PERGOLESI: Stabat mater

  • Ich antworte der Einfachheit und des Zusammenhanges halber trotzdem mal hier...

    da ist doch einiges meinem Informationsstand zu widersprechen scheint. Über "opernartige" geistliche Musik kann man doch wohl erst sprechen, sobald es Oper gibt. Also kann eine Argumentation vor Monteverdi sich nur auf weltliche, nicht auf Opern-Musik beziehen - und dass es da engste Beziehungen gab, wird ja wohl am besten durch die ganzen vatikanischen Verbote deutlich, die bekannterweise nicht die Praxis der in der Kirche aufgeführten Musik war.

    Jaja, da hast Du schon recht, das habe ich ja auch nicht bestritten... :) Mein Ausflug in die Zeit vor 1600 hatte ja auch nur den Zweck, die lange kirchliche Tradition im Umgang mit Musik im allgemeinen und im Kirchenraum im besonderen zu verdeutlichen und woher die kirchliche Ablehnung von "Oper" rührt

    Oper gibt es natürlich erst ab ca. 1600. Zum Konzil von Trient (1545-63) wurde festgelegt, daß der Choral zwar das höchste Ideal von Kirchenmusik sei, daß Mehrstimmigkeit unter bestimmten Auflagen aber zulässig ist. Letzteres entsprach dem damaligen Stand der zeitgenössischen Musik, was gerne übersehen wird! Eine kirchenmusikalische Komposition von Lasso oder Palestrina unterscheidet sich musikalisch in nichts von deren weltlichen Komositionen! (Ganz im Gegensatz übrigens zu späteren Komponisten, wie z.B. Gounod!) Alle weiteren Regelungen bis vor das 2. Vatikanischen Konzil (dort wurde auf ein verbindliches Stilideal verzichtet) betonten zwar immer wieder dieses Stilideal, machten aber ansonsten keinerlei Vorgaben bezüglich der kompositorischen Prinzipien oder der musikalischen Form, auch nicht das hierin vergleichsweise radikale motu proprio "tra le sollecitudini" Pius X. von 1903, trotz der obligaten Seitenhiebe auf die Oper:

    Zitat

    Die Kirche hat allezeit den Fortschritt der Künste gefördert und begünstigt, Sie lässt zum Dienste der Religion alles zu, was der menschliche Geist im Laufe der Jahrhunderte an Gutem und Schönem hervorgebracht hat, freilich unter Wahrung der liturgischen Gesetze. Deshalb findet auch die moderne Musik die Billigung der Kirche, da auch sie Werke voll Feinheit, guten Geschmacks und Würde aufzuweisen vermag, die der kirchlichen Handlungen keineswegs unwürdig sind.


    Die Kritik, auch die ausserhalb offizieller kirchlicher Dokumente (z.B. die von den Anhängern der Kirchenmusik-Reformbewegung des 19.Jhs. oder die entsprechenden Josephinischen Dekrete im 18.Jh., die aber eigentlich andere Zielsetzungen hatten) entzündete sich jeweils immer nur an der "figurierten" Kirchenmusik, also an der orchesterbegleiteten. Die übrigen Auflagen und Einschränkungen des motu proprio sind, was die Komosition betrifft, dagegen alle sehr allgemein formuliert,. Allein der Umstand, daß ein Orchester in der Kirche spielte und nicht nur die Orgel (auch die zulässigen Instrumente der Enzyklika "Annus qui" waren später verpönt) wurde seit dem frühen 18. Jh. als "opernhaft" wahrgenommen; m.E. wurden in dieser Hinsicht "opernhaft" und "figuriert" synonym verwendet, stets mit deutlich abwertender Bedeutung. Daß es in diesem Zusammenhang auch negativ gesehen wurde, wenn Kontrafakturen bekannter weltlicher Werke als Messe neu textiert wurden (z.B. aus Mozarts Cosí fan tutte), ist, glaube ich, unmittelbar einzusehen. Das ist übrigens auch ein Kritikpunkt, der bereits zum Konzil von Trient und davor formuliert wurde. Gleiches gilt im 19. Jh. für die Praxis, die Liturgie als Konzertanlass zu missbrauchen, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das tatsächlich so in dieser Form stattfand, oder ob die entsprechenden, meist sehr polemischen Berichte nicht einfach nur maßlos übertreiben, um das Reformideal ihrer Autoren in ideologisierter Weise herauszustreichen.

