Mein Idol erweist sich als miese Figur - was nun?

  • Hallo Eusebius,
    dass er Antisemit war, wusste ich garnicht.
    Immerhin pflegte er sehr gute Kontakte zu Klemperer und Walter.
    Für mich ist die Anekdote Ausdruck seines Opportunismus und Egoismus. Und damit war /ist er unter Künstler sicherlich keine Ausnahme.
    Gruß aus Kiel

    Nachtrag. Was zu vertiefen wäre: In der nach oben offenen "Arschlochskala" sind die meisten großen Künstler weit oben angesiedelt. :D

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • ..

    Zitat von Kalevala

    Und, ehrlich, bei "Ratzi" bekomme ich Magenkrämpfe, meines Wissens ist die Prügelstrafe seit den 1960iger Jahren in Deutschland aus den Schulen verbannt (war jedenfalls in West-Berlin seit 1967 so).

    Keine "juristischen Konsequenzen" kann es nach sich ziehen, wenn man Herrn Ratzinger schlicht zitiert, der sein Verhalten mit der damaligen Erziehungspraxis begründete. Und kundtat, wie sehr es ihn erleichterte, als die Prügelstrafe an den Schulen abgeschafft wurde (in Bayern wohl später als anderswo?).

    Der arme Mann! Hätte ihm die Gesetzgebung doch nur früher die Möglichkeit gegeben, besagtes Verhalten zu ändern!
    In meinem Chorinternat war die Prügelstrafe noch in den 90ern erlaubt und gesetzlich legitimiert, zum Wohlgefallen mancher Lehrer und Betreuer. Allerdings erdreisteten sich andere unverschämterweise, diese Möglichkeiten nicht zu nutzten und das in Hinblick auf public schools 1999 in Kraft getretene Verbot quasi zu antizipieren (kein Wunder, wenn es mit der Gottesfurcht bergab geht :heul1: ).


    Zitat von Dirigent

    Nur gut ich habe nicht eine einzige CD von diesen selbstgerechten Personen, nur eine mp3 die habe ich vom Musiccenter gelöscht.

    Auf der Basis eigener Erfahrungen bin ich überzeugt, dass viele der beteiligten Sänger einer solchen Massnahme nicht applaudieren würden. Immerhin bedurfte es jahrelanger Arbeit, um ein entsprechendes musikalisches Niveau zu erlangen. Diese Mühen (und ggf. Schlimmeres) würden als gänzlich und engültig vergeblich erscheinen, verbannte man nun auch noch die Aufnahmen.

  • Immerhin pflegte er sehr gute Kontakte zu Klemperer und Walter.

    Auch zu anderen Menschen jüdischer Herkunft. Er hat ja Kollegen die etwas konnten immer geschätzt, egal welchen Hintergrund die hatten. Strauss war einerseits geschäftstüchtig, und andererseits erfolgsverwöhnt. Das wollte er nicht aufs Spiel setzen. Also hat er sich ruhig verhalten. Wir verlangen von großen Musikern immer eine edle Gesinnung, aber vergessen dabei, das viele von ihnen auch für das tägliche Brot sorgen mussten. Das Problem war zwar bei Strauss nicht virulent, aber er hatte auch andere Ansprüche.
    Auch ein Beethoven hatte nicht nur eine edle Gesinnung. Wie er im Falle seines Neffen mit seiner Schwägerin umgesprungen ist, war durchaus grenzwertig.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • In der Naturwissenschaft gibt es das reale Problem, wie mit wissenschaftlichen Erkenntnissen umzugehen ist, die auf unethische Weise gewonnen wurden. Im Extremfall handelt es sich um Experimente mit Menschen, in welchen körperliche Schäden oder sogar der Tod in Kauf genommen werden. Der Experimentator würde mit ziemlicher Sicherheit in den USA oder in Europa in den Knast wandern, doch die Ergebnisse, so sie wissenschaftlich gesehen valide sind, wären dennoch da und wären zu berücksichtigen. In der Musik haben wir dieses Problem Gott sei Dank selten, denn das Komponieren lässt wenig freien Raum für Verbrecherisches, selbst wenn der Komponist ein Schurke war. Umso leichter sollte es uns fallen, das Geschaffene vom Schöpfer zu trennen. Aber vielleicht steht unsere Vorstellung, dass Musik etwas Erhabenes sei und dass folglich der Komponist dementsprechend geartet sein sollte, diesem so offensichtlichen Schluss entgegen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • denn das Komponieren lässt wenig freien Raum für Verbrecherisches

    In den "Dialogues des Carmélites" scheint mir das Fallen des Beils der Guillotine einkomponiert zu sein. Das wäre doch schon mal ein Kandidat ... ;)

    Gruß
    MB

    :wink1:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Was zu vertiefen wäre: In der nach oben offenen "Arschlochskala" sind die meisten großen Künstler weit oben angesiedelt. :D


    Glaube ich nicht. Künstler sind, moralisch gesehen, Menschen wie alle anderen auch. Nur werden ihre (angeblichen oder wirklichen) Verfehlungen in der Öffentlichkeit mehr gesehen und diskutiert, besonders, wenn es sich um bedeutende Künstler handelt, deren künstlerische Aktivität man nicht einfach ignorieren kann bzw. mag - wie eben bei Wagner und Strauss.

    Und einen Menschen moralisch zu verurteilen ist einfacher als Gescheites über dessen künstlerisches Werk zu äußern.

    :tee1:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • In den "Dialogues des Carmélites" scheint mir das Fallen des Beils der Guillotine einkomponiert zu sein. Das wäre doch schon mal ein Kandidat ...

