Rund um das Streichquartett

  • Gerade im Thread über Schuberts G-dur-Quartett gelesen (bezogen auf die Aufnahme mit Kremer, Philips, Kakashian, Ma):

    Hinzu kommt ein für meinen Geschmack viel zu trockenes Klangbild, was mich bei SQ-Aufnahmen regelmäßig abtörnt.

    Finde ich interessant, weil manchmal das Gegenteil zu lesen ist: Streichquartett-Aufnahmen seien heutzutage oft viel zu hallig aufgenommen, würden orchestral aufgeblasen usw. Das Idealbild für den Klang sind für die Vertreter dieser Meinung beispielsweise die Juilliard-Aufnahmen aus den frühen 60ern, knochentrocken, kein bisschen räumlich, extrem transparent mit exzellent hörbaren Mittelstimmen (darauf hatte Tyras schon oben hingewiesen).

    Ich bin hier ein bisschen unentschlossen, kann die Faszination (nachdem ich jetzt Beethovens op. 59 mit den Juilliards wiedergehört habe) nachvollziehen, tendiere aber grundsätzlich schon zu einem "natürlichen" Klangbild, wie es in einem relativ kleinen Saal zu erleben ist - selbst wenn etwas mehr Hall ab und zu die Strukturen verschleiern kann und die Mittelstimmen etwas weniger gut hörbar sind. Zuviel Hall ist natürlich immer schlecht.

    Was meint Ihr?


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Wer auch an frühen Streichquartetten interessiert ist, hier ein kurzer Hinweis von mir

    Link "https://www.capriccio-kulturforum.de/institutionen-…er-hofquartett/" Mannheimer Hofquartett

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Nietzsche)
    In der Tat spuckte ... der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten von Radios übereingekommen sind Musik zu nennen (H Hesse)
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    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)


  • Ich bin hier ein bisschen unentschlossen, kann die Faszination (nachdem ich jetzt Beethovens op. 59 mit den Juilliards wiedergehört habe) nachvollziehen, tendiere aber grundsätzlich schon zu einem "natürlichen" Klangbild, wie es in einem relativ kleinen Saal zu erleben ist - selbst wenn etwas mehr Hall ab und zu die Strukturen verschleiern kann und die Mittelstimmen etwas weniger gut hörbar sind. Zuviel Hall ist natürlich immer schlecht.

    Was meint Ihr?

    Ich mag's knochentrocken, nicht als Selbstzweck natürlich, sondern wegen der Durchhörbarkeit. Wenn die Mittelstimmen zu sehr verwischen, kann das schonmal zwischen dem Werk und mir stehen (so geschehen z.B. bei Beethoven mit dem Gewandhausquartett, es ist schon erstaunlich, wieviel mehr im Detail man bei Guarneri oder Artemis hören kann).

    Viele Grüße,
    Frank.

  • Wenn man mit Kopfhörer hört, ist trocken vielleicht zu trocken, während Hall weniger stört.
    (Da es anscheinend nicht wenige Hörer gibt, die den Quartettklang per se als eher unangenehm empfinden, ist verständlich, dass einige etwas Hall bevorzugen).
    Obwohl ich wusste, dass die zu hallig waren, ist es mir neulich bei der Beethoven-Aufnahme des Musikverein-Quartetts unangenehm aufgefallen. Seltsamerweise hatte es mich vorübergehend anscheinend weniger gestört, denn ich hatte mich durch positve Äußerungen überzeugen lassen, die GA aus Übersee oder so zu bestellen, obwohl ich zwei Einzel-CDs und das Hall-Problem kannte. Das ist aber die einzige Aufnahme mit klar zu viel Hall, die mir spontan einfällt. Es gibt noch welche, meiner Erinnerung nach einige in der Angeles-Box der Haydn-Quartette, die zwar nicht zu viel Hall, aber einen für meinen Geschmack zu distanten Klang aufweisen.
    Andererseits ist unhallige und nahe Direktheit auch kein realistisches Klangbild einer Live-Erfahrung.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wenn die Mittelstimmen zu sehr verwischen, kann das schonmal zwischen dem Werk und mir stehen (so geschehen z.B. bei Beethoven mit dem Gewandhausquartett, es ist schon erstaunlich, wieviel mehr im Detail man bei Guarneri oder Artemis hören kann).