    Was Du über das Oratorium (und die Sonata da chiesa) schreibst, ist ebenfalls korrekt. An dieser Stelle sollte man allerdings zwischen "Kirchenmusik" und "geistlicher Musik" unterscheiden, wobei die Sonata da chiesa noch nicht einmal unter geistlicher Musik im engeren Sinne firmiert. Kirchenmusik ist in diesem Sinne alle Musik, der eine liturgische Verwendung zugrunde liegt, also Vertonungen von Ordinarium, Proprium, Offizium, Antiphone und Hymnen, auch den Gemeindegesang könnte man darunter kategorisieren. Geistliche Musik hat dagegen keine liturgische Funktion und benötigt daher den Kirchenraum a priori nicht notwendigerweise, z.B. geistliche Arien, und eben auch das Oratorium, das ja ganz bewußt [edit]von Neri [/edit] als Orpernersatz konzipiert war. Kirchliche Kritik bezüglich Opernhaftigkeit bezieht sich ausdrücklich immer nur auf (liturgische) Kirchenmusik im engeren Sinne. Kein katholischer Kleriker hat sich jemals negativ über eine Verwendung von Orchester in einem Oratorium geäußert, schon gar nicht in offiziellen Stellungnahmen! Denn: das ist ausdrücklich keine Musik für den Gottesdienst. Daß die Sonata da chiesa im Sinne eines "würdigen" Gottesdienstes als unnötige Zutat gesehen wurde, speziell ab der Wende zum 19.Jh. ist davon unberührt. Selbstverständlich macht diese Unterscheidung nur Sinn, solange man sich mit dieser Musik im ursprünglichen kirchlichen Kontext bewegt. In einem säkularen Konzertbetrieb ist das m.E. obsolet.

    Und damit schließt sich der Kreis und zurück zu Pergolesi: fundamentalistische Kritik an neuerer Kirchenmusik, vor allem an Orchesterbegleiteter ist seit Jahrhunderten normal. Was ich damit sagen will: gehört dazu, kann man ignorieren. Wurde auch schon immer weitgehend ignoriert...

    Notaben: Die strikte Observanz kirchlicher Vorschriften bezüglich Kirchenmusik war von jeher immer eher die Ausnahme als die Regel - daher auch immer die Untermauerung derartiger Vorschriften mit einer unzahl einschlägiger Zitate von Kirchenvätern, Kirchenlehrern, Päpsten und anderer Autoritäten. So verbietet das motu proprio von 1903 grundsätzlich die Beteiligung von Frauen in den Kirchenchören, eine Einschränkung die bereits damals seit mindestens einem Jahrhundert völlig unzeitgemäß und nicht mehr praktikabel war. In der ersten Hälfte des 19. Jhs. wurde bei uns am Ort (damals vielleicht 1500 Einwohner) orchesterbegleitete Kirchenmusik in einem Umfang betrieben, der uns heute einfach nur neidig sein läßt: Alle Monate mindestens ein größeres Werk, und das in einer Orchesterbesetzung, die wir uns heute allenfalls ausnahmsweise leisten können... mit Frauen im Chor.... und ohne Gitter vor der Empore, das die Sängerinnen (vor allem die Solistinnen) vor den Blicken der Kirchenbesucher verbarg (wie etwa in einigen Wiener Kirchen zu diesem Zweck angebracht).... tiefste tiefst-katholische bayerische Provinz... 8+)

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Oper gibt es natürlich erst ab ca. 1600. Zum Konzil von Trient (1545-63) wurde festgelegt, daß der Choral zwar das höchste Ideal von Kirchenmusik sei, daß Mehrstimmigkeit unter bestimmten Auflagen aber zulässig ist. Letzteres entsprach dem damaligen Stand der zeitgenössischen Musik, was gerne übersehen wird! Eine kirchenmusikalische Komposition von Lasso oder Palestrina unterscheidet sich musikalisch in nichts von deren weltlichen Komositionen!

