner Quartette.


    Die Aussage von Schostakowitsch kenne ich auch. Aber ich werde sie mit Vorsicht genießen. Bekanntlich war was Schostakowitsch gesagt hatte, nicht gleich was er gemeint hatte. So wie seine Musik hatte er oft mal was Doppeldeutiges bzw. nur die Hälfte gesagt, was er eigentlich meinen wollte (zu seiner Lebzeit war sicher nicht lebensungefährlich, alles zu sagen was man sagen wollte). Ich würde seine Aussage über Fitzwilliam Quartett so spekulativ ergänzen: "Ich halte Fitzwilliam für die besten Interpreten meiner Quartette (im Westen. Ihr habt ja nun mal kein Borodin-, Beethoven- oder Taneyev-Quartett.)". Wie schon gesagt, rein persönliche Spekulation…

    Ich habe auch mit Fitzwilliam Quartett seine Streichquartette kennengelernt und war eigentlich rundum zufrieden damit. Sauber artikuliert, manchmal humorvoll, manchmal auch melancholisch. Und die Einspielung hat auch so was wie Monty Pythonschen Charme ("always look on the bright side of life" bei der Kreuzigung). Nur die Klangqualität ist etwas seltsam. Ziemlich übertrieben wirkt der Nachhall. Angeblich soll der Badezimmer-Nachhall nur bei der CD-Ausgabe vorkommen, nicht bei den alten Schallplatten (jemand hat scheinbar mit Equalizer herumgespielt).

    Später habe ich der schon erwähnten Aufnahme von Taneyev zugelegt, als ich vor ein paar Jahren kurz in Südkorea mal war. Zügig gespielt, sehr trocken und unsentimental, aber eine tiefdepressive Atmosphäre kam immer wieder aus dieser Einspielung, jedoch nicht ohne Ironie und trockne Witze. Die Klangqualität ist ausgezeichnet (ich glaube, es wurde in 60ern aufgenommen).

    Seit ich Taneyev-Aufnahme habe, höre ich so gut wie nie andere Aufnahmen mehr. Wenn ich doch Einspielungen von Fitzwilliam oder gar Borodin höre, dann denke ich, "Hier stimmt etwas nicht. Ich weiß nicht, was das ist, aber etwas stimmt hier einfach nicht" (Zitat aus "Cheyenne – This must be the place". Offtopic: Dieser Film macht echt Laune).

    Schönen Tag,
    Penthesilea

    Auch Rom wurde nicht an einem Tag niedergebrannt - Douglas Adams

  • Zitat von »a.b.«
    Auch wenn ich die Streichquartette Schostakowitschs nicht ganz auf eine Stufe mit jenen Beethovens oder Bartóks stellen möchte

    Warum nicht?

    Zitat von »a.b.«
    so gehören sie doch zu den ganz vorzüglichen Werken des Genres

    Warum tun sie das?

    Ich stelle sie deshalb nicht ganz auf die Stufe, weil, wie mir scheint, nicht alle der 15 Quartette auf demselben hohen Niveau sind. Bei Beethoven und Bartók hingegen finde ich das Streichquartettwerk geschlossen überragend.
    Sie gehören, wie mir scheint, deshalb zu den ganz vorzüglichen Werken des Genres, weil jedes einzelne so gut ist, dass ich es nicht nur gerne immer wieder anhöre, sondern auch mit Genuss; was bei anderen Komponisten nicht der Fall ist.
    :P

    Gruß a.b.

    ----

    In der Musik geht es nicht um Perfektion, sondern um die Freiheit, zu zeigen, wer man wirklich ist.

  • Ich stelle sie deshalb nicht ganz auf die Stufe, weil, wie mir scheint, nicht alle der 15 Quartette auf demselben hohen Niveau sind.

    Woran machst Du das fest? Nein, ich weiß schon: Weil sie nicht alle auf einer Stufe stehen. Richtig?

    Bei Beethoven und Bartók hingegen finde ich das Streichquartettwerk geschlossen überragend. Sie gehören, wie mir scheint, deshalb zu den ganz vorzüglichen Werken des Genres, weil jedes einzelne so gut ist, dass ich es nicht nur gerne immer wieder anhöre, sondern auch mit Genuss; was bei anderen Komponisten nicht der Fall ist.

    Es wäre immerhin denkbar, dass letzteres mehr mit Dir als mit den Werken zu tun hat. Schade, dass Du zu denen gar nichts schreibst. Die kenne ich nämlich, Dich aber nicht, weshalb eine Unterhaltung über die Werke eigentlich interessanter wäre...

    Viele Grüße,

    Christian

  • Es wäre immerhin denkbar, dass letzteres mehr mit Dir als mit den Werken zu tun hat. Schade, dass Du zu denen gar nichts schreibst. Die kenne ich nämlich, Dich aber nicht, weshalb eine Unterhaltung über die Werke eigentlich interessanter wäre...

