Johann Christoph Bach (1642-1703) - Der profunde Componist

  • Johann Christoph Bach (1642-1703) - Der profunde Componist

    Hier beginne ich also zum wiederholten Male einen Thread über diesen großartigen Komponisten, der mir immer näher rückt, je länger ich mich nit ihm beschäftige.
    Johann Christoph Bach, geboren 1642 in Arnstadt, war seit 1663 Organist an der Schlosskapelle tätig, bevor er 1665 zusätzlich an der Georgenkirche in Eisenach den selben Job ausübte.
    Innerhalb der weitverzweigten und von Namensvettern geradezu übersäten Bach-Familie (JS Bach gibt ihm in seiner Familien-Genealogie die Nummer 13) nimmt er aus musikalischer Sichtweise einen Sonderstatus ein. Johann Sebastian Bach bezeichnete ihn in eben dieser Genealogie als "profunden Componisten", und Carl Philipp Emanuel nennt ihn den "großen und ausdrückenden Komponisten". Und tatsächlich sucht man in den Werken der Bach-Familienmitgliedern vor (und meines Erachtens auch nach) dem Genie Johann Sebastian Bach nichts, was ein annährendes Spektrum an Expressivität, Harmonik, Melodieführung und instrumentalem wie vokalem Abwechslungsreichtum bietet wie die (leider nicht gerade zahlreichen) überlieferten Werke von Johann Christoph. Was mich fasziniert, ist seine Fähigkeit, ganz im Sinne der barocken Affektenlehre einzelnen Worte oder Wortgruppen durch eine harmonische Verschiebung oder unerwartete Wendung besonderes Gewicht und Bedeutung zu verleihen. Eindrucksvoll ist auch die Tatsache, dass durch Instrumentierung und Harmonik gerade seine ernsten geistlichen Werke eine große athmosphärische Dichte haben, die einem mitunter einen Schauer über den Rücken jagt.
    Nicht viele seiner Werke sind erhalten, ich werde versuchen, hier in loser Reihenfolge Werke von ihm vorzustellen.

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."

    Max Bruch (1838-1920)

  • Hochzeitskantate "Meine Freundin du bist schön", für 4 Konzertisten, 4 Ripienisten, Solo-Violine, 3 Violen und Basso Continuo.

