Schubert: Messe in Es-Dur, D.950

  • Schubert: Messe in Es-Dur, D.950

    Liebe Capricciosi!

    Schuberts Messe in Es-Dur gehört für mich zu den großen Meisterwerken der Gattung, die den Bereich der Liturgie recht eigentlich überschreiten und den Ordinariumstext in ein persönliches Bekenntnis transformieren, wie auch Bachs h-moll-Messe. Bitte nicht missverstehen: das ist nicht das, was ich von einer Messkomposition in erster Linie erwarte; auch eine kleiner dimensionierte Messe, die ihre liturgische Funktion mustergültig erfüllt und mit der Qualität ihrer Musik das religiöse Erleben vertieft, kann ein Meisterwerk sein, und es gibt viele Beispiele dafür. Hier handelt es sich jedoch de facto wohl eher um eine Konzertmesse, die heutzutage für die Liturgie zu groß ist und auch schon früher kaum im liturgischen Rahmen Platz hatte, auch wenn sie ursprünglich dafür gedacht gewesen sein soll.

    Was mich an dieser Messe so fasziniert, ist die Vielfalt des musikalischen Ausdrucks, die aber nicht unverbunden nebeneinandergestellt ist, sondern ganz dicht verschmolzen wird. Dem Liedhaften wird genauso Raum gegeben wie würdevoller Erhabenheit, der tiefen Empfindung ebenso wie fröhlichem Jubel, aber es ist immer eins auch im anderen irgendwie enthalten und geht nahtlos ineinander über. Besonders begeistert mich neben Agnus Dei und Gloria das Sanctus, wo Schubert wirklich in der Musik die Himmel weit aufreißt. Für mich hat dieses herrliche Sanctus etwas Eschatologisches und weckt Assoziationen zur Wiederkunft Christi und zur geheimen Offenbarung des Johannes, wo es heißt (4,1-8): "Eine Tür war geöffnet am Himmel; [...] Und ich sah: Ein Thron stand im Himmel; auf dem Thron saß einer, der wie ein Jaspis und ein Karneol aussah. Und über dem Thron wölbte sich ein Regenbogen, der wie ein Smaragd aussah. [...] Von dem Thron gingen Blitze, Stimmen und Donner aus. und sieben lodernde Fackeln brannten vor dem Thron; das sind die sieben Geister Gottes. Und vor dem Thron war etwas wie ein gläsernes Meer, gleich Kristall. Und in der Mitte, rings um den Thron waren vier Lebewesen voller Augen, vorn und hinten. [...] Und jedes der vier Lebewesen hatte sechs Flügel, außen und innen voller Augen. Sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig, ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung; er war, und er ist, und er kommt." Nur ist dieser Tag bei Schubert kein "Dies irae", sondern höchstens ein "Dies illa", und auch wenn einen die Herrlichkeit Gottes im zweiten und dritten "Heilig"-Ruf oder in jenem Aufschrei "Pleni sunt caeli et terra gloria tua" überwältigt, so ändert das nichts am grenzenlosen Vertrauen zu der Liebe Gottes, mit der das Sanctus (vor dem Hosanna) sanft ausklingt.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • RE: Schubert: Messe in Es-Dur, D.950

    Besonders begeistert mich neben Agnus Dei und Gloria


    Aus dem Gloria das Gratias, wunderschön! Wenn DAS nicht Dank ausdrückt, was dann?

    Das ist doch die Messe, wo Schubert das "et incarnatus est" nach "passus et sepultus est" einfach mal wiederholt!
    Gibts das irgendwo sonst noch?
    Als wollte er eine Art Wiedergeburtsglauben ausdrücken, oder wie versteht ihr das?
    Normal ist ja, daß es nach "sepultus est" gleich an die Auferstehung geht...
    Die dann übrigens hier (nach der Wiederholung)gleich mal mit dem "Credo"-Anfangsthema anhebt,
    als wollte er sagen, daß das auch wieder Glaubenssache ist...

