STANDARDS - Kurt Weill: September Song

  • STANDARDS - Kurt Weill: September Song

    Gerade an diesem Septemberwochenende verbindet man mit der Geschichte New Yorks leider ganz andere Assoziationen, aber es gab auch einmal diese: sie führt zurück in die Regierungszeit des letzten Gouverneurs der einst holländischen Kolonie New York, Peter Stuyvesant (1612-1672), allerdings gesehen durch den satirischen Blick Washington Irvings. Dieser hatte sich für seine Geschichtensammlung aus der Frühzeit der Stadt nach dem damaligen Spitznamen für die Holländer, nämlich Knickerbockers, den Künstlernamen Dietrich Knickerbocker gegeben und als solcher die parodistische "History of New-York from the Beginning of the World to the End of the Dutch Dynasty" verfasst, die später als "Knickerbocker’s History of New York" bekannt blieb.

    Dieses Buch fiel dem frisch in die USA emigrierten Kurt Weill in die Hände, als der einen Stoff suchte, nach dem er sich von Maxwell Anderson, einem damals sehr erfolgreichen Theaterautor ("What Price GLory" u.v.a.), den Weill flüchtig kennen gelernt hatte, ein passendes Musical schreiben lassen wollte. Anderson gefiel der Stoff, und er verfasste ein Libretto unter dem Titel KNICKERBOCKER'S HOLIDAY, das eine fiktive Liebesgeschichte zwischen der Tochter von Stuyvesants Vorgänger und einem freigeistigen Amerikaner schilderte, die beinahe daran scheitert, dass der Vater des Mädchens es partout mit Stuyvesant verheiraten will. Das Mädchen versucht, Stuyvesant davon zu überzeugen, die Hochzeit um einige Monate oder womöglich Jahre zu verschieben. Da singt der alternde Gouverneur dieses Lied, auf dem sein Darsteller Walter Houston bestanden hatte, als er die Rolle annahm, damit sein ursprünglich ziemlich tyrannischer Charakter etwas sympathischer würde:

    When I was a young man courting the girls
    I played me a waiting game
    If a maid refused me with tossing curls
    I'd let the old Earth make a couple of whirls
    While I plied her with tears in lieu of pearls
    And as time came around she came my way
    As time came around, she came.

    Oh, it's a long, long while from May to December
    But the days grow short when you reach September
    When the autumn weather turns the leaves to flame
    One hasn't got time for the waiting game.

    Oh, the days dwindle down to a precious few
    September, November
    And these few precious days I'll spend with you
    These precious days I'll spend with you

    Als junger Mann, der nach Mädchen sah,
    Da wartete ich gern mal zu
    Wenn sie ihre Locken schüttelte und mich abwies
    Ließ ich die Erde sich ein paar mal drehen
    Überschüttete sie mit Tränen statt Perlen
    Und mit der Zeit kam sie zu mir
    Als es Zeit war, kam sie zu mir.

    Doch ist's eine lange Zeit von Mai bis Dezember
    Und die Tage sind lang, bereits im September
    Wenn das Herbstwetter die Blätter entflammt
    Dann fehlt die Zeit für das Wartespiel.

    Oh, die Tage schrumpfen rasch zu nur wenigen,
    September, November,
    Und diese wenigen Tage verbring ich mit dir
    Die wenigen Tage bin ich bei dir.

