PUCCINI: Turandot - Kommentierte Diskographie

  • PUCCINI: Turandot - Kommentierte Diskographie

    Ihr Lieben,
    zu dieser wirklich bizarren Oper (die eine berühmte böse Zunge nicht ganz umsonst "Bühnenweihfestoperette" genannt hat) gibt es hier noch keinen Diskografie-Thread und ich möchte das, weil mir dieser Tage grade, warum auch immer, Stellen aus dem Finale im Ohr klingen, gerne ändern. Ich mache den Beginn mit:
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    Eines der Dinge, die ich gleich zu Beginn laienhaft lobend anmerken möchte (laienhaft: denn ich habe keine Ahnung von Schallplattenaufnahmetechniken) ist der ausgewogene Gesamtklang dieser Aufnahme - nie sticht eine Solistenstimme ungebührlich hervor, die Ensembles sind von großem Wohlklang, und das Orchester stützt und trägt die dieses Werk dominierenden Chöre fast, als ob es ein Teil derselben wäre. Man meint fast, im besten Sinne, eine Live-Aufnahme zu hören - sie hat nichts Künstliches, falsch Brillantes.
    Die Tempi von Erich Leinsdorf sind im Schnitt eher zügig, v. a. aber ist sein Dirigat, je nun, irgendwie sehr 'bindend', es ist wie ein episches Kontinuum, dem man zuhört. Das erzeugt bzw. verstärkt den Eindruck einer Geschichte "aus alter Zeit", das "Es war einmal" des Märchens. Gerade in dem in seiner zweiten Hälfte, wie ich finde, ziemlich schwächelnden ersten Akt ist das von Vorteil, weil es die Sentimentalitäten sowohl wie die forcierten Karikaturen 'wegrückt' und damit weniger penetrant macht. Im zweiten Akt hingegen fehlt dem Stück diese Schärfe seiner Disparatheiten ein wenig.
    Zum Eindruck einer Geschichte aus einer legendären Vergangenheit trägt Jussi Bjoerling als Kalaf das Seine bei. Ich halte mich eigentlich nicht gerne lange bei Tenören auf, aber dieser Mann singt... wie ein ungeheures, kraftvolles und merkwürdig attraktives Fossil, das aus dem Meer dieses imaginären China emporsteigt. Ich glaube ihm im Einzelnen nicht unbedingt die lodernde Leidenschaft (die ja ein Hauptmotivans ist), aber er ist, dem Höreindruck nach, ganz eindeutig der Protagonist dieser Geschichte, und das muss ja auch eigentlich so sein.
    Renata Tebaldi habe ich nie sonderlich gemocht, und auch hier zeigt sie Schwächen in der Emotionalität - etwa das Geschluchze nach "Signore, ascolta", bei dem es einem die Schuhe auszieht [so etwas gibt es allerdings in Studioaufnahmen jener Zeit zuhauf; selbst in der großartigen de-Sabata-Tosca gibt es diesen peinlichen Moment von Tito Gobbis Sterbeseufzer] - ABER: es ist eine ihrer sehr guten Aufnahmen insofern, als sie der Liù wirklich Kraft mitgibt, auch etwas nicht Mädchenhaftes, sondern Weibliches - beides bekommt dieser oft viel zu ätherisch aufgefassten Rolle sehr gut. Und sie hat sehr schöne Legati, natürlich.
    Die Nebenrollen allesamt gut; selbst das ja quasi hineingeschriebene Buffoneske der Ping, Pong, Pang und des alten Kaisers - das ich oft als schnell ermüdend empfinde - wird mit Dezenz und Disziplin ausgeführt und fügt sich daher in den gelungenen Gesamtstil.
    Man merkt, dass ich zögere, etwas zur Titelpartie zu sagen. Das liegt daran, dass ich einerseits Birgit Nilsson vom Stimmtyp eigentlich die Idealbesetzung finde - der eiskalte Schwedenstahl... und natürlich singt sie die gefürchteten Höhen der Rolle mit der üblichen mühelosen Grandezza. Aber: genau das macht auch, dass da etwas fehlt. Man könnte es die psychologische Dimension nennen. Das Sich-selbst-Überschreiende, Hysterische der Rolle kommt irgendwie nicht zur Geltung. Die Turandot bleibt von außem empfunden, als perfekte Projektion der männlichen Fantasien, die um sie kreisen. Von daher stimmt die Interpretation wiederum zu dem, was ich oben über den Kalaf sagte. Aber gerade in der Rätselszene ist diese Glätte, diese eisige Grandezza dann doch vielleicht zu wenig - sie lässt mich jedenfalls 'kalt', wo sie mir frostige Schauer über den Rücken jagen sollte.