    Viele Grüße,

    Christian

    In der Tat, leider finde ich dazu gerade nicht die Zeit, zum Interessanten zu kommen. Genau Deine Frage zum Unterschied zwischen der Güte einer Musik und dem persönlichen Geschmack ist es, die mich sonst gewöhnlich umtreibt, etwas zu Wort zu bringen. :wink:

    Gruß a.b.

    ----

    In der Musik geht es nicht um Perfektion, sondern um die Freiheit, zu zeigen, wer man wirklich ist.

  • In der Tat, leider finde ich dazu gerade nicht die Zeit, zum Interessanten zu kommen.

    Das verstehe ich. Es ist in der Tat sehr viel schwieriger und zeitaufwändiger, etwas zu den Werken selbst zu schreiben. Ich bin gerade gedanklich bei ganz anderen Sachen, also muss wohl zu Schostakowitsch jemand anderes ran. Edwin, bist Du noch da???

    Viele Grüße,

    Christian

  • Vielleicht könnten ja einige von denen, die diese Werke so schätzen, auf einzelne davon hinweisen, die sie besonders bemerkenswert finden und warum. Ich finde es meist wenig hilfreich, in einem Schwung über Werke zu urteilen, die in einem Zeitraum von über 30 Jahren entstanden sind. Ich würde mich jedenfalls über solche persönlichen und subjektiven Hinweise freuen, da ich, obwohl ich einige der Stücke schon seit vielen Jahren "kenne" (d.h. immer wieder mal gehört habe), ich mich mit vielen davon noch nicht näher befasst habe. Und ich frage mich ein wenig, woran das liegt, dass ich, wenn ich mir mal eins auflege, meist doch wieder bei den alten Favoriten 3, 5 und 8 lande. Insofern kann ich aus meiner Perspektive den außerordentlichen Rang (wie Bartok oder gar Beethoven...), der den Werken zugebilligt wird, nicht unbedingt nachvollziehen und teilen.

    Was mir bei Penthesileas Bemerkung noch einfällt: Ist das auf die Eigenheiten des Plattenmarkts zurückzuführen oder wurden die Werke von vielen berühmten Ensembles bis in die 1980er Jahre hinein praktisch ignoriert? Oder haben zB Juilliard, LaSalle, Alban-Berg, Guarneri, Tokyo u.v.a. zumindest einige der Werke im Konzert gespielt, aber nicht aufgenommen? (Es gibt eine Juilliard-CD... von 2006, das von einem Ensemble, das viele Werke der neueren und neuesten Musik eingespielt, teils uraufgeführt hat, und Bartok, Beethoven, Mozart teils zwei bis dreimal aufgenommen hat...)
    Es ist doch recht bemerkenswert, dass ein sonst kaum bekanntes Ensemble wie das Fitzwilliam Q. die erste "westliche" GA vorgelegt hat und die nächste von einem damaligen "newcomer", dem Brodsky-Quartett, stammte. Dagegen scheinen in den letzten 15 Jahren, besonders dann wohl im Umfeld des Jubiläums 2006 die Gesamtaufnahmen exponentiell zugenommen zu haben...
    Lag das an der "Alleinzuständigkeit" des Borodin-Q. (bzw. ggf. anderer sowjetischer Ensembles, sofern deren Platten im Westen erhältlich waren)?
    Bei den Sinfonien mag es ähnlich aussehen, aber hier waren zumindest zwei oder drei schon recht lange sehr präsent, auch im Westen, und die Quartette enthalten, soweit ich sehe, nicht annähernd so viel, was man als platten sozialistischen Realismus o.ä. verstehen könnte.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Also das Alban Berg Quartett hat ganz wenig von DS aufgeführt (zB – zB SQ Nr. 7). Anlässlich eines Vortragsabends vor einigen Jahren hier in Wien (im nicht mehr existierenden Herbert von Karajan Zentrums) sagte -so meine nach bestem Wissen und Gewissen wiedergegebene Erinnerung - der Primarius des Alban Berg Quartetts, Günter Pichler, dass dem Alban Berg Quartett dieses“„motorische, maschinenhafte“ des Klangs der Streichquartette von DS nicht so liegt, das können andere wie – so sagte er, das Borodin Quartett - besser. Dem ABQ liegt das Gesangliche mehr – so seine Ausführungen. Doch fügte Günter Pichler leicht schmunzelnd dazu, dass das ABQ vielleicht dann doch Streichquartette von DS besser spielt als umgekehrt das Borodin Quartett Streichquartette von Franz Schubert spielen kann.

    Beste Grüsse

    Gerhard

  • Was mir bei Penthesileas Bemerkung noch einfällt: Ist das auf die Eigenheiten des Plattenmarkts zurückzuführen oder wurden die Werke von vielen berühmten Ensembles bis in die 1980er Jahre hinein praktisch ignoriert? Oder haben zB Juilliard, LaSalle, Alban-Berg, Guarneri, Tokyo u.v.a. zumindest einige der Werke im Konzert gespielt, aber nicht aufgenommen?