    Dieses faszinierende Werk ist uns nur in einer einzigen Quelle überliefert worden; einem Stimmsatz von der Hand Johann Ambrosius Bachs mit einem Umschlag von der Hand Johann Sebastians (heute in der Singakademie zu Berlin verwahrt).
    Es besteht ausschließlich aus Texten des Hoheliedes, jenem rätselhaften Kompendium an Hochzeits- und Liebesliedern des Alten Testaments, welches angeblich auf König Salomo zurückgehen soll. Die Theologen wussten nicht genau, wie sie die mitunter recht gewagten Texte deuten sollten und stempelten die knisternden Liebesdialoge zum "Gespräch des Gläubigen mit seiner Kirche" ab, was allen merkwürdig vorkommen sollte, die mal einen Blick in eine gute Übersetzung geworfen haben (unter anderem im Netz verfügbar). Zur Barockzeit war dem Lied natürlich hauptsächlich Theologisches abzuringen (eine Liste der Vertonungen gibt's hier ) und gerade deshalb nimmt die Kantate Johann Christoph Bachs einen solchen Sonderstatus ein: Sie betrachtet den Text nicht nur von einem ausgesprochenen weltlichen Standpunkt aus, sondern schafft durch Umstrukturierung einen neuen Zusammenhang, der zu einer eigenen "Story" wird. Ich möchte den Inhalt und die musialischen Abschnitte vorstellen, keineswegs eine musialische Analyse verfassen noch den originalen Wortlaut der Ambrosius'schen Inhaltsangabe beibehalten, sondern versuchen, neu formuliert den Ablauf dieser Kantate darzustellen.
    Das ganze beginnt mit einem Dialog für Sopran, Bass und Continuo. Zwei Liebende - offensichtlich nicht verheiratet - treffen sich, wahrscheinlich in der Stadt, und turteln. Meine Freundin, du bist schön - wenden deine Augen von mir, denn sie machen mich brünstig. - Oh, dass ich dich, mein Bruder, draußen finden könnte, und dich küssen müsste. Offesichtlich können die beiden in der Athmosphäre der Stadt sich nicht die Erfüllung ihrer Wünsche erhoffen, also verabreden sie sich kurzerhand im Garten des Liebhabers - außerhalb der Stadt, auf dem Feld. Der Dialog wirkt intim, vertraut, und knistert vor Spannung - was dadurch verstärkt wird, dass keine begleitenden Instrumente "dabei" sind, sondern jediglich das Continuo zuschaut. Hiernach folgt eine zum Sterben schöne Ciaconna, die darstellt, wie die Liebste sich auf dem Weg in den Garten alles in heller Freude ausmalt, was da so passieren wird. Seine Linke lieget unter meinem Haupt, und seine Rechte herzet mich. Das besondere an diesem Stück ist, dass es über eine Länge von 264 Takten eine Sogwirkung und ein Gefühl von Glückseligkeit, Liebessehnsucht und Trunkenheit ausstrahlt,die einen nicht kalt lassen. Der Sopran steht im Dialog mit der Solo-Violine, die kommentiert, unterstützt und die Raserei virtuos darstellt. Obwohl in g-moll und von der Bassfunktion her einem Lamento-Bass ähnlich, könnte man sich kein erhebenderes Stück vorstellen. Auf halben Weg trifft die Liebste ein baar Kerle (Alt und Tenor), deren Grund für nächtliches Umherstreifen außerhalb der Stadt uns nicht genannt wird. ;+) Das Rezitativ besteht daraus, dass die Jungs das Mädel nach dem Grund für ihre Mission befragen, und kurzerhand beschließen, mitzukommen (ob das ihr so gefällt, wird auch nicht verraten). Schließlich gelangen sie (Rez.-Acc.) zum Garten, wo der Liebste bereits wohlweislich und vorrausahnend alles gedeckt hat für eine nächtliche Fete mit Freunden. Das folgende Stück ist eine humorvolle Darstellung der Einladung des Gastgeberpaares: Esset, meine Lieben, und trinket - und werdet truncken, was wiederum von der Violine eindrucksvoll dargestellt wird. Es kommen noch vier weitere Stimmfachvertreter hinzu, sodass die Gesellschaft zum Schluss acht Mann zählt. Nachdem die Party vorbei ist, kommt noch - als sei das noch nicht genug gewesen - ein Gratias-Choral, der in wunderbarer Ruhe und Sinnlichkeit das Werk zum Ausklang bringt (natürlich nicht, ohne vorher noch einmal der Violine ausreichend Platz für virtuoses Gefiedel gegeben zu haben). Alles in allem beträgt die ungefähre Spielzeit 25 Minuten und eignet sich besonders für Hochzeiten (also auf meiner wird das Stück gespielt!!!!). Es ist witzig, anrührend und meisterlich gemacht - zu welchem konkreten Anlass es entstanden ist, weiß man natürlich nicht, manche vermuten, dass es zu Ambrosius' Hochzeit komponiert wurde (was den Stimmsatz erklären würde). Christoph Wolff geht sogar so weit zu behaupten, dass es vielleicht sogar bei Johann Sebastians erster Vermählung erklungen ist.
    Wie dem auch sei, das Werk ist ein Traum für Hörer wie Musiker.
    Zum Schluss noch die drei Aufnahmen die ich kenne:


    MAK/Goebel, Sopran: Maria Zedelius, Bass: Michael Schopper, Solovioline: Reinhard Goebel. DG Archiv 1989.
    Sehr goebellig in der Interpretation - das heißt im positivsten Sinne glutvoll, exaltiert, dramatisch, mitreißend - mit leider nicht durchweg überzeugenden Sängern. Auch werden Momente, die meiner Meinung nach besonderer Behandlung bedürfen, für mich oft ein bisschen übergebürstet.


