VERDI: Don Carlos – Kommentierte Diskographie

  • Zwei Jahre nach Karajan nahm Nello Santi 1960 mit den Wiener Philharmonikern und einer etwas veränderten Besetzung die Oper in Salzburg erneut auf. Die Tonqualität ist nicht schlecht, könnte aber den damaligen technischen Möglichkeiten entsprechend besser sein. Trotzdem sollte man sich, diese in Portugal produzierte und von dem Label BellaVoce 1999 vertriebene Aufnahme nicht entgehen lassen, sollte man günstig an sie kommen. Ich habe sie seinerzeit beim "Caruso"-Ausverkauf erwischt, als kostbare Perle einer verlorenen Krone sozusagen. Was bei Amazon von verschiedenen Anbietern verlangt wird, erreicht hingegen teilweise Phantasiewelten.
    Nello Santis Interpretation (es ist natürlich die vieraktige italienische Fassung) klingt quasi wie Friedrich Schiller. Kein Belcanto-Gesäusel, sondern herber Ernst bis hin zu richtiger Wucht, aber alles meisterhaft dosiert und von tiefem Ernst getragen und mit einem überwältigenden Ensemble einen Gänsehautmoment an den anderen reihend.
    Eugenio Fernandi - er gehörte der sagenhaften Tenorgeneration der in den zwanziger Jahren des 20.Jahrhunderts Geborenen an - ist ein höchst kultivierter Sänger, der hier erstaunlicherweise die sinnliche Note weitgehend unterdrückt und eher den zwiespältigen Charakter der Titelfigur verdeutlicht. Die Stimme klingt gar nicht so jugendlich, aber die Gestaltung äußerst spannend.
    Auch bei Sena Jurinac als Elisabetta geht es nicht um Schöngesang, sondern um tragische Empfindung. Man denkt sich: Besser geht es nicht. Und das stimmt auch, aber es geht anders ebenso grandios, wie der Bonus-Anhang beweist (auf den ich noch komme).
    Als König war Boris Christoff damals wohl Maßstab; seine Auffassung der Partie ist in den vorigen Beiträgen ja wiederholt gewürdigt worden. Er ist einfach ein Erlebnis.
    Ebenso ein solches ist natürlich Ettore Bastianini als Posa, gleicherweise in stimmlicher Bestform.
    Dasselbe ist von Regina Resnik als Eboli zu berichten und gleicherweise von Raffaele Arié als Großinquisitor. Selbst die Minipartie der Stimme vom Himmel wird durch Liselotte Maikl zum unvergeßlichen Eindruck.

    Bemerkenswert sind weiters die als Bonus hinzugefügten Auszüge einer in Bologna 1966 aufgenommenen Vorstellung (?) mit dem Concertgebouworchester und Bernard Haitink. Auch sehr gut, wenngleich ganz anders und daher nicht leicht vergleichbar. Haitink interpretiert ästhetisierender, vermittelt weniger die tragische Beklemmung als die Klangschönheit - ohne den dramatischen Faktor deswegen wirklich zu vernachlässigen, so wie auch Santi die Italianità keineswegs unterdrückt, sie nur nicht dominieren läßt. Arturo Sergi in der Titelrolle wirkt jugendlich-feurig, kann sängerisch Fernandi aber natürlich nicht das Wasser reichen; was nicht heißt, daß er schlecht ist, nur eben prima zweite Reihe.
    Überwältigend dafür Gre Brouwenstijn als Elisabetta, strahlend, aber nicht düster, sondern ihre Partie ideal verklärend. Völlig gegensätzlich zu Jurinac, aber genauso begeisternd. Gut Nicolaj Ghiuselev als König, Mimi Arden als Eboli, Hugh Beresford als Posa und Guus Hockman als Großinquistor, die trotz ihrer Klasse aber nicht die Qualität des Salzburger Ensembles erreichen.

    Die Zusammenstellung der beiden Versionen spricht aber für die Intelligenz der Herausgeber - die haben etwas von Oper verstanden. Das Ergebnis kann ich nur bestens empfehlen.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Wenn ich solche lebendigen Berichte und Rezensionen lese, bedaure ich meine Opermuffeligkeit umso schmerzlicher.
    Hab Dank, lieber Waldi, für den sehr informativen und bereichernden Text.

    Herzlich grüsst dich, lieber Namensvetter, mit allen guten Wünschen,
    der-aus-Bern

  • Lieber Berner-Walter,

    Eigentlich habe ich ja schon ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich mich an der Opernflaute im Forum mitschuldig fühle, doch ich finde derzeit leider wenig Zeit, mehr als bloße Opern-Häppchen zu konsumieren. Dieser "Don Carlos" begleitete mich schon oft, und die längste Zeit kam ich nie über den ersten Akt hinaus. Jetzt hat es endlich geklappt, wenn auch nicht so, wie ich mir vorstellte. Aber man kommt bei der Wiedergabe eigener Eindrücke mit dem Alter zunehmend mit den Ansprüchen, die man sich selbst stellt, ins Gewirks, wie es bei uns so schön heißt. Trotzdem besser mager als gar nix...

