Claudio Monteverdi - Vespro della Beata Vergine (1610) - Marienvesper

  • Claudio Monteverdi - Vespro della Beata Vergine (1610) - Marienvesper

    Die Marienvesper, als Druck 1610 erschienen, steht in der Schnittstelle zwischen dem Alten (der Renaissance) und dem Neuen (dem Frühbarock), zwischen prima prattica und seconda prattica, zwischen der Polyphonie und der Monodie. Hier werden zum ersten Mal konsequent die Stilmerkmale beider konzeptionell miteinander verschmolzen und zu einem neuen Ganzen gemacht.

    Monteverdi hatte bis dato keine geistliche Musik komponiert, obwohl er einer der bekanntesten Komponisten Italiens war. Mit der Oper "L'Orfeo" hatte er im Jahre 1607 der neuen Gattung den entscheidenden Zündfunke verpaßt, und diese Lunte brennt bis heute. Doch diesem Triumph folgte bald eine Tragödie, die der Beginn einer beruflichen Neuorientierung werden sollte.

    Im September 1607 starb nach 8 Jahren Ehe seine Frau und hinterließ ihn als getroffenen Witwer mit zwei kleinen Söhnen. Dann schienen die Probleme am Hof Gonzaga, wo er als Kapellmeister angestellt war, sich zu häufen: er arbeitete recht viel für wenig Salär, und er konnte wohl zunehmend auch seine Ambitionen nicht mehr sinnvoll umsetzen. Nach über zwanzig Jahren in Mantua war er an einem toten Punkt angelangt.

    In der Zeit der Drucklegung der Vesper schien er sich beruflich befreien zu wollen. Er widmete die Sammlung Papst Paul V. und schielte eventuell auf eine Anstellung in Rom oder vielleicht Venedig. Daraus wurde zunächst aber nichts. Spätestens 1612 war er durch den Tod seines Arbeitgebers, dem Herzog Vincenzo Gonzaga, arbeitslos geworden, und nun war es nötig, sich neu umzusehen. Im Jahr darauf verstarb der Kapellmeister des Markusdoms in Venedig, Giulio Cesare Martinengo, und Monteverdi bewarb sich für das Amt. Er wurde genommen und blieb in dieser Position bis zu seinem Tod im Jahre 1643.

    Die Marienvesper zeigt vielleicht am Deutlichsten, wie konsequent Monteverdi seine musikalische Ausrichtung den Gezeiten anpaßte. Er fing mit seinen 1. Madrigalbuch stilistisch noch in der Tradition der Spätrenaissance an und endete beim letzten Madrigalbuch komplett in der frühbarocken Moderne. Die Vesper steht dazwischen, als ein Monument der damaligen Kunst.


    Die Vesper besteht aus fünf Psalmvertonungen, drei Concerto, einer Motette, einem Hymnus, einem Responsorium, einer Sonata und einem Magnificat. Die Besetzung ist mit sieben Solostimmen, einem Doppelchor und Instrumente angegeben. Die Reihenfolge der Stücke ist im Druck so festgelegt:


    I.
    Intonation Deus in adiutorium meum intende / Responsorium Domine ad adiuvandum me festina (sex vocibus & sex Instrumentis, si placet)

    II.
    Psalm 109 Dixit Dominus Domino meo (sex vocibus & sex Instrumentis, Modus IV)

    III.
    Motette Nigra sum (motetto ad una voce)

    IV.
    Psalm 112 Laudate pueri, Dominum (a otte voci sole nel Organo, Modus VIII)

    V.
    Concerto Pulchra es (a due voci)

    VI.
    Psalm 121 Laetatus sum (a sei voci, Modus II)

    VII.
    Concerto Duo Seraphim (tribus vocibus)

    VIII.
    Psalm 126 Nisi Dominus (a dieci voci, Modus VI)

    IX.
    Concerto Audi coelum (sex vocibus)

    X.
    Psalm 147 Lauda Jerusalem (a sette voci, Modus III)

    XI.
    Sonata sopra Sancta Maria Ora pro nobis (a otte voci)

    XII.
    Hymnus Ave maris stella (a otte voci, Modus I)

    XIII.
    Magnificat I (septem vocibus & sex Instrumentis, Modus I) oder:
    Magnificat II (a sei voci, Modus I)


    Mit den Psalm- und Magnificat-Teilen erfüllt das Werk die Voraussetzung als feierliche Vespervertonung in der Liturgie der damaligen Zeit; die fehlenden Antiphonen wurden als einstimmige Choräle beibehalten und sind deshalb nicht notiert worden. Die restlichen Teile gelten sozusagen als zusätzliche Erbauung.

    Man rätselt schon lange, ob die Marienvesper als komplettes Werk konzipiert wurde oder eine Ansammlung einzelner Kompositionen darstellt. Bis heute gehen die Meinungen darüber auseinander. Aufgeführt wird sie heutzutage als geschlossenes Werk, entweder mit den fehlenden Antiphonen (und einer leicht veränderten Reihenfolge) oder ohne ihnen.

