Alfredo Casella: Die Orchesterwerke - Unentdeckte Werke des 20.Jahrhunderts

  • Alfredo Casella: Die Orchesterwerke - Unentdeckte Werke des 20.Jahrhunderts

    Der Komponist Alfredo Casella (1883 – 1947) ist mir in letzter Zeit öfter begegnet. Nicht als Komponist, sondern er hat Sinfonien von Muzio Clementi und durch seine Affinität zu den russischen Komponisten auch u.a. Balakiriews Islamey instrumentiert.


    Durch zahlreiche Empfehlungen und Klassikforenbeiträge habe ich mir nun zwei NAXOS-CD´s gekauft:

    Mit den Sinfonien Nr.1 op.5 (1905/6) und Nr.2 op.12 (1910) dem fabelhaften Nachtstück und seiner einzigen Programmmusik A notte alta für Klavier und Orchester (1921) und dem reif und noch moderner klingenden Konzert für Streicher, Klavier, Pauken und Schlaginstrumente op.69 (1943).


    :thumbup: Alfredo Caselas Werke treffen in ihrer Tonsprache genau meinen Geschmacksnerv. Seine Vorliebe für russische Komponisten ist deutlich spürbar. So sind seine Werke auch einerseits durch Strawinsky, andererseits durch Tschaikowsky, Borodin, Balakiriew, Rimsky-K. und Mussorgsky geprägt.

    Seine Sinfonie Nr.2 ist inhaltlich an Mahlers Sinfonie Nr.2 angelehnt. Ein fabelhaftes Werk, das mir (um bei der Mahler-Nähe zu bleiben) ungleich besser als Rotts Erstling gefällt.

    Überhaupt stelle ich fest, das ich für diese wenigen Werke von ihm wiedermal alle Sinfonien des Komponisten, der über 100Sinfonien geschrieben hat, stehen lassen würde …


    Nun die Einschränkungen diese NAXOSEN betreffend:
    Ich habe NAXOS zu verdanken, diese Werke überhaupt kennenzulernen zu können, denn kaum ein anderes CD-Label würde sich trauen so eine orchestral unzulängliche Aufnahme überhaupt auf CD zu veröffentlichen – das zeichnet Naxos wiedereinmal aus !

    ;( Die Aufnahmen des Orchestra Sinfonica di Roma klingen wie ein Laienorchester. Die aktuelle wirklich gute Naxos-Klangqualität von 2009 stellt diesen Mangel umso deutlicher heraus.

    Diese Italiener scheinen aus meiner Sicht kein wirklich anständiges Orchester auf die Beine stellen zu können. Schon die Barshai-Aufnahme mit den Schostakowitsch-Streichersinfonien mit dem Orchestra Sinfonica di Milano war ein Ärgernis erster Güte !


    :!: Diese Werke und insbesondere die Sinfonie Nr.2 schreit geradezu nach einer orchestral perfekten Aufnahme. Ich werde Casella im Auge behalten – denn diese sinfonischen Werke halte ich wirklich für eine Marktlücke in der Discographie.

    Naxos schreibt auch noch groß bei den Sinfonien WORLD PEMIERE RECORDING und das bei einem Aufnahmedatum von 2009. In der Tat gibt es keine Vergleichsaufnahmen, aber eine Chandos - Aufnahme der Sinfonie Nr.2 mit dem BBC PH (offenbar aus 2010), die von Johannes (guercoeur) schon gelobt wurde – diese muss natürlich jetzt her !


    :angel: Casella ist eine Neuentdeckung der es wirklich in sich hat. Die Werke sprechen für sich selbst, auch wenn das Orchestra Sinfonica di Roma dies nicht in Klang umzusetzten vermag, so hört man was in ihnen steckt und was man noch rausholen kann.


    NAXOS, 2009, DDD


    Es liegen noch zwei weitere NAXOS-CD´s mit diesem "Laienensemble" vor, auf der u.a. die Sinfonie Nr.3 und das Celloconzert enthalten sind. 8| Man wird wohl zunächst darauf zurückgreifen müssen ...

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    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Schade, das solche hochinteressanten Sinfonien, die mit Mahler ohne weiteres schritthalten können, so wenig Resonanz haben. Ganz besonders herausragend - die Sinfonie Nr.2.


    In anderen Beitragen hatten guercouer und ich bereits auf die vorzugsweise ungleich bessere Aufnahme Casellas Sinfonie Nr.2 op.12 hingewiesen.

    Deshalb sei hier im Casella - Thread erneut der Hinweis auf die packende Chandos-Aufnahme von 2009 mit dem BBC PO / Gianandrea Noseda gegeben, die auch eine hochvirtuose Aufnahme des interessanten Klavierkonzertes Scarlattina für Klavier und Orchester op.44 (1926) - Länge 27:24 bietet:

    Chandos, 2009, DDD


    Ich habe mir mit der Zeit zunächst zum Kennenlernen der Sinfonie Nr.3 op.63 auch die 3.NAXOS-CD mit dem Orchestra Sinfonica di Roma / Francesco La Veccia zugelegt, die von der Orchesterleistung einen weniger zwiespältigen Eindruck macht, als die jeweiligen Naxos-Aufnahmen der Sinfonien Nr.1 und 2.