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    Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi

  • Dass ich Birgit Nilsson und Franco Corelli hier besonders mag ist kein Geheimnis, aber eine DVD ist beonders gelungen:

    Eva Marton singt in einer opulenten Inszenierung mit José Carreras die beiden Rätselpartner, stimmlich besonders gut und Katia Ricciarelli ist für die sich aufopfernde wie geschaffen. Es geht hier menschlicher zu als bei Birgit Nilsson, sie hat Angst und doch Sehnsucht, dass Kalaf die Rätsel errät, stimmlich sind die drei wirklcih ausgezeichnet. Auch Waldemar Kmennt im Mönchskostüm, den Beiden zeigt, ihr könnt noch lange warten bis ich abtrete, auch stimmlich kein alter, zittriger Greis. Diese DVD kommt aus der Wiener Staatsoper, 1983, unter Lorin Maazel und ist viel mehr gelungen, als die später enstandene Aufnahme mit Placido Domingo, wo man Angst hat, dass sein Baritenor "Nessun dorma" nicht derpackt. José Carreras ist beim Liebesduett derart berührend gut, dass man diese Aufnahme jeden nur raten kann. Eine Prinzessin aus Eis die menschlich ist, außer dass sich Liù umbringt, das erschüttert sie dann wirklich.

    Liebe Grüße sendet Euch Euer Peter aus dem morgendlichen Wien. :wink: :wink:

  • Seit ich diese CD gehört habe, bin ich, so steht zu befürchten, für andere "Turandot"-.Aufnahmen verloren. So etwas Großartiges kann man sich kaum ein zweites Mal vorstellen.

    Es handelt sich um eine italienische Rundfunkaufnahme aus Turin aus dem Jahr 1937! 2001 nahm sie Cantus Classics ins Programm auf. Für die Entstehungszeit ist die Tonqualität erstaunlich gut.

    Der Dirigent Franco Ghione (1886-1964) ist heute wohl nur mehr wenigen bekannt. Er nimmt - zumindest für mein Gefühl (geprüft habe ich es nicht) - keine hastigen Tempi, vermeidet jegliche süßliche Dekadence und falsche Exotik, modelliert aber ungemein klar und plastisch, verfügt über subtile und spannende dramatische Nuancierung und viel Liebe für Kantilene, bleibt immer elastisch und kreiert mit einem nahezu perfekten Ensemble diese Oper nicht als Schinken, auch nicht als brutalen Versimo, sondern als Spiegel menschlicher Seele, wenn man so sagen kann. Nie habe ich den Inhalt und die Empfindungen der handelnden Personen so unmittelbar erlebt. Als Turandot behält die überragende Gina Cigna (1900-2001) auch im höchsten Forte noch Farbe und Seele in der Stimme, ist als Prinzessin auch Mensch. Ihrer leicht sinnlich gefärbtes Timbre paßt herrlich zum Kalaf Francesco Merlis (1887-1976), der seinem etwas heldisch-männlichen Organ (er dosiert aber in dieser Hinsicht sehr klug) ebenfalls eine sinnliche Note verleiht und aus dem Prinzen ein Wesen von Fleisch nund Blut macht. Da schwingt aufrichtige Emotion mit, es gibt kein leeres Prunken mit den Stimmbändern. Das "Nessun dorma" kann man natürlich anderswo spektakulärer hören, aber keinen so überzeugenden Kalaf mit gewinnender Ausstrahlung.
    Gegen Magda Olivero als Liù gibt es nur einen winzigkleinen Einwand wegen eines gelegentlich übertriebenen (aber dennoch wunderschönen) Vibratos. Sie gibt keine zerbrechliche Sklavin, kein ätherisches Seelchen, das süß leidend seine Seele verhaucht, sondern ein lebensvolles, diesseitiges Wesen, das stimmlich der Turandot gar nicht so ferne ist. Wenn Merli "O mia piccola Liù" singt, dann spürt man, daß das nicht nur bloße Floskel ist, sondern daß Kalaf weiß, welcher Schatz an Gefühl und Opfermut ihm da genommen wurde. Diese Liù ist nicht nur passive Heldin, sondern wäre für Turandot eine ernsthafte Konkurrenz.
    Armando Giannoitti ist eine traumhafter Altoum, Luciano Neroni ein ebensolcher Timur. Afro Poli, Gino del Signore und Adelio Zagonara vollbringen gleicherweise Höchstleistungen als Ping, Pang und Pong.