    In den 1950er Jahren begann das Interesse an der Vesper zu erwachen. Die ersten Einspielungen erfolgten (Hans Grischkat, Vox 1953; Anthony Lewis, L'Oiseau-Lyre 1953), und das Werk begann sich allmählich zu etablieren. Heute gehört es zum Kanon jener Glanzstücke, die einfach nicht mehr wegzudenken sind. Man hat die Auswahl zwischen zwei Dutzend Einspielungen verschiedenster Konzeptionen und unzähligen Aufführungen weltweit. Und egal, wie man es früher aufgeführt hatte oder heutzutage aufführt, irgendwie schafft man es eher selten, es komplett zu ruinieren. Dafür ist es einfach zu brillant komponiert worden.


    Links:
    "http://de.wikipedia.org/wiki/Marienvesper_%28Monteverdi%29"
    "http://de.wikipedia.org/wiki/Claudio_Monteverdi"
    "http://www.medieval.org/emfaq/cds/sear…nteverdi+vespro"


    jd :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Ich verliere nun mal ein paar Worte zu der letzten Einspielung, die ich gestern in der Post fand. Vor etwa zehn Tagen bestellte ich bei marketplace eine preiswertige Ausgabe der Gardiner-Aufnahme, in der Hoffnung, ich würde die Digitalaufnahme von 1990 erhalten. Falsch gedacht: es war die Analog-Aufnahme von 1974.


    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51J-i9jSpNL._SL500_AA300_.jpg]

    Sopran: Jill Gomez, Felicity Palmer
    Countertenor: James Bowman
    Tenor: Robert Tear, Philip Langridge
    Bariton: John Shirley-Quirk
    Baß: Michael Rippon

    The Monteverdi Choir & Orchestra
    Salisbury Cathedral Boys' Choir
    Philip Jones Brass Ensemble
    David Munrow Recorder Ensemble

    Continuo:
    Nicholas Kraemer, Cembalo
    Malcolm Hicks & Alastair Ross, Orgeln
    Robert Spencer, Laute
    Jennifer Ward Clarke, Cello

    Dirigent:
    John Eliot Gardiner

    Gardiner dirigiert hier keine solistisch geprägte Aufführung, sondern einen fetten Chor und ein fettes Orchester, zusammen mit sieben Solisten, die ihr Vibrato und Inbrunst voll ausleben. Man hört aber keinen falschen Ton, keine unschöne Klangfarbe oder überforderte Instrumentalisten; alles ist großartig, virtuos und effektvoll musiziert, und jeder gibt sein Bestes. Trotz der Größe des Ensembles bleibt noch Raum für Details, auch wenn die Stimmen im Wust des Chores gelegentlich verwischen.

    Gardiner dirigiert übrigens nicht - nein, er zelebriert die Vesper. Die Tempi sind sehr langsam; immerhin bringt es die Einspielung auf 100 Minuten Laufzeit für den Standardsatz (alle 13 Teile ohne zusätzliche Antiphone), und Gardiner kostet jede Sekunde davon aus. Er variiert das Tempo: mal wird es sehr langgezogen, mal wird es straff gespielt. Auch die Lautstärke wird gehandhabt wie eine dramatische Komponente: ich kenne keine Einspielung bisher, die so dynamisch mit ihren klanglichen Möglichkeiten arbeitet wie diese hier. Es wird kein Trick der klanglichen Dramaturgie ausgelassen, um der Vesper ihre Geheimnisse zu entreißen.

    Das hört sich erstmal wirklich klasse an, aber bei den Sängern bemerkt man aber doch die Vergangenheit bei der Oper: die Verzierungen der Tenöre im Duo Seraphim klingen, als möchte man der Königin der Nacht in der Zauberflöte Konkurrenz machen; im Audi coelum wird manchmal auch dergleichen zuviel getan. Die Sopranistinnen schmettern ebenfalls etwas zu dick und wuchtig. James Bowman klingt sehr gut, kommt aber leider viel zu selten zum Einsatz. So bleibt die Gesangsleistung auf einem technischen Spitzenniveau, die zwar nicht so recht vom Stil her zu der Vesper passen mag, aber die Einstellung dahinter ist gegeben. Keiner der Solisten verkauft sich unter Wert und gibt sein Bestes.

    Im Grunde ist Gardiners Lesung die konsequente Verbindung von solistischer Durchhörbarkeit mit den Mitteln eines großen Ensembles, der Durchgang von der gnadenlosen Überladung eines Eugen Jochum 1957 zu der klaren Transparenz eines Jordi Savall 1989. Es ist die Dramatisierung der Marienvesper als "szenisches Oratorium" - mit all seiner überwältigenden Kraft und Würde.

    Es ist vielleicht kein Zufall, daß das beeindruckendste Stück der Hymnus Ave maris stella darstellt: in den zehn Minuten, die das Stück geht, wird eine Ruhe und Traurigkeit aufgebaut, in der das langsame Tempo zu jener inneren Bewegtheit führt, die der Text so wundervoll ausdrückt. Gardiner setzt hier keine scharfen rhythmischen Akzente, sondern läßt die Musik schwingen - bis zu dem Punkt, wo sie zum Schluß im Nichts verschwindet.