    Das Sanctus, das Du ansprichst, ist ja von harmonischer Kühnheit, die erst im Parsifal wieder eingeholt wird!
    Es-Dur-h-moll-g-moll-es-moll auf engstem Raum, vor allem der erste Schritt ist ja nichtmal mehr Mediante,
    denn Es-Dur und h-moll haben keinen gemeinsamen Ton....
    Das ist schon sehr jenseitig, dieses Heilige!

    Ja, das Agnus Dei find ich schon auch sehr ergreifend, irgendwie auch so einfache, man will fast sagen volkstümliche Melodien...
    Wahrlich eine grosse Messe!

    Gruss
    herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Die Es-Dur-Messe gehört zu meinen liebsten Messvertonungen. Ein Aspekt, den ich sehr interessant finde: Die Gesangssolisten setzen erstmals bei "Et incarnatus est" ein. Die individuelle Stimme tritt also erst bei der Menschwerdung in die Musik ein. Ich kenne keine andere Messe, bei der das so ist (wobei ich gestehen muss, nicht allzu viele zu kennen).

    Falstaff

  • Das ist doch die Messe, wo Schubert das "et incarnatus est" nach "passus et sepultus est" einfach mal wiederholt!
    Gibts das irgendwo sonst noch?
    Als wollte er eine Art Wiedergeburtsglauben ausdrücken, oder wie versteht ihr das?

    Andere Möglichkeit: die Ineinssetzung oder "Überlagerung" von Inkarnation und Tod Christi. Bekanntestes Beispiel (in der ersten Kantate von Bachs Weihnachtsoratorium): der Choral Wie soll ich dich empfangen zur Inkarnation, gesungen auf die Melodie O Haupt voll Blut und Wunden in der Harmonisierung von Wenn ich einmal soll scheiden (gesungen zur Reflexion über den Kreuzestod Christi in der Matthäuspassion).

    Damit will ich nicht sagen, dass Schubert hier Bach rezipiert hätte (das WO kannte er ja wohl kaum), sondern dass beide Komponisten auf eine epochen- und konfessionsübergreifende Tradition rekurrieren.

    Ist aber nur eine steile Hypothese. Vielleicht doch ein bewusster Verstoß gegen die Konvention seitens Schuberts.

    Einzigartig, wie das Incarnatus zunächst von zwei (!) Tenören angestimmt wird, deren Stimmen sich miteinander verflechten. Gibt dem Ganzen einen Schuss Androgynie. Kommt besonders gut mit den keuschen Kreuzchor- und Thomanerstimmen von Peter Schreier und Hans-Joachim Rotzsch in der oben von Areios abgebildeten Sawallisch-Aufnahme ^^.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Die Es-Dur-Messe gehört zu meinen liebsten Messvertonungen. Ein Aspekt, den ich sehr interessant finde: Die Gesangssolisten setzen erstmals bei "Et incarnatus est" ein. Die individuelle Stimme tritt also erst bei der Menschwerdung in die Musik ein. Ich kenne keine andere Messe, bei der das so ist (wobei ich gestehen muss, nicht allzu viele zu kennen).


    Schöner Hinweis. kenne auch kein anderes Beispiel dafür, und ich kenne schon einige Messen, weil mich die "Form" und was daraus so alles geschaffen wurde, schon sehr interessiert... Aber das war mir nie aufgefallen!

    Zwielicht
    das ist es wohl, ein Hinweis darauf, daß Incarnation auch Tod bedeutet. Aber das macht ja der typische "lineare" Verlauf eigentlich deutlich genug,
    Aber diese Wiederholung bleibt kryptisch.
    Klingt für mich immer wieder überraschend und auch ein bißchen verstörend, wie nach dem schon deutlich abgesetzten Cruzifixus die Solisten wieder so lieblich einsetzen, als wäre nix gewesen...

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • als wäre nix gewesen...

