• Hallo Pistoia,

    ich habe gestern Abend endlich meine Quelle für derartige Fragen konsultiert: Marx' Oratorien-Buch ist sehr offen im Aufführen der bekannten 'Entlehnungen'. Zur Arie der Storge aus dem 1. Akt hat er keine Angaben gemacht. Wie kommst Du darauf, dass es hier eine Vorlage gibt?

    Gruß Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • Was wären denn die Concerti 1748? Die Concerti a due cori sind beinahe durchweg Bearbeitungen von schon vorliegenden Chorstücken, d.h. die Bearbeitungsrichtung ist gerade umgekehrt. Mir fällt kein Vokalstück ein, das mit den Concerti op.6 (1739) zusammenhinge.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Welche Musik verwendet Händel in der Arie scenes of horror ? Ist das aus seinen Concerti aus 1748?

    Nein. Die ist neukomponiert, ohne Entlehnung.

    Er hat sich allerdings im gesamten Werk ausgiebigst (sic!) aus einer 1748 erschienen Sammlung von Messen mit dem Titel Philimela pia, Melos suum sexies repetens: Sive MISSAE SEX A IV. Vocibus, II. Violinis, II. Clarinis, vel Lituis ad libitum, & Organo des böhmischen Komponisten Franz Johann (František Václav) Habermann (* 20.9.1706 Königswart bei Marienbad, + 1783 -04-07+ + 7.4. (8.?) 1783 Eger) bedient (online in der Bayerischen Staatsbibliothek: http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/…1331_00003.html). Händel war im Besitz eines Exemplares davon und er hat daraus auch reichlich Excerpte angefertigt. Zitate finden sich in Jephta aus allen sechs Messen. Daneben hat er natürlich auch aus eigenen Werken entlehnt, u.a. aus Aci, Galatea e Pilifemo, Acis and Galatea 1. Fassung und Ariodante. Wenn Du's genau wissen willst muß ich allerdings erst nachsehen - die Liste ist ziemlich lang.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • So - hier ist die Liste der bekannten Parodien (die Ordinalzahlen sind die Nummer in der jeweiligen Partitur):

    2. Pour forth no more - Habermann: Messe I: Kyrie eleison
    3. No more to Ammon's god and king - Habermann: Messe I: Kyrie eleison
    3. No more to Ammon's god/Chemosh no more (T. 34 ff.) - Habermann: Messe I: Cum sancto spiritu
    10. 0 God, behold our sore distress - Habermann: Messe V: Qui tollis
    10. 0 God, behold our sore distress/Omnipotent to plague, or bless (T. 30 ff.) - Habermann: Missa VI: Qui tollis
    10. O God, behold our sore distress/But turn thy wrath (T. 54 ff.) - Habermann: Messe VI: Kyrie eleison
    13. When his loud voice (Ritornello) - Habermann: Messe III: Sinfonia (Einleitung)
    14. Cherub and Seraphim (Ritornello) - Habermann: Messe II: Kyrie eleison
    17. Freedom now once more possessing - HWV 6 Agrippina: 2. La mia sorte fortunate; HWV 72 Aci, Galatea e Polifemo: 3. Chi non puo la gelosia; HWV 119 "Io languisco fra le gioje": 7. Io langguisco; HWV 17 Giulio Cesare in Egitto: 34: Domero la tua fierezza
    18. His mighty arm (Ritornello) - Habermann: Messe I: Rex coelestis (Einleitung)
    20. Symphony - HWV 33 Ariodante: 13. Sinfonia
    22. Open thy marble jaws - HWV 46 Lotario: 18. Arma lo sguardo
    25. O spare your daughter (Coda T. 37 ff.) - HWV 49 Acis and Galatea (1. Fassung): 17. The flocks shall leave the mountains (Coda)
    29. How dark, o Lord/ All our joys to sorrow turning (T. 25 ff.) - Habermann: Messe II: Credo (T. 66 ff.)
    29. How dark, o Lord/No certain bliss (T. 89 ff.) - Habermann: Messe II: Gloria/et in terra pax (T. 6-7)
    29. How dark, o Lord/Whatever is, is right (T. 121 ff.) - Habermann: Messe III: Agnus Dei (T. 8 ff.); HWV 68 Theodora: 7. Fond, flatt'ring world, adieu
    30. Hide thou thy hated beams (Ritornello) - Habermann: Messe IV: Domine Deus (Einleitung)
    36. Symphony - HWV 99 "Da quel giorno fatale": 3. Lascia omai le brune vele; HWV 371 Sonata op. 1. Nr. 13 D-Dur für Violine und B. c.: 4. Satz (Allegro)
    39. Theme sublime of endless praise - Habermann: Messe 1: Osanna in excelsis
    39. Theme sublime/Just and righteous are the ways - Habermann: Messe IV: Kyrie eleison
    40b. Laud her, all ye virgin train - HWV 87 "Carco sempre di gloria": 1. Sei del ciel dono perfetto
    43b. All that is in Hamor mine - HWV 23 Riccardo I.: 24. T'amo, si, sarai tu quella
    44. Ye house of Gilead/Freed from war's destructive sword (T. 24 ff.) - HWV 244 "Kyrie eleison": (2) Christe eleison
    44. Ye house of Gilead/So are they biest (T. 78 ff.) - Habermann: Messe VI: Cum sancto spiritu