    Cantus Cölln/Junghänel, S: Susanna Rydén, B:Wolf Mathias Friedrich, Vln: Ulla Bundies. HM France 2002.
    Gefällt mir nicht so - sehr glatt, perfekt, klanglich superb - aber ohne die Erotik, die dieses Stück braucht. Aber Ulla Bundies an der Geige ist großartig! :juhu:


    Niederländische Bachvereinigung/Veldhoven, S: Johannette Zomer, B: Peter Kooij, Vln: Antoinette Lohmann. Challenge Classics 2007.
    Die überzeugendste Einspielung bis jetzt - obwohl Peter Kooij nicht gerade der Jüngste ist, und Johanette Zomer als Freundin eindeutig die Knusprigere ist. Außerdem ist die Chaconne ziemlich flott - weshalb auch hier nicht alles knistert, so wie es sein könnte.

    Ich bin ja in froher Erwartung, dass Gardiners Live-Einspielung von 2009 mit Julia Doyle, Peter Harvey und Maya Homburger als Geigerin bald mal erscheint. Das könnte die neue Referenz sein!!!

    Ich hoffe, euer Interesse erweckt zu haben und vielleicht habt ihr auch Eindrücke zum Komponisten und seinen Werken! Täte mich freuen!! :vv:

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."

    Max Bruch (1838-1920)

  • Lieber Archie,

    Wunderschön, dass du einen Faden über den von mir hochgeschätzten Johann Christoph gestartet hast! (Zum wiederholten Male? Ist mir da was entgangen?)
    Sehr interessant auch, wie du die Hochzeitskantate analysierst. Ist das jetzt deine eigene Interpretation oder hast du da i-welche Quellen?
    Ich verstehe das Ganze nämlich vollkommen anders. Der Garten, das Würzgärtlein stellt m.E. sowie auch in der Bibel, die ja von Symbolik nur so strotzt, die Körperliche Vereinigung zwischen Mann und Frau dar. Er kommt in seinen Garten, will heißen, er wohnt ihr bei! Sie antwortet auch auf die Frage ihrer Freunde "Mein Freund ist hinabgangen in seinen Garten zu den Würzgärtlein, dass er sich weide unter dem Garten und Rosen breche" Sehr eindeutig, oder?
    Anschließend sagt er:" Ich habe meine Myrrhen und meine Würzen abgebrochen, ich habe meines Seims und meinem Honige gessen, ich habe meines Weins und meiner Milch getrunken" Er hat also die Lust ausgekostet bis zum Letzten! Ihr Gesang " Mein Freund ist mein" ist m.E. nicht das sehnliche Ausmalen eines künftigen Zusammenseins, sondern der selige Nachklang des Erlebten! nach dieser privaten, intimen Hochzeit wird anschließend mit allen Freunden offizielle Hochzeit gefeiert, bei der gegessen und ziemlich viel getrunken wird - musikalisch sehr schön ausgedrückt. Zum Schluss dankt man, wie es sich gehört, Gott für die guten Gaben - verständlich in Zeiten, in denen es selten etwas zu feiern gab. Das Leben war damals ziemlich hart, besonders auch für Johann Christoph, der ständig in Geldnöten war und in sehr armseligen Lebensumständen zurecht kommen musste. Nach meiner Kenntnis wurde die Hochzeitskantate am 5. April 1679 auf der Hochzeit von Joh. Christoph, dem Älteren (1645 1693) mit seiner Frau Martha Elisabeth Eisentraut aufgeführt.

    Und mir gefällt die Cantus Cölln Aufnahme ausnehmend gut!
    Die CD mit der Niederländischen Bachvereinigung würde mich interessieren.

    LG
    Juli

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Hallo Juli,
    danke für die Mitteilung deiner Gedanken! Das ist natürlich ausgesprochen einleuchtend, wenn man auch diese Kantate nicht wörtlich, sondern auch symbolisch interpretiert - klingt für mich logisch, obwohl die von Ambrosius Bach aufgeschriebene "Geschichte" auch ihre Reize hat.
    Wie gesagt, die Aufnahme mit Gardiner interessiert mich sehr; im Mai soll sie erscheinen. Julia Doyle ist eine junge und vielversprechende Sopranistin, und Peter Harvey ist endlich mal ein alterstechnisch nicht ganz so weit entfernter Partner... :D

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."