    Öhm... das stimmt so nicht. Da gibt's schon Unterschiede, und zwar nicht wenige. Diese dürften allerdings weniger auffalend sein, wie zwischen stile antico und stile moderno, doch da gibt's schon Untershiede.

    Was den "damaligen Stand" angeht: es wird da auch übersehen, dass damals ein ganz neuer Kirchenstil enstand, oder soger Kirchenstile. Die ältere niederländische Tradtion (Gombert, Brumel, usw.) wurde in Frage gestellt und neue Stile wurden entwickelt: Palestrina und Lasso waren da Vorreiter. Der "Palestrina-Stil" (besser gesagt: die römische Schule) war gegenüber der niederländischen Tradition etwas neues, avantgardes. Eben die gescholtenen Aspekte der niederländischen Schule wurden ausgemerzt, umgangen.

    LG
    Tamás

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • z.B. geistliche Arien, und eben auch das Oratorium, das ja ganz bewußt von Neri als Orpernersatz konzipiert war.

    mW. gab's noch kein Oper, als Neri bereits seine "Oratorien" veranstaltet hat in den 1580er Jahren (Victoria hat z.B. da auch mitgewirkt). Diese "Oratorien" beinhalteten Gebetstunden und das Singen von Motetten und geistlichen Lieder.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Mit der Oper Monteverdis entstand auch das Oratorium - und da gibt es keinen stilistischer Unterschied

    Das stimmt so auch nicht ganz... klar gibt es Oratorien, wo es nur wenig bis kaum stilistische Unterschiede zur Oper gibt, aber Stilistik bedeutet ja nicht nur: eine Reihe von Rezitativen und Arien. Die Stllistik der Oper war schon bald sehr gebunden und das Oratorium war davon doch etwas entfernt. Im Oratorium gab's nie komische Figuren, auch die Reihung und Typisierung der Arien war nicht so streng gegeben, wie bei der Oper, und beim Oratorium musste doch schon ein "pietätvoller, ernster Stil" gefolgt werden. Noch dazu scheint es so, als es doch mehr Freiraum für Experimente gegeben worden wär - wenn man die Opern und Oratorien von Stradella oder A. Scarlatti vergleicht fällt das sofort auf.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Lieber Tamás,

    ich habe nirgendwo geschrieben, dass Oratorium und Oper identisch waren, d.h. sie hatten eine andere Bandbreite, andere Aufführungsbedingungen.. Doch die Schnittmenge ist hinreichend groß. Komische Szenen gab es zB in der Opera seria nicht, und nur um die ging es. Die Buffa geht einen anderen, und eindeutig weltlichen Weg. Ich wüsste nicht, wo ich eine solche Verallgemeinerung geschrieben hätte. Auch Verdis berühmtes Requiem hat keine komischen Szenen, verwendet aber von vorne bis hinten das Vokabular der Oper.

    Wenn man pingelig würde, könnte man schon durch die benutzte Sprache weitgehend geistliche Musik und weltliche unterscheiden, aber da klebt man sich Lehm auf die Augen und verstopft vor allem die Ohren. Und noch einmal: es geht hier doch wohl um Pergolesi und seine Zeit, oder nicht? Die Oratorien, die ich von Pergolesi habe, sind stilistisch opernhaft. Natürlich wurden sie konzertant und nicht szenisch aufgeführt. Aber darum ging es doch gar nicht, sondern um den Stil. Wenn Du es willst, zitiere ich ausführlich Padre Martini, denn der hat sich zum "Stabat mater" aus der Sicht eines konservativen Zeitgenossen geäußert.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Ein kleiner Nachtrag:

    ich zergrüble mir im Moment den Kopf, ob es nicht doch auch komische Momente im Oratorium gegeben hat, aber da brauche ich eine ruhige Stunde (im Moment sitze ich an der Vorbereitung für einen musikalischen Treff mit der "Götterdämmerung"). Im mittelalterlichen Mysterienspiel uä. gab es die auf jeden Fall. Ansonsten hier ein Zitat aus dem A. Scarlatti-Artikel bei wikipedia, das ich so unterschreiben kann (und das war eine Generation vor Pergolesi):