    Der musikalisch unbegabte Houston, für den Weill eigens eine sehr begrenzte Melodie von kaum mehr als einer Oktave schrieb, die er seiner gerade in London gefloppten Operette ARMS AND THE COW (DER KUHHANDEL) entlehnte, hatte nach einem Bericht des Uraufführungsdirigenten Maurice Abravanel enorme Schwierigkeiten, das Lied zu lernen, aber als er es vortrug, war es der größte Erfolg des Abends. Das blieb es auch, denn während das sozialkritische Musical, das eigentlich - und hier kommen Ähnlichkeiten zum September vor zehn Jahren zum Vorschein - vor den Gefahren einer Diktatur der Mächtigen von Rechts warnen wollte, nur vom OKtober 1938 bis zum folgenden März durchhielt und nach 168 Aufführungen schließen musste, eroberte der September Song in Walter Houstons Aufnahme rasch die Charts und erreichte Platz 12. Als eine der ältesten Soundtrack-Aufnahmen, die damals noch die Dialoge berücksichtigten, war diese Aufnahme bis vor Kurzem noch greifbar, so dass ich als glücklicher Besitzer eines Exemplars heute, folgt man dem Amazon Marketplace, auf einem kleinen Vermögen sitze:

    Danach wurde er in vielen Pop-Versionen gecovert, von Ezio Pinza bis zu Bing Crosby und vor allem Frank Sinatra. Interessant ist auch die Version mit dem Sprechgesang von Lou Reed aus dieser Zusammenstellung:


    Schließlich ließen sich die Sänmgerinnen nicht mehr davon abhalten, diesen ergreifenden Standard in ihr Repertoire aufzunehmen, wobei sie sich allerdings wegen des für einen alternden Mann geschriebenen Textes auf den Vortrag des Refrains beschränken mussten. Den aber wussten neben vielen anderen Sarah Vaughan, Billie Holliday, Ella Fitzgerald, Eartha Kitt, Rosemary Clooney und natürlich auch Lotte Lenya eindrucksvoll vorzutragen.

    Da blieb es nicht aus, dass sich bald auch die Jazzer dieses rasch zum Standard herangewachsenen Stückes bemächtigten, so Art Tatum, Artie Shaw, Dave Brubeck, Erroll Garner, Django Reinhart und Charlie Mingus sowie der Saxophonist Art Pepper:

    Da es keinem Musiker auf den Leib geschrieben wurde, ist das Lied mit seiner A-A-B-A2 - Struktur sehr einfach gehalten und bewegt sich auch überwiegend in einfachen Schritten voran, aber Weill versteht es sehr raffiniert, durch kurze Wechsel von der einfachen C-Dur- in die parallele Moll-Tonart, etwa bei dem fahlen Beginn des Refrains (It's a long, long while), die Spannung aufrecht zu erhalten und durch kleine Sprünge wie bei "the days grow short" (interessant die Ähnlichkeit zu einer Stelle mit der gleichen Aufgabe in Kosmas "Les feuilles mortes") die drohende Eintönigkeit zu unterbinden. So wurde es neben dem unverwüstlichen "Mackie Messer"-Song zum wohl populärsten und meistgespielten Lied Weills.

    Nun seid Ihr dran. Welches sind Eure Lieblingsversionen dieser (ursprünglichen) Altherrenballade?

    :wink: Rideamus


    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Hallo Rideamus,

    September ist ein absoluter Weill -Liebling von mir. Und ja, die Version von Lou Reed auf der von Dir abgebildeten Scheibe ist phantastisch. Ich habe mich vor lauter Begeisterung, dass andere Leute das auch mal singen, vor gut zehn Jahren zu schnell für eine Aufnahme von Noga&Quartet entschieden, die ganze Platte ist für meine Ohren eher durchwachsen, mir scheint sie nicht besonders viel mit dieser Musik anfangen zu können- schade eigentlich (war bei Morning Storm produziert, dann bei Sony erschienen).

    Sehr zeittypisch ist das Stück - nicht wirklich überraschend -, aber aus meiner Sicht auch sehr stimmig von Max Raabe, Palast Orchester und H K Gruber aufgenommen worden:

    Und fehlen tut mir das Lied (wenn ihr diese Umgangssprache duldet) auf der CD von Anne Sofie von Otter, NDR-SO Hamburg unter Sir John Eliot Gardiner ....

    Ich nehme an, dass meine werte Vera bestimmt noch drei Versionen hat, die finde ich aber nicht so gut ...., vielleicht sogar mit so wunderbaren Stimmen wie Jo Stafford oder so ... mal schauen, was mir da noch so entgegenspringt.