    Liebe Grüße
    Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.

  • http://www.jpc.de/image/w183/front/0/0028942385528.jpg

    Die Handlung dieses bombastischen Kitsches darf frau sich nicht so genau durch den Kopf gehen lassen, sonst :wut2: :wut2: :wut2:
    Wenn aber Placido Domingo den Kalaf singt, schmelze ich dahin. Ruggero
    Raimondi mit stellenweise fast brüchiger Stimme ist für die Rolle ideal. Ein Highlight
    dieser Aufnahme ist die Szene der drei Minister – Luxusbesetzung für die
    Nebenrollen. Francisco Araiza hatte damals eine wunderschöne Stimme. Und
    Karajan, tja, naja ... derart pathetisch, dass es fast schon brutal zu nennen
    ist, für meinen Geschmack übertrieben,
    ich kann aber verstehen, wenn jemand genau diese Interpretation für Turandot
    favorisiert. Das hat was von Filetsteaks raw oder allenfalls medium, ohne
    Beilagen, nur ein bisschen Kräuterbutter bei „nessun dorma"

    "Im Augenblick sehe ich gerade wie Scarpia / Ruggero Raimondi umgemurxt wird, und überlege ob ich einen Schokoladenkuchen essen soll?" oper337

  • Ein Kalaf fehlt mir hier und das ist wohl der Weltbeste gewesen - Franco Corelli :juhu: :juhu:

    Wenn er in Wien mit Birgit Nilsson als Turandot sang, war das ganze Haus wie elektrisiert. Seine Erscheinung und seine Stimme waren einzigartig im Duett mit Birgit Nisson. :juhu: :juhu:

    Diese schrieb in ihrer Biographie sie dachte die Partie wäre ja nicht so schwer, sie käme ohnedies erst im 2. Akt dran - aber dann hat sie bemerkt, diese Partie verlangt von einem Sopran alles ab. Maria Callas meinte einmal "Turandot mordet die Prinzen - und Turandot mordet die Soprane".

    Hier in der Aufnahme mit Franco Corelli, Birgit Nilsson noch mit einer Spitzen Liú - Mirella Freni. :wink:

  • Ein Kalaf fehlt mir hier und das ist wohl der Weltbeste gewesen - Franco Corelli

    Danke, lieber Peter, daß Du an diesen Kalaf erinnert hast. Ich habe mittlerweile viele Turandots daheim, kein Kalaf konnte in meinen Ohren Corelli das Wasser reichen, bis heute. :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    Die von Dir gezeigte Aufnahme zählt auch zu meinen liebsten, insbesondere wegen der herrlichen Mirella Freni.

    Waldi's vorgestellte Turandot habe ich auch, allerdings schon länger nicht mehr gehört. Soweit ich mich erinnere, gefiel mir hier ganz besonders die Turandot sehr gut. Muß mal wieder reinhören.

    Liebe Grüße

    Kristin :wink: :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Wer eine Turandot als DVD erleben will, dann möchte ich diese hier vorschlagen, allerdings in S/W. :klatsch: :klatsch:

    Franco Corelli als Kalaf und Lucille Udovich als Turandot. :juhu: :juhu:

    :wink: :wink:

  • Ich finde ja mit dem ersten Akt der "Turandot" hat Puccini eine seiner besten Musiken überhaupt geschrieben (schade, dass er danach nicht mehr ganz das Niveau zu halten weiß).