    Zitat

    Scarlattis Oratorien behandeln neben christlich-allegorischen Themen (La Santissima Trinità) und Heiligenlegenden (San Filippo Neri) mit Vorliebe Stoffe aus dem Alten Testament (z. B. Sedecia Re di Gerusalemme). Besonders letztere sind ganz mit den musikalischen und dramaturgischen Mitteln der zeitgenössischen Oper gestaltet, wurden aber konzertant und oft in privatem Kreise gegeben, um das päpstliche Verbot für Bühnenaufführungen in Rom zu umgehen. Im Prinzip handelt es sich bei ihnen um getarnte Opern.

    Ich bin ein großer Verehrer der Oratorien von Leonardo Leo, da kann man exakt das gleiche schreiben.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Ansonsten hier ein Zitat aus dem A. Scarlatti-Artikel bei wikipedia, das ich so unterschreiben kann (und das war eine Generation vor Pergolesi):

    Zitat
    Scarlattis Oratorien behandeln neben christlich-allegorischen Themen (La Santissima Trinità) und Heiligenlegenden (San Filippo Neri) mit Vorliebe Stoffe aus dem Alten Testament (z. B. Sedecia Re di Gerusalemme). Besonders letztere sind ganz mit den musikalischen und dramaturgischen Mitteln der zeitgenössischen Oper gestaltet, wurden aber konzertant und oft in privatem Kreise gegeben, um das päpstliche Verbot für Bühnenaufführungen in Rom zu umgehen. Im Prinzip handelt es sich bei ihnen um getarnte Opern.

    Gerade das stimmt überhaupt nicht. Vor allem die dramaturgischen Mitteln sind oft vollkommen anders. Wenn man das möchte kann ich schnell einige Beispiele nennen:

    Ein Paradebeispiel ist das Giuditta-Oratorium für 3 Singstimmen. Die Pesronen sind: Holofernes (Tenor), Giuditta (Sopran) und die Amme (Alt).
    Nun: die Figur der Amme ist sicht bar aus der Oper übernommen, wo sie oft eine komische Figur ist. Hier fidet man natürlich keine komischen Momente. Noch mehr: die Schlüsselszene, die längste, schönste und wichtigste Arie des ganzen Werkes wird dieser - sonst - "Nebenfigur" gegeben, die Arie "Dormi". (Die Wichtigket dieser Arie kommt daher, dass dieses Schlaflied einerseits als die Nacherzählung von Delilas Schlaflied für Samson vorgestellt wird, und dabei auch das Schlaflied für Holofernes wird - die Figuren Samson-Holofernes / Delila -Judith werden so aufeinander projiziert, was, wenn man näher bedenkt, dramaturgisch einfach genial ist.)
    Überhaupt nicht "opernhaft" ist also, dass den Höhepunkt eine - scheinbar - Nebenfigur für sich bekommt. In einer opera seria, wo die Rollen minuziös ausgeteilt werden mussten, sonst gab's Zuff mit den Sangern, wäre das undenkbar gewesen.
    Der Stoff von "Il Dolore di BMV" ist nicht alttestamentarisch (es handelt sich um ein Passionsoratorium), doch möchte ich es hier erwähnen: hier besteht der ganze erste Teil fast nur aus Arien der Gottesmutter, VIER Arien in Folge - und sie gehören alle dem Typ der Lamento an. Soetwas ist in einer zeitgenössischen Oper auch unvorstellbar. Da dürfte der selbe Sänger nacheinander keine zwei Arien haben (geschweige denn vier), und aufeinander dürften nur Arien von verschiedenen Typen folgen!
    Einen weiteren Beispiel möchte ich aus "Sedecia" nehmen: hier wird eine Arie der Mutter aus dem ersten Teil, in dem zweiten von dem Sohn, Ismaele vollständig und wortwörtlich wiederholt, zitiert (in der lahmen Lesne-Einspielung wird dieser Moment leider verkürzt): das ist wieder ein feiner dramatischer Zug, und ähnliches habe ich bei einer opra seria noch nie gesehen. Dramaturgisch ist hier noch zu sehen, dass bei diesen alttestamentarischen Oratorien überhaupt nicht der Happy-Ending-Zwang der opera seria herrscht. Öfters haben diese Ortorien sogar einen verblüffend starken, verstörenden Schluss (man höre sich Stradellas San Giovanni Battista an....)

