Jörg Demus - Pionier des Orginalklangs in Klassik und Romantik

  • Jörg Demus - Pionier des Orginalklangs in Klassik und Romantik

    Am Nachmittag hörte ich Schumanns Kinderszenen und Waldszenen, gespielt von Jörg Demus auf dem Graf-Fortepiano aus dem Besitz Schumanns (das Hochzeitsgeschenk von 1839), und auf einem Streicher-Fortepiano aus dem Jahr 1841 - letzteres hat einen besonders schönen Klang, hart , obertonreich, schwebend, mit mehr als einem Hauch von Blech. Ich war wieder einmal völlig begeistert von dem Klang der Instrumente und vor allem von Demus Spiel, das akzentuiert war, schwebend, ungekünstelt. Und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, warum dieser Pianist heutzutage fast in Vergessenheit geraten konnte, jedenfalls im Vergleich zu z.B. Brendel oder Richter?

    Die zwei Zyklen erschienen - mit einigen anderen Schumann-Stücken - auf einer Doppel-LP bei Harmonia Mundi/BASF vermutlich in den frühen 70ern. Wurden natürlich nicht wiederveröffentlicht. Sowieso ein mittlerer Skandal, wie wenig der HIPpen Einspielungen Demus auf CD zu haben sind. Der Mann ist d e r Pionier des Orginalklangs auf dem Hammerflügel. Ich kenne keine früheren Fortepiano-Einspielungen, die Ersten mir bekannten von ihm sind aus den mittleren 60er Jahren. Und wieder frage ich mich, wieso wird das alles nicht auf CD raus gebracht? Die Harmonia Mundi wäre doch eigentlich prädestiniert für diese Aufgabe.

    Ich selbst wurde auf Demus auch erst durch die - sehr preisgünstige - Wiederveröffentlichung der GA von Schumanns Klavierwerken aufmerksam - eine GA auf modernem Flügel. Ich halte ihn ja für einen der besten Schumann-Interpreten überhaupt, besser noch als solche unterschiedlichen Pianisten wie Staier oder Kempff. Ein schwer unterschätzter Interpret, und das deshalb, so meine ich, weil er nicht mit großer Geste spielt, sondern sich ganz und gar in die Stücke versenkt, ihnen beim Spiel nachlauscht.

    Neben Schumann und Schubert - er ist u.a. der Begleiter der wohl besten FiDi-Interpretation der Winterreise eingespielt 1966 - spielt er auch Mozart ganz vorzüglich. Ebenfalls bei Harmonia Mundi/BASF ist in den späten 60ern oder frühen 70ern eine Doppel-LP mit den Sonaten KV 330 und KV 331 publiziert worden, ergänzt durch Fantasien KV 396, KV 475 und einige andere Stücke.
    Auch Beethoven, Chopin und Debussy hat Demus in Orginalklang eingespielt, vorzugsweise auf den Instrumenten der Komponisten.

    Zur Zeit arbeitet der mittlerweile 82jährige Demus an einer CD-Reihe über die Geschichte des Klaviers, und ich hoffe sehr, dass viele seiner alten Aufnahmen dort Eingang finden. Leider ist im Netz nicht viel mehr über dieses Projekt zu finden, als das, was auf Wiki steht --- wo man auch eine kurze Biographie über Demus lesen kann, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen werde.

    Was kennt ihr von Demus, insbesondere aus dem HIP-Bereich?


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Ich kenne den Schumann von Demus - sogar den vollständigen, denn der ist billig bei Membran heraus gekommen. Die Meinung einer gewissen Person ist mir dann auch noch gegenwärtig, die Demus über Kempff stellte. Na ja, auch OK - ich aber finde den Kempff viel besser und werde mit diese Aufnahmen vollständig ( zum Teil besitze ich sie ) doch einmal holen.

    Gruß Malcolm

    Der Hedonismus ist die dümmste aller Weltanschauungen und die klügste aller Maximen.

  • So, dann will ich mal ein paar wichtige Orginalklang-Aufnahmen von Jörg Demus vorstellen, die leider alle nicht auf CD, sondern nur auf LP zu haben sind. Teilweise sind sie sehr schwierig zu bekommen, aber wenn man denn mal ihrer Ansichtig wird, kosten sie meist nicht wirklich viel. Und alle vorgestellten Platten kann ich wärmstens zum Kauf empfehlen:

    Beginnen wir mir der Schubert-Box, heraus gekommen bei der deutschen Harmonia Mundi 1978, zum 150. Todestag Schuberts. Auf den 3 LPs sind folgende Werke zu finden:

    Sonate Nr. 22 B-Dur, D 960
    Conrad-Graf-Fortepiano von 1830
    Aufnahmejahr 1965

    Sonate Nr. 14 A-Dur, D 664
    Schweighofer-Flügel von 1845
    Aufnahmejahr 1963

    Impromptus D 899
    Conrad-Graf-Fortepiano von 1839
    Aufnahmejahr 1974

    Moments Musicaux D 780
    Conrad-Graf-Fortepiano von 1839
    Aufnahmejahr 1974

    Impromptus D 935
    Conrad-Graf-Fortepiano von 1839
    Aufnahmejahr 1974

    Drei Klavierstücke D 946
    Conrad-Graf-Fortepiano von 1839
    Aufnahmejahr 1974