    Aufgenommen ist das Ganze in einer offenen Weise. Man hört das Ensemble in seiner szenischen Gesamtheit, wobei die Stereo-Wirkung sehr gut erfaßbar ist. Die Dynamik ist sehr weit gefaßt. Ein Klang, der mir gefällt.


    jd :wink:

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    2 Mal editiert, zuletzt von Josquin Dufay (4. April 2022 um 18:50)

  • Gardiner dirigiert übrigens nicht - nein, er zelebriert die Vesper. Die Tempi sind sehr langsam; immerhin bringt es die Einspielung auf 100 Minuten Laufzeit für den Standardsatz (alle 13 Teile ohne zusätzliche Antiphone), und Gardiner kostet jede Sekunde davon aus. Er variiert das Tempo: mal wird es sehr langgezogen, mal wird es straff gespielt. Auch die Lautstärke wird gehandhabt wie eine dramatische Komponente: ich kenne keine Einspielung bisher, die so dynamisch mit ihren klanglichen Möglichkeiten arbeitet wie diese hier. Es wird kein Trick der klanglichen Dramaturgie ausgelassen, um der Vesper ihre Geheimnisse zu entreißen.

    Gerade deswegen gehört diese Einspielung der Vespro zu meinen Favoriten! Ich finde es in diesr Hinsicht genialer, als seine spätere (schon mit historischen Instrumenten operierende) Aufnahme (bei Archiv).

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • die Verzierungen der Tenöre im Duo Seraphim klingen, als möchte man der Königin der Nacht in der Zauberflöte Konkurrenz machen; im Audi coelum wird manchmal auch dergleichen zuviel getan.

    Die Sopranistinnen schmettern ebenfalls etwas zu dick und wuchtig.

    So bleibt die Gesangsleistung auf einem technischen Spitzenniveau,...

    Lieber Josquin,

    Das klingt jetzt aber nicht nach technischem, noch sonstigem Spitzenniveau, sondern eigentlich - zumindest für mich - eher gruselig!
    Ich hätte das jetzt gerne mal an Klangbeispielen nachgehört, aber die gibt es leider, wie so häufig bei älteren Aufnahmen, nicht.
    Allerdings schätze ich mal, dass es nicht meine Lieblingsvesper sein wird! ;+) Fetter Chor, fette Stimmen, Vibrato und opernhaftes Agieren gehören nicht zu meinen Favoriten!
    Die Aufführungspraxis betreffend, ist es sicherlich eine interessante Einspielung. :yes:

    LG
    juli

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Liebe Juli,

    ich denke Josquin wollte nur sagen, dass die Sänger nicht in der Art der super-schlanken "HIP-Stimmen" agieren. Gruselig ist das, überhaupt nicht. Ein großes, aber durchörbares Chor, und starke Stimmen. Die Gesangsweise ist tatsächlich etwas opernhaft, aber nicht als würde man Verdi hören. Spitzenniveau stimmt schon, aber eben nicht der heutige Standard, sonder die von 1970... dafür aber bahnbrechend.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Naklar war man in den 70ern noch auf einem anderen Niveau, da war HIP und in den Kinderschuhen!
    Ich wollte jetzt auch die Qualität dieser Aufnahme - am damaligen Standart gemessen - nicht in Abrede stellen.
    Deshalb habe ich ja auch geschrieben, dass es sehr wahrscheinlich nicht meine Lieblingsvesper ist, ich bevorzuge nun einmal den schlanken, transparenten HIP-Klang!
    Meine Lieblingsaufnahme ist immer noch ungeschlagen die von Savall.

    LG
    Juli

    "Eine Semmel enthält 140 Kalorien, 700 Semmeln pro Jahr ergeben 98000 Kalorien,
    diese benötigt man, um eigenhändig 1 Elefanten 9 Zentimeter weit zu tragen. Aber wozu?"
    (Loriot)

  • Meine Lieblingsaufnahme ist immer noch ungeschlagen die von Savall.


    Da gibt's aber eine transparentere:

    Die Aufnahme von Alessandrini ist zum Verlieben! Solistisch besetzt, deshalb super transparent, doch kraftvoll und festlich. Phenomenal!

    Meine 3 Favoriten sind übrigens: die oben gezeigte Gardiner-Aufnahme, die erwähnte mit Savall (in der Neumischung bei AliaVox), und diese mit Alessandrini. Drei grundverschiedene Aufnahmen, aber alle drei unvergleichlich!

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Nach der neuesten spinnerten Attacke meines Computers auf meine Geduld kann ich endlich mal wieder etwas schreiben... :cursing: :cursing: :cursing:

    Ich hätte das jetzt gerne mal an Klangbeispielen nachgehört, aber die gibt es leider, wie so häufig bei älteren Aufnahmen, nicht.

    Versuch es mit dieser Ausgabe:


    ich denke Josquin wollte nur sagen, dass die Sänger nicht in der Art der super-schlanken "HIP-Stimmen" agieren.