    Die Oratorien ließen viel mehr Freiraum für dramaturgische und musikalische Experimente offen. Dass sie "getarnte Oper" seien - ist mE falsch.

    PS.: und nur nebenbei: das Oratorium "San Filippo Neri" behandelt keine "Heiligenlegende", sondern ist allegorisch-politisch. Wer den Wikipedia-Artikel verfasst hat, kannte das Oratorium wohl nicht.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • bezüglich Neri und dem Oratorium war ich etwas voreilig, weil es das zu seinen Lebzeiten als Genre, wie wir das heute sehen, tatsächlich noch nicht gegeben hat. :schaem:
    Nichtsdestoweniger hat es sich aus den Lauden der Oratoriumsbrüder in deren namensgebenden Oratorium neben der Chiesa Nuova in Rom entwickelt, und wenn man von den Oratorien A. Scarlatti und L.Leos exakt das gleiche schreiben kann ("getarnte Opern"), dann liegt das daran, daß sie genau das sind: getarnte Opern, angefangen bei Cavalieris Rappresentazione di anima e di corpo. Bei den Oratorienbrüdern gab es meines wissens auch durchaus szenische oder wenigstens "teilszenische" Aufführungen. Natürlich gibt es auch Oratorien, die überhaupt nicht "damatisch" sind, sondern kontemplativ. Die Nähe zur Oper beruht hier allenfalls auf Verwendung der gleichen musikalischen Formen.

    Zitat

    Die Oratorien, die ich von Pergolesi habe, sind stilistisch opernhaft.


    Darf ich fragen, wieviele Du hast? Die (auch wieder: meines Wissens) nur fragmentarisch erhaltenen Worte Christi am Kreuz? (Wenn ja: Da wäre ich hochgradig daran interessiert, bei welchem Label es eine Einspielung gibt!) La Morte di San Giovanni? Letzteres lässt eine Nähe zur Serva Padrona in der Tat schwerlich leugnen. Allein schon die einleitende Sinfonia (oder sollte man besser Ouvertüre sagen?) passt objektiv gesehen tatsächlich eher in eine Opera buffa. Kein Wunder, daß ein konservativer Kirchenmann wie Padre Martini, der als Kirchenmusiker in der römischen Tradition des stile antico schrieb, dem Schaffen Pergolesis reserviert bis ablehnend gegenüber stand. Es ist aus dieser stilistischen Präferenz Martinis heraus auch nicht verwunderlich, daß ihm das Stabat Mater in seiner unleugbaren Expressivität, die bereits weit über den Barock hinausweist, nicht zusagte. Was sagt uns das? Daß sich auch bedeutende Lehrer täuschen können..? :stumm:

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ich wurde vielleicht nicht vesrtanden: die Arien der Oratorien selbst unterscheiden sich wirklich nicht viel von den Arien der Zeitgenössischen Opern. Aber von der Dramaturgie her sind sie völlig anders, und das wirkt auch auf die Musik aus.