    Insbesondere der Schweighofer-Flügel besticht durch seinen klaren, fast kristallinen Klang. Aber nicht nur durch den Flügel ist die Sonate D 664 ein Ereignis allerersten Ranges. Demus spielt mit solcher Empfindsamkeit, mit einer Anschlagskultur, die in jener Zeit nicht nur auf Orginalinstrumenten ihres gleichen sucht.
    Immer wieder erinnert er mich an Andreas Staier, oder besser gesagt, seit ich Jörg Demus Fortpianoeinspielungen kenne, kommt es mir mehr und mehr so vor, als hätte Staier einige Demus-Platten auch sehr intensiv gehört.


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Schumann-Doppel-LP, publiziert bei der deutschen Harmonia Mundi/BASF um 1970.

    Platte 1 - Demus spielt auf einem Conrad-Graf-Fortepiano von 1839 aus dem Besitz Robert Schumanns:

    Kinderszenen op. 15

    Arabeske C-Dur op. 18

    (Romanze H-Dur, op. 5/3 - Von Clara Wieck)

    Papillons op. 2

    Ländler D-Dur op. 124/7
    Romanze B-Dur op. 124/11

    Bunte Blätter op. 99 (Nr. 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 10)

    Platte 2 - Demus spielt auf einem Johann-Baptist-Streicher-Fortepiano von 1841:

    Faschingsschwank aus Wien op. 26

    Waldszenen op. 82


    Auch hier erkennt man wieder eine große Verwandtschaft zu Staier, insbesondere die Waldszenen sind teils mit der fast gleichen Auffassung gespielt, so z.B. das erste Stück "Eintritt" scharf akzentuiert, geradezu spitz, mit viel Agogik. Völlig untypisch für die frühen 70er. Zudem ganz anders, als bei seiner eigenen non-HIPpen GA des Schumann´schen Klavierwerks.
    Auch die Kinderszenen spielt Demus hier ziemlich entschlackt. Man wird das Gefühl nicht los, dass das seine ganz persönliche Sicht auf Schumann ist, und das die non-HIPpe GA ein bisschen dem damaligen Publikumsgeschmack angepasst wurde.
    Der gespielte Schumann-Flügel ist von sanftem, etwas verwaschenem Klang. Der Streicher hingegen spitz, ein wenig klirrend, sehr gut passend zu der Art von Interpretation, wie man sie bei den Waldszenen hören kann. Man muss das mögen. Ich mag das sehr.


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Mozart-Doppel-LP "Mozart in Paris / Mozart in Wien", publiziert bei der deutschen Harmonia Mundi/BASF um 1970.

    Jörg Demus spielt einen Anton-Walter-Hammerflügel von 1785 aus der Sammlung des Kunsthistorischen Museums Wien. Die Aufnahmen wurden anlässlich eines Konzerts mitgeschnitten, das am 6. Mai 1964 im Salle du Sacre im Schloß Versailles stattfand.

    Sonate A-Dur KV 331

    Sonate C-Dur KV 330

    Fantasie c-moll KV 396

    Andantino Es-Dur KV 236

    Allemande c-moll und Courante Es-Dur
    aus der Klaviersuite KV 399

    Menuett D-Dur KV 355

    Fantasie c-moll KV 475

    Rondo a-moll KV 511

    Gigue G-Dur KV 574


    Das Walter-Fortepiano ist etwas dumpf und hallig, was teilweise auch an der Aufnahmetechnik liegen könnte, wahrscheinlich aber der noch nicht allzu perfekten Restaurierung in den frühen 60ern geschuldert ist. Trotzdem ein differenzierter Klang. Und eine seltene Möglichkeit, den allerfrühsten Stand der HIPpen Klaviermusik kennen zu lernen.


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    Immer noch da ... ab und an.

  • Hallo Florian,

    mein Verhältnis zu Demus und seinen Klavierkünsten hat sich deutlich verbessert, seitdem ich - angeregt durch dieses Forum (!) - seine Versionen verschiedener Schumann-Stücke mit Pollinis Herangehensweise verglichen habe. Der Mann kann in der Tat besonders differenziert und idiomatisch angemessen Klavier spielen. Ich ahnte das schon seit ca. 25 Jahren - so lange besitze ich nämlich schon ein Platte, auf der Demus zusammen mit dem Wiener Kammerensemble Schumanns Klavierquintett spielt, aber ganz sicher war ich mir bis vor kurzem nicht. ...

    Also, deine Elogen auf den Pianisten Demus kann ich sehr gut nachvollziehen. Weniger gut nachvollziehen kann ich die Begeisterung für olle Schepperkommoden. Für meine Ohren klingen diese Geräte einfach um Längen schmalbrüstiger, blecherner und damit flacher als ein moderner Flügel aus guten Hause. Aber meine Ohren wurden wohl auch durchs Studium in eine bestimmte Richtung gepolt: Wenn die Aufmerksamkeit jahrelang besonders auf einen vollen, warmen und brillanten Sound gelenkt wurde, ist die Wahrnehmung von Klangbildern, die in eine ganz andere Richtung gehen, einfach mit Problemen behaftet. Musikliebhaber ohne eine professionelle Ausbildung haben es da unter Umständen deutlich leichter.