    Max Bruch (1838-1920)

  • Hallo Archie,

    ich habe die Kantate kürzlich erst auf der Cantus Cölln CD kennen gelernt. Ich habe jetzt keinen Vergleich, kann also nichts zu der Aufnahme sagen, obwohl mir die CD insgesamt sehr gut gefällt. In das Stück habe ich mich aber gleich verliebt. Ich verstehe die Kantate auch eher im Sinne Julis. Bei den wunderschönen sinnlichen Texten des Hohen Lieds kann ich auch irgendwie nie an eine rein theologische Deutung glauben. Das andere Stück von Johann Christoph Bach, das mich immer wieder sehr beeindruckt ist "Ach, das ich Wasser's gnug hätte", aber die kommt wahrscheinlich sowieso noch dran, vermute ich.

    Viele Grüße,

    Melanie

    With music I know happiness (Kurtág)

  • CDs habe ich keine von ihm, aber ich erinnere mich, dass ich in meinem bevorzugten Radiosender concertzender.nl Themenkanaal oude muziek, eine schöne Sendereihe über die Bach-Familie gehört habe, darin auch Werke von Johann Christoph Bach, eine Möglichkeit, ihn kennenzulernen.

    Nachzuhören hier und auf die entsprechenden Sendungen klicken:
    Bachbloed. Muzikale schatten binnen een enkele familie.

    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Bei den wunderschönen sinnlichen Texten des Hohen Lieds kann ich auch irgendwie nie an eine rein theologische Deutung glauben.

    Ja ja, das hätte die Kirche gerne! " Seine Linke ruhet unter meinem Haupt und seine Rechte herzet mich" Naklar - rein theologisch!
    Ich finde dieses Stück unglaublich sinnlich! Und am schönsten der Dialog zwischen Sopran und Violine " Mein Freund ist mein" Was für eine Musik! :juhu:
    Ich hoffe ja immer noch im Stillen darauf, dass einige verschollene Partituren von J.Christoph auf einem vergammelten Kirchendachboden in Thüringen oder Sachsen gefunden werden. Es ist ein Trauerspiel, dass nur so wenig erhalten geblieben ist. ;(

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • CDs habe ich keine von ihm, aber ich erinnere mich, dass ich in meinem bevorzugten Radiosender concertzender.nl Themenkanaal oude muziek, eine schöne Sendereihe über die Bach-Familie gehört habe, darin auch Werke von Johann Christoph Bach, eine Möglichkeit, ihn kennenzulernen.

    Nachzuhören hier und auf die entsprechenden Sendungen klicken:
    Bachbloed. Muzikale schatten binnen een enkele familie.

    lg vom eifelplatz, Chris.

    Der Concertzender ist sowieso allererste Internet-Radio-Adresse für Alte Musik! Für diesen Tip bin ich die heute noch dankbar, Chris!

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Naklar - rein theologisch!

    Achtung, liebe Juli! Derart Sinnliches (die Seele, die es sehnsüchtig nach der Vereinigung mit Jesus zieht u. ä.) war damals durchaus nicht ungewöhnlich und keineswegs antireligiös - auch wenn diese Art von spiritueller Liebesglut uns heute verwundert. Wenn ich das richtig verstehe: Es geht um pietistisch gefärbte kritische Distanz zur Luther-Orthodoxie, hin zur individuellen Stimme des Herzens (selber fühlen statt Regeln befolgen). Könnte man gern mal an geeignetem Orte vertiefen... (hier vermutlich offtopisch).

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Sehr richtig. Das gab es aber als sogenannte geistliche Minne schon lange vor dem Pietismus. Das waren durchaus erotisch gefärbte Texte, zum Beispiel bei Bernhard von Clairvaux. Soweit ich weiß, hat der auch als erster das Hohe Lied in diesem Sinne interpretiert. Aber auch die damaligen Nonnen als Bräute Christi haben solche religiöse Liebeslyrik verfasst.