    Wenn man das Oratorium als "getarnte Opern" abtut, verfehlt man auf seine Eigenheiten zu achten, auf die Momente, die durchaus experimentiertfreudiger sind, als bei der zeitgenössischen Oper. Die beiden Gattungen haben schon ihre eigenen Züge, die sie selbstständig macht, und nicht voneinander abhängig.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Fugato

  • Es ging um stilistische Gleichheit, das hat mit Dramaturgie uä. nichts zu tun. Wie bustopher schon erwähnt hat, gab es in der Aufführungspraxis der Oratorien sogar deutliche Annäherungen an die Oper: Kulissen bis hin zu halbszenischen Aufführungen. Dass es Oratorien gab die der Oper näher standen wie solche, die ihr ferner standen, ist ja auch schon erwähnt worden.

    Was die Polemik gegen "getarnte Oper" (da geht opera proibita noch weiter!) angeht, so ist das doch keine Abwertung der Musik, ein Oratorium ist doch nicht etwas Edleres als eine Oper.

    Zurück zum "Stabat mater" - da ist an keine szenische Idee zu denken, es gibt keine Dramatik, kein Vorwärtssstreben im Sinne auch einer allegorischen Handlung. Wenn man da von "opernhaft" spricht, ist es doch deutlich, was "stilistisch" bedeutet: Die verwandten Formen sind mit der Oper gemeinsam, wie ich schon mehrfach geschrieben habe: das Vokabular der Oper wird verwandt. Das führt auch heute noch zu Irritationen (wie sie Ulrica geäußert hat, dazu in einem späteren Beitrag).

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Was die Polemik gegen "getarnte Oper" (da geht opera proibita noch weiter!) angeht, so ist das doch keine Abwertung der Musik, ein Oratorium ist doch nicht etwas Edleres als eine Oper.

    Das sagte ich auch nicht: ich wies nur darauf hin, dass es auf dem Gebiet des Oratoriums Experimente gab - vor allem auf dem gebiet der Dramaturgie (was natürlich auch die Musik beeinflusst) -, die es in der Oper, wegen den speziellen Umständen nicht gab.

    Und da die Oper sowohl eine dramaturgische, wie musikalische Gattung ist, betrachte ich die Bezeichnung "getarnte Oper" verfehlt.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Fugato

  • Ihr wollt jetzt gerade nicht behaupten, daß das Stabat Mater ein Oratorium wäre, oder?

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Des Rätsels Lösung ist - wie immer - die Umgebung, aus denen die Zitate stammen. Was soll das eigentlich? Wir sprechen doch über Pergolesis "Stabat mater" und hier wird eine seltsame Stellvertreter-Diskussion um anderes geführt. Das Stabat mater ist kein Oratorium. Die ganze Aufgeregtheit kann ich also nicht verstehen. Ausgangspunkt war und bleibt doch, dass Pergolesis Werk opernhafte Züge hat. Alles andere sind erst einmal für mich nicht mehr nachvollziehbare Überpointierungen.

    Ich habe schon vorgeschlagen, für die Diskussion, wie sich das Oratorium im 18. Jahrhundert entwickelte, einen eigenen Thread einzurichten. Hier scheinen mir Deine Einlassungen am falschen Ort und haben bedauerlicherweise den eigentlichen Gegenstand des Threads nicht gerade sinnhaft überwuchert. An Glaubenskämpfen dieser Art werde ich lieber als Leser denn als Akteur teilnehmen. Auf solche Beiträge wie Deinen letzten kann ich gut verzichten.

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Und da die Oper sowohl eine dramaturgische, wie musikalische Gattung ist, betrachte ich die Bezeichnung "getarnte Oper" verfehlt.

    ...es gäbe schon Beispiele, die durchaus das dramatische Element einer "echten" Oper hätten.... Händels Theodora etwa...

    gilt natürlich nicht für alle. Claus Guths szenische Umsetzung des Messias fand ich persönlich etwas an den Haaren herbeigezogen. OK: OT

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ausgangspunkt war und bleibt doch, dass Pergolesis Werk opernhafte Züge hat


    Genau da habe ich meine Zweifel, bezogen auf das Stabat Mater. Wenn man das mit seinem La Morte di San Giovanni vergleicht: da existieren schon erhebliche Unterschiede. Das Stabat Mater ist Teil des Graduale und auch in der Vertonung Pergolesis echte liturgische Musik, während letzters ein Oratorium ist, das sich stilistisch deutlich davon abhebt und, wie gesagt, tatsächlich eine unüberhörbare Nähe zur Serva Padrona aufweist. Nochmal: Die Argumente aus konservativer Kirchensicht des 18. und 19. Jhs bezüglich Opernhaftigkeit folgen einem anderen Sprachgebrauch und sind nicht unkritisch zitierbar.

