STANDARDS - Vernon Duke: I Can't Get Started
Zu den besonders ungewöhnlichen Biographien von Komponisten von Jazz Standards gehört mit Sicherheit die eines gewissen Vladimir Dukelsky. Geboren 1903 in einem russischen Ort namens Parafianovo, studierte der begabte Musiker unter anderem Komposition bei Reinhold Glière, bevor die russische Revolution seine Familie in die Emigration zwang. Nach einem kurzem und erfolglosen Aufenthalt in den USA und einem all zu flüchtigen Erfolg als Komponist von Diaghilevs Ballett ZEPHYRE ET FLORE ging Dukelsky nach London, wo er u. a. ein paar Nummern für ein Musical namens YVONNE komponierte, das Noel Coward mit sicherem Blick für dessen grausame Zukunft "Yvonne the Terrible" nannte. Auch sein nächstes und erstes komplett eigenes Musical, THE YELLOW MASK, nach dem Buch eines gewissen Edgar Wallace, floppte, und so ging Dukelsky wieder nach New York zurück. Dort traf er auf George Gershwin, der ihm riet, sich den Künstlernamen Vernon Duke zuzulegen und für den Broadway zu schreiben.
Dukelsky nutzte seinen Geburtsnamen noch eine Weile für seine Auftritte mit klassischer Musik, bevor er die ganz zugunsten seiner Karriere als Songschreiber aufgab. Dank seines Werdegangs war er neben Kurt Weill und später Leonard Bernstein der wohl am tiefsten in der Klassik verwurzelte Komponist der amerikanischen Musicalszene. Sein erster großer Hit, der später auch ein Jazz Standard wurde, war der gemeinsam mit E. Y. Harburg, dem Texter von „Over the Rainbow“ und den anderen Liedern aus Harold Arlens THE WIZARD OF OZ, verfasste „April in Paris“, der in einem New Yorker Café entstand, als Duke gemeinsam mit Freunden vom Pariser Frühling schwärmte. Sein bekanntestes Musical wurde dann die Farbigenlegende CABIN IN THE SKY mit seinem Hit „Takin’ a Chance on Love“. Viele seiner besten Lieder wurden in dieser herrlichen Platte von Dawn Upshaw festgehalten, die jeder kennen sollte, der an diesem Repertoire in einer "klassischen" Version, die sich bei Duke nachgerade aufdrängt, Gefallen findet:
Dukes mit Abstand beliebtester Jazzstandard aber wurde ein Lied, das Bob Hope in den ZIEGFELD FOLLIES OF 1936 voll komischer Verzweiflung sang. Ira Gershwin, der Duke den Text dazu schrieb, erinnerte sich in seinen Memoiren „Lyrics on Several Occasions“ an die Entstehungsgeschichte des Liedes:
„Vernon spielte mir eine Melodie vor, die schon einen Text namens „Face the music with me“ hatte, der aber erfolglos blieb. Deshalb sei die Melodie jetzt frei, und ich könne damit machen, was ich wolle, wenn sie mir gefällt. Mir gefiel sie, und ich schrieb einen Text. Damit hörte es aber nicht auf (... denn Gershwin wurde noch oft gebeten, alternative Verse für diverse Interpreten zu schreiben ...) Die Noten verkauften sich nie sehr gut, aber eine frühe Aufnahme mit Bunny Berigan, die vielen Jazzfans als Klassiker gilt (1974 wurde sie in die Grammy Hall of Fame aufgenommen),war wohl Herausforderung oder Ansporn für viele Jazzmusiker nach ihm. Tatsächlich verging seither kaum ein Jahr, in dem nicht bis zu 15 oder gar mehr neue Aufnahmen mit diesem Titel heraus kamen.“
Gershwins Text ist ein klassischer Listensong, d. h. ein Lied, das verschiedene Elemente aufführt um immer wieder auf denselben Punkt zu kommen. In diesem Fall lief er auf die Aussage hinaus, dass der Sänger sein und tun kann, was er will, etwa die Welt umfliegen, spanische Revolutionen befrieden oder den Nordpol erkunden, und doch bei der Frau seiner Wünsche nicht landen kann.
I've flown around the world in a plane
I've settled revolutions in Spain
The North Pole I have charted, but
I can't get started with you
Around the golf course I'm under par
And all the movies want me to star
I've got a house, a show place, but
I get no place with you
Interessant ist, dass dieses Lamento zwar als komische Nummer debütierte (Bob Hope ließ Eve Arden auf der Bühne einfach stehen, nachdem seine eloquente Werbung Erfolg hatte), jedoch in fast allen späteren Versionen, darunter von fast allen großen Jazzsängerinnen wie Billie Holiday, Ella Fitzgerald oder Carmen McRae, aber natürlich auch von Chet Baker u. v. a. als melancholische Ballade präsentiert wurde, was sie von der Textur von Dukes Melodie her eigentlich auch ist.
Mit seiner einfachen A-A-B-A – Struktur, einem relativ großen Umfang von mehr als einer Oktave und einem fest grundierenden Ostinato im Bass ist das Lied für Instrumentalisten attraktiver als für Sänger, die schon über einen gewissen Stimmumfang verfügen müssen, und so machen sie denn auch die Mehrzahl der zahlreichen Aufnahmen aus. Zu ihnen gehören Lester Young, Sonny Rollins, Dizzie Gillespie, Nat King Cole und viele andere.
Daneben gibt es natürlich auch viele Aufnahmen mit den großen Interpreten des American Songbook, etwa diese besonders schöne mit Rosemary Clooney und Bing Crosby:
Wahrscheinlich habt Ihr aber auch eigene Lieblinge unter den vielen, die für diesen Titel zur Auswahl stehen.
Rideamus