    Das gilt aber cum grano salis auch für Schostakowitschs Sinfonien, die im Westen (bzw. von westlichen Orchestern und Dirigenten) bis in die 80er Jahre sehr selten aufgeführt bzw. eingespielt wurden. Ausnahmen bestätigen dort die Regel: Britten, Ormandy, Karajan (nur die Zehnte), Haitink (aber erst ab Mitte der 70er), vermutlich einige wenige mehr. Erst in den 80ern tritt eine allmähliche Wende ein. Das hängt auf der einen Seite mit dem Kontext des Kalten Kriegs zusammen - Schostakowitsch galt bis zum Erscheinen der "Volkov-Memoiren" (1979) im Westen überwiegend als sowjetischer Staatskomponist und wurde deshalb von einer eher traditionalistisch-konservativen Richtung, für die Schostakowitsch sonst kompositorisch evtl. interessant gewesen wäre, ignoriert. Auf der anderen Seite gab es die Ablehnung Schostakowitschs durch die westliche Avantgarde: strukturell simpel bis primitiv, weitgehend tonal, staatssozialistisch affirmativ usw. - so argumentiert heute ja noch Pierre Boulez. Undenkbar, dass ein Avantgarde-Ensemble wie das Lasalle-Quartett Schostakowitsch aufgeführt hätte.

    Die Streichquartette sind, der Gattungstradition entsprechend, politisch weniger affiziert als die Sinfonien, waren also in dieser Hinsicht umproblematischer. Das scheint aber nicht für höhere Aufführungszahlen bis in die 70er Jahre gesorgt zu haben (man möge mich ggf. korrigieren). Ein Vergleich der beiden Werkkomplexe Streichquartett und Sinfonie bei Schostakowitsch ist auch sonst nicht uninteressant: da Schostakowitsch mit der Komposition von Quartetten relativ spät angefangen hat, bezeichnenderweise nach dem politisch erzwungenen Abbruch der "avantgardistischen" Phase, gibt es kein Quartett-Gegenstück zu den frühen Sinfonie-Experimenten, das erste Quartett aus den 30ern ist geradezu irritierend neutral-klassizistisch. Auf der anderen Seite scheint mir Schostakowitsch später in den Quartetten kompositorisch mehr zu experimentieren und zu wagen, was Loslösung von der Tonalität, der geschlossenen mehrsätzigen Form usw. betrifft - bereits vor den fünf Quartetten, die man dem sog. Spätwerk zurechnen kann. Die sind in ihrem Ausdrucksgestus schon ziemlich radikal (11 und 13 mag ich besonders) und für mich bewegender als die fasslicheren und populäreren Nrr. 3 oder 8. Begründung folgt, wenn ich mal mehr Zeit habe (bevor ich hier eins auf die Mütze kriege :D).


    Viele Grüße

    Bernd

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  • Vielleicht könnten ja einige von denen, die diese Werke so schätzen, auf einzelne davon hinweisen, die sie besonders bemerkenswert finden und warum.


    Als absolut außergewöhnliches Meisterwerk und zutiefst berührend emfinde ich das 15. Streichquartett. Es gibt eine sehr gute Einführung zu diesem Werk als Podcast im Bayerischen Radio, die schon wegen der Musikbeispiele viel besser in das Werk einführt, als einige Sätze von mir das könnten. Sichtworte bzw. Zitate daraus lauten: „hochkonzentrierte Kargheit“. „Ein innerlicher Alptraum, der nicht nach außen kann, ein bisschen wie Munchs Schrei.“ „Das Stück ist nicht mal betont traurig, sondern vermittelt eine unglaubliche Leere.“
    "In der Probe des ersten Satzes sagte Schostakowitsch zu einem Mitglied des Beethoven-Quartett: „Sie sollen das Stück so spielen, dass die Fliegen in der Luft tot herunterfallen und das Publikum aus reiner Langeweile beginnt, den Saal zu verlassen." Herunterzuladen und anzuhören ist der Podcast unter: "http://www.br-online.de/podcast/mp3-do…e-stuecke.shtml"

    Ein Programmheft mit Informationen zum Werk findet man hier: "http://www.berliner-philharmoniker.de/forum/programm…chquartette-iv/"

    Gute Aufnahmen gibt es viele. Besonders empfehlen möchte ich die des Borodin Quartetts aus dem Jahre 1995. Wer nur eine einzelne CD kaufen möchte, kann getrost zu Kremer und Konsorten greifen.