    Das "als wäre nichts gewesen" ist ja nicht untypisch für Schubert - vergleiche in manchen seiner Sonatensätze das Problem der "wörtlichen Reprisen", bei denen alle möglichen Katastrophen der Durchführung scheinbar oder anscheinend keine Wirkung zeitigen.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Hallo,

    ich möchte hier noch auf die wunderschöne Aufnahme mit Frieder Bernius hinweisen (die auch preislich attraktiv ist):

    Isokoski, Borst, Pregardien, Grönlund, Hauptmann
    Kammerchor Stuttgart, Deutsche Kammerphilharmonie
    Frieder Bernius
    (rec. 1995)



    Kommt besonders gut mit den keuschen Kreuzchor- und Thomanerstimmen von Peter Schreier und Hans-Joachim Rotzsch in der oben von Areios abgebildeten Sawallisch-Aufnahme ^^.

    Rotzsch war ja meines Wissen kein Thomaner, sondern "nur" Thomaskantor....

    Mit Sawallisch kenne ich nur die As-Dur-Messe, die sicher auch mal einen Thread verdient hätte.

    Gruß pt_concours

    W o h n z i m m e r w e t t b e w e r b:
    Petit concours à la maison... (S. Richter, 1976)

  • Ich freue mich sehr über diesen Thread, weil ich diese Messe besonders liebe! Danke :)

    Eine Besonderheit der Es-Dur-Messe von Schubert ist die Verwendung der Posaunen. Ich hab vor längerer Zeit im Zuge eines Konzertberichts schon mal darüber geschrieben. Hier nochmal ein paar Auszüge, vielleicht interessiert ja den ein oder anderen dieser Aspekt.

    Schubert hat, wie überlieferte Aussagen belegen, die Posaune besonders geliebt. Und er hat in seinen späten Stücken der Posaune einen immer größeren Raum gegeben. Man denke nur an die große C-Dur Symphonie - und eben die Es-Dur Messe. Hier – in der Messe - baut Schubert natürlich auch auf die Tradition auf, eine Alt-, Tenor- und Bassposaune mit dem Chor Colla Parte spielen zur lassen. Allerdings geht er in der Verwendung der Posaunen weit darüber hinaus. Er hatte, wie kaum ein anderer Komponist Sinn für die Möglichkeiten der Posaunen über ihre gängige Verwendung (festlich auftrumpfen für Götter, Könige und Oberpriester, bedrohlich schmetternd für Furien der Hölle und Jüngstes Gericht, und traurig-schaurig statische Akkorde für Grabesmusik und Choräle) hinaus. Denn Schubert erkannte die gesanglichen Qualitäten, den feinen, warmen Gesang, der auch möglich ist auf der Posaune. Er verwendet (auch schon im zweiten Satz der Unvollendeten) die Bassposaune als Bassinstrument der Holzbläsergruppe, er gibt in der großen C-Dur Symphonie wie auch in der Es-Dur Messe den Posaunen thematische und melodische Aufgaben in einem Umfang, wie es meines Wissens kein Komponist vor ihm getan hat. Bei ihm ist die Posaune auch Tröster, er zielt nicht auf die hässlichen Effekte, sondern auf die etwas distanziert, sanfte Schönheit des unforcierten Posaunenklangs.