    Zum Werk:

    Das Libretto stammt von Thomas Morell und behandelt die Geschichte des Gileaditen Jephtah nach dem Buch der Richter XI: 30 ff., wobei er an der Geschichte allerdings signifikante Veränderungen vornahm und neue Charaktere einführte. In den Text nahm er zahlreiche Zitate anderer Autoren auf. Als Vorlage dienten dabei ihm das gleichnamige Oratorium von Maurice Green (1696-1755) von 1737, bzw. dessen Libretto, welches von John Hoadly (1717-1776) unter dem Pseudonym "Mr. Burnet" geschrieben worden war, sowie Dichtungen von John Milton, Alexander Pope, Joseph Addison und Thomas Gray. Außerdem ließ sich Morell in vielen Passagen von dem Schuldrama "Jephthes sive Votum" (1554) aus der Feder des schottischen Humanisten John Buchanan (1506-1582) anregen. Aus dieser Quelle übernahm Morell auch die Namen von Iphis, der Tochter Jephthas, und Storge, der Mutter, die weder im Buch der Richter erwähnt werden, noch in irgend einer anderen Bearbeitung des Stoffes vorkommen.

    Jephta war Händels letztes Oratorium, bei dessen Komposition ihn sein Augenleiden, das wenige Monate nach der Uraufführung am 26. Februar 1752 in Covent Garden zu seiner völligen Erblindung führen sollte, erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Das Autograph zeigt deutlich die physischen Probleme, mit denen Händel in dieser Zeit zu kämpfen hatte. Bei einzelnen Abschnitten vermerkt er dies auch. So schreibt er etwa beim 2. Akt (f 91v des Autographs): "biß hierher komen, den 13 Febr. 1751 verhindert worden wegen relaxation des Gesichts meines linken Auges so relaxt", dann auf f. 92r: "den 23. dieses etwas beßer worden, wird angegangen. Begonnen hat er die Arbeit am 21. Januar 1751 (dieser Vermerk steht beim Menuett der Ouvertüre des 1. Aktes, s.u.), am 2. Februar war der 1. Akt im wesentlich fertig, mit kleineren Korrekturen war er am 13. August abgeschlossen. Der 2. Akt ist am 27. Februar fertig. Den letzten Akt beginnt er jedoch erst am 18. Juni, nach einer Pause von fast vier Monaten. In dieser Zeit zwischen der Beendigung des Entwurfs zum II. Akt und der Wiederaufnahme der Arbeit war Händel mit Oratorienaufführungen in London beschäftigt und zu einer Badekur in Bath und Cheltenham, um seine angegriffene Gesundheit zu stabilisieren. Mitte Juli sollte das Werk im Entwurf fertig sein und vermutlich mit dem Chor Nr. 39 "Theme sublime of endless praise" schließen. Händel entschloß sich jedoch noch, die Nummern 40-44 hinzuzufügen. Im August arbeitete er noch an der Orchestrierung, abgeschlossen war die Komposition am 30. August. Wie die zahlreichen Änderungen und Entwürfe zu verschiedenen Sätzen zeigen, schrieb Händel das Oratorium nur unter großen Schwierigkeiten zuende.

