Ich antworte der Einfachheit und des Zusammenhanges halber trotzdem mal hier...
da ist doch einiges meinem Informationsstand zu widersprechen scheint. Über "opernartige" geistliche Musik kann man doch wohl erst sprechen, sobald es Oper gibt. Also kann eine Argumentation vor Monteverdi sich nur auf weltliche, nicht auf Opern-Musik beziehen - und dass es da engste Beziehungen gab, wird ja wohl am besten durch die ganzen vatikanischen Verbote deutlich, die bekannterweise nicht die Praxis der in der Kirche aufgeführten Musik war.
Jaja, da hast Du schon recht, das habe ich ja auch nicht bestritten... Mein Ausflug in die Zeit vor 1600 hatte ja auch nur den Zweck, die lange kirchliche Tradition im Umgang mit Musik im allgemeinen und im Kirchenraum im besonderen zu verdeutlichen und woher die kirchliche Ablehnung von "Oper" rührt
Oper gibt es natürlich erst ab ca. 1600. Zum Konzil von Trient (1545-63) wurde festgelegt, daß der Choral zwar das höchste Ideal von Kirchenmusik sei, daß Mehrstimmigkeit unter bestimmten Auflagen aber zulässig ist. Letzteres entsprach dem damaligen Stand der zeitgenössischen Musik, was gerne übersehen wird! Eine kirchenmusikalische Komposition von Lasso oder Palestrina unterscheidet sich musikalisch in nichts von deren weltlichen Komositionen! (Ganz im Gegensatz übrigens zu späteren Komponisten, wie z.B. Gounod!) Alle weiteren Regelungen bis vor das 2. Vatikanischen Konzil (dort wurde auf ein verbindliches Stilideal verzichtet) betonten zwar immer wieder dieses Stilideal, machten aber ansonsten keinerlei Vorgaben bezüglich der kompositorischen Prinzipien oder der musikalischen Form, auch nicht das hierin vergleichsweise radikale motu proprio "tra le sollecitudini" Pius X. von 1903, trotz der obligaten Seitenhiebe auf die Oper:
ZitatDie Kirche hat allezeit den Fortschritt der Künste gefördert und begünstigt, Sie lässt zum Dienste der Religion alles zu, was der menschliche Geist im Laufe der Jahrhunderte an Gutem und Schönem hervorgebracht hat, freilich unter Wahrung der liturgischen Gesetze. Deshalb findet auch die moderne Musik die Billigung der Kirche, da auch sie Werke voll Feinheit, guten Geschmacks und Würde aufzuweisen vermag, die der kirchlichen Handlungen keineswegs unwürdig sind.
Die Kritik, auch die ausserhalb offizieller kirchlicher Dokumente (z.B. die von den Anhängern der Kirchenmusik-Reformbewegung des 19.Jhs. oder die entsprechenden Josephinischen Dekrete im 18.Jh., die aber eigentlich andere Zielsetzungen hatten) entzündete sich jeweils immer nur an der "figurierten" Kirchenmusik, also an der orchesterbegleiteten. Die übrigen Auflagen und Einschränkungen des motu proprio sind, was die Komosition betrifft, dagegen alle sehr allgemein formuliert,. Allein der Umstand, daß ein Orchester in der Kirche spielte und nicht nur die Orgel (auch die zulässigen Instrumente der Enzyklika "Annus qui" waren später verpönt) wurde seit dem frühen 18. Jh. als "opernhaft" wahrgenommen; m.E. wurden in dieser Hinsicht "opernhaft" und "figuriert" synonym verwendet, stets mit deutlich abwertender Bedeutung. Daß es in diesem Zusammenhang auch negativ gesehen wurde, wenn Kontrafakturen bekannter weltlicher Werke als Messe neu textiert wurden (z.B. aus Mozarts Cosí fan tutte), ist, glaube ich, unmittelbar einzusehen. Das ist übrigens auch ein Kritikpunkt, der bereits zum Konzil von Trient und davor formuliert wurde. Gleiches gilt im 19. Jh. für die Praxis, die Liturgie als Konzertanlass zu missbrauchen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das tatsächlich so in dieser Form stattfand, oder ob die entsprechenden, meist sehr polemischen Berichte nicht einfach nur maßlos übertreiben, um das Reformideal ihrer Autoren in ideologisierter Weise herauszustreichen.
Was Du über das Oratorium (und die Sonata da chiesa) schreibst, ist ebenfalls korrekt. An dieser Stelle sollte man allerdings zwischen "Kirchenmusik" und "geistlicher Musik" unterscheiden, wobei die Sonata da chiesa noch nicht einmal unter geistlicher Musik im engeren Sinne firmiert. Kirchenmusik ist in diesem Sinne alle Musik, der eine liturgische Verwendung zugrunde liegt, also Vertonungen von Ordinarium, Proprium, Offizium, Antiphone und Hymnen, auch den Gemeindegesang könnte man darunter kategorisieren. Geistliche Musik hat dagegen keine liturgische Funktion und benötigt daher den Kirchenraum a priori nicht notwendigerweise, z.B. geistliche Arien, und eben auch das Oratorium, das ja ganz bewußt [edit]von Neri [/edit] als Orpernersatz konzipiert war. Kirchliche Kritik bezüglich Opernhaftigkeit bezieht sich ausdrücklich immer nur auf (liturgische) Kirchenmusik im engeren Sinne. Kein katholischer Kleriker hat sich jemals negativ über eine Verwendung von Orchester in einem Oratorium geäußert, schon gar nicht in offiziellen Stellungnahmen! Denn: das ist ausdrücklich keine Musik für den Gottesdienst. Daß die Sonata da chiesa im Sinne eines "würdigen" Gottesdienstes als unnötige Zutat gesehen wurde, speziell ab der Wende zum 19.Jh. ist davon unberührt. Selbstverständlich macht diese Unterscheidung nur Sinn, solange man sich mit dieser Musik im ursprünglichen kirchlichen Kontext bewegt. In einem säkularen Konzertbetrieb ist das m.E. obsolet.
Und damit schließt sich der Kreis und zurück zu Pergolesi: fundamentalistische Kritik an neuerer Kirchenmusik, vor allem an Orchesterbegleiteter ist seit Jahrhunderten normal. Was ich damit sagen will: gehört dazu, kann man ignorieren. Wurde auch schon immer weitgehend ignoriert...
Notaben: Die strikte Observanz kirchlicher Vorschriften bezüglich Kirchenmusik war von jeher immer eher die Ausnahme als die Regel - daher auch immer die Untermauerung derartiger Vorschriften mit einer unzahl einschlägiger Zitate von Kirchenvätern, Kirchenlehrern, Päpsten und anderer Autoritäten. So verbietet das motu proprio von 1903 grundsätzlich die Beteiligung von Frauen in den Kirchenchören, eine Einschränkung die bereits damals seit mindestens einem Jahrhundert völlig unzeitgemäß und nicht mehr praktikabel war. In der ersten Hälfte des 19. Jhs. wurde bei uns am Ort (damals vielleicht 1500 Einwohner) orchesterbegleitete Kirchenmusik in einem Umfang betrieben, der uns heute einfach nur neidig sein läßt: Alle Monate mindestens ein größeres Werk, und das in einer Orchesterbesetzung, die wir uns heute allenfalls ausnahmsweise leisten können... mit Frauen im Chor.... und ohne Gitter vor der Empore, das die Sängerinnen (vor allem die Solistinnen) vor den Blicken der Kirchenbesucher verbarg (wie etwa in einigen Wiener Kirchen zu diesem Zweck angebracht).... tiefste tiefst-katholische bayerische Provinz... 8+)