    Stimmt, bei der Beethoven-Aufnahme des Gewandhaus-Quartetts fand ich die Präsenz der Mittelstimmen auch nie ideal (hab sie allerdings schon lange nicht mehr gehört). Aber die Guarneri- und Artemis-Aufnahmen zeichnen sich jetzt auch gerade nicht durch eine übermäßig "trockene" Akustik aus, finde ich. Der (mäßige) Hall geht dort aber nicht zu Lasten der Mittelstimmen - beim Guarneri-Q. finde ich die eh immer vorbildlich, bei diesem Ensemble stören mich eher andere Dinge (die Tempi in op. 59 z.B.). Vom Hall her grenzwertig sind für mich einige Einspielungen des Emerson Quartet.


    Andererseits ist unhallige und nahe Direktheit auch kein realistisches Klangbild einer Live-Erfahrung.

    Das ist der springende Punkt. Das Klangbild der Juilliard-Aufnahmen aus den frühen 60ern ist m.E. nicht nur, aber eben auch ein artifizielles Phänomen der Aufnahmetechnik.


    Viele Grüße

    Bernd

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  • Vom Hall her grenzwertig sind für mich einige Einspielungen des Emerson Quartet.

    Welche? Die Beethoven-SQ sind ok, Mendelssohn auch.

    Das Klangbild der Juilliard-Aufnahmen aus den frühen 60ern ist m.E. nicht nur, aber eben auch ein artifizielles Phänomen der Aufnahmetechnik.


    Ich finde die ideal. Kammer eben, kein Saal ;+)
    Reagiere aber auch sehr allergisch auf Hall. Deswegen steht bei mir auch keine einzige Aufnahme des ABQ oder der Hagens.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Welche? Die Beethoven-SQ sind ok, Mendelssohn auch.

    Schubert G-dur und Streichquintett mit Rostropowitsch z.B. Auch die Beethoven-Aufnahmen finde ich nicht gerade "trocken".


    Zu den Juilliard Q.-Aufnahmen aus den frühen 60ern:

    Ich finde die ideal. Kammer eben, kein Saal ;+)

    Aber so hört sich doch selbst in einem kleinen Raum kein Streichquartett an, da sind doch gerade die hohen Lagen der Geige und die tiefen des Cello viel präsenter.


    Reagiere aber auch sehr allergisch auf Hall. Deswegen steht bei mir auch keine einzige Aufnahme des ABQ oder der Hagens.

    Du findest die Hagen-Aufnahmen halliger als die des Emerson Q.? Hm. Die Studioaufnahmen des ABQ mag ich auch nicht so, aber weniger wegen des (m.E. durchschnittlichen) Halls als wegen des strähnig-metallischen Klangs. Da war für mich der Livemitschnitt der Beethoven-Quartette aus dem Mozartsaal des Wiener Konzerthauses von 1989 eine Offenbarung: hier ist der Quartettklang wirklich so, wie ich ihn in den ersten Reihen dieses Saals höre - nicht übermäßig transparent, aber eben "natürlich". Und bei diesen Mitschnitten finde ich besonders die Variabilität und "Süße" des Geigentons von Günter Pichler großartig - das kommt in den Studioaufnahmen überhaupt nicht rüber. Gut, dass das ABQ seit den 90ern fast nur noch Livemitschnitte veröffentlicht hat.

    Ich muss noch hinzufügen, dass ich zu 90% über Kopfhörer höre.


    Viele Grüße

    Bernd

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  • Ich muss noch hinzufügen, dass ich zu 90% über Kopfhörer höre.


    Ich zu 90% nicht. Mag eine Erklärung sein.
    Bei den Hagens habe ich beim Probehören ein paar mal den horror vacui bekommen, seitdem habe ich die Aufnahmen nicht mehr weiter verfolgt.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Hagen in Schwetzingen

    Ich nehm alles zurück und behaupte das Gegenteil :D: Gestern habe ich zum erstenmal ein Streichquartett im Schwetzinger Rokokotheater gehört, einem flächenmäßig ziemlich kleinen, aber relativ hohen Raum: und das klang so trocken, fast stumpf, dabei aber so mittelstimmenbetont, wie ich es noch nicht erlebt habe. Fast so wie bei einer Juilliard-Aufnahme der frühen 60er über Lautsprecher...