    Nachtrag mit weiterem Lesefutter:
    Programmhefte zu den übrigen Streichquartetten:
    "http://www.berliner-philharmoniker.de/forum/programm…tten-der-macht/"
    "http://www.berliner-philharmoniker.de/forum/programm…smus-und-krieg/"
    "http://www.berliner-philharmoniker.de/forum/programm…takowitsch-iii/"

    Zu den Quartetten allgemein:
    "http://www.feuchtner.de/musik_inhalt/s…/quartette.html"
    "http://www.zeit.de/2000/34/200034_schostakowitsch.xml"

  • Was kann man zu einer Werkgruppe als solcher substanzielles sagen – zumal, wenn sie 15 Einzelwerke umfasst, deren Entstehungszeitraum sich über nahezu 40 Jahre erstreckt?

    Ein »Zyklus«? Hm, weil es sich um 15 Einzelkompositionen handelt, die für eine identische Besetzung von 2 Violinen, Viola und Violoncello, ein Streichquartett halt, gesetzt sind? Das »Zyklische« ließe sich wohl nur dann konstatieren, wenn sich - so nicht eine strenge innere Geschlossenheit nachweisbar ist - zumindest einige strukturelle Hinweise, die auf eine das Einzelwerk überschreitende Anlage schließen lassen würden und/oder eine Kohärenz des »Gehalts« (what ever that means) der Werke nachweisen ließe.

    Dazu bedürfte es dann tatsächlich einer vergleichenden Analyse der Einzelwerke.

    Was man schon mal so tun kann: die Streichquartette ein bissel im Gesamtwerk Schostakowitschs verorten. Ich versuch das mal grob, erstmals mittels quasi-phänomenologischen Umkreisens.

    Die Streichquartette sind mit 15 mit Opuszahlen versehenen Einzelwerken gleichauf mit den Symphonien die umfangreichste Werkgruppe in Gesamtschaffen des Herrn Schostakowitsch. In einem Werkkatalog der (wenn ich mich nicht irre) 147 Opuszahlen zählt, machen die Streichquartette somit mehr als 10 % der gezählten Werke aus. Symphonien und Streichquartette stellen zusammen also mehr als 1/5 der von Schostakowitsch komponierten Werke. Allein dies lässt wohl den Schluss zu, dass es sich bei diesen beiden Werkgruppen um die gewichtigsten in Schostakowitschs Gesamtwerk handelt.

    Während Schostakowitsch sich mit der Gattung der Symphonie über sein gesamtes Leben als Komponist hin beschäftigt hat – die 1. Symphonie mit der Opuszahl 10 stammt aus dem Jahr 1924/25; die 15. und letzte mit der Opuszahl 141 aus dem Jahr 1974 – setzt die Beschäftigung mit der Gattung des Streichquartetts erst im Jahr 1935 ein (1. Streichquartett trägt die Opuszahl 49), wird dann aber erst knapp 10 Jahre später wieder aufgenommen, von nun an aber mit großer Kontinuität fortgeführt. Vielleicht ist es ein Zufall, dass die Intensivierung der Arbeit mit und an der Gattung des Streichquartetts parallel verläuft mit einem »Rückgang« der Beschäftigung mit der Gattung der Symphonie: Während knapp die Hälfte der Streichquartette (die Nummern 9-15) zwischen 1964 und seinem Tod entstanden sind, hat Schostakowitsch in diesem Zeitraum nur zwei Symphonien geschrieben. Man könnte also auf den Gedanken kommen, dass das Streichquartett die Symphonie als zentrales (Instrumental)Genre in Schostakowitschs Werk sukzessive abgelöst hat und »Streichquartett« und »Symphonie« gewissermaßen komplementär zueinander stehen. Tatsächlich ein Zufall?

    Diese Komplemantarität (ich spekuliere jetzt ein wenig) zeigt sich etwa auch an dem allein numerischen Verhältnis, in dem die Tongeschlechter innerhalb der beiden Werkgruppen zueinander stehen: Während in den Symphonien Molltonarten überwiegen, und zwar im Verhältnis 10:5, ist es in den Streichquartetten genau umgekehrt: dort dominieren Durtonarten mit 10:5. Ebenfalls ein Zufall?

    Und einen dritten Aspekt will ich noch kurz anführen, der die sich heimlich in meinen kleinen Text eingeschlichene Komplemantaritätsthese stützen könnte: Die Beschäftigung mit dem »Streichquartett« setzt in einer für Schostakowitsch überaus präkeren Phase ein: nach dem gewaltigen Anfangserfolg seiner Oper »Lady Macbeth von Mzensk« im Januar 1934 fällt Schostakowitsch unter das Fallbeil des »Formalismusvorwurfs«, wird demontiert, die Oper wird abgesetzt, er zieht seine 4. Symphonie noch vor der Uraufführung zurück. Ist die Beschäftigung mit dem Streichquartett der Versuch, ein zur in der UdSSR ungleich stärker mit repräsentativen und politischen Anforderungen aufgeladenen Gattung der Symphonie tatsächlich komplemtäres Genre zu finden, in dem er auf intimere, weniger »offizielle« und auch weniger notwendig »öffentlich anschlussfähige« Weise seine künstlerischen Gedanken verwirklichen könne? Ein leiserer, vergrübelter Kommentar/Paralleldiskurs zu den Symphonien?