    Wurde erstaunlicher Weise noch gar nicht genannt, ist aber meine Favoriten-Aufnahme (und die zweite Opernaufnahme, die ich überhaupt erstanden habe) :

    Das unschlagbare Paar Nilsson und Corelli wurde ja hier schon erwähnt, was soll ich da noch sagen außer : Ja, ja, ja! :juhu: :juhu: :juhu:
    Die Nilsson wie schon erwähnt, wie kalter Stahl, aber dagegen Corellis heißer Atem (er ist "mein" Calaf, obwohl ich ihn in anderen Rollen meist nicht so mag), dieser Kontrast macht für mich die Grandiosität dieses Paares aus. Das macht die Geschichte wahrlich erlebbar.

    Wer eine menschlichere, etwas wärmere Turandot mag, dem kann ich folgende empfehlen :

    Inge Borkh...die hier von Mario del Monaco angegiert wird, der in dieser Rolle (wie selten) auch wirklich ein Erlebnis ist. Ausnahmsweise kann ich hier auch mal mit der Tebaldi leben, die die Liu singt.
    Der Dirigent Alberto Erede nimmt die Bezeichnung "Bühneweihfestoprette" (Puccini war immerhin großer Wagner- und speziell Parsifal-Fan) ernst. Für das Alter der Aufnahme fast bombastisch.

    Noch mehr Budenzauber ist dann nur noch hier :

    Karajan'scher Klangrausch, musikalische Pompösität :D Kann man mögen, muss man aber nicht (ab und zu find ich's ganz aufregend).
    Domingos Calaf auch hervorragend, aber ach je die hysterischeTurandot von Katia Ricciarelli...damit vergrault man greinende Katzen,

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Liebe Prinzessin!

    Nach der Turandot konnte Puccini sich nicht"verbessern", den er starb nach der Abeit an der Arie der Liu und Franco Alfano beendete die Oper nach Skizzen des Meisters,

    auch Marco Berio verfasste 2002 einen Schluss.

    In München, "der Weltstadt mit Herz" - wird unter Direktor Bachler auch die Puccini Fassung, ohne Schluss, gespielt.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter. :wink: :wink:

  • Liebe Succubus,

    Deiner Bewertung vom Rang des ersten Aktes der TURANDOT als bestes Werk Puccinis neben IL TABARRO (und GIANNI SCHICCHI :D sowie, aus sentimentalen Gründen, LA BOHÉME) möchte ich vorbehaltlos zustimmen und gerne meinen Senf zu der Auflistung der bevorzugten Aufnahmen dazu geben.

    Da ich die Aufnahme von Molinari-Pradelli nur von einer alten Querschnitt-LP, und seltsamerweise auch Mirella Freni als Liu, leider gar nicht kenne, möchte ich ein Wort für meine drei bisherigen Favoriten einlegen, die hier schon alle genannt wurden, aber gegensätzlicher kaum sein könnten.

    Die erste ist die von Recordatorio zuerst genannte von Erich Leinsdorf, die für mich immer noch das Vorbild aller klassischen Aufnahmen ist. Mag sein, dass auch Franco Corelli, dessen Gesang fraglos großartig ist, der mich aber immer an einen Zirkusartisten erinnert, der mir außer Bewunderung nichts abgewinnen will und mir deshalb auch nicht mehr gibt als den in der Tat beeindruckenden Klang seines Organes. Schon deswegen bin ich lange, unentschlossen oder zur Sparsamkeit verdammt, um die Gesamtaufnahme herum geschlichen, konnte mich aber nie dazu durchringen, den Querschnitt mit einer cd der GA zu ersetzen. Die Gründe fangen mit Renata Scotto an, die sicher nicht schlecht ist, mich aber seltsamerweise als Butterfly bei Barbirolli weitaus mehr überzeugt denn als Liu hier. Gleiches gilt für die arme Renata Tebaldi in der Leinsdorf-Aufnahme, die aus der retrospektiven Sicht wohl auf Dauer immer die (höchstens) zweite Wahl zu sein scheint, ähnlich wie Zinka Milanov.