    Liebe Grüße
    Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Meine Aufnahme, die ich Liebe Mitforisten Euch vorstellen möchte.
    Es handelt sich um eine Produktion der Mailänder Scala unter dem Dirigat von Riccardo Muti in der Inzenierung von Franco Zeffirelli.
    Zum Dirigat von Muti. Muti spielt ein richtig schönes Italienisches Brio, für ihn ist der Don Carlo ein echtes Musikdrama. Muti ist ein Dirigent, der sehr auf das Orchesterspiel achtet, für ihn soll das Orchester die Handlung gestalten und nicht die Sänger begleiten.Hier ist er ein entschiedender Antipode zu Abaddo, der eher sich als Sängerbegleiter versteht, und das Orchester zurücknimmt. Er nimmt zügige Tempi und führt ein gutaufgelegtes Orchester sicher durch die Paritur. Der Cellist ist hier bei dem Vorspiel zum 3. Akt. zu loben Lediglich die Geigen könnten etwas symphonischer süffiger klingen,.das Blech ist sattelfest.Um es mit Schullnoten zu bewerten Dirigat sehr gut Orchester gut
    Don Carlo: Luciano Pavarotti, um es kurz zu machen, er war 1992 schon über seinen Zenit, als diese Produktion stattfand. Pavarotti war ein lyrischer Tenor, kein spinto, die diese Partie braucht,um glaubhaft zu sein, Carreras Timbre ist mir persönlich lieber, weil er das verletzliche dieser Figur mit glaubhafter wiedergibt, Pavarottis Stimme ist grenzweritg, nicht wenige würden sagen, die Stimme ist zu klein für einen Carlos, trotzdem schafft es Pavarotti mit seiner Routine eine gute Leistung zu bringen. meine Wertung befriedigend (+)
    Phillipp Samuel Ramey der Amerikaner ist ein Schlachtross unter den Opernsängern, ein prinzipiell lyrischer Basso Cantate, der den alten senilen halsstarrigen König sehr gut singt. Vaterfiguren und Ramey das passt, eine sehr gute Leistung
    Elisabeth Daniela Dessy, die junge Königin ist eine Partie, die für eine lyrische jugendlich dramatische Sopranistin geschaffen ist, sie hat die notwendige Mädchenhaftigkeit in der Stimme hat. Meine Wertung (gut+)
    Eboli. Luciana dÍnitino nach anfänglichen Schwierigkeiten steigert sie sich in der neben der Carmen und der Kundry Königspartie der Mezzos eine sehr frauliche Stimme, die vielleicht ein wenig mehr Erotik vertragen könnte. Meine Wertung gut
    Posa- Paolo Coni die vielleicht schwirigst zu beseztende Partie des Stückes , ein guter Posa muss ein väterlicher Freund Carlos sein gegenüber dem König ein junger durchaus aufbegehrender Adliger, der ihm allerdings ein Widerpart sein muss. Viele Sänger hatten die Partite missverstanden. Leider Gottes Leo Nucci
    Coni trifft den Spagat sehr gut sein weicher aber durchaus tiefer Bariton ist wie geschaffen für die Rolle sehr gut ist meine Werung
    Grand Inquisitore Alexander Antisimov. ein dunkler Bass diese Rolle je tiefer desto besser kommt nicht ganz an Salminen, was Dämonie heran Gut
    Der Chor und die Nebenrollen sind gewohnt gut besetzt
    Zur Inzenierung von Zeffirelli entweder man mag ihn oder man hasst ihn, letztere sind in der Regietheaterecke zu suchen. Was ist das für ein prachtvolles Bühnenbild, wie prunkvoll sind die Kostüme, wie messerscharf ist seine Personenführung es ist der Gipfel was er wieder für einen Augenschmaus hier zelibireirt, Zeffirelli kann es einfach. :spock1: :spock1:
    Summa sumarum ein insgesammt schöner Don Carlo mit einem blendend aufgelgten Muti und Zeffirelli wieder in Bestform, als Regisseur

  • In ORF III läuft gerade jener "Don Carlo", von dem Waldi zuvor die DVD gepostet hat. Restlos begeistert bin ich davon nicht; aber das steht auf einem anderen Blatt.

    Und bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich daran, dass ich in knapp zwei Monate in Lyon einen "Don Carlos" in der fünfaktigen Pariser Fassung von 1867 (und - natürlich - auf französisch) sehen werde (https://www.opera-lyon.com/fr/20172018/opera/don-carlos). Jetzt mein Frage: kann mir jemand eine CD-Aufnahme der Pariser Fassung in französischer Sprache empfehlen ? Ich habe zwar ein paar Aufnahmen der gängigen vieraktigen Fassungen in meiner Sammlung, aber die Erstfassung fehlt in meinem Archiv und ich würde mich vor Lyon ganz gerne einhören.

  • Die fünfaktige Fassung von 1867 wurde meines Wissens zweimal aufgenommen: mit Bertrand de Billy (inkl. Teile, die vor der Premiere gestrichen worden waren)

    und John Matheson (auch mit gestrichenen Teilen. De Billy behauptete, sein Don Carlos sei the most complete ever, so muß er wohl mehr reingepatched haben als Matheson, aber wesentlich ist es nicht).

    Tatsächlich hat Verdi immer einen französischen Text komponiert. Vertraglich hatte Edmond du Locle die Rechte für das Libretto und für alle Veränderungen (bis auf eine kleine für Neapel, die er dann zurückgenommen hat) hat Verdi immer du Locle um einen neuen Text gebeten, den er dann vertont hat und der später ins Italienische übertragen wurde (es gab wenigstens drei Übersetzer, der erste ist glaube ich Achille de Lauzières, der einen ziemlich lausigen Job gemacht hat, dann haben Zanardini und Ghislanzoni dran gearbeitet, wenn mein Gedächtnis nicht trügt).

    Deshalb hat Abbado die Fassung letzter Hand (die sog. Modena Fassung) auf Französisch aufgenommen - mit als Bonus diversen Stücken der älteren Fassungen, die nicht in die Endfassung gekommen sind oder wesentlich verändert wurden (z.B. das Ballett):

    Pappano hat eine Mischfassung auf Französisch dirigiert und aufgenommen:

    Etwas mehr Details im Beitrag nr 34.
    Wenn Du die Urfassung haben willst, hast Du die Wahl zwischen De Billy und Matheson.

    Alles, wie immer, IMHO.

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