Wynton Marsalis - Gehört Jazz auf die Bühne oder ins Museum?
Der Hörtipp von Matthias an anderer Stelle veranlasste mich dazu, hier ein neues Fass über Wynton Marsalis aufzumachen, bevor ich im "Eben gehört" auf Matthias' Einschätzungen eingehe.
Mit den Worten
ZitatViele frühere CDs von Wynton Marsalis sind mir zu sehr Jazz-Museum, perfekt, ja äußerst brilliant, von ihm und seinen Mitmusikern gespielt, - wie schön blank geputzt für die Vitrine. Seit einiger Zeit sind inzwischen aber auch immer wieder Aufnahmen erschienen, auf die dieser Vorwurf nicht mehr zutrifft.
hat Matthias genau das auf den Punkt gebracht, was mich an Marsalis über viele Jahre hinweg auch so immens störte. Als selbsterklärter Gralshüter der Jazztradition erschien mir Marsalis immer mehr als Musikfunktionär aufzutreten, denn als ausübender Musiker. Die von ihm künstlerisch beratene mehrteilige TV-Doku über die Geschichte des Jazz legt Zeugnis ab über seinen Konservatismus und sein fatales Bestreben, den Jazz ins Museum stellen zu wollen. Als Leiter des Jazzbereichs des Lincoln Centers in New York tat er ein übriges, seine Lesart der Jazz-Historie zu institutionalisieren.
Dabei entstammt Wynton Marsalis einer höchst produktiven Jazz-Familie aus New Orleans. Der klavierspielende Vater Ellis hat eine ganze Schar Söhne in die Jazzwelt entlassen: Wyntons älterer Bruder Branford ist wohl einer der berühmtesten Saxofonisten seiner Generation, ein Musiker ohne Scheuklappen, der auch Jazz-Pop mit Sting, Hip-Hop mit Public Enemy sowie Hollywood-Soundtracks und TV-Showbands mit seinem Können veredelte. Genau wie Wynton hat auch Branford mehrfach den Wechsel ins "klassische" Lager vollzogen. Während es vom Trompeter mehrere Barock-Aufnahmen gibt, hat der Saxofonist z.B. Ibert oder Glasunow eingespielt und aufgeführt. Die jüngeren Brüder Delfeayo und Jason sind an Posaune und Schlagzeug ebenfalls zu Bekanntheit und Anerkennung gekommen.
Ob dieser unbedingte Wille zur nahezu musealen Verortung des Jazz womöglich aus der Beschäftigung mit der Klassik kommt? Ob Wynton Marsalis der hehren klassischen Institution ein Monument der afroamerikanischen Musik an die Seite stellen wollte? Und dabei vergessen hat, dass insbesondere seine großen Idole (Ellington, Monk, Rollins usw.) zu ihrer Zeit alles andere waren, als musikalisch Konservative, die die Musik, die 40 Jahre vor ihrer Zeit entstanden ist, nachspielen wollen?
Ich habe Wynton Marsalis schon zu Beginn seiner Laufbahn als technisch enorm beschlagenen Trompeter bestaunt. Anfang der 80er war ja die Zeit, in der eine Menge aufstrebender Musiker mit Rückgriffen auf die 50er und 60er ins Rampenlicht stießen. Manche (wie David Murray oder später James Carter) haben die Avantgarde von Coltrane, Ayler & Co dabei mit auf dem Schirm gehabt. Marsalis blieb am Hardbop hängen, dem er aber zugegebenermaßen mit seinen Quartetten und Quintetten neues Leben einhauchte.
Wynton Marslis Quartet
Live at Blues Alley (1986)
Diese Platte ist eine meiner liebsten Quartett-Aufnahmen überhaupt! Die Live-CD vermittelt mit seinen Nebengeräuschen von schreienden Zuhörern und klirrenden Gläsern ein einzigartiges Live-Erlebnis, die Spielfreude u.a. von Pianist Marcus Roberts und Schlagzeuger Jeff "Tain" Watts ist körperlich spürbar.
Zugleich und in der Folge erschien aber eine Vielzahl an Studio-CDs, die die konservierende Trägheit, die Matthias beschrieb, manifestierte. Da habe ich dann rasch die Lust verloren und mir lieber die vitalen und inspirierenden Originale vergangener Jahrzehnte angehört. Dass Marsalis möglicherweise wieder zu spannender und bewegender Musik fähig ist, interessiert mich sehr. Diesen Tipp hier finde ich zumindest schon einmal äußerst spannend:
LG
C.