    Ein wahrer Mount Everest ist die Es-Dur Messe. Wie oft darf man als Posaunist berechtigterweise das Gefühl haben, wirklich an der Musik teilzunehmen, ein vollwertiger Partner der Holzbläser zu sein? Hier darf man! Die Altposaunenstimme ist zwar sehr anstrengend (gerade weil man so viel, so hoch, und so viel leise spielen muss), aber es gibt auch kaum ein Stück, wo man so beglückt ist, wenn es gelungen ist. Wo man so teilhaben kann an der Musik, und nicht nur den ganzen Abend Pausen zählt und auf die eine, schwere, offene Stelle wartet, die dann aber perfekt sein muss, sonst ist der Abend versaut (Paradebeispiel ist die 1. Brahmssymphonie). Schubert verwendet die Posaunen zwar auch, wie es Tradition ist, meist im Satz (wirklich reine, gut balancierte Akkorde sind eines der größten Pfunde eines guten Posaunensatzes), aber mit viel Phantasie, mal Unisono in Oktaven als Stimme Gottes (Domine Deus im Gloria), mal als zart pulsierenden Grund unter dem Chor (die erste Piano-Stelle im Gloria), sehr oft, und das ist wirklich außergewöhnlich, als Teil der Holzbläsergruppe. Da ist besonders das Benedictus zu nennen, wo die Altposaune fast den ganzen Satz mit der zweiten Klarinette und die Tenorposaune mit dem ersten Fagott unisono spielt, und zwar einen melancholisch zarten Gesang von überirdischer Schönheit. An dieser Stelle wird sicher keiner Posaunen vermuten, wenn er nicht ganz genau hinhört. Es gibt natürlich auch die klassischen Colla Parte Stellen, vor allem in den beiden großen Fugen, die den Posaunen einiges abfordern an Agilität. Colla-Parte-Spiel ist ohnehin ein Problem, vor allem auf modernen, relativ weit mensurierten Posaunen. Man soll idealerweise im Chorklang verschwinden, den Klang auffüllen und etwas färben, aber sich soweit zurücknehmen, dass man nicht ins Bewusstsein des Zuhörers dringt. Das ist eine großartige Schule für feines Cantabile-Spiel. Und man sollte den Text kennen, damit man weiß, wo er Chor atmet, wo abphrasiert werden muss etc.

    Man könnte viele weitere Stellen nennen, wie das Eingangsthema des Credo, das bei der Reprise nach dem Et incarnatus-Teil auch von den Posaunen übernommen wird. Und schon im Kyrie fügen die Posaunen an vielen Stellen mit feinen Akkorden den Holzbläsern eine weiter Farbe hinzu, sind kaum mal mit dem Chor geführt. Und im wunderschönen, so tröstlichem und friedlichem Dona nobis Pacem (Agnus) nehmen die Posaunen immer wieder am Dialog (in feinem Piano) teil, immer wieder wird die Bitte "Gib uns Frieden" wiederholt, eindringlich, aber auch, wie wenn man sich selber in den inneren Frieden hinein-swingt, es hat auch was von Autosuggestion. Der Beginn des Agnus ist sehr ungewöhnlich, mit einem Fugato über ein "Kreuzthema" (die notierten Noten formen, durch Linien verbunden, ein Kreuzsymbol) in der äußeren Form ganz barock, aber in Diktus ist das reiner Schubert, extrem in den Wechseln zwischen Aufschrei (die sehr dissonante und laute Agnus-Fuge) und leisestem Bitten. Überhaupt spielen barocke Techniken eine große Rolle in dieser Messe, und trotzdem ist es reinster Schubert, nicht nur im wunderschönen liedhaften "Et incarnatus" im Credo, auch in den leise nachschwindenden Orchester-Zwischenspielen in den großen Chorfugen (Gloria und Credo), im sanft pulsierenden Kyrie (weiche Akkorde über einem Puls der tiefen Streicher). Wild auffahrend das Gloria, aber schon bald wieder ganz fein und leise. Überhaupt wechselt der Ausdruck ständig, ist die Messe unheimlich abwechslungsreich und farbig. Auch der mehrmalige Anruf "Domine Deus" im Gloria, jedesmal gesteigert, beim letzen Mal bis ein ein dreifaches Forte, das aber sofort wieder einbricht in feinstes Pianissimo. Und dann wieder - "Gloria". Eine kurze Reprise des Anfangs, und dann eine rießige Fuge (eine Technik, mit der man wohl Schubert nicht unbedingt in Verbindung bringt, aber auch das kann er - und wie). Und - am Ende des Credo eine weitere Steigerung - eine noch größere Fuge. Dabei beginnt das Credo alles andere als sicher. Da ist kein selbstbewusstes "Ich glaube", sondern da ist viel Zweifel. Leise tastend gewinnt es erst nach und nach Gestalt. Extrem wieder der Mittelteil - das himmlisch schöne, liedhafte "Et incarnatus, zum ersten Mal mit Solisten, sozusagen spricht erstmals der Mensch, das Individuum, und dazwischen wieder Angst, Aufschrei, extreme Dynamik - "Cruzifixus" - und am Ende - leise Kadenz - "Et sepultus est". Und dann - Reprise - Credo, aber jetzt sehr viel sicherer, jetzt ist aus dem Zweifel Glaube geworden, könnte man sagen. Jetzt gibt es kein Halten mehr, jetzt kommt der Jubel zum Höhepunkt- und dazwischen immer wieder leise, tröstlich feine Streicher-Zwischenspiele. Man könnte sagen, Schuberts Himmel ist eher hier versteckt, nicht um weltlich lauten Jubel, sondern in der innerichen Stille, der leisen Freude den inneren Friedens. Das Sanktus ist seltsam, weil es nicht nur feierlich, sondern immer wieder dissonant ist. Und das Osanna - eine schnelle, aus sehr kleinen Motiven zusammen gesetzte Fuge. Auch hier wieder Tradition, und doch ist ein absolut neu, gibt es kein wirkliches Vorbild, ist es reinster Schubert - und bis zu Bruckners f-Moll-Messe gab es meines Wissens keine Messe, die Schubert übertroffen hätte an Modernität, an Abspruch, an Umfang (Beethovens Missa mal als Sonderfall außen vor, außerdem was die vor Schubert). Schade, dass diese Messe so selten aufgeführt wird.