    Notabene: Pergolesis Stabat Mater war im 18. Jh. eines der meistdedruckten Werke. Die Kritiker waren wohl eher eine Minderheit...

    viele Grüße

    Bustopher


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    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • ...es gäbe schon Beispiele, die durchaus das dramatische Element einer "echten" Oper hätten.... Händels Theodora etwa...

    Lieber bustopher,

    die Bandbreite geht von dramatische Elemente bis hin zu dramatischen Abläufen. Da ist Händel sicher eine gute Adresse. Die Entwicklung des Oratoriums wird ja immer wieder die Nähe suchen (wenn ich mal an den Elias von Mendelssohn Bartholdy denke). Dazu werden sich ja auch Formen des weltlichen Oratoriums herausbilden.

    Das MGG (1.Aufl.) definiert auch sehr pragmatisch

    Zitat

    Unter Oratorium wird die auf mehrere Personen, gegebenenfalls unter Verwendung von Chor, verteilte Vertonung einer vorwiegend geistl. Handlung (im weitesten Sinne) zu vorwiegend nichtszenischer Auff. verstanden.
    [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Oratorium. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 56328
    (vgl. MGG Bd. 10, S. 120) (c) Bärenreiter-Verlag 1986
    "http://www.digitale-bibliothek.de/band60.htm"

    Zur Entwickung im 18. Jahrhundert:

    Zitat

    Immer stärker machte sich der Einfluß der Oper auf das Oratorium bemerkbar; eine entscheidende Annäherung fand mit der Reform A. Spagnas statt (s. Sp. 129). Während F. Balducci dem Testo die Hauptrolle gegeben hatte, ging Spagna in die entgegengesetzte Richtung und schaffte den Testo ganz ab. 1656 dichtete Spagna ohne Testo sein erstes Oratorium Debora, das im selben Jahr im Oratorio di S. Girolamo della Carità in Rom mit der Musik eines bis jetzt unbekannten Komp. zur Auff. kam und »con particolare soddisfattione« gehört wurde. Insgesamt schrieb Spagna bis 1716 dreißig Oratorientexte. Zusammen mit der Erzählung verschwand nach und nach auch die Meditation, und das Oratorium wurde, nach Spagnas Wunschbild, zu einem »perfetto melodramma spirituale«. Auch der Chor wurde allmählich vernachlässigt, auf eine sekundäre Rolle reduziert und nach stereotypen Formeln behandelt. Rezitativ und Arie spielten die Hauptrolle. Solange der venez. Opernstil herrschte, wurde das Rezitativ in seinen zahlreichen Übergangsformen zwischen Secco und Arioso sorgfältig behandelt.
    [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Oratorium. Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 56338
    (vgl. MGG Bd. 10, S. 125) (c) Bärenreiter-Verlag 1986
    "http://www.digitale-bibliothek.de/band60.htm"

    Liebe Grüße Peter
    (der sich jetzt Richtung Musikbücherei auf den Weg macht)
    [

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Ein kleiner Nachtrag. Mit meinen Bordmitteln habe ich eruiert, welchen Textdichter Johann Adam Hiller zugrunde legte. Es handelte sich um Friedrich Gottlieb Klopstock. Zunächst wurde die Bearbeitung veröffentlicht in einer Fassung für Gesang und Klavier (Leipzig 1774), später als Partitur und zwar "in der Harmonie verbessert, mit Oboen und Flöten verstärkt und auf 4 Singstimmen gebracht" (Leipzig 1776)

    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

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