    Genau das! An der Qualität dieser Einspielung gibt es nichts zu rütteln - die ist großartig! Sie ist nur eben nicht HIP. Ich muß allerdings sagen: wenn mit fetter Besetzung, dann so. :thumbup:

    Die Divergenz zu den späteren HIPpen Aufnahmen macht eigentlich den größten Reiz aus. Es ist immer noch die Vesper, aber anders gewichtet.


    jd :wink:

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  • Die zweite Aufnahme, die ich vorstelle, ist diese hier:


    Cantus Cölln
    Sopran: Johanna Koslowsky, Maria Cristina Kiehr
    Altus: Pascal Bertin, Bernhard Landauer
    Tenor: Gerd Türk, Markus Brutscher, Martin Post
    Baß: Stephan Schreckenberger, Stephan MacLeod, Matthias Gerchen

    Concerto Palatino

    Dirigent: Konrad Junghänel

    Sie erschien zum ersten Mal im Jahre 1995 und ist eine solistische Aufführung. Hier dominiert kein großer Chor, kein großes Orchester; es ist alles wesentlich intimer und in HIP musiziert. In den zwanzig Jahren seit der Gardiner-Einspielung von 1974 hat sich eine Menge getan.

    Die SängerInnen haben jedes Maß an Operhaftigkeit abgelegt und lassen ihre Stimmen mit wenig bis gar kein Vibrato erklingen. Gerd Türk etwa, der Nigra sum singt, gestaltet sein Part mit Würde und großer Ausdruckskraft. Das Duo Seraphim wird mit Präzision und jener Zurückhaltung gesungen, die sich wohltuhend mit dem Instrumentenensemble verbindet.

    Die Instrumentalisten sind höchstens dreifach besetzt und lassen somit dem Gesangsensemble freien Raum, sich frei zu entfalten. Dadurch gewinnt die Marienvesper an Durchhörbarkeit und Intimität. Junghänel wählt ein moderates Tempo und läßt die Stücke in einem kompakten Ablauf; nur an vereinzelten Stellen (z.B. beim kompletten Einsatz der Sänger bei "omnes" in Audi coelum) verlangsamt er es mal, um besondere Effekte zu setzen. Er dramatisiert das Tempo jedenfalls nicht wie Gardiner; damit ist Junghänel immerhin zehn Minuten schneller mit der Vesper fertig.

    Jünghänels Version wirkt etwas nüchtern, ist aber wunderbar abgestimmt. Alles verbindet sich zu einem feinen Klangkosmos, ohne die Details zu verschlucken. Die Blechbläser dröhnen herrlich, die Streicher fiedeln klar, die Stimmen harmonieren wunderbar. Eine großartige Ensembleleistung. Auch die Aufnahmetechnik ist so zu sehen: klar, präzise, mit leichten Hallanteil, ohne weit entfernt zu sein. Man ist mitten drin.


    jd :wink:

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  • Hier die dritte Einspielung:


    Pro Cantione Antiqua:
    Barbara Schlick (s)
    Timothy Penrose (ct)
    James Griffett & Ian Partridge (t)
    Stephen Roberts & Michael George (b)

    Collegium Aureum
    Musica Fiata

    Knabenchor Hannover

    Dirigent: Heinz Hennig

    Dies ist eine Live-Aufzeichnung, die der NDR am 06. Juli 1979 in Herrenhausen vornahm. Hennig (1927-2002) dirigiert hier eine Aufführung, die eher sich nach Gardiners 1974er Einspielung richtet. Jedenfalls kann man ebenso eine solche große Prachtentfaltung erleben, die allerdings nicht so stark im Tempo dramatisiert wird. Hennig läßt die Vesper im moderaten Tempo spielen und erreicht damit eine Laufzeit von 92 Minuten.

    Der Chor ist sehr groß, unter anderem mit Knaben als Sopranstimmen besetzt, die ihre Sache aber sehr gut machen. Er ist räumlich sehr gestaffelt und klingt wunderbar geschlossen und deutlich. Das Orchester ist mit zwei Ensembles besetzt, die sich dem historischen Instrumentengebrauch verschrieben haben. Somit hört man Laute, Zinken oder Streicher alter Bauart, die ein wunderbaren Klangteppich bilden. Man muß allerdings sagen, daß der Chor das Orchester ein bißchen übertönt, doch nicht in der Weise, daß ich das übermäßig störend empfand.

    Die Solisten sind allesamt sehr gut und vermeiden jede Art der opernhaften Dröhnung. Beim Duo Seraphim bemerkt man zwar auch ein gestelztes Vibrieren, doch bleibt es eher die Ausnahme. Audi coelum ist sehr gut gesungen, mit einem großartigen Choreinsatz auf "omnes". Man muß den Solisten der Pro Cantione Antiqua allgemein zugestehen, daß sie damals zu den besten Sängern mit Bereich der Barockmusik zählten. Auch heute noch eine sehr gute Leistung.