  • Andere Möglichkeit: die Ineinssetzung oder "Überlagerung" von Inkarnation und Tod Christi. Bekanntestes Beispiel (in der ersten Kantate von Bachs Weihnachtsoratorium): der Choral Wie soll ich dich empfangen zur Inkarnation, gesungen auf die Melodie O Haupt voll Blut und Wunden in der Harmonisierung von Wenn ich einmal soll scheiden (gesungen zur Reflexion über den Kreuzestod Christi in der Matthäuspassion).

    Damit will ich nicht sagen, dass Schubert hier Bach rezipiert hätte (das WO kannte er ja wohl kaum), sondern dass beide Komponisten auf eine epochen- und konfessionsübergreifende Tradition rekurrieren.

    Ist aber nur eine steile Hypothese. Vielleicht doch ein bewusster Verstoß gegen die Konvention seitens Schuberts.

    Lieber Herr Maria, lieber Bernd,

    so interessant finde ich diese Wiederholung gar nicht, Wiederholungen gibts in der Musik schließlich an allen Ecken und Enden und ich behaupte, neben der Ineinssetzung von Inkarnation und Tod Christi, die eine lange theologische Tradition wohl schon seit dem frühen Christentum hat, hat das einfach auch musikalische Gründe. Ein Verstoß gegen die Konvention wäre es meiner Meinung nach erst, wenn Schubert tatsächlich vom "Et incarnatus" zum "Resurrexit" übergehen würde. Tut er aber nicht, er wiederholt ja das "Crucifixus" auch noch einmal, und zwar noch etwas gesteigert. Genau dasselbe passiert in dieser Messe ja auch im Sanctus, wo der gesamte erste Abschnitt wiederholt wird, nur mit Triolenbegleitung (gesteigert!) und einem zusätzlichen, unvermittelt hereinbrechenden "Pleni sunt caeli et terra"-Fortissimo-Ausruf (mit dem Sopran am as''). Und ich bin sehr froh, dass Schubert das so gemacht hat, denn der Satz gewinnt durch diese Wiederholung eindeutig! Und auch im Agnus Dei wird der Text nicht linear komponiert, sondern "Agnus Dei"-Anruf und Bitte um Frieden wiederholen sich immer wieder durcheinander.