    Beste Grüße

    Bernd

  • Die hier folgenden Beiträge wurden auf Wunsch des Themenstarters in einen neuen Thread überführt: Ist HIP postmodern?. Hier waren sie OT.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Die zwei Sonaten KV 330 und 331 von Mozart hat Jörg Demus im Oktober 1987 nochmals eingespielt. Diesesmal auf einem Walter-Fortepiano von 1805. Die CD ist 1990 beim Label Christophorus publiziert worden, und es sind folgende Werke enthalten:

    Fantasie d-moll KV 397
    Rondo a-moll KV 511
    Sonate A-Dur KV 331

    Suite c-moll, bestehend aus:
    Allemande KV 399/2
    Courante KV 399/3
    Andantino KV 236
    Menuett KV 1

    Sonate G-Dur KV 330

    Das Walter-Hammerklavier klingt sehr sauber, da schwirrt nix in den Obertönen. Klanglich ein guter Einstieg für "HIP-Anfänger". Leider ist auch diese Einspielung schwer zu bekommen.


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    Immer noch da ... ab und an.

  • In der grandiosen LP-Reihe "Musik auf historischen Instrumenten" - herausgegeben vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (!), die noch etwa zehn weitere Platten in dieser Reihe publizierten - erschien 1979 eine Doppel-LP, auf der Jörg Demus sein Schumann-Programm mit Varianten erneut aufnahm. Dadurch ist dieses Album zur Hälfte deckungsgleich mit der BASF/Harmonia Mundi-Ausgabe, die weiter oben beschrieben wurde. Allerdings deckungsgleich nur, was die Auswahl der Stücke anbelangt, nicht deren Einspielung.

    Demus spielt auf diesen zwei Platten ein Conrad-Graf-Fortepiano von 1835, das sehr ausgewogen und herbstfarben klingt (ganz im Gegensatz zu dem Streicher von 1841, den Demus auf dem anderen Schumann-Album spielt, das klingt ziemlich kristallen und spitzig)

    Seine Interpretationen der Stücke sind auch hier wieder erster Güte, je öfter ich Demus auf Hammerflügeln höre, um so mehr glaube ich, dass er der angemessenste Schumann-Interpret ist, den wir nach 1945 hatten und haben. Insbesondere die Kreisleriana spielt er hier mit Wucht und Emphase, immer am Abgrund entlang tanzend. Auch die Kinderszenen gelingen ihm erneut hervorragend, sind von einer verschatteten Elegie, die einen die Augenlider halb schließen läßt.

    Zu hören sind folgende Stücke:

    Papillons op. 2

    Arabesque op. 18

    Blumenstück op. 19

    Abegg-Variationen op. 1

    Faschingsschwank aus Wien op. 26

    Kreislerianer op. 16

    Kinderszenen op. 15


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    Immer noch da ... ab und an.

  • um so mehr glaube ich, dass er der angemessenste Schumann-Interpret ist, den wir nach 1945 hatten und haben.


    Na soweit würde ich mich denn dann doch nicht aus dem Fenster hängen wollen ;+) Bedeutende Schumann-Interpreten hat es in den den letzten sechzig Jahren doch so einige gegeben.

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Na soweit würde ich mich denn dann doch nicht aus dem Fenster hängen wollen Bedeutende Schumann-Interpretem hat es in den den letzten sechzig Jahren doch so einige gegeben.

    Ich weiß... aber trotzdem bleibe ich bei meiner Aussage, insbesondere was den HIP-Bereich anbelangt.


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    Immer noch da ... ab und an.

  • aber trotzdem bleibe ich bei meiner Aussage, insbesondere was den HIP-Bereich anbelangt.


    Ach, da fallen mir spontan auch noch andere ein ;+)

    Ganz besonders Tobias Koch:

    Und wenn´s um Schumann auf dem modernen Flügel geht, wäre die Liste doch ziemlich lang. Was nicht heißen soll, dass ich Jörg Demus nicht schätzte. Nur bin ich mit Superlativen doch etwas zurückhaltend.

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • ... ich war dabei ....

    Als ich noch ein Jüngling war, so mit 14, hat das Kammerorchester meines Vaters ein Beethoven Klavierkonzert am Start gehabt. Der Solist war Jörg Demus, der einen Freund im Nachbardorf hatte und eh in der Gegend war. Ich bin damals an der zweiten Oboe gesessen. Nichts so tolles im Nachhinein, aber es war wunderschön. Irgendwie ist für mich Jörg Demus der Inbegriff eines romantischen Klaviervirtuosen.
    Zum Schluß gabs die Mondschein-Sonate als Zugabe. Da hätte man eine Nadel fallen hören können. So muß eine Zugabe sein, das hat mich sehr bewegt. Tut es genau genommen noch heute.

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