Edmund Rubbra (1901 bis 1986) - ein Poet unter den englischen Symphonikern
Elgar, Vaughan Williams und Bax sind die Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts, die den meisten Musikinteressierten zum Thema englische Symphoniker wohl als erste einfallen dürften. Aber Edmund Rubbra? „Much admired by some connaisseurs in his native country, but … rarely heard overseas.“ (Steve Holtje). Doch auch im eigenen Land scheint Rubbra heute weniger bekannt zu sein, als es sich nach der Anzahl der inzwischen verfügbaren Platteneinspielungen vermuten ließe. In deutschen Konzertprogrammen existiert der Name Rubbra m.W. so gut wie überhaupt nicht.
Meine erste eigene Bekanntschaft mit der Musik Rubbras liegt inzwischen 25 Jahre zurück, an meiner damaligen Bewunderung für sie hat sich bis heute nichts geändert. Die FAZ hatte im Februar 1986 in einer kurzen Notiz den Tod des Komponisten erwähnt und hinzugfügt, Rubbra gelte als einer der inspiriertesten Melodiker unter den englischen Symphonikern. Einige Tage später besaß ich eine LP von Rubbras 5. Symphonie – es war Liebe auf den „ersten Blick“. So begann meine Begeisterung für diesen Komponisten. Die LP-Einspielung ist heute (zusammen mit Werken von Bliss und Tippett) als CD (West Australian SO, Schönzeler, bei Chandos, ADD/DDD, 78/87) zu haben:
Bald lernte ich die Symphonien Nr. 4, 6, 7, 8 und 10 kennen und auch sie überzeugten mich schon beim ersten Hören als musikalische Pretiosen. Vor allem faszinierten mich, faszinieren mich immer noch die hochpoetischen langsamen Sätze Rubbras (insbesondere V.3. Grave, VI.2. Canto) und die wundervolle Nr. 10. Ich persönlich kenne nichts Vergleichbares in der englischen Symphonik.
Inzwischen gibt es eine Gesamtausgabe der Symphonien Rubbras unter der Leitung von Richard Hickox mit dem BBC National SO & Chorus Wales (Chandos, DDD, 1993-98):
Symphony No. 1, Op 49 (1936)
Symphony No. 2 in D, Op 45 (1937)
Symphony No. 3, Op. 49 (1939)
Symphony No. 4, Op. 53 (1941)
Symphony No. 5 in B-flat, Op 63 (1947)
Symphony No. 6, Op. 80 (1954)
Symphony No. 7 in C, Op. 88 (1956)
Symphony No. 8 “Hommage à Teilhard Chardin”, Op. 132 (1968)
Symphony No. 9 “Sinfonia Sacra” (für Solo, Chor und Orchester), Op. 140 (1971)
Symphony No. 10 ”Sinfonia da Camera”, Op. 145 (1974)
Symphony No. 11, Op. 153 (1979)
Eine ausgezeichnete Beschreibung von Rubbras Stil hat Christoph Schlüren ('Kleiner Lauschangriff' für Klassik Heute, 2001) gegeben, aus der ich an dieser Stelle ein paar zentrale Sätze zitieren möchte:
„Er ging als einer der eigenwilligsten und fruchtbarsten englischen Symphoniker unerschlossene Wege abseits jeglicher Moden und Trends. … Rubbra kümmerte sich ebenso wenig um die Forderungen der Kritik nach „fortschrittlichem Idiom“ wie um das Verlangen des breiten Publikums nach unmittelbarer Eingängigkeit und sinnlichem Glanz. Er war einer der eminentesten Kontrapunktiker des 20. Jahrhunderts, und die Form eines Werks ergab sich bei ihm stets auf unvorhersehbare Weise aus dem motivischen bzw. intervallischen Keim, der als Kraftquelle am Beginn steht und aus dem alle weitere Bewegung geboren wird. Sein kompositorisches Denken war grundsätzlich von der organischen Ausfaltung des vielstimmigen Potentials bestimmt, was mit zunehmender Reife zu immer unkonventionelleren Lösungen führte.“
Über die Zehnte:
„Hier sind die Aspekte, die Rubbra sein Leben lang beherrschten, zu vollendeter Fusion geführt: Die unwillkürliche Entfaltung der kontrapunktischen Energie, deren Ausrichtung sich die farbige Harmonik anschmiegt; das Improvisatorische, Unvorhersehbare, welches den Fluss nie unterbricht, sondern ihm neue Reize und Kontraste zuführt und damit spannungsfördernd wirkt; die ornamentische Fraktur, die nicht zuletzt aus Rubbras Neigung zu orientalischer Musik gespeist ist; und, aus all dem resultierend, eine das Zeitempfinden sprengende, der stimulierten Bewegung übergeordnete Langsamkeit, jene meditative Dimension, die mit Rubbras fernöstlicher Geistigkeit zugeneigter Religiosität übereintimmt. Wer sich in dieser Tonwelt überschwänglicher Innigkeit wohlfühlt, wird sich natürlich auch für die umliegenden Werke interessieren. …
Nach dem Krieg sorgte das fortschrittsbetonte Klima zunehmend für Gegenwind. Bald galt Rubbra als Konservativer. … Die Symphonien Nr. 5-7, zwischen 1947 und 1957 entstanden, waren zeitweise ziemlich erfolgreich und wurden unter Dirigenten wie Stokowski, Boult oder Barbirolli gespielt. Jedes dieser Werke hat seine eigenen, sich mit mehrmaligem Hören erschließenden Qualitäten. Besonders der ’Canto’ aus der Sechsten mit den herrlichen Quintparallelen ist von berückendem Zauber. … Der späte Höhepunkt seiner Symphonik ist meines Erachtens die 1974 entstandene Zehnte.“
Symphonie Nr. 10, Bournemouth Sinfonietta, Schönzeler (Chandos, ADD, 1975):
Schlürens vollständiger Text vgl. "http://www.musikmph.de/rare_music/com…a_edmund/1.html" .
Vielleicht melden sich ein paar Capricciosi zu Wort: mit eigenen Erfahrungen, Ergänzungen, Empfehlungen, Fragen etc. ?
Grüße von Auscultator