    Ähnliches kenne ich noch von Mozarts "Krönungsmesse", vom Benedictus, wo nach dem Hosanna des Chors das Solistenquartett wieder ungerührt mit "Benedictus" beginnt und es einen zweiten Anlauf braucht, den Satz zu Ende zu bringen.
    Und in Haydns Missa Sancti Nicolai wird "Et incarnatus" und "Crucifixus" überhaupt im Solistenquartett überlagert: Der Tenor singt sein "et homo factus est" in arienhafter Manier weiter, während Sopran, Alt und Bass das "Crucifixus" singen. Das ist gleichzeitig auch ein Hörtipp von mir, die restliche Messe ist meines Erachtens nicht besonders aufregend, aber das Incarnatus/Crucifixus ist von Haydn genial gearbeitet.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Ein Verstoß gegen die Konvention wäre es meiner Meinung nach erst, wenn Schubert tatsächlich vom "Et incarnatus" zum "Resurrexit" übergehen würde. Tut er aber nicht, er wiederholt ja das "Crucifixus" auch noch einmal, und zwar noch etwas gesteigert.


    Trotzdem ist es ungewöhnlich, denn anders als im Sanctus und Benedictus beschreibt der Text ja einen liearen Verlauf: Fleischwerdung, Kreuzigung, Leiden und Begräbnis...
    und dann ...noch einmal??
    Daß im Benedictus das "Hosanna" zweimal kommt, ist ungewöhnlich, normal ist ja das "Hosanna" nach Sanctus und nach Benedictus noch mal.
    Aber da es um Anrufe geht, nicht weiter problematisch. Danke auch für den Hinweis auf die Krönungsmesse, da ist es tatsächlich auch so...

    Zitat

    Genau dasselbe passiert in dieser Messe ja auch im Sanctus, wo der gesamte erste Abschnitt wiederholt wird, nur mit Triolenbegleitung (gesteigert!) und einem zusätzlichen, unvermittelt hereinbrechenden "Pleni sunt caeli et terra"-Fortissimo-Ausruf (mit dem Sopran am as''). Und ich bin sehr froh, dass Schubert das so gemacht hat, denn der Satz gewinnt durch diese Wiederholung eindeutig!


    Macht ja auch textlich Sinn. Die Heiligkeit (Sanctus) und Allgegenwart (Pleni sunt coeli et terra gloria tua) Gottes sind ja nicht sooo weit auseinander....

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • denn anders als im Sanctus und Benedictus beschreibt der Text ja einen liearen Verlauf

    Das scheint auch mir der entscheidende Unterschied zu sein. Sowohl dieses anti-lineare Verfahren wie auch das Aufsparen der Solisten bis zu dieser Stelle war mir noch nie aufgefallen - gut, dass es dieses Forum gibt :D

    Die prominente Rolle der Posaunen in dieser Messe hat mich aber auch schon immer fasziniert, ohne dass ich mich detailliert damit beschäftigt hätte. Deshalb auch vielen Dank an Ulisse für seinen Beitrag!


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • ich mag die messe auch recht gerne - kann mich jedoch nicht dem jubel anschließen.
    was mich hier - noch viel mehr jedoch bei der as-schwester - regelmäßig 'runterzieht', sind die schrecklich langen, langweiligen und akademischen abschlußfugen in gloria und credo.
    hätte er das doch nur gelassen ... die bereiten mir fast schon körperliches unbehagen und zerstören fast das ganze werk

    Muss es sein? - Es muss sein!

  • was mich hier - noch viel mehr jedoch bei der as-schwester - regelmäßig 'runterzieht', sind die schrecklich langen, langweiligen und akademischen abschlußfugen in gloria und credo.


    DA muss ich Dir Recht geben, das war nicht Schuberts Stärke...
    da gehts mir mit der "et vitam venturis"-Fuge in der Missa Solemnis anders.. Würdest Du da auch einen Unterschied hören?

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • so interessant finde ich diese Wiederholung gar nicht, Wiederholungen gibts in der Musik schließlich an allen Ecken und Enden und ich behaupte, neben der Ineinssetzung von Inkarnation und Tod Christi, die eine lange theologische Tradition wohl schon seit dem frühen Christentum hat, hat das einfach auch musikalische Gründe. Ein Verstoß gegen die Konvention wäre es meiner Meinung nach erst, wenn Schubert tatsächlich vom "Et incarnatus" zum "Resurrexit" übergehen würde.

