Schubert: Messe in Es-Dur, D.950
Liebe Capricciosi!
Schuberts Messe in Es-Dur gehört für mich zu den großen Meisterwerken der Gattung, die den Bereich der Liturgie recht eigentlich überschreiten und den Ordinariumstext in ein persönliches Bekenntnis transformieren, wie auch Bachs h-moll-Messe. Bitte nicht missverstehen: das ist nicht das, was ich von einer Messkomposition in erster Linie erwarte; auch eine kleiner dimensionierte Messe, die ihre liturgische Funktion mustergültig erfüllt und mit der Qualität ihrer Musik das religiöse Erleben vertieft, kann ein Meisterwerk sein, und es gibt viele Beispiele dafür. Hier handelt es sich jedoch de facto wohl eher um eine Konzertmesse, die heutzutage für die Liturgie zu groß ist und auch schon früher kaum im liturgischen Rahmen Platz hatte, auch wenn sie ursprünglich dafür gedacht gewesen sein soll.
Was mich an dieser Messe so fasziniert, ist die Vielfalt des musikalischen Ausdrucks, die aber nicht unverbunden nebeneinandergestellt ist, sondern ganz dicht verschmolzen wird. Dem Liedhaften wird genauso Raum gegeben wie würdevoller Erhabenheit, der tiefen Empfindung ebenso wie fröhlichem Jubel, aber es ist immer eins auch im anderen irgendwie enthalten und geht nahtlos ineinander über. Besonders begeistert mich neben Agnus Dei und Gloria das Sanctus, wo Schubert wirklich in der Musik die Himmel weit aufreißt. Für mich hat dieses herrliche Sanctus etwas Eschatologisches und weckt Assoziationen zur Wiederkunft Christi und zur geheimen Offenbarung des Johannes, wo es heißt (4,1-8): "Eine Tür war geöffnet am Himmel; [...] Und ich sah: Ein Thron stand im Himmel; auf dem Thron saß einer, der wie ein Jaspis und ein Karneol aussah. Und über dem Thron wölbte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah. [...] Von dem Thron gingen Blitze, Stimmen und Donner aus. und sieben lodernde Fackeln brannten vor dem Thron; das sind die sieben Geister Gottes. Und vor dem Thron war etwas wie ein gläsernes Meer, gleich Kristall. Und in der Mitte, rings um den Thron waren vier Lebewesen voller Augen, vorn und hinten. [...] Und jedes der vier Lebewesen hatte sechs Flügel, außen und innen voller Augen. Sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig, ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung; er war, und er ist, und er kommt." Nur ist dieser Tag bei Schubert kein "Dies irae", sondern höchstens ein "Dies illa", und auch wenn einen die Herrlichkeit Gottes im zweiten und dritten "Heilig"-Ruf oder in jenem Aufschrei "Pleni sunt caeli et terra gloria tua" überwältigt, so ändert das nichts am grenzenlosen Vertrauen zu der Liebe Gottes, mit der das Sanctus (vor dem Hosanna) sanft ausklingt.
Liebe Grüße,
Areios