    Unverzichtbar ist ein grandioser Kalaf, und in meinen Ohren ist Jussi Björling gegen den höchst selbstbewussten Provinzfürsten Corelli wirklich ein Prinz nicht nur von tenoraler Strahlkraft, sondern wirklich edlem Geblüt, das nicht nur durch seinen Kehlkopf pulsiert. Auch in der Bewertung von Birgit Nilsson, die mir in der früheren Aufnahme Leinsdorfs noch besser gefällt als in den Teilen des späteren Querschnitts, kann ich nur bestätigen, was Recordatorio und Du geschrieben haben. Besser singen kann man die Rolle wirklich nicht, aber darstellen? Ich bezweifle, dass Puccini selbst die Rolle wirklich so mörderisch vollendet hätte und nicht nur subjektiv sehr gute Gründe hatte, die Komposition des Finales so lange vor sich her zu schieben, bis es zu spät war. Wenn er es aber wirklich so gewollt haben sollte, dann bezweifle ich, ob diesem erfahrenen Theaterpraktiker dann wirklich eine solch überwältigende Ausnahmestimme wie die der Nilsson vorgeschwebt hat, oder ob nicht in der ganzen musikalischen Anlage der Rolle ein Element vorhanden ist, das demonstriert, dass diese Prinzessin sich notorisch übernimmt und ihre Eiseskälte das nur mit einigem Erfolg maskiert, was ihr selbst eigentlich bewusst ist.

    Genau dieses Element lässt mich Sängerinnen wie Eva Marton und Katia Ricciarelli in weitaus milderem Licht sehen. Deshalb bleibt meine Lieblingsaufnahme diejenige, die ich sehr häufig mit meinen begeisterten Töchtern gehört habe, weil sie mit einem Orchesterzauber aufwartet, der gerade in dieser Puccini-Oper für mich unabdingbar ist. Ich spreche natürlich von der viel gescholtenen Karajan-Einspielung, die leider immer noch unter der Hochpreisflagge segelt. Katia Ricciarelli ist da zwar eindeutig überfordert (ohne dass sie bei mir glech Deine Katzenallergie auslöst), und Karajan glättet auch die eine oder andere Schärfe, die von Puccini bewusst gesetzt war, dem samtigen Maestro aber wohl zu schroff klang. Aus dem beschriebenen Grund passt diese Lesart und die Überforderung Katia Ricciarellis für mich zu der Rolle der emotional unkenntlich maskierten Prinzessin. Die ist ja wirklich ein sich übernehmender, fehlender Mensch und nicht nur eine eiskalte Todesprinzessin. Mit Domingo bin ich einverstanden, auch wenn er natürlich von Björling (und Corelli :yes: ) klar übertroffen wird. Dagegen gehört die Liu der Barbara Hendricks für mich zu den ganz großen Interpretationen dieser Rolle, weil sie als eine der ganz wenigen Schönsängerinnen auch die sehr jugendliche, um nicht zu sagen naive, Schwärmerei der Rolle deutlich macht. Eine "ältere" Stimme wie etwa die der Tebaldi zum Zeitpunkt der Leinsdorf-Aufnahme reduziert für mich das Drama zum Schöngesang, und das ist grundfalsch, weil für mich, und da gehe ich ganz mit Puccini konform, diese Rolle der emotionale Dreh- und Angelpunkt des Werkes ist und von einem jungen Mädchen aus Fleisch und Blut verkörpert werden muss. Mag das Puccini zu recht den Vorwurf des flagranten Machismo eingetragen haben, in einer Aufführung seiner Oper, der man gerecht werden will, muss man hören, was er wollte.

