Theodor W. Adorno über Wagner, Mahler, Berg u. a. m.: Inzwischen überholt oder immer noch aktuell?

  • Heute braucht man das auch gar nicht mehr so zu schreiben. Mahler ist inzwischen gerettet.

    Manches (nicht nur Mahler) muss man mitunter aber auch gegen seine Liebhaber oder Retter verteidigen...

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Zitat von Kater Murr

    Manches (nicht nur Mahler) muss man mitunter aber auch gegen seine Liebhaber oder Retter verteidigen...

    ...indem man ausgerechnet Aussagen Adornos in Frage stellt?

    Tharon.

  • Genau das ist es, was ich mit "er bleibt Beweise schuldig" meinte. Es scheint in dem Wagnertext eine persönliche Abneigung durch, die er aber nicht ganz belegen kann, und daher muß er Dinge positiv rausheben (wie z.B. die Vorwegnahme von Freud), um andere negative Sichtweise einfach "behaupten" zu können. So jedenfalls kam es mir vor, und das schien mir ein wenig "beliebig", mir war nicht ganz ersichtlich, was er warum ablehnte, und was er warum gut hiess.

    Es mag sein, dass in Adornos Urteilen auch sein Geschmack und seine individuelle Prägung sich ausdrücken. Aber man sollte nicht vergessen, dass eine Grund-These von ihm eben besagt, dass Kunst und Gesellschaft keine getrennten Bereiche sind. Wenn er da recht hat, ist es also mehr als ein äußerlich an die Musik herangetragenes Interesse und auch nicht bloß ein mit Adornos Biographie im Sinn nachvollziehbarer Fimmel, dem er da freien Lauf lässt.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • D'accord!

    Matthias

    "Bei Bachs Musik ist uns zumute, als ob wir dabei wären, wie Gott die Welt schuf." (Friedrich Nietzsche)
    "Heutzutage gilt es schon als Musik, wenn jemand über einem Rhythmus hustet." (Wynton Marsalis)
    "Kennen Sie lustige Musik? Ich nicht." (Franz Schubert)
    "Eine Theateraufführung sollte so intensiv und aufregend sein wie ein Stierkampf." (Calixto Bieito)

  • Ist aber etwas komplexer, und da ich nicht den ganzen Wagner im Ohr hab, mußte ich manche Aussage einfach mal so zur Kenntnis nehmen:
    Adorno schreibt auf jeden Fall weniger fachlich auf einzelne Stellen bezogen, die man dann auch eigentlich kennen sollte :hide:

    Das ist eben das schöne am getreuen Korrepetitor. Das setzt Adorno nicht die eingehende Kenntnis der Details (und Schlüsse daraus) voraus, sondern bleibt ganz nah am Material. Mindestens bei dem Kapitel zu den Bagatellen op. 9 von Webern, kann man sich die Partitur besorgen und mit Gewinn lesen, was der Adorno zu dem schreibt, was da passiert.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • ...indem man ausgerechnet Aussagen Adornos in Frage stellt?

    Nein, ich meinte das ganz allgemein. Dass man gerade Adorno aber häufig in Frage stellen sollte, ist aufgrund dessen ziemlich einseitiger Sicht der Musikgeschichte und häufig offensichtlicher Polemik sehr naheliegend. Dem widerspricht nicht, dass einseitige Polemik Adornos immer noch zehnmal erhellender sein mag als Ausgewogenes von Joachim Kaiser.... :angel:

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Es mag sein, dass in Adornos Urteilen auch sein Geschmack und seine individuelle Prägung sich ausdrücken. Aber man sollte nicht vergessen, dass eine Grund-These von ihm eben besagt, dass Kunst und Gesellschaft keine getrennten Bereiche sind. Wenn er da recht hat, ist es also mehr als ein äußerlich an die Musik herangetragenes Interesse und auch nicht bloß ein mit Adornos Biographie im Sinn nachvollziehbarer Fimmel, dem er da freien Lauf lässt.