    Das mal nur als ein paar Gedanken ins Unreine ….

    Ich würde vielleicht nächstens mal zu einigen der Werke, die mir besonders nahe stehen (etwa zum 3., 4., 6., 7., 11., 13. oder 14. Streichquartett) ein paar – extra für ChKöhn ;+) – auch partiturgestützte Sätze ausführen können und wollen.

    Es gibt übrigens auch eine ziemlich umfängliche Publikation zu den Streichquartetten:

    Schostakowitschs Streichquartette. Ein internationales Symposium, hrsg. von Andreas Wehrmeyer u.a., Berlin: Kuhn 2002

    Ich selbst kenne die Publikation nicht – "http://books.google.de/books?id=KNqfA…ved=0CD4Q6AEwAQ" hier kann man aber das Inhaltsverzeichnis einsehen.

    Adieu,
    Algabal

    p.s.: Jetzt sehe ich, dass andere mal wieder schneller waren als ich.

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • In Englisch gibt es ein aktuelles Buch, das bei Betonung der biographischen Hintergründe der Quartette einen persönlichen Zugang zu pflegen scheint (ich kenne es nicht), aber trotzdem, wenn man den amazon.com-Rezensionen Glauben schenken mag, eine sehr gute Lektüre sein kann:

  • Mein Interesse an Kammermusik hat sich erst sehr spät entwickelt (mit der Ausnahme von Klaviersonaten). Ich würde mich daher in Bezug auf Kammermusik immer noch als Neuling zählen. Es begann wahrscheinlich mit dem 8. Streichquartett von Schostakowitsch, über das ja viel geschrieben wird, und welches auch im Film "Testimony" vorkommt. Auch das hervoragende 2. Klaviertrio war in dieser Hinsicht ein Multiplikator, welches meine Neugier auf weitere Kammermusik weckte und eine gewisse Hemmschwelle überwinden lies. Ich kann jetzt nur aus meiner Erinnerung schreiben, da ich (außer ein paar mp3-Aufnahmen) nichts zur Verfügung habe. Alles natürlich rein subjektiv. Musik ist ja immer das subjektive Erlebnis, und das ist auch gut so.

    Gehört habe ich zwar alle Streichquartette von Schostakowitsch, aber in meiner bewussten Erinnerung habe ich nur die Nummern 3, 5, 7, 8, 9, 10, 13, 14, 15 parat. Ich habe mich auch mal an die Quartette von Bartok heran gewagt, auch einiges gemocht, aber die Musiksprache von Schostakowitsch liegt mir einfach viel näher. Nebenbei, es gibt ein sehr schönes Buch über Schostakowitsch, weniger biografisch als musikwissenschaftlich, in dem so ziemlich jedes Werk ausführlich besprochen wird, insbesondere die 15 Streichquartette. Ich kann dies nur bestens empfehlen.

    Ich finde die Quartette von Schostakowitsch sehr Facettenreich: es gibt viel Trauermusik (3. (vierter Satz), 8. Quartett, 13., 15. (Elegie), energie geladenen motorische Musik (3. (Scherzo), 5. (Ecksätze), 9. (Finale), ja geradezu rasende Wut (7. (Finale)), dann "sphärische" Musik (5. und 7. (mittlere Sätze)). Das 3. hat eine formale Ähnlichkeit zur 8. Sinfonie. Nicht nur wegen der Fünfsätzigkeit: jeweils zwei Scherzi, die ersten jeweils noch eher ironisch, die zweiten motorisch grausam. Die beiden vierten Sätze, traurige Passacaglie, die Finali bleiben stimmungsmäßig mit zaghaft hoffnungsvollen Fragezeichen zurück. Das 5. Quartett. Hier hat man kraftvolle Ecksätze, die einen fantastischen Mittelsatz einrahmen. Dieser Mittelsatz ist eher ein Zustand denn eine Entwicklung. Im Finale eine spannende Steigerung. Für mich eines der vielen Beispiele bei Schostakowitsch, wo die Steigerungen zu nichts führen. Sie brechen ergebnislos ab, geschweige denn, dass sie sich freudig ergehen wie bei Mahler. Ein gutes Beispiel ist da für mich der Höhepunkt im ersten Satz der 10. Sinfonie, eine Ausnahme deren Finale, das mal im triumphalen DSCH endet. Sehr gut gefällt mir das dreisätzige, aber kurze 7. Quartett (das dem Andenken seiner verstorbenen Frau Nina gewidmet ist). Beim furiosen Finale möchte ich kaum stillsitzen. Mitreißend auch Scherzo und Finale des 9.

