Humorvoll?
Gulda: nüchtern, perkussiv, geradlinig - ok. Gerne auch: dröge, maschinell. Aber diese Eigenschaften mit "humorvoll" auf einen Nenner zu bringen... Konkrete Beispiele bitte! ;+)
Jetzt - nach erneutem Anhören gerade eben (mit Kopfhörer!) - etwas genauer:
Bereits im Thema erscheint mir Guldas Zugang zutiefst unernst, burschikos, etwa in den schnellen Abwärtsbewegungen (16tel? 32tel?). Var. VII: Die Verzierungen und Akzente klingen ironisch. Var. IX: Skurril wirkende Vorschläge, extrem kurz und trocken, Dissonantes betonend. Var. X: Da klappert es ziemlich humoristisch. Var. XIII: Werden hier pathetische Anwandlungen verspottet? Var. XXI: Jetzt wird randaliert!
Merkwürdigerweise beginnt ab Var. XXII (Leporello-Parodie) eine ernsthafte Phase, die den weiteren Verlauf ernsthafter und weniger humoristisch gestaltet. Atemberaubend noch einmal Var. XXIII mit hochvirtuoser Selbstdarstellung. Var. XXIX-XXXI: Hier kippt es ins Melancholische, so etwas wie eine Entwicklung von Mozart bis Schumann/Chopin? Der Schluß dann durchaus ernsthaft, vergleichbar dem Ende von op. 111.
Was ich hier insgesamt als "humorvoll" herauszuhören glaube, könnte man ungefähr so charakterisieren: "Gebt mal her, das lausige Thema, ich mach jetzt mein Ding daraus - und im übrigen könnt ihr mich alle mal...!" Also mehr ein bärbeißiger, trotziger Humor, nicht ohne bitteren Beigeschmack, ganz anders als beim verbindlich-geistvollen Haydn. Ob ich hier mehr Ludwig van B. oder mehr Friedrich G. wahrnehme, da lege ich mich nicht 100%ig fest. Vielleicht aber haben sich hier zwei Geistesverwandte getroffen, denn "Leck mich!" konnte Gulda ähnlich wie Beethoven. ;+)
Jedenfalls ist das eine Aufnahme, die mich auch heute wieder begeistert. Die trockene Akustik stört mich gar nicht, sondern paßt ganz gut zum interpretatorischen Ansatz.
Ein Heft der Musik-Konzepte behandelte 1979 das Thema "Beethoven. Das Problem der Interpretation". Was Dietmar Holland dort geschrieben hat, finde ich durchaus berechtigt:
ZitatDie kompositorische Ironie dieses zentralen Werkes aber legt FRIEDRICH GULDA [...] mit entwaffnender Trockenheit frei. Seine Interpretation ist durch ihre konsequent nicht-psychologisierende und nicht-einfühlende, sondern vielmehr distanziert-lakonische und dabei überaus differenzierte Haltung diesem musikalischen Kosmos gegenüber die bisher "modernste".
Allerdings hat sich gerade bei Beethoven in den letzten 45 Jahren viel getan; ob Gulda immer noch die "modernste" Interpretation bietet (was immer man hier mit "modern" meint), kann ich nicht beurteilen.
Und vielleicht wäre Brendel 1976 etwas für mich?
PS: Nachträglich sehe ich, daß eins vorher auch der Kater etwas zu Gulda/Beethoven geschrieben hat. Paßt m. E. ganz gut zu meinen Eindrücken, auch wenn mir da nichts zu schnell scheint.