    So oberflächlich, wie Du das zitierst, war es nicht gemeint. Ich meine, wenn er das ernst nimmt mit dem "aufhellen [der] Urlandschaft des Faschismus" und da bei Wagner fündig wird, ist das ja kein Fimmel, sondern schon etwas Existenzielleres. Warum das unbedingt abwertend verstanden werden muß, daß ich seine persönliche Betroffenheit erwähnt habe, ist mir nicht klar.
    Ob man mit diesem berechtigten Interesse am sich in der Musik widerspiegelnden ideologischen Kern allerdings Wagner erschöpfend gerecht wird, ist ja eine andere Frage. Ich habe das jedenfalls mit großem Interesse gelesen und habe manches Unbehagen gut begründet wiedergefunden. Trotzdem denke ich, daß nicht jedes Urteil standhält: Warum er z.B. Wagner "Kapellmeistermusik" unterstellt und Mahler nicht, wäre so eine Frage. Warum dieselbe Hypertrophie in den Mitteln nicht thematisiert wird, auch. Ich meine, auch vor dem Gruselbild Wagner sieht für mich Mahler nicht so rein und "gebrochen" aus, wie er ihn darstellt. Wo ist da der diktatorenhafte Dirigent, der in seinen Symphonien wenigstens äußerlich mindestens so imperialistisch daherkommt, wie es die marxistische Musikwissenschaft von Wagner und Strauss behauptet?

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Dem widerspricht nicht, dass einseitige Polemik Adornos immer noch zehnmal erhellender sein mag als Ausgewogenes von Joachim Kaiser.

    Aber hallo!!!
    :klatsch:

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • So oberflächlich, wie Du das zitierst, war es nicht gemeint. Ich meine, wenn er das ernst nimmt mit dem "aufhellen [der] Urlandschaft des Faschismus" und da bei Wagner fündig wird, ist das ja kein Fimmel, sondern schon etwas Existenzielleres. Warum das unbedingt abwertend verstanden werden muß, daß ich seine persönliche Betroffenheit erwähnt habe, ist mir nicht klar.
    Ob man mit diesem berechtigten Interesse am sich in der Musik widerspiegelnden ideologischen Kern allerdings Wagner erschöpfend gerecht wird, ist ja eine andere Frage.

    Mit dem persönlichen Fimmel meinte ich seine negativen Urteile, bei denen man sich angesichts mangelnder Begründung fragt, ob er da etwas einfach nur nicht mochte (so z.B. auch beim Jazz, dessen Rezeption durch Adorno anscheinend beim Swing stehengeblieben ist).
    Das Interesse am ideologischen Kern von Wagners Musik sah Adorno sicher nicht als erschöpfende Betrachtung an, aber eben auch nicht als irgendetwas neben anderem in der Musik (wie etwa die Frage nach der Rolle von Schwänen in Wagners Opern). Es geht ihm schon um etwas die Musik mit Konstituierendes, ohne dass man sie nicht vollständig versteht. Das soll nicht heißen, dass ich das alles schon verstanden hätte.

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Die Frage ist ja schon, versteht man die Musi wirklich besser, wenn man so genau nachgelesen hat, in wievieler Hinsicht sie bis in die Struktur hinein "präfaschistische" Züge trägt.
    ?
    Das erhellt zu haben, ist ein Verdienst, das ich schätzen kann. Aber besser hören kann ich dadurch nicht - höchstens kulturgeschichtliche Zusammenhänge begreifen.

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Die Frage ist ja schon, versteht man die Musi wirklich besser, wenn man so genau nachgelesen hat, in wievieler Hinsicht sie bis in die Struktur hinein "präfaschistische" Züge trägt.
    ?
    Das erhellt zu haben, ist ein Verdienst, das ich schätzen kann. Aber besser hören kann ich dadurch nicht - höchstens kulturgeschichtliche Zusammenhänge begreifen.

    Gruss
    Herr Maria

    Um mal ein bisschen spekulativ durch die Musiktheorie zu springen: die HIP-Bewegung hat das Augenmerk auf die "Klangrede" gelegt. Ist das bloß leere Rhetorik oder gibt es da auch Inhalte? Musik ist zwar die Sprache, die anscheinend jeder versteht, aber auch eine, in der ausschließlich manches ausgedrückt werden kann. Oder etwas, das man sich sonst nicht eingestehen mag. Eine Sprache ist aber nichts rein Individuelles, sondern ein gesellschaftliches Medium.

    :wink:

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • die HIP-Bewegung hat das Augenmerk auf die "Klangrede" gelegt. Ist das bloß leere Rhetorik oder gibt es da auch Inhalte?

    Ist das eine rhetorische Frage?

    Eine Sprache ist aber nichts rein Individuelles, sondern ein gesellschaftliches Medium.