    Emotional spricht mich das einsätzige 13. Quartett sehr an. Es wird auch manchmal als ein Schwesternstück der 14. Sinfonie angesehen; beide Werke haben den Tod zum Thema (wie die meisten seiner späten Werke). Sie verklären nichts. Die hoffnungslose Musik am Anfang und am Ende wird nur kurz unterbrochen von einem gespenstischem Mittelteil, ein "Rumgehopse", was auch wieder zu nichts führt. Am Ende bleibt nur der Übergang in den Tod. In dem Umfeld ist das 14. schon fast als "problemlos-leicht" zu bewerten. Beim 15. gefällt mir der erste Satz (Elegie) besonders gut. Die Musik schleppt sich traurig dahin, teilweise scheint es ihr schwer zu fallen, weiter zu "machen". Einziger Trost ist hier die schöne Klangatmosphäre (wie auch beim 13.).

    Mehr kann ich momentan erst einmal nicht schreiben.

    :wink: maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)


  • Was kann man zu einer Werkgruppe als solcher substanzielles sagen – zumal, wenn sie 15 Einzelwerke umfasst, deren Entstehungszeitraum sich über nahezu 40 Jahre erstreckt?

    Daher ja mein Vorschlag, etwas konkreter zu werden...

    Zitat


    Während Schostakowitsch sich mit der Gattung der Symphonie über sein gesamtes Leben als Komponist hin beschäftigt hat – die 1. Symphonie mit der Opuszahl 10 stammt aus dem Jahr 1924/25; die 15. und letzte mit der Opuszahl 141 aus dem Jahr 1974 – setzt die Beschäftigung mit der Gattung des Streichquartetts erst im Jahr 1935 ein (1. Streichquartett trägt die Opuszahl 49), wird dann aber erst knapp 10 Jahre später wieder aufgenommen, von nun an aber mit großer Kontinuität fortgeführt.

    Damit war ich vor gut 15 Jahren schon zum ersten Mal reingefallen. Ich kaufe mehr oder minder auf gut Glück (ich hatte damals vermutlich nur seine 5. und 9. Sinfonie auf CD) eine CD aus der damals noch recht neuen Reihe des Brodsky Q. mit #6, 10 und 14. In der naiven Ansicht (die Opusnummern waren wohl hinten nicht abgedruckt), damit, analog zu Beethoven, in etwa ein frühes, mittleres und spätes Werk zu erhalten. Dann waren das aber alles eher trockene klassizistisch-verfremdet-ironische Stücke und überdies alle "eher spät". Irgendwann später habe ich dann auch diese "schiefe" Verteilung der Quartette über das gesamte Oeuvre mitgekriegt... Die nächsten CDs waren 3+5 (Eder) und eine mit 8-10? mit dem Borodin Quartett. o.k., davon waren die meisten emotional sehr viel packender und "direkter" als die erste CD. Ich habe dann irgendwann eine GA gekauft und sicher alle Werke mehrmals gehört. Nur bin ich irgendwie nicht dazu gekommen (oder nicht entsprechend fasziniert gewesen), um mich intensiver mit ihnen zu befassen. Jedenfalls fand ich einige Stilmerkmale tendenziell etwas nervig (noch so ein grotesker Walzer usw.), bei der CD mit 8-10 war ich nach dem 8. immer etwas enttäuscht von den anderen Stücken. Aber mir ist natürlich völlig klar, dass das meist ziemlich oberflächliche Eindrücke sind und die Stücke gefielen mir ja grundsätzlich nicht schlecht, viele sogar recht gut.

    Aber seltsam eben, dass anders als zB bei den beiden Berg-Quartetten, die ich zuerst richtig schwierig/unzugänglich fand, oder bei Bartok (wobei ich da auch noch einiges zu knabbern habe, obwohl ich die schon deutlich länger gehört habe, teils sogar mit Noten usw.) der Funke anscheinend nie so recht übergesprungen ist. Ich bin ja sicher kein Avantgarde-Verfechter, aber rein klanglich habe ich Schostakowitsch als ziemlich traditionell in Erinnerung. Während die lyrische Suite oder der mittlere Bartok mir allein aufgrund der "Farben", die hier mehr oder minder neu in das Genre eingeführt werden, die Sprache verschlagen (und die sind alle vorher komponiert). Aber ich werde die Gelegenheit jedenfalls nutzen, mir die Stücke nochmal vorzunehmen. Daher jedenfalls vielen Dank an alle für die Hinweise!