    Das stimmt so nicht ganz, theologisch... (Text-)Wiederholungen: In der (Kirchen-)Musik: ja. Im liturgischen Text: nein. Die in Ordinariumsvertonungen üblicherweise zu findenden Textwiederholungen (und auch die Polytextur in der missa brevis oder auch Abweichungen vom genauen Wortlaut) sind nur deswegen sanktioniert, weil vom 13. Jh. an bis zum zweiten Vatikanischen Konzil der Kirchenmusik keine liturtgietragende Funktion zukam, sie lief quasi nur neben der Messe her, dessen Vollzug dem Zelebranten am Altar oblag. Isofern ist eine Wiederholung an sich kein Verstoß gegen die Konvention, das findet man (fast) überall. Allerdings wiederholt Schubert hier nicht nur einzelne Worte oder Kurzpassagen (z.B. "crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Plato, crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Plato, sub Pontio Pilato, crucifixus etiam pro nobis, crucifixus...", sondern den kompletten "incarnatus"-Teil bis ..."sepultus est", nachdem er bereits einmal "abgearbeitet" wurde. Und das ist in der Tat absolut einzig und unüblich. Ein Rückgriff auf "et incarnatus est [...] ex Maria virgiae" nachdem er bereits begraben wurde entspricht nicht nur nicht wirklich der Konvention, sondern auch nicht wirklich dem Liturgieverständnis des Textes an dieser zentralen Stelle, zumindest genauso wenig, als wenn er gleich nach der Geburt auffahren würde, ohne vorher zu sterben.

    Was dagegen absolut konventionell ist, ist im Credo der erstmalige Einsatz der Solisten beim "incarnatus", das ist nicht ungewöhnlich. Auch z.B. bei den meisten Mozartmessen ist das so. (oder bezog sich das "Ungewöhnliche" auf die zwei Männerstimmen, die hier den Andanteteil einleiten?)

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Was dagegen absolut konventionell ist, ist im Credo der erstmalige Einsatz der Solisten beim "incarnatus", das ist nicht ungewöhnlich. Auch z.B. bei den meisten Mozartmessen ist das so. (oder bezog sich das "Ungewöhnliche" auf die zwei Männerstimmen, die hier den Andanteteil einleiten?)

    Es ging, wenn ich das richtig sehe, um den erstmaligen Einsatz von Solisten bezogen auf die gesamte Messkompostion, nicht nur auf das Credo. Und da ist es doch etwa bei Mozart so, dass spätestens irgendwo im Gloria die Solisten zu Wort kommen.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Es ging, wenn ich das richtig sehe, um den erstmaligen Einsatz von Solisten bezogen auf die gesamte Messkompostion, nicht nur auf das Credo. Und da ist es doch etwa bei Mozart so, dass spätestens irgendwo im Gloria die Solisten zu Wort kommen.


    Viele Grüße

    Bernd

    selbst in der bachschen h-moll-messe singen schon solisten im kyrie ...
    und sicherlich schon viel früher. bin aber gerade zu faul zum überlegen
    ... :rolleyes:

    Muss es sein? - Es muss sein!

  • selbst in der bachschen h-moll-messe singen schon solisten im kyrie ...
    und sicherlich schon viel früher. bin aber gerade zu faul zum überlegen


    Es geht hier allerdings nicht um besonders frühe Messvertonungen, in denen die Solisten besonders früh einsetzen. Sondern um Messvertonungen, in denen die Solisten besonders spät einsetzen, genauer: im Incarnatus. Und da ist bis zum Beweis des Gegenteils Schuberts Es-dur-Messe immer noch das erste Beispiel (und ein späteres fällt mir auch nicht ein).


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Es geht hier allerdings nicht um besonders frühe Messvertonungen, in denen die Solisten besonders früh einsetzen. Sondern um Messvertonungen, in denen die Solisten besonders spät einsetzen

    Haydns Missa brevis Sancti Joannis de Deo? ;+) In Rheinbergers B-Dur-Messe setzt der Tenorsolist auch erst mit dem "Et incarnatus" ein.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

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