    Die Ouvertüre war ursprünglich als Einleitung die Oper HWV 45 Alceste (HWV 45 ) bestimmt, deren Titel er durch den Vermerk "dell' oratorio Jephta" ersetzte. Das ursprünglich zu dieser Einleitung gehörige Menuett wurde gestrichen und ein neues Menuett eingefügt, unter dem er den Beginn der Vertonung datierte: "Oratorio Jephtha angefangen den 21 Janr. 1751." (F. 5r) Die Einleitung wurde also nachträglich hinzugefügt.

    Die Symphony beim Erscheinen des Engels (Nr. 36), die auf HWV 99 (Nr. 3) und HWV 371 zurückgeht, ist nicht im Autograph enthalten. Ihr Einschub ist nur in der Direktionspartitur an der entsprechenden Stelle vermerkt.

    Bei der UA und den Wiederholungen am 28 Februar und am 4. März 1752 sangen: Jephtha: John Beard, Storgè: Caterina Galli, Iphis: Giulia Frasi, Hamor: Mr. Brent (Countertenor) Zebul: Robert Wass, Angel: unbekannter Knabensopran.

    Für die Neuaufnahme am 16. und 21. März 1753 fügte Händel die Arie Nr. 17 ein (Zebul: Freedom now once more possessing), die durch eine Neufassung des vorangehenden Rezitativs Heav'n smiles once more (Jephta) für Baß (Zebul: Again heav'n smiles once more) eingeleitet wurde, und ersetzte die Arie Nr. 43a (Iphis) durch das Quintett Nr. 43b. Außerdem wurde die Arie Nr. 42 (Hamor) gestrichen. Die leichten Änderungen beim Quintett Nr. 43b, die Händel in der Direktionspartitur vornahm sind vermutlich die letzten Töne, die er mit eigener Hand notieren konnte, bevor er vollständig erblindete. Für die Aufführung am 2. April 1756 wurde die Partie der Storgèe mit einem Sopran besetzt (vermutlich Rosa Curioni) und dafür die Arie Nr. 5 (in gentle murmurs) eine Quint (neu: 5b) sowie Rezitativ und Arie Nr. 41 (sweet as sight to the blind, neu: 41b) eine Quart höher transponiert. Über die Besetzung beider Spielzeiten ist nichts bekannt. Die letzte Aufführung zu Lebzeiten Händels fand am 1. März 1758 statt, "with new Additions and Alterations", die sich jedoch lediglich Streichung von Rezitativ und Arie 41b erstreckten. Ansonsten lag die Fassung von 1753 zugrunde. Jephtha: John Beard, Storgè: Cassandra Frederick, Iphis: Giulia Frasi, Hamor: Isabella Young-Scott, Zebul: Samuel Champness.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • scenes of horror

    Erst einmal vielen Dank für diese vielen Recherchen. Wie ich darauf komme? Als ich diese Arie wieder einmal hörte (die Eröffnung der neuen CD von di Donato) hatte ich bei diesem Stück die Empfindung, das kennst du doch, hatte es selbst recherchiert, ohne fündig zu werden. Die Vermutung der due concerti war mir in den Sinn gekommen, weil es dort immer wieder Bearbeitungen gab. Beim erneuten Nachhören denke ich eher an irgend ein Orgelkonzert, aber ich vermag es nach wie vor nicht zuzuordnen. Nochmals herzlichen Dank für die Bereicherungen!

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