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Das gilt aber cum grano salis auch für Schostakowitschs Sinfonien, die im Westen (bzw. von westlichen Orchestern und Dirigenten) bis in die 80er Jahre sehr selten aufgeführt bzw. eingespielt wurden. Ausnahmen bestätigen dort die Regel: Britten, Ormandy, Karajan (nur die Zehnte), Haitink (aber erst ab Mitte der 70er), vermutlich einige wenige mehr. Erst in den 80ern tritt eine allmähliche Wende ein. Das hängt auf der einen Seite mit dem Kontext des Kalten Kriegs zusammen - Schostakowitsch galt bis zum Erscheinen der "Volkov-Memoiren" (1979) im Westen überwiegend als sowjetischer Staatskomponist und wurde deshalb von einer eher traditionalistisch-konservativen Richtung, für die Schostakowitsch sonst kompositorisch evtl. interessant gewesen wäre, ignoriert. Auf der anderen Seite gab es die Ablehnung Schostakowitschs durch die westliche Avantgarde: strukturell simpel bis primitiv, weitgehend tonal, staatssozialistisch affirmativ usw. - so argumentiert heute ja noch Pierre Boulez. Undenkbar, dass ein Avantgarde-Ensemble wie das Lasalle-Quartett Schostakowitsch aufgeführt hätte.

    Das war mir in Grundzügen zwar klar, aber es waren ja nicht alle Ensembles so avantgarde-orientiert. Und angesichts des "neutraleren" Charakters der Quartette ist für mich die lange Ignoranz und dann der recht plötzliche Umschwung in den letzten ca. 20 Jahren schon bemerkenswert, gerade im Vergleich zu den Sinfonien. man hätte es ja eher umgekehrt erwartet. Auch Bernstein, Previn, Stokowski haben eine Reihe der Sinfonien aufgeführt und eingespielt. natürlich kein Vergleich zu der Schwemme von Aufnahmen in den letzten Jahren
    .
    (Habe gerade 1,4,7 und 5 im wesentlichen direkt hintereinander gehört, vielleicht ein bißchen viel auf einmal...)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Später habe ich der schon erwähnten Aufnahme von Taneyev zugelegt, als ich vor ein paar Jahren kurz in Südkorea mal war.

    Die Aufnahme scheint ja nicht eben leicht zu bekommen zu sein. Mich wird mein Weg so bald wohl nicht nach Südkorea führen :S Beim Suchen auf "simfy" habe ich dafür -O.T. - eine größere Anzahl anderer Aufnahmen des Taneyev-Quartetts gefunden. Sehr interessant klingende Einspielungen der Beethoven-Quartette und viel russisches Repertoire wie Miaskovsky und natürlich Taneyev. Das läßt in der Tat vermuten, dass die DSch-Aufnahmen dieses Ensembles hörenswert sind

    Ist die Beschäftigung mit dem Streichquartett der Versuch, ein zur in der UdSSR ungleich stärker mit repräsentativen und politischen Anforderungen aufgeladenen Gattung der Symphonie tatsächlich komplemtäres Genre zu finden, in dem er auf intimere, weniger »offizielle« und auch weniger notwendig »öffentlich anschlussfähige« Weise seine künstlerischen Gedanken verwirklichen könne? Ein leiserer, vergrübelter Kommentar/Paralleldiskurs zu den Symphonien?


    Rhetorische Fragen.

    Noch einige weitere "quasi-phänomenologische Einkreisungen" :rolleyes: In seiner Sturm-und-Drang-Zeit sah DSch das Streichquartett offenbar nicht als geeignete Form an, sich auszudrücken. Erst nachdem er schon fünf Sinfonien komponiert hatte, deren letzte ja deutlich einen stilistischen Wendepunkt markierte, gab es 1938 einen ersten Versuch in dieser Gattung. Dann kam jedoch die Zeit stalinistischer Repressionen gegen den Komponisten - und es kam der Krieg, dessen Erlebnisse DSch wiederum vorzugsweise mit sinfonischen Ausdrucksmitteln verarbeitete (7. und 8.), bevor erst 1945 das 2. Quartett komponiert wurde. Die letzten zehn Quartette fallen dann allesamt in die späte Reifezeit des Komponisten - der introvertierte Charakter verstärkt sich nahezu von Werk zu Werk.

    Mit Ausnahme des SQ1 wurden alle Quartette durch das Beethoven-Quartett uraufgeführt. Der Bratscher Vadim Borisovsky hatte einen talentierten Schüler Namens Rudolf Barschai, der 1967 das SQ8 mit Zustimmung des Komponisten als Kammersinfonie op.110a für Streichorchester bearbeiten durfte. Die SQ11-14 sind jeweils den einzelnen Mitgliedern des Beethoven-Quartetts gewidmet, wobei jeder Musiker in "seinem" Quartett mit besonderen quasi-solistischen Aufgaben bedacht wurde. Selten hört man wohl ein Quartett mit solch einem dominierenden Cellopart wie im SQ14.