    Ähnlich fällt meine Bewertung der, sicher auch fehlerhaften, aber doch mit Abstand besten DVD aus, die Peter schon genannt hat. Der Grund sind weniger die drei Stars Marton, Carreras und Ricciarelli in der zu ihr besser passenden Rolle der Liu, als Lorin Maazels spannendes Dirigat, vor allem aber die Inszenierung des Broadway-Regisseurs Harold Prince, der in einer so originellen wie überzeugenden Optik das Werk von allem Kostümtalmi befreit, unter dessen Gewicht es in den Aufzeichnungen von der MET, aber auch in Zhang Yimous bei aller überwältigenden Massenregie grotesk fehlkalkulierter Inszenierung am "Originalschauplatz" regelmäßig erdrückt wird. Ähnlich wie Zhang Yimou erging es übrigens auch dem anderen chinesischen Starregisseur Chen Kaige in Barcelona, obwohl mir diese Aufnahme immer noch besser gefällt als die aus Peking. Wie alles, ist aber auch dieses Lob relativ.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Nach der Turandot konnte Puccini sich nicht"verbessern", den er starb nach der Abeit an der Arie der Liu und Franco Alfano beendete die Oper nach Skizzen des Meisters,


    Lieber Peter,

    das ist mir durchaus bewusst. Ich sehe das Gefälle ja auch innerhalb der Turandot-Oper, vom grandiosem ersten Akt hin zu den anderen, die dann nicht mehr so grandios sind, und ein Ende scheint Puccini auch nicht wirklich möglich gewesen zu sein.

    dem anderen chinesischen Starregisseur Chen Kaige in Barcelona

    Die Aufführung kenne ich aus dem TV. Wirklich gut finde ich hier die Liu und Timur, die Guleghina in der Titelrolle ist zumindest sattelfest, wenn sie auch mehr zur Schneidigkeit der Nilsson neigt (weniger stimmgewaltig freilich), Problem sie hat keinen hitzigen Corelli als Widerpart, sondern einen zwar nicht unbedingt schlecht singenden, aber eher lyrischen, in seiner Gestik geradezu gehemmten Stehgeiger.
    Personenführung eigentlich null, Stehtheater, was besonders eben beim leicht adipösen Calaf extrem negativ auffällt. Mehtas Dirigat klingt schepperich (kann aber an der Aufzeichnung liegen) und wenig nuanciert, Einheitsbrei,aber mit ordentlich Lautstärke.
    Das Setting ist sehr schön, auch die Kostüme, die "Massenszene" wirken sehr gut. Alles in allem, nicht schlecht.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Unverzichtbar ist ein grandioser Kalaf, und in meinen Ohren ist Jussi Björling gegen den höchst selbstbewussten Provinzfürsten Corelli wirklich ein Prinz nicht nur von tenoraler Strahlkraft, sondern wirklich edlem Geblüt, das nicht nur durch seinen Kehlkopf pulsiert.

    Lieber Rideamus,

    Unverzichtbar ist ein grandioser Kalaf wirklich und deren gab es nicht so arg viele. Ich habe die alte "Turandot"-Verfilmung von 1958 mit Franco Corelli daheim und hier war Corelli wirklich ein großer Prinz, nicht nur von tenoraler Strahlkraft sondern besonders in seiner ganzen Wirkung, ein überzeugender Prinz. Was mich bis heute an Jussi Björling in vielen Rollen stört, er sang immer traumhaft aber für mich hörte es sich immer so an, als wüsse er nicht wirklich, wen er da sang. Vielleicht hatte es einfach mit der Sprache zu tun, ich finde auch heute noch, er stand irgendwie daneben, neben der Rolle meine ich. Es klingt immer wunderschön aber völlig neutral. Mir fehlt einfach die Leidenschaft, der Stolz, der Wille, der Trotz, den ich bei Corelli's Calaf's immer heraushöre. Was für ein stolzer Mann und nach der Frageszene(... ardente amor... und das Versprechen "wenn Du meinen Namen errätst werde ich im Morgengrauen sterben - wie traumhaft) und nach dem Kuß zu solch zärtlichen Tönen fähig. Und keineswegs so unbeteiligt wie Björling. Wie gesagt, mein Gehör!!!


    Liebe Grüße am Abend

    Kristin :wink: :wink: :wink:

    Vom Ernst des Lebens halb verschont ist der schon der in München wohnt (Eugen Roth)

  • Liebe Prinzessin!