    LG Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Notfalls gibt's den Song mit Jo Stafford als Download hier:

    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51OrO…L500_AA280_.jpg]


    bzw. hier: http://www.amazon.com/September-Song…15650200&sr=1-2

    Am einfachsten natürlich hier, wobei ich mit dem Arrangement doch meine Probleme habe, so schön das gesungen ist: "

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    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • So wurde es neben dem unverwüstlichen "Mackie Messer"-Song zum wohl populärsten und meistgespielten Lied Weills.

    Das dürfte im Jazz, Bossa Nova und diversen anderen Latin-Richtungen eher mit riesigem Vorsprung "Speak Low" aus "One Touch of Venus" sein.

    So wahnsinnig viele Jazz-Versionen kenne ich gar nicht. Aber auf ein Paar, auch außer den bereits genannten, werde ich schon noch kommen. Muß ich demnächst mal nach Ausschau halten.

    Erst mal habe ich aber auch die Version von Lou Reed gehört, die ich auch sehr gelungen finde.

    Bei mir aus dieser, von Hal Willner produzierten CD, die insgesamt sehr viele, sehr gelungene Versionen von Weill-Songs enthält, so von Steve Weisberg, von Sting mit Branford Marsalis und Kenny Kirkland und Re-arrangements des zeitgenössischen britischen Komponisten Dominic Muldowney, der viel auch in seinen eigenen Werken an Weill und Eisler angeknüpft, von den Fowler Brothers mit einer exzellenten Version des Kanonen-Songs, von Carla Bley mit Phil Woods, von Tom Waits, Aaron Neville, Charlie Haden/Sharon Freeman, Todd Rundgren mit Gary Windo mit New Wave-Version der MacHeath-Ballade aus dem Grab, Versionen von Jazz-Avantgardisten wie John Zorn mit einer grandiosen Klangcollage mit u.a. Fred Frith, Guy Klucevsek, Robert Previtte und exzentrischem Gesang auf Japanisch, Elliott Sharp mit der klassisch ausgebildeten Neuen-Musik-Sängerin Sussan Deihim, Henry Threadgill mit u.a.Lester Bowie, Stanton Davis, John Stubblefield und Akua Dixons Jazz-Strings-Trio, die - entlegener - "The Great Hall" aus "Der Silbersee" in einer Version zwischen neuem Jazz und Neuer Musik bieten, die den Kauf schon wert ist, und zwei der m.E. überhaupt besten Weill-, bzw. Brecht/Weill-Sängerinnen, die sich auch sonst häufiger Weill-Songs vorgenommen haben: Marianne Faithfull und Dagmar Krause! Marianne Faithfull singt hier die "Ballade of the Soldier's Wife". Dagmar Krause, die zum britischen RIO- (Rock in Opposition)-Prog-Rock-Kreis gehört, liefert hier, ausnahmsweise eng an der Vorlage, schlicht die beste Version von "Surabaya Johnny", die ich kenne :faint: :juhu: . Auf einer anderen CD gelingt ihr auch die atemnehmenste, eiseskälteste Pause zwischen "..und wenn sie fragen, wen sie holen sollen - -- - alle!" :D

    Diese CD kann ich allen, die nach originellen Weill-Verarbeitungen suchen, denen es dennoch, auch wo sie ganz andere Mittel wählen, gelingt, den Charakter der Songs meisterhaft weiterzutransportieren, nur wärmstens ans Herz legen. Hal Willner hat nicht nur hier ein unglaubliches Händchen, sehr verschiedene Künstler zu sehr gelungenen Werken zusammenzubringen.

    Ich sehe gerade, dass diese sehr abwechslungsreiche, grandiose CD inzwischen vergriffen ist und bereits teuer wird. Sollte man zuschlagen, solange sie gebraucht noch halbwegs bezahlbar zu bekommen ist!