    Gruß, Carola

    Vom Schlechten kann man nie zu wenig und das Gute nie zu oft lesen. Arthur Schopenhauer

  • Lieber Gurnemanz,

    Ja, ich weiß, wir hatten das Thema auch schon mal i-wo angeritzt, die Sprache im Barock war auch in geistlichen werken oft sehr sinnlich und leidenschaftlich, für unsere Verhältnisse oft schwülstig. Man kann das natürlich auch so verstehen: Die leidenschaftliche Seele auf der Suche nach der Vereinigung mit Jesus.
    Vielleicht ist es aber gerade diese Doppelbödigkeit, die den Reiz ausmacht, man kann es eben so oder so sehen.
    Aber die Rosen im Würzgärtlein, der Honigseim - das klingt mir doch alles sehr menschlich und weltlich. All diese Begriffe sind doch poetisch und symbolisch verbrämte Bezeichnungen für Geschlechtsverkehr. Und das Stück war eindeutig für eine Hochzeit komponiert.
    Das Hohe Lied ist ja auch sehr doppeldeutig. Im übrigen eines der schönsten Bücher der Bibel neben diesen ganzen Feuer und Schwefel spuckenden Alttestamentarischen Gottesstrafgerichten. (selbstverständlich meine Ansicht, die ich niemandem aufdrücken möchte)

    LG
    Juli

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Vielleicht ist es aber gerade diese Doppelbödigkeit, die den Reiz ausmacht [...]

    Gut möglich - jedenfalls ist meine Neugier auf die Hochzeitskantate geweckt, zumal sie genau in eine Epoche fällt, die für mich zur Zeit interessant ist. Da ich allerdings noch nie etwas von J. C. Bach gehört habe, halte ich mich hier erstmal zurück, bis ich mehr weiß.

    Das Hohe Lied übrigens schätze ich auch!

    Und Dank an Carola für den Hinweis auf die geistliche Minne! Leuchtet mir ein.

    Bin gespannt drauf, was Archie noch weiter vorstellt... ;+)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Ich weiß zumindest, dass Johann Sebastian seine Kompositionskunst sehr hochhielt. I-wo gibt es eine diesbezügliche Bemerkung von ihm darüber, mir fehlen jetzt allerdings die Quellenangaben.
    Das ist ein ganz großartiger, sehr eigener Komponist mit einer einzigartigen, teilweise sehr dramatischen Klangsprache.
    Wie Joh. Christoph Sprache in Musik umsetzt, das muss man gehört haben! Das kommt natürlich auch sehr stark in seinen Lamenti zum Ausdruck.
    Aber bei denen sind wir ja noch nicht...

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Im Bach-Lexikon (Laaber Verlag) wird über Johann Christoph berichtet, dass er ab 1665 Stadtorganist in Eisenach war. Weiter heißt es, sein Verhältnis zum Rat sei oft angespannt gewesen, da dieser die erforderlichen Mittel für die Reparatur der Orgel nicht bewilligen wollte und zudem Bachs Gehalt oft erst verspätet gezahlt wurde. Der Ärger mit dem Stadtrat scheint also in der Familie zu liegen...

    Da J.C.Bach bis zu seinem Tod (1703) in Eisenach war, wird Johann Sebastian ihn auf jeden Fall auch persönlich gekannt haben.

    Gruß, Carola

    Vom Schlechten kann man nie zu wenig und das Gute nie zu oft lesen. Arthur Schopenhauer

  • Guten Abend

    Weiter heißt es, sein Verhältnis zum Rat sei oft angespannt gewesen, da dieser die erforderlichen Mittel für die Reparatur der Orgel nicht bewilligen wollte und zudem Bachs Gehalt oft erst verspätet gezahlt wurde. Der Ärger mit dem Stadtrat scheint also in der Familie zu liegen...


    Dass ihm nicht nur die Reperatur der Orgel sondern auch blanke Not und das Wohl seiner Kinder bewegte, zeigt diese Eingabe an den Stadtrat:

    "ich habe bißhehr, wenn ein quartal fellig gewest, nach diesem Gelde so offt schicken müssen, daß ich mich geschämet". Johann Christoph Bach bemühte sich ständig um freie Wohnung "weil ich sonnst nicht weiß, wie ich mich mit meinen kindern behelfen und fortbringen soll".

    Johann Christophs Schulden wurden nach seinem Tode, er starb wenige Tage nach dem Tod seiner Frau, vom Rat übernommen. Sein Organistenamt erhielt allerdings nicht sein Sohn, sondern ein anderes Mitglied der weitverzweigten Bachsippe.


    Gruß :wink:

    aus der Kurpfalz

    Bernhard

    " Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles eine Bemerkung !"