    Entschuldige bitte mein Nichgutlesen [ein schönes neues Wort - von mir?], aber ich denke, dass der 2. Akt, insbesonders die Frageszene doch sehr gelungen ist.

    Eine meiner Lieblings - Turandot, finde ich hier nicht in den Covers, ist Dame Gwyneth Jones und der Kalaf ist Franco Bonsolli - man kann bei der DVD sagen was man will, beide sind etwas über dem Zenit hinaus, aber beide mit Herzblut.

    Es muss nicht immer eine Prinzessin aus Eis sein, sie kann schon im 1. Akt zeigen, dass dieser Fremde sie erobern wird und sie will es. Übrigens macht das auch Montserrat Caballe als Turandot ähnlich.

    Bei Placido Domingo kann ich die Meinung nicht teilen, wenn er mit Eva Marton singt. Sein "Nesson dorma" ist schon etwas quälend für meine Ohren, es wird gestemmt und aufgesetzt was das Zeug hält und dabei kann eh keiner schlafen.

    Liebe Grüße sendet Euch Peter aus Wien. :wink: :wink:

  • Gestern Abend noch diese gehört :

    Das Paar Nilsson und Corelli auch hier mitreißend, wie man es nicht anders kennt, Corelli sogar noch mit noch mehr Inbrunst als in den anderen Aufnahmen (wenn das denn überhaupt geht). Bonaldo Giaiotti als Timur überzeugt mich definitiv auch, wenn auch manchmal ein leicht jammernder Ton übertrieben wird, während Anna Moffo als Liu mir stimmlich zu ältlich-gluckenhaft klingt , wenn sie an sich auch sehr gut singt.
    Aber, was ist eigentlich mit dem Stokowski durchgegangen? Diese seltsamen Temporückungen, diese mehr als eigenwillige Wiedergabe, bei hochdramatischen Stellen wird das ganze Tempo und die Drastik gedrosselt, dagegen in anderen aufgedreht (und da meine ich nicht die Lautstärke), gerade das Finale des 1. Aktes schleppt sich ja förmlich ins Ziel wie in Bleischuhen.
    Gesanglich wirklich tolle Aufnahme, aber orchestral finde ich das doch etwas gewöhnungsbedürftig.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"


  • Lieber Peter,

    das ist mir durchaus bewusst. Ich sehe das Gefälle ja auch innerhalb der Turandot-Oper, vom grandiosem ersten Akt hin zu den anderen, die dann nicht mehr so grandios sind, und ein Ende scheint Puccini auch nicht wirklich möglich gewesen zu sein.

    Das Ende ist wirklich ein Problem, weil der Konflikt so verfahren ist, dass jede Lösung unrealistisch erscheinen muss. Das kann Gozzi in der Komödie lösen, weil es halt erstens eine Komödie ist und weil zweitens Turandot dort auch schon vorher Szenen hat, die sie in einem milderen Licht zeigen, aber bei der Puccini-Turandot geht es halt wirklich schwer. Puccinis Einfall, dass Liù sterben muss, war schon ein erster Schritt, das Finale glaubhafter zu machen, aber irgendwie hatte er nach wie vor (meiner Meinung nach berechtigte) Zweifel...

    Aber mir gefällt auch das erste Tableau des zweiten Aktes überhaupt nicht - nach dem ersten Akt (meine Lieblingsstellen: "Perchè tarda la luna" und "Silenzio, olà") ein allzu grausamer Rückschritt! Auch wenn Puccini es bewusst so haben wollte - das Commedia-dell'arte-hafte passt nicht mehr in das veränderte Turandot-Konzept der Oper, und die Auftritte von Ping, Pang und Pong im ersten und dritten Akt sind bizarr-dämonische Groteske genug. Ich habe mir schon oft überlegt, ich würde, wenn ich die Oper inszenieren müsste, diese Szene tatsächlich gnadenlos streichen und unmittelbar nach den drei Gongschlägen des Kalaf Volk, Weise und den Kaiser aus dem Palast treten lassen. Dann könnte man vielleicht die Oper tatsächlich - abweichend von den Regieanweisungen, die den zweiten Akt etwa zu Mittag placieren - innerhalb einer Nacht und ohne Pause durchspielen lassen, was auch irgendwie cool wäre. Nur für das Ende müsste ich mir noch etwas einfallen lassen, denn mich befriedigt das auch nicht ganz.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Das Ende ist wirklich ein Problem, weil der Konflikt so verfahren ist, dass jede Lösung unrealistisch erscheinen muss.