    Aber nun zurück zum September-Song und zunächst zu Lou Reed. Ich weiß nicht, ob das dieselbe Version ist, die auch auf dem Rock-Sampler, der in obigem Beitrag abgebildet ist, zu finden ist. Ich finde jedenfalls auch sehr gelungen, wie Lou Reed den September-Song mit sehr coolem Sprechgesang in eine um Beiläufigkeit bemühte Nostalgie taucht. Musikalisch ist das in den Grundformen sehr simpel erhalten. Die soul-jazzige Bass-Linie des Jazz-E-Bassisten Fernando Saunders macht den Song dennoch auch musikalisch von Anfang an interessant, Lou Reeds sehr harmonisches E-Gitarren-Solo steigert die Nostalgie, spricht deutlicher aus, was er romantischerweise fühlt, aber zu cool ist, um es direkt im Gesang auszudrücken. The Uptown Horns, eine vielbeschäftigte Studio-Brass-Gruppe vor allem für Soul und R & B -Aufnahmen, hüten sich davor, zu viel zu machen, erhöhen dadurch aber noch auf unübertriebene Weise einen etwas nostalischen Soul-Faktor. Lou Reed mit den Uptown Horns, auch das sind normalerweise zwei Welten, zusammenzubringen, zeigt das große Geschick Hall Willners.

    Hal Willner hat auch weitere, sehr gelungene CDs von Marianne Faithfull produziert, auf denen Weill-Songs zu finden sind. Den September-Song hat sie jedoch meines Wissens nie aufgenommen.

    :wink: Matthias

  • Was das Ranking des "September Song" angeht, so folge ich, wie immer in diesen Threads, dieser fantastischen Seite, die seinen Rang unter den meistgespielten Aufnahmen mit Position 76 angibt und die von "Speak Low" mit 120: "http://www.jazzstandards.com/compositions/index.htm". "Mack the Knife" hat dort übrigens Rang 110, liegt also zwischen den beiden, was mich doch überrascht. Jedenfalls kann man sagen, dass Weill im American Songbook und bei den Jazz Standards nicht schlecht positioniert ist, zumal sich auch noch "My Ship" aus dem Musical LADY IN THE DARK unter den Top 300 findet, zum Beispiel dank dieser Version von Quincy Jones mit Miles Davis und anderen: "

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    Ich weiß nicht, ob das dieselbe Version ist, die auch auf dem Rock-Sampler, der in obigem Beitrag abgebildet ist, zu finden ist. Ich finde jedenfalls auch sehr gelungen, wie Lou Reed den September-Song mit sehr coolem Sprechgesang in eine um Beiläufigkeit bemühte Nostalgie taucht.

    :wink: Matthias

    Ich meine, dass es dieselbe Version ist. Man kann sie übrigens auch über YouTube hören, nämlich hier: "

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    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Was das Ranking des "September Song" angeht, so folge ich, wie immer in diesen Threads, dieser fantastischen Seite, die seinen Rang unter den meistgespielten Aufnahmen mit Position 76 angibt und die von "Speak Low" mit 120: "

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    Welcher Seite?

    Dein Link führt zur Lou Reed-Version.

    Insgesamt mag das ja auch hinkommen, aber innerhalb des Jazz vermute ich dann doch "Speak Low" als mit großem Vorsprung meistgespielt. Es kommen unzählige Versionen in diversen Latin-Stilen hinzu, wo es auch einer der Standards geworden ist.

    Fragt sich, wie das Ranking erstellt wurde.

    :wink: Matthias

  • In der Tat fehlt er.

    Ich weiß zwar gar nicht einmal, ob er jemals zu meinen Lieblingsinterpreten dieses Songs gehören wird. Aber diese quasi 'Nachlässigkeit', dieses leichte Antatschen, dieses 'Drüberhüpfen' (ich kann es nicht besser ausdrücken), finde ich schon sehr faszinierend und anrührend.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

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