Carlo Maria Giulini, Covent Garden live 12. Mai 1958
Don Carlo – John Vickers
Elisabetta di Valois – Gré Brouwenstijn
Filippo II – Boris Christoff
Rodrigo, Marchese di Posa – Tito Gobbi
La Principessa d’Eboli – Fedora Barbieri
Il Grande Inquisitore – Michael Langdon
Un frate – Joseph Rouleau
Tebaldo – Jeannette Sinclair
Una voce dal cielo – Ava June
The Covent Garden Orchestra and Opera Chorus
Carlo Maria Giulini
Bei Jon Vickers war ich ziemlich skeptisch – Tristan, Siegmund, Parsifal, Otello, Radamès, Florestan – ok. Aber Don Carlo? Keine Sorge: Es funktioniert bestens! In der ersten Arie „Io la vidi“ höre ich einen berückenden Sehnsuchtston. In der Autodafé-Szene hat er einen dramatischen Impetus und eine Höhensicherheit, die ich ansonsten vermisste. Hier verstehe ich, wovor Filippo Angst hat! Ebenso mitreißend ist seine Vision als „redentor“ und „vincitor“ im finalen Duett mit Elisabetta.
Bei Gré Brouwenstijn - sie sang neben Vickers‘ Siegmund die Sieglinde in der ausgezeichneten Studio-Aufnahme der Walküre unter Erich Leinsdorf - merkte ich erst, wie viel die vorgenannten Sängerinnen von dieser Partie verschenkt haben. Die große Szene im locus amoenus beim Kloster S. Giusto mit Don Carlo, die sonst schon mal länglich wirken kann, ist hier packend gestaltet. „Tu che la vanità“ – diese Klage ist einer Königin würdig, das ist Größe im Leiden.
Boris Christoff kommt unter Live-Bedingungen stellenweise nicht ganz so gewaltig rüber wie unter Studiobedingungen; dies ist wohl der Mikrophon-Platzierung geschuldet, bei der man mal eine bessere, mal eine schlechtere Position einnimmt. Wiederum großartig ist seine Szene „Ella giammai m’amò“.
Tito Gobbi hat vielleicht nicht so viel Stimme wie mancher Kollege („la pace dei sepolcri“), aber der folgende Abschnitt des Gesprächs mit Filippo ist umso eindringlicher gestaltet. Gobbi verzichtet darauf, aus „per me giunto“ mit der Vollstimme eine vokale Schaunummer zu machen, sondern lässt die Arie in der Dunkelheit des Gefängnisses. Seine Sterbeszene, darin bestens unterstützt von Giulini, ist ein Höhepunkt der Aufführung.
Fedora Barbieri ist alles andere als treffsicher in der Höhe. Konsequenterweise lässt sie einige Spitzentöne in „O don fatale“ aus. Ein Hauch von Schärfe ist ebenso zu hören wie mancher brustige Ton. Von der technischen Souveränität einer Shirley Verrett oder einer Grace Bumbry ist sie weit entfernt. Was bleibt, ist ihr Instinkt für dramatische Gestaltung. Aber um diese Sängerin zu schätzen, gibt es bessere Aufnahmen, etwa ihre Azucena unter Cellini und von Karajan, ihre Mrs. Quickly ebenfalls unter von Karajan.
Michael Langdon gibt sich alle Mühe, aber in der Szene mit Filippo gibt die vokale Machtfülle diejenige der Handlung mit umgekehrten Vorzeichen wieder. Dies umso mehr, als sich Christoff dafür in keiner Weise anzustrengen scheint.
Dies ist eine Live-Aufnahme, die hält, was nach der Papierform vor dem Hintergrund der Studio-Aufnahmen erwartet werden darf. Giulini, Christoff und Gobbi sind drei (erhoffte) Eckpfeiler, die die Aufnahme empfehlenswert machen. John Vickers und Gré Brouwenstijn sind zwei weitere – unerwartet, aber umso erfreulicher: sie machen die Aufnahme eigentlich unverzichtbar und sind das überzeugendste tragische Paar aller dieser Aufnahmen. – Abstriche bei Eboli und beim Großinquisitor verhindern letztes Opernglück ebenso wie einige Striche am Text. Aber zu diesem Preis … wie zum Ausgleich der Kürzungen gibt es ein Recital mit Boris Christoff.