    Das Geheimnis der Akustik ist größer als das Geheimnis der Musik, wie schon König Salomo sagte. :stern:

    (Und man hört jede Intonationsschwäche wie auf dem Silber-, äh, Präsentierteller: Primgeiger Lukas Hagen hatte nicht seinen besten Tag erwischt...)


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Aha. Jetzt wissenwa, warum die sich so hallig abmischen lassen...

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Aha. Jetzt wissenwa, warum die sich so hallig abmischen lassen...

    He, das ist unfair :boese: :D.

    Das Hagen-Quartett geht mit seiner Spielweise ein hohes Risiko, es nimmt immer öfter das Vibrato komplett weg (gerade bei Haltetönen) oder reduziert es zumindest erheblich. Beim Dankgesang aus op. 132 gelang das gestern auch großartig. Lukas Hagen kenne ich sonst als hervorragenden und sicheren Geiger, auch wenn beim Hagen-Quartett - wie bei den meisten Ensembles - die Unterschiede zwischen Konzert und den superperfekten Studioproduktionen zum Glück merkbar sind. (Wobei ich die ungeschönten und trotzdem annähernd spieltechnisch perfekten Beethoven-Livemitschnitte des ABQ in dieser Hinsicht bewundere.)


    Viele Grüße

    Bernd

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  • Hab sie noch nicht live gehört.
    Und: Ich mag Vibrato :D

    Nicht nur interessant übrigens, sondern enorm mitreißend, das Experiment der Emersons, das Mendelssohn-Oktett mit sich selbst aufzunehmen. Vollmundig, zupackend, beseelt, astrein. Bestimmt nicht einfach, sowas hinzubiegen. Und für meine Ohren ideal aufgenommen.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Und: Ich mag Vibrato :D

    Ich auch. Dehalb sollte man nicht zu verschwenderisch damit umgehen. :D


    Vollmundig, zupackend

    Genau, so kenn ich sie, die Emersönner. :D

    Aber wer den Seufzer ganz am Schluss des Rezitativs von op. 132, direkt vor dem Beginn des Finales, so fast lautlos hinhauchen kann wie Lukas Hagen, dem verzeiht man schnell, dass ein paar Takte vorher ein Ton danebengegangen ist.


    Viele Grüße

    Bernd

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  • A Late Quartet

    In diesen Thread darf ja alles mögliche, also auch ein Kinotip: Ein Film, bei dem die Gattung Streichquartett im Mittelpunkt steht, ist ja eine Rarität. A Late Quartet (dt. Saiten des Lebens :pinch:) kommt jetzt in die deutschen Kinos, gestern habe ich einen Trailer gesehen. Eine zentrale Rolle spielt anscheinend Beethovens op. 131, den Soundtrack liefert das Brentano String Quartet, das das Werk auch auf CD eingespielt hat. Ins Grobe gesprochen wird diesmal wohl wohl die übliche hollywoodeske Lebenskrisen-Sauce mit einem Quartettensemble garniert (oder umgekehrt), dabei nach allen möglichen mehr oder weniger subtilen Analogien zwischen Kunst und Leben gesucht ("Ich will nicht mehr ausschließlich die zweite Geige spielen."). Naja, der Film ist sicher besser als der Trailer, dessen deutschsprachige Version man sich hier antun kann:

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    "


    Viele Grüße

    Bernd

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  • Eine insgesamt positive Kritik zu A Late Quartet findet sich heute in der Süddeutschen Zeitung: "http://www.sueddeutsche.de/kultur/a-late-…rauen-1.1662033".