    Nur das diejenigen welche guillitoniert haben zu der Zeit die Staatsmacht vertraten. Heute werden die als Verbrecher angesehen, damals war es umgekehrt. Man sieht also, dass immer die jeweiligen Gegenwartsbedingungen ausschlaggebend dafür waren, was als Verbrechen angesehen wurde und was nicht.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Und einen Menschen moralisch zu verurteilen ist einfacher als Gescheites über dessen künstlerisches Werk zu äußern.

    ist das so?
    gescheites Zeugs zum Werk zu äußern ist zumindest moralisch unverfänglich - ein moralisches Urteil fordert manchmal unangenehme Fragen heraus 1. nach dem moralischen Verhalten des Kritikers selbst, 2. wieso er das Verhalten gerade dieses Künstlers verurteilt, aber bei einem anderen Gnade walten läßt etc
    man gerät sehr schnell aufs Glatteis damit...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Künstler sind, moralisch gesehen, Menschen wie alle anderen auch. Nur werden ihre (angeblichen oder wirklichen) Verfehlungen in der Öffentlichkeit mehr gesehen und diskutiert

    dem stimme ich uneingeschränkt zu..

    vielleicht mit dem Zusatz, daß gewisse Eigenschaften, die man zur Durchsetzung auf dem Markt braucht, bei denen, von denen heute noch die Rede ist, sicherlich etwas ausgeprägter vorhanden sind/waren - durchschnittlich gesprochen, es gibt ja auch die zu ihrer Zeit untergegangenen Spätentdeckten...

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Künstler sind, moralisch gesehen, Menschen wie alle anderen auch. Nur werden ihre (angeblichen oder wirklichen) Verfehlungen in der Öffentlichkeit mehr gesehen und diskutiert, besonders, wenn es sich um bedeutende Künstler handelt, deren künstlerische Aktivität man nicht einfach ignorieren kann bzw. mag - wie eben bei Wagner und Strauss.


    Keine Frage. Und natürlich ist es leichter, jemanden moralisch zu verurteilen, als "was gescheites" über dessen Künstlerische Leistung abzusondern.

    Ich gebe allerdings zu bedenken, daß jemand, der in der Öffentlichkeit steht und auf seinem Fach ein entsprechendes Ansehen genießt, auch gerne als Gewährsperson gesehen wird auf Gebieten, die mit seiner eigentlichen Arbeit nichts zu tun haben. Manche gefallen sich da auch durchaus in der Rolle als Aphoristiker (Einstein fällt mir dazu ein) oder als Publizist (Wagner...). Und natürlich haben Äußerungen oder Handlungen von derartigen Personen eine deutlich größere Reichweite, als die von Otto Normalverbraucher am Stammtisch in Hintergraswachshöring, schon gleich gar, wenn zum Ansehen und zum Bekanntheitsgrad auch noch eine entsprechende Regelungskompetenz treten sollte, etwa als Funktionär einschlägiger Organisationen. Das ist ja zum Teil ja auch durchaus so gewollt: Wer von uns hat es nicht gerne, wenn er "gehört" wird, egal zu was? Und wie viele melden sich zu Wort auch bei Themen, bei denen sie keinerlei oder allenfalls geringe Kompetenz vorweisen können? Warum sollten öffentliche Personen da anders sein und ihren Einfluß nicht ausnutzen wollen, um gehört zu werden? Das hat ja auch durchaus zwei Seiten: Auch die "guten" Sachen werden leichter vorangetragen, wenn sich ein Prominenter dafür einsetzt.

    Aus diesem Grund sind öffentliche Personen in Ihren Äußerungen und Handlungen selbstverständlich nicht nach dem selben Maßstab zu messen, "wie andere Menschen auch". Es macht schon einen Unterschied, ob ein paar tausend oder mehr Idioten einen bekannten und angesehen Künstler oder Wissenschaftler als einen der ihren vereinnahmen können (oder er sogar einer der ihren ist), oder ob unser Otto N. aus H. im kleinen Zirkel krudes Zeug absondert. In der Umkehrung: Es ist auch leichter, bewusst oder gedankenlos moralisch Bedenkliches von sich zu geben, als eine gescheite künstlerische oder wissenschaftliche Leistung vorzuweisen. Insofern wird da mit steigendem Bekanntheitsgrad und Ansehen auch die diesbezügliche Verantwortung größer. Das darf man in der Beurteilung durchaus berücksichtigen.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Lieber Dirigent,
    ich danke Dir für Deine offene Antwort, ich teile Deine Meinung in der Hinsicht in der Du eine massive Bestrafung von (überführten und verurteilten) Tätern forderst!
    Ansonsten teile ich die Meinung von Accidental (ohne derartige eigene Erfahrungen gemacht haben zu müssen)

    Auf der Basis eigener Erfahrungen bin ich überzeugt, dass viele der beteiligten Sänger einer solchen Massnahme nicht applaudieren würden. Immerhin bedurfte es jahrelanger Arbeit, um ein entsprechendes musikalisches Niveau zu erlangen. Diese Mühen (und ggf. Schlimmeres) würden als gänzlich und engültig vergeblich erscheinen, verbannte man nun auch noch die Aufnahmen.

    Herzliche Grüße:
    KALEVALA :wink1:

    Die Wahrheit ist hässlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen. (Nietzsche)


    Es gibt nichts Überflüssigeres und Schädlicheres als wie Musik. Wenn ein Mensch eine gewisse Zeit lang Musik hört, wird sein Gehirn faul und unseriös. (Ayatollah Khomeini)

  • Hallo zusammen,

    als großer Sympathieträger kommt Barenboim in seinem Probenstil nicht an, oder sehe nur ich das so? Trotzdem ganz interessant, wie ich finde:

    'https://www.theguardian.com/music/2016/aug…e-twin-brothers'

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

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