    Auch das Klangbild kann überzeugen. Daß dies eine Live-Konserve ist, hört man so gut wie gar nicht. Eher selten ein Huster oder Rumpeln, eine exzellente Mikrophonierung plus eine klasse Abmischung präsentiert einen klaren, sehr nahen Klangraum, der alle Details offenbart und kaum etwas verdeckt. Zwar ist der Chor leicht dominant, aber das Orchester bleibt dennoch präsent.

    Es ist eine immer noch überzeugende Leistung, auch wenn die Historische Aufführungspraxis ihren Weg fortgesetzt hat. Heute wäre der Chor solistisch besetzt, die Solisten hätten eine andere Technik, die Instrumentalisten klängen präziser. Aber was mir daran gefällt, ist die dynamische Ausrichtung, die Vesper in einer festlichen Art und Weise zu musizieren. Durchaus gut gelungen. :thumbup:


    jd :wink:

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  • Kennt jemand diese (solistisch besetzte und relativ neue) Aufnahme?

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Kennt jemand diese (solistisch besetzte und relativ neue) Aufnahme?

    Ja, ich kenne und schätze sie. Sie ist etwas spartanisch: Instrumente wurden nur dort eingesetzt, wo sie Monteverdi anmerkt, durchgehend solistisch besetzt, und im Continuo nur mit Orgel. Die Interpretation ist schön und präzise, vielleicht aber etwas kalt.

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

  • Da wart ihr etwas schneller als ich: ;+)


    (P) 2008 Challenge Classics CC72311 (2 Hybrid-SACDs)

    Sopran: Gerlinde Sämann & Marie Kuijken
    Altus: Alessandro Carmignani & Paolo Costa
    Tenor: Giuseppe Maletto, Fabio Furnari & Jean-Francois Lombard
    Baß: Marco Scavazza, Fulvio Bettini & Valter Testolin

    La Petite Bande

    Dirigent: Sigiswald Kuijken

    Dies ist eine solistische Einspielung, gerade erst vor drei Jahren veröffentlicht. Das Tempo ist zügig; Kuijken braucht gerade mal 87 Minuten für die Vesper. Es bleibt gleichbleibend, was in dem Fall durchaus sinnvoll ist, und ich halte es für genau richtig. Nichts ist zu langsam, daß es durchhängt; nichts ist zu schnell, daß es zu sehr gehetzt wird.

    Hier gibt es auch keinen Chor; die oben angegebenen Sänger bilden ihn nämlich, und dementsprechend transparent klingt das auch. Und da es sich um exzellent ausgebildete SängerInnen handelt, wird man damit konfrontiert, daß man einer großartigen Gesangsleistung zuteil wird. Ich weiß auch nicht, wen der Solisten ich besonders herausstellen könnte: sie sind alle wunderbar und harmonieren miteinander in herrlichster Weise.

    Die Instrumentierung ist tatsächlich spartanisch. Zur meisten Zeit erklingt nur eine Orgel als B.C. Kuijken legt auch dar, daß er sich bewußt an den Anweisungen Monteverdis hält; damit wird der volle Klangapparat (maximal 16 Instrumentalisten) nur an einigen zentralen Stellen eingesetzt (z.B. in Domine ad adjuvandum me, in den Zwischenspielen im Dixit Dominus oder in der Sonata "Sancta Maria"). Das reduziert das ganze Klanggefüge erheblich, stellt aber andererseits die brillante Gesangsleistung in den Vordergrund.

    Diese Durchhörbarkeit ist auch sehr gut zu hören. Die Aufnahmequalität ist dynamisch, gut gestaffelt und präzise in den Details. Auch wenn ich bisher nicht in den Genuß der DSD-Spur kam, kann ich über die Stereo-Spur sagen: top! :thumbup:

    Kuijkens Auslegung ist der konsequente Gegensatz zu Gardiners Einspielung von 1974: hier dröhnt nichts gewaltig, sondern ist auf seine kleinsten Einheiten begrenzt. Was bleibt, ist eine wunderschön gesungene und intim interpretierte Marienvesper, die ich zu den definitiv besten Einspielungen zähle. Großartig! :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

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  • L'Areggiata, Leitung: Christina Pluhar, Aufnahme: 2010; Spielzeit: 75'09

    Obwohl ich die oben von jd beschriebene Einspielung von Sigiswald Kuijken nicht kenne, scheint Christina Pluhar bei ihrer Interpretation vom gleichen Ansatz auszugehen. Auch in dieser Aufnahme ist das Ensemble rein solistisch besetzt. Auf einen Chor wird verzichtet, aber wegen der hervorragenden Leistungen aller beteiligten Sänger und Sängerinnen vermisst man einen solchen kaum.

    Bei dieser Aufnahme im gewohnt typischen "L'Arpeggiata-Sound" kommt nach meinem Empfinden kaum eine feierliche Stimmung auf. Die Interpretation ist eher sehr "erdig" und betont mehr die Freude an der Musik und am virtuosen Musizieren. Trotzdem respektiert Christina Pluhar das Werk und nimmt es ernst. Auf die capricciösen Jazz-Einlagen, die zwischenzeitlich zu Pluhars Markenzeichen geworden sind, verzichtet sie diesmal zu Recht. Überraschenderweise wird aber nicht einmal der nette Echo-Effekt in Audi coelum besonders hervorgehoben.