    Das spätromantische eigenständige Werk aus den Jahren 1939-40 spricht für sich selbst.
    Da ist auch die etwas ältere ebenfalls ordentliche cpo-Einspielung mit dem WDR SO/Alun Francis nicht einmal unbedingt vorzuziehen, die das Werk Sinfonia per Orchestra op.63 (Sinf.Nr.3) mit nur einem Zugriff/Track von 44:39Min Länge bietet.
    Bei Naxos werden die 4 ineinander übergehenden Satzteile auch sauber übersichtlich in 4Tracks aufgeteilt.


    NAXOS, 2008/10, DDD


    Sinfonie Nr.3 op.63 und Rhapsody für grosses Orchester op.11
    cpo, 2006, DDD

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    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • ...und wenn wir hier schon so schön beieinander sind, möchte ich noch auf meine neueste CD hinweisen, die ich heute erstmals hören könnte:

    Das Konzert für Orchester, op.61, ist ebenso mitreißend wie die Symphonien, wenn er sich auch vom Idiom Mahlers weit entfernt. Die Suite am Anfang der CD ist ganz witzig, mit vielen verfremdeten und bearbeiteten Sibelius-Zitaten durchsetzt, dem dieses Werk auch gewidmet ist. Und schließlich die Sammlung der kurzen Orchesterstücke mit bewegten tönenden Bildern und Eindrücken aus dem Ersten Weltkrieg.

    Alternativ gibt es für op.61 auch eine Chandos-Einspielung:

    A notte alta ist auch auf den Naxos CDs (mit der II. Symphonie, glaube ich), dafür gibt es hier ncoh die Symphonischen Fragmente aus "La Donna Serpente".

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)

  • Konzert für Orchester op.61

    Alternativ gibt es für op.61 auch eine Chandos-Einspielung:



    Hallo Travinius,

    ich habe die beiden neuen CD´s im CD-Programm bei Chandos und Naxos vom Konzert für Orchester op.61 auch dieser Tage entdeckt.

    Nachdem ich alle 3 Sinfonien in den NAXOS-Aufnahmen habe und den imensen Unterschied zu Nosedas ungleich packenderer Interpretation und Orchesterleistung der Sinfonie Nr.2 (Chandos) kenne, steht für mich ausser Frage, welche der beiden CD´s vom Konzert für Orchester ich bestellen werde.

    :prost: Meine Bestellung ist gerde raus. ^^ Und nach deinen aufmunternden Worten bin ich megagespannt auf das KFO.

    Wirklich seltsam, dass solche Werke bisher unentdeckt geblieben sind. Bei den NAXOS-CD´s der Sinfonien stand auch schon "World Premiere Recording" drauf, obwohl diese Angabe nicht immer zutraf. Aber macht ja nichts, durch diese neuen Aufnahmen kommen diese tollen Werke endlich ans Tageslicht !

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    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Durchaus interessant, wie man beim Wandern immer wieder durch Zufall auf das Capriccio-Kulturforum trifft.

    Mein Ziel war eine Werkbeschreibung der zweiten Sinfonie von Alfredo Casella, und der Weg führte mich nach einiger Zeit schließlich hierhin zurück, da es im ganzen deutschsprachigen Internet so gut wie keine Wortmeldungen zu diesem außergewöhnlichen Komponisten und seinem epochalen Werk zu finden gibt.

    Es ist nicht selten, daß nähere Informationen über Komponisten, Dirigenten und Werkbeschreibungen direkt hierhin führen, bei Monteverdis Madrigalen oder Antonio Salieri erging es mir ähnlich. Darin zeigt sich der Wert dieses Forums.

    Was die 2. Sinfonie von Casella betrifft, und da sie bisher so wenig gedeutet wurde, möchte ich mir die Freiheit nehmen, einige Anmerkungen hinzuzufügen.

    Zuallererst muß man sie zeitgeschichtlich in den Vorabend des ersten Weltkriegs verordnen, wie auch bei Gustav Mahlers Werken, spürt der geneigte Hörer bei den Sinfonien des Töneschöpfers Casella von Beginn an ein untergründiges und bedrohliches, dennoch ungewisses Brodeln, das vernünftige Menschen eher zur Flucht veranlassen würde.

    Was jedoch außerordentlich erstaunlich ist, Casella schafft es, die musikalische und atmosphärische Dichte noch intensiver und dramatischer zu gestalten als Gustav Mahler, der dem Hörer viel, viel mehr Zeit lässt zur Ruhe zu kommen, und sich zu entspannen. Bei Casella wird man diese Phasen selten finden, und wenn, so dauert es nicht lange, bis sich ein neuer Abgrund auftut, der nur noch tiefer blicken lässt. Nichts wirkt bei Casella abgekupfert, obwohl die Inspiration die er bei Mahler - und im aufgewühlten Europa - fand, einen direkten Vergleich anbietet.