    Puccinis Einfall, dass Liù sterben muss, war schon ein erster Schritt, das Finale glaubhafter zu machen, aber irgendwie hatte er nach wie vor (meiner Meinung nach berechtigte) Zweifel...


    Michael Klonovsky meint in seinem Puccini-Buch, dass gerade dieser Umstand, dass Puccini Liu sterben lässt, ihm letztlich womöglich im Wege gestanden haben könnte...nach dem Motto, dass Puccini es nicht über sich bringen konnte, die Liebe von Calaf und Turandot über Lius Leiche hinwegsteigen lassen zu müssen.

    mir gefällt auch das erste Tableau des zweiten Aktes überhaupt nicht - das Commedia-dell'arte-hafte passt nicht mehr in das veränderte Turandot-Konzept der Oper, und die Auftritte von Ping, Pang und Pong im ersten und dritten Akt sind bizarr-dämonische Groteske genug. Ich habe mir schon oft überlegt, ich würde, wenn ich die Oper inszenieren müsste, diese Szene tatsächlich gnadenlos streichen und unmittelbar nach den drei Gongschlägen des Kalaf Volk, Weise und den Kaiser aus dem Palast treten lassen.


    Finde ich eine sehr gute Idee, denn mir geht das auch immer so, dass ich das Tableau immer als retardierendes Element empfinde, dass aber völlig unfunktional ist und nur die Spannung aus der ganzen Geschichte herausnimmt.

    Nebenbei, deine Lieblingstellen im 1.Akt sind auch genau meine :thumbup: ...plus das Ende ab "Ah! per l’ultima volta!"

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"


  • Michael Klonovsky meint in seinem Puccini-Buch, dass gerade dieser Umstand, dass Puccini Liu sterben lässt, ihm letztlich womöglich im Wege gestanden haben könnte...nach dem Motto, dass Puccini es nicht über sich bringen konnte, die Liebe von Calaf und Turandot über Lius Leiche hinwegsteigen lassen zu müssen.

    Das glaube ich ganz und gar nicht, denn ohne den Tod der Liù funktioniert das Ende noch schlechter, außerdem war es Puccinis eigener dringender Wunsch, und Puccini hatte sonst mit dem Tod seiner Sopranrollen ja auch kein besonderes Problem (freilich tritt der sonst meistens tatsächlich ganz am Ende ein, aber vgl. Le Villi)...

    Zitat

    Nebenbei, deine Lieblingstellen im 1.Akt sind auch genau meine :thumbup: ...plus das Ende ab "Ah! per l’ultima volta!"

    Ja, genau, das auch! 8+) :prost:

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Puccini hatte sonst mit dem Tod seiner Sopranrollen ja auch kein besonderes Problem (freilich tritt der sonst meistens tatsächlich ganz am Ende ein, aber vgl. Le Villi)...


    Aber le Villi hat ja auch kein "Happy End", sondern der Schuft stirbt (wie die Betrogene vor ihm) und in den anderen Opern ist es auch immer so, dass es kein gutes Ende nimmt, Edgar verliert seine Liebe durch die andere Frau, Manon stirbt und Des Grieux überlebt zwar, aber sicherlich nicht glücklich (wenn er nicht auch kurz darauf stirbt), Mimi stirbt und Rodolfo ist todunglücklich, Tosca bringt sich wegen Cavaradossis Tod ebenfalls um, beim Tabarro bin ich mir zwar unsicher, wie es mit dem Ehepaar weitergeht, aber...ich denke, mein Anliegen ist erkennbar...Liu stirbt und Calaf und Turandot feiern ihre Liebe

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

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