    Ein besonderer Höhepunkt ist für mich Nuria Rials Gesang in der Sonata sopra Sancta Maria. Hier schimmert dann doch etwas himmlisches durch. Allein deswegen würde sich die Anschaffung der CD lohnen.

    Viele Grüße
    Frank

  • scheint Christina Pluhar bei ihrer Interpretation vom gleichen Ansatz auszugehen. Auch in dieser Aufnahme ist das Ensemble rein solistisch besetzt.


    ABER: Pluhar verwendet eine überausgroße Continuogruppe, UND lässt die Instrumente mit den Sangern colla parte spielen.

    Kuijken (ebenso wie Alessandrini und McCreesh) verwendet nur dort Instrumente, wo sie ausdrücklich ausgeschrieben sind.

    LG
    Tamás
    :wink:

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    Fugato

  • Kommen wir nun zu der Einspielung, die in "http://www.amazon.de/Bach-Beyond-Masaaki-Suzuki/dp/B003Q8XJTM/ref=sr_1_2?s=music&ie=UTF8&qid=1321649030&sr=1-2']Bach & Beyond" zu finden ist:


    (P) 2001 BIS Records CD-1071/1072 (2 CDs)

    Sopran: Midori Suzuki, Yukari Nonoshita & Yoshie Hida
    Sopran/Alt: Mutsumi Hatano
    Tenor: Gerd Türk, Stephan van Dyck & Yosuke Taniguchi
    Baß: Stephan McLeod & Yoshitaka Ogasawara

    Concerto Palatino
    Bach Collegium Japan

    Dirigent: Masaaki Suzuki


    Im Dezember 1999 nahm Suzuki diese CD auf und geizte nicht mit äußerst interessanten Zugaben: neben dem Magnificat II ist hier auch die Missa "In illo tempore" vorhanden, womit der japanische Dirigent den kompletten Inhalt des 1610 veröffentlichten Druckes der Marienvesper eingespielt hat. Ein besonderes Vergnügen, wie ich finde. Ich beschränke mich aber auf die Vesper.

    Suzuki läßt auf den Hörer eine transparente und sehr schnelle Vesper los. In gerade mal 83 Minuten ist sie durchexerziert, mit forschem Tempo, die kein langes Verweilen zuläßt. Es muß aber ganz klar gesagt werden, daß dieses Tempo nicht zu einer gehetzten Stimmung verkommt - im Gegenteil: mit größter Lebendigkeit erstrahlt das Werk und erhält damit eine faszinierende Wucht. Leicht tänzerisch verweilt das Tempo in einer elastischen Darbietung.

    Hinzu kommt die große Besetzung: der Chor ist 22 Stimmen stark, ist aber mitsamt den Solisten besetzt. Eine homogene und exzellente Leistung kommt dabei zustande, die den Chorklang weder zu mächtig noch zu unpräzise werden läßt. Ebenso sind die Instrumentalisten - 24 an der Zahl - mit einer beeindruckenden Präzision und Luftigkeit zugange, die dem Gesamtklang eine große Dynamik verleihen.

    In den Psalmen wie Dixit Dominus oder Lauda Jerusalem kommt das richtig groß heraus: wie eine gewaltige Welle überschwemmt das Ensemble die Hörsinne und erweckt die Vesper zu einer strahlenden Vision, wie man sie sich im Markusdom unter Monteverdis damaliger Leitung am Liebsten erträumen würde. Dabei bleibt die Transparenz komplett erhalten: hier bleibt jedes Detail nachvollziehbar, jeder Klang ist einzuordnen.

    Die Solisten können in ihren Solopartien zur Höchstform auflaufen: Stephan van Dyck bringt eine großartige Leistung in Nigra sum zustande, und Gerd Türk glänzt in Audi Coelum. Midori Suzuki und Mutsumi Hatano veredeln Pulchra es, und die Ensembleleistung im Magnificat I ist besonders hervorragend.

    Insgesamt hat sich Suzuki für ein großbesetztes Basso Continuo mit sieben Instrumenten entschieden, aber die pappen die Solisten nie zu. Alles bleibt in einem ausgewogenen Gleichgewicht und läßt die Interpretation atmen. Das unterstützt auch die Aufnahmequalität: eine räumliche Atmosphäre ist zu spüren, die den Klangapparat treffend einfängt.