    Bei Casellas zweiter Sinfonie kommt hinzu, daß sie ihren krönenen Abschluß findet, es ist beispiellos, wie gekonnt es dem Mann gelungen ist, einen direkten Übergang zu vertonen, der von einer erdrückenden Qual in einem erlösenden Triumph endet, wo man genau weiß, daß sich die Marter gelohnt hat, daß es richtig war, nicht zu verzagen, all das Leid und Drama durchzustehen, um am Ende die Befreiung zu erfahren.

    Wer Gustav Mahler mag, wird Alfredo Casella lieben, das ist sicher. In einer verstaubten Ecke hat er als Komponist nichts verloren.

    « J'ai osé beaucoup, mais la prochaine fois, vous verrez, j'oserai plus encore. »

  • Eine weitere Beschreibung von Casellas zweiter Sinfonie zu einer aktuellen Tonaufnahme des Sinfonierorchesters Münster, die meine laienhafte Zusammenfassung en detail ergänzt, findet man unter:

    "http://www.klassik-heute.de/4daction/www_m…inzeln?id=22266"

    Zitat von Rasmus von Rijn

    Es sind vielmehr die Reflexionen eines jungen Mannes, der mit kräftiger Muskulatur einen mächtigen Hohlspiegel in die Höhe wuchtet, um darin die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart zu betrachten, in der Gustav Mahler natürlicherweise einen erheblichen Einfluß ausübt.

    « J'ai osé beaucoup, mais la prochaine fois, vous verrez, j'oserai plus encore. »

  • Nun antworte ich doch noch einmal.

    Die Aufnahme dieses Orchesters-des Sinfonieorchesters Münster- macht mich schon ein wenig stolz.
    Ich bin dort seit 1993 als Cellist angestellt.
    Und alle meine GMDs wußten von meiner Leidenschaft für das sog. Nebengleisrepertoire.
    Also Werke, welche durchaus als genial durchgehen können, aber trotzdem nicht aufgeführt werden.

    Fabrizio Ventura,
    https://de.wikipedia.org/wiki/Fabrizio_Ventura
    mein ehemaliger Chef,war dann endlich jemand, der meine Träume in die Tat umsetzte.

    So erklangen bei uns dann z.B. "Tintagel" von Sir Arnold Bax, "The Sea" von Frank Bridge und Vaughan Williams tolle und wirklich sehr schwere 6.Sinfonie.
    Unser Publikum war jedes mal sehr begeistert.
    Dieses Repertoire kam-und da war ich mir vorher sehr sicher- sehr gut an.
    Daher vertraute mein GMD mir auch, als ich diese 2.Sinfonie von Casella im Vorbeigehen erwähnte.
    Bei diesem kleinem Gespräch im Vorbeigehen nämlich machte ich dann Fabrizio auf die 2.Sinfonie von Casella aufmerksam, welche mir selber erst vor kurzem durch den Capriccio- User und persönlichen sehr lieben Freund Guercoeur bekannt gemacht wurde.

    Insoferne geht der Verdienst dieser unserer Aufnahme aus Münster an Guercoer und das Capriccio-Klassikforum.

    Danke, Johannes!
    Man kann sehen, was passieren kann durch einen kleinen Wink eines Capricciosi wie z.b. Guercoer.

    Daß sich dank Maestro Ventura dann im Endeffekt sogar eine SACD/ CD aus diesem kleinen Gespräch zwischen uns ergeben konnte,
    das ist Maestro Fabrizio Venturas Verdienst.

    Kudos, Fabrizio!

    Der einzige Wermutstropfen ist, das ich wegen meiner Erkrankung-chronischer Schmerzpatient seit einem Jahr- nicht mehr spielen kann..
    Und daher die Casella Sinfonie verpaßt habe.
    Ich habe da leider nicht mitgespielt.

    Und es ist mit Abstand die beste Aufnahme unseres Orchesters geworden.
    Wir haben einen problematischen Saal, sehr trocken, aber die Aufnahmeleiter und Techniker von ARS haben einen wirklich tollen Job gemacht.

    Diese Aufnahme ist von vorne bis hinten einfach perfekt gespielt und aufgenommen.
    http://www.musicweb-international.com/classrev/2017/…y2_ARS38232.htm

    Und ja, es ist die für mich beste Aufnahme der 2.Sinfonie von Casella bisher.
    Fabrizio ist eben ein toller Dirigent.
    Und wir haben auch mal Musik studiert und können spielen in einem B-Orchester.

    Meine Güte, was war das schwer, den JPC link einzustellen.
    Eine solche Zumutung sollte dringend geändert werden.

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