    (Heinrich Heine)

  • De profundis clamavi
    Pieter Kooij, Bass.
    L'Armonia Sonora. Mieneke van der Velden

    Nun habe ich doch noch eine CD mit einen Stück von Johann Christoph Bach entdeckt:
    Track 8 auf der o.a. CD:

    Lamento Wie bist Du denn im Zorn auf mich entbrannt

    Muss ich noch mal reinhören, nach meiner Erinnerung war sie sehr gut.

    lg vom eifelplatz, Chris.


    PS: jpc hat das Teil zu 2 versch. Preisen im Angebot, das billige Teil ist sehr empfehlenswert.

  • Lamento Wie bist Du denn im Zorn auf mich entbrannt

    Muss ich noch mal reinhören, nach meiner Erinnerung war sie sehr gut.

    Das kommt als übernächstes - morgen oder übermorgen zunächst das "kleine" Lamento Ach dass ich Wassers gnug hätte.

    Ich schlage tatsächlich vor, die theologischen Diskussionen lokal zu expandieren (schöne Wortwahl... :D ), denn ich glaube, dass dies eine interessante Diskussion werden könnte!

    Hier soll es aber um den profunden Componisten gehen, obwohl dessen Musik ohne ein Quäntchen Theologie gar nicht verstanden werden kann.

    Dazu morgen wenn ich es schaffe mehr, oder am Freitag! Dann geht der Ernst des Lebens los (die Lamenti... :faint: ).

    Gut Nacht. :wink:

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."

    Max Bruch (1838-1920)

  • Guten Morgen,

    Hier ist es auch drauf, nur ist die CD leider vergriffen, bzw. nur für einen Mondpreis erhältlich.
    Hörbeispiele sind leider nicht vorhanden.

    Es singt Max van Egmont, auf der CD sind neben J. Christoph Bachs Lamento Barockkantaten von Schütz und Tunder.
    Hat die zufällig jemand?

    LG
    Juli

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • RE: Johann Christoph Bach (1642-1703) - Der profunde Componist

    Guten Tag

    Nicht viele seiner Werke sind erhalten,


    Johann Christoph Bach bekleidete bekanntlich eine Doppelstelle als Stadtorganist der Geogenkirche als auch als Hoforganist und -Cembalist der Herzoglichen Kapelle in Eisenach. Erhalten haben sich allerdings nur wenige seiner Clavierwerke. In ihrer Echtheit als Werke von Joh. Chr. weitgehen gesichert sind nur "Präludium u. Fuge in Es-Dur" BWV Anh. 177, die "Aria Eberlinia mit 15 Variationen in Es-Dur", eine "Aria mit 15 Variationen in a-moll" und eine "Aria `Jesus, Jesus, nichts als Jesus´ mit 12 Variationen in B-Dur".

    Die um 1690 entstandene "Aria Eberliana" für Cembalo solo hat Leon Berben auf dieser

    CD eingespielt.


    Gruß :wink:

    aus der Kurpfalz

    Bernhard

    " Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles eine Bemerkung !"

    (Heinrich Heine)

  • Lamento "Ach daß ich Wassers gnug hätte" für Alt, Violine, 3 Violen und Basso Continuo