    Oh je, ob das wohl was wird? Wie die Instrumente da gehalten werden, sieht schonmal nicht so besonders natürlich aus, und dann auch noch diese hochdramatische Handlung.. 8| Aber mit Catherine Keener, Christopher Walken und Philip Seymour Hoffman sind gleich drei meiner Lieblingsschauspieler versammelt, vielleicht richten die es ja. :fee:

  • Wie die Instrumente da gehalten werden, sieht schonmal nicht so besonders natürlich aus,


    Ich hatte nach Sichtung einiger Pressefotos das Gegenteil gedacht - im Vergleich zu dem, was man so gewohnt ist...
    Ausnahme war "Das Konzert" - und die Schauspielerin hatte angeblich nicht einmal Ubterricht, die Herren Hoffmann und Walken aber schon.

    Mal sehen, ob es mir eines der mir rätselhaftesten Stücke etwas näher bringt. ;+)

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Auf der NDR-homepage findet sich eine eher kritische Rezension und der Trailer überzeugt mich ebenfalls nicht davon, dass ich das sehen muss. Ich bilde mir ein, op.131 ziemlich gut zu kennen, soweit das als Nur-Hörer eben geht und in dem Trailer sind mir die kurzen, kaum zu erkennenden Schnipsel auf den Zeiger gegangen. Das Stück eignet sich m.E. sehr schlecht, um in Fetzen als Filmmusik zu dienen
    Der dt. Titel "Saiten des Leben" klingt eher wie Rosamunde Pilcher...
    In Vikram Seths "An equal music" (Verwandte Stimmen) spielt das Spielen im und die soziale Dynamik eines Quartetts eine relativ wichtige, wengleich nicht die Hauptrolle. Das ist jedenfalls eines der besseren Bücher, in denen klassische Musik zentral ist.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ich habe mir gestern den Film angesehen. Den blöden deutschen Titel kann man ihm nicht vorwerfen (den englischen finde ich gut gewählt). Erstmal ist das ein solide gemachtes Melodram mit hervorragenden Schauspielern und berührenden Passagen (und schönen Bildern vom winterlichen Manhattan), das dann aber mit zunehmender Dauer doch zu oft in Klischee und Sentimentalität abrutscht.

    Die Thematisierung von Musik hat mich insgesamt enttäuscht. Die einzige wirklich gute Idee ist die zumindest ansatzweise Parallelisierung der sieben Sätze mit dem Verlauf des Films bzw. der Handlung. Wie die Instrumente von den Schauspielern gehalten und "gespielt" werden, fand ich insgesamt ok (bin aber nicht der Richtige, um das zu beurteilen). Schlimmer das häufig klischeegeladene Reden über Musik - der Primgeiger empfiehlt z.B. einer Schülerin, sich erstmal eine Beethoven-Biographie durchzulesen, bevor sie sich an op. 131 wagt. Schlimme Kindheit, Alter, Taubheit werden ins Feld geführt, man kennt das. Nicht schlecht die Darstellungen der Spannungen unter den Vieren und die Konstruktion der Geschichte des Quartettensembles. Visuell fand ich den zweimaligen Zoom auf eine der Stimmen von op. 131 mit vortragsbezogenen und persönlichen Eintragungen gelungen - sowas hätte ich mir öfter gewünscht.

    Unschön konventionell der Umgang mit der Beethoven-Musik: mit zwei Ausnahmen wirklich nur kurze Schnipsel. Zu der Aufführung des Werks am Ende des Films ist dem Regisseur nichts besseres eingefallen, als aus jedem Satz ein paar Takte erklingen zu lassen, um dann in den nächsten Satz überzublenden. Selbst das zum Abspann erklingende Finale enthält zwei grauenvolle Kürzungen. Am schlimmsten: Beethoven hat offenbar nicht gereicht, es gibt zusätzlich noch eine "richtige" Filmmusik, Typus sentimentale Streicherchöre, oftmals kaum von Beethoven getrennt. Das gibt bei mir den Ausschlag für den gesenkten Daumen.

    Achja, Anne Sofie von Otter hat in einer Rückblende einen Kurzauftritt als (inzwischen verstorbene) Ehefrau des Cellisten: sie singt in einem Arrangement Mariettas bekanntes Lied aus Korngolds Die tote Stadt.


    Viele Grüße

    Bernd

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