Ich glaube, es war eine exzellente Aufführung, das Orchester schlank, präzise und spielfreudig, wirklich sehr gute Solisten und ein mindestens guter Chor.
Warum glaube ich das nur?
Weil ich natürlich keine Ahnung habe.
Und: weil es nur zu erahnen war!Dieser Kirchensaal ist riesig und hat einen ewigen Nachhall. Ich habe mir dort nun schon recht viele Konzerte, Messen und Oratorien angehört, immer gebe ich ein gerüttelt Maß Geld dafür aus, jedes mal bin ich erfreut über den Rahmen (der Michel ist innen einfach schön!) und jedes mal bin ich enttäuscht ob der Akustik. Was da recht leise in den Ohren ankommt, ist nur noch ein Klangsmoothie. Einzelne Instrumente sind überhaupt nicht herauszuhören, mit Glück schafft es mal eine Melodie, sich aus dem Brei herauszuschälen.
Ich habe vor ungefähr einem Monat die ganz genau gleiche Erfahrung hier im Paderborner Dom gemacht. Das ist eine wunderschöne Kathedrale, in der vom Hochmittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart alle Generationen ihre künstlerischen Spuren hinterlassen haben, es ist auch ein schöner und gleichermaßen festlicher wie spiritueller Ort für Aufführungen geistlicher Musik. Man kann eben diese Aufführungen aber nur genießen, wenn man die horrenden Preise für einen Platz in den vordersten Reihen bezahlt.
Ich war zuletzt vor eben etwa einem Monat im Dom in einer Aufführung der h-moll-Messe. Die Solisten (Ina Siedlaczek, Cornelia Saljé, Andreas Post und Klaus Mertens) waren bestimmt sehr gut, sie kamen bei mir in Preiskategorie III aber kaum noch an. Bei den Chorstellen hat sich der Hall schon an so vielen Jochen gebrochen, dass nur noch ein undefinierbarer Klangbrei zu vernehmen ist - das bekommt Bachs Fugen leider ganz und gar nicht. Alles wabert durcheinander, das zuhören ist da wirklich kein Vergnügen. Zudem hatte sich Domkapellmeister Berning für eine Aufführung mit einem reduzierten Chor und einem recht klein besetzten, auf alten Instrumenten spielenden Originalklangensemble entschieden. Künstlerisch war das sicher eine gute Entscheidung, akustisch leider nicht. Das Orchester konnte ebenso wie die Solisten kaum den ganzen Dom füllen. Meine Erafhrungen sind also die gleichen, wie die, die du in Hamburg gemacht hast. Trotz der sicher hochkarätigen und gelungenen Aufführung war der Konzertabend kein Vergnügen.
Ich weiß, dass der Domkapellmeister um diese Probleme weiß und selbst nicht glücklich ist mit den akustischen Verhältnissen in "seinem" Dom - er kann sie aber natürlich auch nicht ändern. Vielleicht sollte der Konzertveranstalter aber so aufrichtig sein, zumindest keine Plätze hinter dem Westquerhaus mehr zu verkaufen. Selbst in den hinteren Bänken des Mittelschiffs ist es schon sehr, sehr, kritisch, weiter hinten zu sitzen ist eigentlich eine akustische Zumutung für das Publikum. Stattdessen werden aber recht und links und hinter den letzten Kirchenbänken noch Klappsitze aus Holz aufgestellt. Die Plätze dort hinten sind aber die einzigen, die noch zu erschwinglichen Preisen zu haben sind.
Vor eineinehalb Jahren habe ich im Dom eine hochkarätig besetzte Aufführung der "Marienvesper" gehört. Ich hatte das unglaubliche Glück, dass mich, während ich an der Abendkasse Schlange stand, ein älterer Herr ansprach, der zu Besuch in der Stadt war, zwei Karten gekauft hatte, nun aber nur eine benötigte. Seine überschüssige Karte hat er mir einfach geschenkt, wodurch ich zu einem Sitzplatz in der dritten oder vierten Reihe kam. Nichts von den eben geschilderten Problemen war da zu hören, der schlanke, klare Klang von Solisten, Chor und Orchester kam dirket bei mir an, es war ein reines Vergnügen - und der Tourist aus München, der dann natürlich neben mir saß, erzählte davon, dass er das so ergreifend ja selbst damals unter Jochum nicht gehört habe...