    Um Algabals Vermutung aufzugreifen: Die Streichquartette sind nicht nur ein leiserer, vergrübelter Kommentar, sondern vielleicht auch des Komponisten intimste und persönlichste Selbstäußerung. So wie Schumann sich am authentischsten und unmittelbarsten in seinen Klavierwerken auszudrücken vermochte, Bruckner in seinen Sinfonien und Schubert in seinen Liedern, gelang dies Schostakowitsch für mein Empfinden besonders gut in der Gattung des Streichquartetts. Eine gewagte Vermutung? Nun, vielleicht zumindest vertretbar, wenn man sich einmal vor Augen führt, dass das Motiv D-Es-C-H vor allem in den späteren Quartetten ab dem 8. (das weitgehend auf diesem Kernmotiv aufgebaut ist) bemerkenswert häufig erscheint. Und wenn einem die Vielzahl von Selbstzitaten in den SQ auffallen: Mal hört man zB im SQ8 Anklänge an die Lady Macbeth von Mzensk, mal an die 1. und 5. Sinfonie, an das Klaviertrio oder an das 1. Cellokonzert. Das autobiographische Element tritt also deutlich hervor.

    Vielleicht könnten ja einige von denen, die diese Werke so schätzen, auf einzelne davon hinweisen, die sie besonders bemerkenswert finden und warum.

    Dann nehmen wir doch mal eben dieses SQ8, das mir ohnehin mit Abstand dasjenige zu sein scheint, dem man im Radio, im Konzertleben und auf CD am häufigsten begegnet. Es entstand 1960 innerhalb von drei Tagen während eines Besuchs im völlig zerstörten Dresden - DSch widmete es "Den Opfern des Krieges und des Faschismus".

    Die Eindrücke werden dem Komponisten seine eigenen Erfahrungen während der deutschen Belagerung Leningrads schmerzlich in Erinnerung gerufen haben. Diese hatte der Komponist vor allem in der 8. Sinfonie verarbeitet, und zu dieser weist das SQ8, auch wenn es 17 Jahre später entstand, doch eine deutliche Ähnlichkeit in den Ausdrucksmitteln auf. Beide Werke sind bewegende, aufwühlende Reflexionen über den Irrsinn des Krieges und die damit verbundenen Leiden - eine verzweifelte Anklage gegen die entmenschlichte Menschheit.

    Man kann nicht immer in der Stimmung sein, sich diesem aufwühlenden Werk auszusetzen - der schlechteste Einstieg in DSchs Werk ist es aber gewiß nicht (für mich war es das erste Werk dieses Komponisten, das ich überhaupt kennengelernt habe).

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Die "offiziellen" Widmungen würde ich bei Schostakowitsch nicht für bare Münze nehmen. Sicherlich kann man sich die Musik des 8. SQs auch in diesem Kontext (Krieg, Faschismus, Stalinismus) vorstellen; es wird ja auch ein russisches Trauerlied zitiert. Aber, wie General Levine schon schrieb, das Werk hat abgesehen vom D-Es-C-H (das auch schon zuvor in vielen Werken auftauchte) viele Selbstzitate. Ein persönliches, intimeres Bekenntnis scheint mir daher wahrscheinlicher. -- Beides widerspricht sich ja auch nicht. Es gibt ja auch irgendwo das Zitat von Sch., in dem er sagt, dass er hiermit sein eigenes Requiem geschrieben hat. Es war auch die Zeit seines Parteieintritts, wo heute immer noch einiges im Dunkeln liegt.

    Ich denke, die späte Hinwendung zum SQ mag auch viele pragmatische Gründe haben, auch jenseits politischer Betrachtungen. Dass ein junger, talentierter Komponist es eher anstrebt, große, "gewaltige" Werke wie Sinfonien und Opern zu schreiben, und nicht Kammermusik, finde ich vollkommen nachvollziehbar. Auch mir als Laien ist klar, dass das SQ ein ziemlich schwieriges Genre ist, wozu eine gewisse kompositorische Reife unbedingt nötig ist. Man muss auch bedenken, dass Sch. in den letzten Jahren sehr krank war, so dass das Schreiben "vieler Noten" auch körperlich eine Anstrengung war. Das macht (für mich) auch mit das Faszinierende seines Spätwerks aus, dieses Maximum an Ausdruckstiefe mit minimalen technischen Mitteln (nicht nur in Kammermusik, auch in Sinfonien und Konzerten); ich sehe die Parallele zu Beethovens Spätwerk. Zudem ist Krankheit und Tod das Thema, sein persönliches Thema, in den meisten seiner Spätwerke. Man muss hierbei auch beachten, dass Sch. kein religiöser Mensch war. Daher kann Tod für ihn nichts Tröstliches bedeuten. Auf seine 14. Sinfonie hat sich der gläubige Scholzenyzin von ihm abgewandt. Ich will damit nur sagen, dass das Spätwerk (und ein Großteil der SQe sind Teil des Spätwerks) offenkundig sehr persönliche Themen zum Inhalt hat. Das gilt aber auch etwa für sein 1. Violinkonzert oder seine 10. Sinfonie.

    Nur ein paar Gedanken...

    :wink: maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

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