    Dieses Lamento ist das "kleinere" der beiden Lamenti Johann Christoph Bachs. Es hat eine Spieldauer von ungefähr 7 Minuten und ist in da-capo-Form geschrieben.
    Zu diesem Werk sind zwei Quellen überliefert; einmal im Altbachischen Archiv (jetzt in der Berliner Singakademie) mit Partitur und Stimmen und dann in der Düben-Sammlung der Universitätsbibliothek Uppsala (Digitalisat) als Stimmensammlung. Es wurde in seiner frühen Rezeptionsgeschichte (so auch in der Erstausgabe in der Reihe "Das Erbe der Musik") fälschlicherweise Johann Christophs Vater Heinrich Bach zugeschrieben, konnte aber durch jüngere Forschungen eindeutig als ein Werk des "profunden Componisten" festgestellt werden.
    Die beiden Quellen unterscheiden sich nur marginal voneinander; nennenswerte Unterschiede sind das Fehlen der Tempoangabe in Uppsala und die Anweisung "Adagio con discretione" in Berlin und die Tatsache, dass in der Düben-Sammlung eine Extra-Violonenstimme aufbewahrt wird und im Altbachischen Archiv nur eine Continuostimme erhalten ist.
    Nun zum Werk selbst: Aus dem warmen Klang der drei Bratschen entwickelt sich bald eine tiefernste und melancholische Grundstimmung, über der dann die Solovioline mit abfallenden Seufzermotiven (Tritonus) das Lamento beginnt. Am auffälligsten und ungewöhnlichsten ist die harmonische Abfolge A-Dur - g-Moll-kleiner Septakkord!!!!! - A-Dur, die das Stück motivisch durchzieht. Der Solo-Alt beginnt rezitativisch (dreimaliges "Ach!") und greift dann das Tritonnus-Seufzermotiv auf, dialogisierend mit der Violine, und die Violen kommentieren homophon. Wenn dann davon die Rede ist, dass die "Augen Tränenquellen wären", beginnen absteigende Triolensequenzen, die ebenfalls im Dialog der beiden Solisten stattfinden. Der erste Teil endet mit einer allgemeinen Steigerung und mehrfachen Wiederholungen der Worte "Tag und Nacht", die auch, wie alle Motivik in diesem Stück, zu zweit absolviert werden. Auch hier fällt wieder die reiche Harmonik ins Auge: der Schluss, ein gehaltgener a-Moll-Sextakkord, löst sich nach Wiederholungen der Seufzermotive in der Violine nach E-Dur auf, was aber nach dem ganzen nicht wie die Tonika, sondern wie eine fragende Dominante wirkt (das teilt dieses Lamento mit dem großen Bruder, dem Basslamento). Im zweiten Teil verdichtet sich die Thematik, und wieder sind Alt und Violine im Dialog geführt; auffällig auch die Textillustration; auf den Worten "wie eine schwere Last" sind ebenfalls die tiefsten Töne der Gesangsstimme erreicht. "Weinen" und "fließen mit Wasser" geben wieder Anlass für perlende Triolenläufe, die sich wie Bäche von Tränen abwärts rollen. Im Laufe des Stückes fallen auch wieder etliche harmonische Besonderheiten auf; "mein Herz ist betrübet" wir durch einen Wechsel von A-Dur nach d-Moll und dann nach B-Dur illustriert. Am Schluss verdichtet sich die Athmosphäre in rotglänzendes C-Dur; "am Tage seines grimmigen Zorns", im vorletzen Takt gibt es nochmal einen C-Dur-Septakkord, der sich nach F-Dur (in Subdominantfunktion) und schließlich nach C-Dur auflöst. Danach wird der A-Teil wiederholt, und der Wechsel vom "offenen" C-Dur-Schluss zum "gedeckten" E-Dur-Akkord am Anfang lässt einem wieder heiß und kalt zugleich werden.
    Dieses Stück vermittelt in geradezu extremer Form Schmerz, Trübsal und Angst, aber auch Resignation und stille Trauer. Es ist ein absolutes Meisterstück an barocker Kompositionskunst und lässt mich in seiner ehrlich-tieftraurigen Art immer an Andreas Gryphius' pessimistische Gedichte denken. In wenigen Werken ist das memento mori so omnipräsent!

    Eine sehr empfehlenswerte Einspielung ist auf dieser CD zu hören:

    Hier singt Magdalena Kozena, begleitet von der späten Musica Antiqua Köln unter Reinhard Goebel, der auch den Soloviolinpart übernimmt. Kozena trifft den Ton ganz genau; in ehrlicher und unprätentiöser Weise ist sie dennoch tief berührend und bewegend, und scheut sich nicht, ihre stimmlichen Mittel zielgerichtet einzusetzen (am eindrucksvollsten a.m.S. der Einsatz der dunklen und schweren Bruststimme bei "wie eine schwere Last"!!!!). Goebel spielt idiomatisch und ist ihr ein würdiger Partner, und die kleine Instrumentalgruppe bildet einen athmosphärisch dichten und dunklen Klangteppich, auf dem sich die beiden Protagonisten "ausheulen" dürfen.

    Was kennt ihr für Aufnahmen und wie habt ihr das Stück erlebt? :wink:

    "Nichts gleicht der Trägheit, Dummheit, Dumpfheit vieler deutscher Geiger."

    Max Bruch (1838-1920)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!