    Bei dieser Einspielung kann man definitiv von einer brillanten Leistung sprechen. Suzuki gibt der Vesper eine Größe und Dynamik, ohne sie aber schwerfällig werden zu lassen. Im Gegensatz zu Gardiner zerdehnt er nichts, erlangt aber eine ähnlich große Festlichkeit. Wer die Vesper in Großbesetzung hören möchte, dem sei diese Einspielung ans Herz gelegt.


    jd :wink:

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    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

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  • Dann komme ich nun mal zu etwas wirklich Historischem:


    (P) 2008 Andromeda ANDRCD 9031 (2 CDs)

    Maria Stader (s)
    Hertha Töpper & Marga Höffgen (a)
    Richard Holm & Helmut Krebs (t)
    Herbert Brauer, Hans Braun & Walter Berry (bt)

    Chor & Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

    Dirigent: Eugen Jochum

    Dies ist eine Live-Aufzeichnung, die am 06. September 1957 in München stattfand. Erst im März 2008 erschien sie erstmals auf einem Tonträger und stellt die damalige Beschäftigung des Bayerischen Rundfunks mit Werken des Frühbarocks bzw. der Spätrenaissance dar. Jochum hatte bereits 1955 mit dem Chor und dem Symphonieorchester des BRs die Marienvesper zum ersten Mal aufgeführt, in einer neuedierten Bearbeitung. Somit stellt die Aufzeichnung einen Mitschnitt der mehrfach erprobten Interpretation dar.

    Das läßt sich auch hören: sehr sicher gehen Chor, Orchester und Solisten durch die Vesper und präsentieren sich in guter Form. Der Chor ist aber auch sehr groß, was sich gelegentlich in einer unpräzisen Deklamation und einer verschwimmenden Tonführung äußern kann. Einzelne Stimmen lassen sich nicht ausmachen.

    Das Orchester spielt auf modernen Instrumenten und erreicht eine große Dynamik in ihrer Instrumentation, die sich vor allem in der Sonata "Sancta Maria" als wirklich gelungen zeigt. Es musiziert farbig und prachtvoll. Als Continuo spielt eine Orgel dezent im Hintergrund.

    Die Solisten sind natürlich nicht mehr zeitgemäß: viel zuviel Vibrato (vor allem Hertha Töpper "schwingt" sich durch die Partitur), aber eine profunde Technik hält das Klanggefüge zusammen. Die Inbrunst allerdings sollte man ignorieren, da es zu dick aufgetragen wird. Durch die Bearbeitung kommt Hertha Töpper in den Genuß des Solos im Nigra sum und des Audi coelum, und ihr Organ bringt eine seltsame Düsternis in die beiden Stücke. Die Herren Baritone sind in ihrer Dreieinigkeit im Magnificat (Quia fecit mihi magna) etwas nervig, weil sehr voluminös vorgetragen. Die Tenöre Holm und Krebs ziehen sich da noch am Besten aus der Affäre. - Insgesamt eine sehr gute technische Leistung, die heute aber eher durch ihren unHIPpen Vortrag irritiert.

    Ansonsten kann man Jochums Dirigat nicht unterstellen, daß es unpassend wäre: die Tempi sind gemäßigt (94 Minuten für das ganze Werk) und lassen die Vesper nicht auseinanderdriften. Die Sonata ist wirklich wunderbar gelungen mit ihrer etwas tänzerischen Ausrichtung; das klingt bei neueren Einspielungen nicht viel anders. Das Magnificat pendelt wunderbar zwischen den Solo- und Tuttiteilen hin und her, und das Audi coelum überzeugt mit großer Dramatik.

    Dem Klang merkt man sein Alter an: es ist eine Mono-Aufnahme, die zwar alle Details wiedergibt, aber im Frequenzgang nach oben und unten etwas begrenzt ist. Dazu kommt noch, daß die Differenzierung manchmal etwas verwischt, wenn tutti gespielt wird. Die Balance der einzelnen Stimmen zueinander ist in Ordnung, aber nicht perfekt. Das Mikro war relativ weit von den Musikern entfernt, wodurch auch eine Menge Nebengeräusche vom Publikum zu hören ist; zwar sind sie nicht sehr laut, aber vernehmbar. Im Gesamten eine zufriedenstellende Klangqualität; für damals sicherlich eine sehr gute Radioqualität.

    Immerhin merkt man den klanglichen Unterschied, wenn man die Bonusstücke hört, die Guido Cantelli in den USA dirigiert hatte (die Sonata und das Magnificat). Die sind klanglich noch deutlich begrenzter und werden mit einer wuchtig angehauchten Langsamkeit zelebriert. Klingt sehr feierlich, aber gerade die Sonata wird auf 11:41 Minuten gestreckt, was etwas einschläfernd wirkt. Das Magnificat wird durch einen gewaltigen Einsatz von SängerInnen zum definitiven Chorgasmus geführt. Insgesamt sehr gewöhnungsbedürftig... :S

    Jochums Interpretation möchte ich dagegen eine positive Empfehlung geben: die Bearbeitung hat eher eine Neuorchestration erbracht, und somit bleiben die originalen Stimmen der Marienvesper erhalten. Jochum mag zwar nicht HIP sein, und seine Solisten sind es auch nicht, aber diese Einspielung ist weit davon entfernt, Ohrenschmerzen zu verursachen. Sie unterliegt einer anderen Aufführungstradition, die so nicht mehr existiert, aber es ist eine sehr gute Interpretation mit klassen Leistungen. Man kann sie gut durchhören und sich an die Eigenheiten gewöhnen. Als Dokument der frühen Aufführunspraxis der Vesper in den 1950er Jahren ist sie auf jeden Fall von hohem Wert. :thumbup:


    Links:
    "http://www.br.de/radio/br-klass…ndstein100.html"


    jd :wink:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Ich möchte mal auf diese Einspielung hinweisen:

    The Scholars Baroque Ensemble:

    Kym Amps, Janet Coxwell (Sopran)
    Angus Davidson, Frances Jellard (Alt)
    Robin Doveton, Julian Podger (Tenor)
    David van Asch, Adrian Peacock (Bass)

    Pauline Nobes, William Thorp (Violinen)
    Jeremy West, Nicholas Perry, Susan Smith (Cornett)
    Paul Nieman, Martin Pope, David Stewart (Sackpfeifen)
    Jan Spencer (Cello)
    Robin Jeffry (Chitarrone)
    Terence Charlston (Orgel)

    Künstlerische Leitung: David van Asch

    Aufnahme: St. Augustine’s Church, Kilburn, September 1993


    Das Scholars Baroque Ensemble hat in den frühen 1990er Jahren eine ganze Reihe von Aufnahmen für Naxos gemacht (u.a.: Bachs Johannespassion, Händels Messiah, Purcells Dido and Aeneas und Fairy Queen), die sich allesamt durch ein hohes musikalisches Niveau auszeichnen – und durch den Einsatz sehr reduzierter Klangkörper bei Chören und Orchester. So werden die Chöre in der Johannes-Passion durchgehend in solistischer Besetzung dargeboten (es dürfte wohl die erste Passionseinspielung mit solistisch besetztem Chor sein). Und auch in dieser Einspielung der Marienvesper aus dem Jahr 1993 sind Chor und Orchester solistisch besetzt.

    Was zeichnet diese Interpretation desweiteren aus? Zunächst einmal das wundervoll transparente Klangbild und die berückend innige Darbietung des Werks. Die Sänger (alle 8 mit schönem, klarem Stimmmaterial ausgerüstet; Vibrato wird überaus sparsam und ausschließlich als gestalterisches Mittel eingesetzt) agieren sehr unprätentiös und im besten Sinne werkdienlich. Das Ensemble ist perfekt abgestimmt, was zu einer überaus geschlossenen und runden Interpretation des Werks beiträgt. Insgesamt ist die Präsentation von spiritueller Zurückhaltung geprägt, was auch dadurch betont wird, dass die Generalbasssektion ausschließlich »fundierend« eingesetzt wird. Durch den Verzicht auf 16’’-Instrumente/-Register, hat das ganze, hm, wie soll ich sagen, einen spirituellen Charakter, der jeder Erdenschwere enthoben scheint.

    Eine sehr schöne Einspielung dieses Werks ist das, die durchaus neben den anderen mir bekannten Interpretationen (Savall, Gardiner [DG], Junghänel, Parrott, Fasolis [den ich aber neu erstanden und erst einmal gehört habe]) bestehen kann.

    Adieu,
    Algabal

    p.s.: die Antiphonen sind leider nicht enthalten.

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Gut, daß du mich daran erinnerst, mal wieder die Marienvesper aufzulegen... ;+)

    Ich kann den Eindruck Algabals von der Naxos-Einspielung voll und ganz bestätigen: es ist eine solistische Darbietung mit viel Schwung und einer exzellent gestaffelten Durchhörbarkeit. Sie ist schnell (ca. 82 Minuten), wirkt aber nicht gehetzt. Die neun Solisten bilden auch den Chor, und sie leisten Grandioses. Die Instrumentalisten sind tutti (11 Musiker) nur an den entscheidenden Stellen zu hören; sonst bleibt ein BC mit Orgel und Chitarone übrig.

    Der Gesamtklang ist sehr schön eingefangen worden, mit einer breiten Stereowirkung, die die intimen Details wie auch die Tuttis prächtig einfängt. Definitiv kann auch ich diese Einspielung zu den besten der Vesper zählen.


    jd :wink:

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    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • p.s.: die Antiphonen sind leider nicht enthalten.

    Welche Antiphonen meinst du? ?(

    Die Vespro ist nicht für ein bestimmtes Marienfest geschrieben worden und die Zuordnung von Antiphonen, wie sie an manchen Aufnahmen zu finden ist, ist mehr als problematisch. Noch problematischer sind aber dann die Concerti, die zwischen den Psalmen stehen, weil sie überhaupt nicht in die (und zu der) Liturgie passen. Man könnte fast meinen, entweder Antiphonen eines bestimmten Marienfestes (nach welchem Brevier: nach dem römischen oder nach dem mantuanischen?) oder die Concerti... ich bin für eine Aufführung OHNE Antiphonen. Ich weiß, das gibt nicht die liturgische Wirklichkeit des Stückes wieder, ich meine aber, heute hören wir das Werk eher als Konzertstück, als liturgsches Werk - deshalb sind die Antiphonen verzichtbar.

    Diese Aufnahme mit den Scholars Baroque Ensemble habe ich noch nicht gehört, aber ich bin jetzt sehr neugierig gemacht worden! :thumbup:

    LG
    Tamás
    :wink:

    "Vor dem Essen, nach dem Essen,

    Biber hören nicht vergessen!"


    Fugato

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