    Das schreibt sich so, aber welche Individuen, welche Gesellschaft versteht neu entstehende musikalische Sprachen? z.B. zur Zeit der Entstehung der autonomen Instrumentalmusik - oder eben zu deren Bankrotterklärung durch Wagner..
    Meinst Du, das, was Adorno aus Wagner destilliert, wäre dann Wagners Botschaft (oder meinetwegen Klangrede) gewesen an seien Mitmenschen? Interessanter Gedanke, aber dann nimmt man viel damals unbewußtes für Absicht - oder ist gar keine Absicht nötig?

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ist das eine rhetorische Frage?

    Nur halb.

    Zitat

    Das schreibt sich so, aber welche Individuen, welche Gesellschaft versteht neu entstehende musikalische Sprachen? z.B. zur Zeit der Entstehung der autonomen Instrumentalmusik - oder eben zu deren Bankrotterklärung durch Wagner..
    Meinst Du, das, was Adorno aus Wagner destilliert, wäre dann Wagners Botschaft (oder meinetwegen Klangrede) gewesen an seien Mitmenschen? Interessanter Gedanke, aber dann nimmt man viel damals unbewußtes für Absicht - oder ist gar keine Absicht nötig?

    Neue Sprachen kann man lernen.
    Gut, die Sprachmetapher für Musik hat sicherlich ihre Grenzen. Ich kenne das Wagner-Buch jetzt noch nicht so, aber mein bisheriger Eindruck ist, dass es nicht um eine Message geht, die Wagner unbedingt klar gehabt hätte. Ästhetische Mittel sind ja nicht schlechthin bedeutungslos und nicht durch ihre physikalischen Eigenschaften fertig bestimmt. Und ihre Wirkung ist gesellschaftlich vermittelt wie z.B. Mückenkuchen in Europa keinen sonderlichen Absatz findet, anderswo aber ein gängiges Nahrungsmittel ist.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Sehe ich ähnlich wie Tyras: Wenn ich Adorno richtig verstehe, geht es ihm nicht um die Intentionen des Künstlers, sondern darum, das Gesellschaftliche (da kommt die marxistische Weltsicht durch, die man teilen kann oder auch nicht) in den Strukturen der Werke selbst zu finden. Das setzt sich nach Adorno auch gegen die Intentionen des Autors und Komponisten durch. Dessen "Botschaften" sind für Adorno irrelevant oder zumindest zweitrangig.

    Genau das versucht er in seinem "Versuch über Wagner". NIcht um sein Werk als minderwertig hinzustellen, sondern um so etwas wie das Gold herauszulösen, konkret: die Entwicklung der Klangfarbe als Glücksversprechen, das sich letzlich in den verhangenen, verdeckten Klängen des Parsifal als am mächtigsten erweist. (Nebenbei: Wagners letzte Oper ist auch für mich seine größte Tat.)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Um mal ein bisschen spekulativ durch die Musiktheorie zu springen: die HIP-Bewegung hat das Augenmerk auf die "Klangrede" gelegt. Ist das bloß leere Rhetorik oder gibt es da auch Inhalte? Musik ist zwar die Sprache, die anscheinend jeder versteht, aber auch eine, in der ausschließlich manches ausgedrückt werden kann. Oder etwas, das man sich sonst nicht eingestehen mag.

    Worauf willst Du denn nun eigentlich hinaus???

    Sehe ich ähnlich wie Tyras: Wenn ich Adorno richtig verstehe, geht es ihm nicht um die Intentionen des Künstlers, sondern darum, das Gesellschaftliche (da kommt die marxistische Weltsicht durch, die man teilen kann oder auch nicht) in den Strukturen der Werke selbst zu finden. Das setzt sich nach Adorno auch gegen die Intentionen des Autors und Komponisten durch. Dessen "Botschaften" sind für Adorno irrelevant oder zumindest zweitrangig.

    Das sehe ich auch so, und es ist wohl u.A. Adornos Verdienst, das "Gesellschaftliche" mit großer Kenntnis in den musikalischen Strukturen aufgespürt zu haben. Wobei immer ein gewisser Rest bleibt und eine Menge Interpretation - die Schwierigkeiten mit den Fragmenten über Beethoven zeigen das sehr deutlich.

    NIcht um sein Werk als minderwertig hinzustellen, sondern um so etwas wie das Gold herauszulösen, konkret: die Entwicklung der Klangfarbe als Glücksversprechen, das sich letzlich in den verhangenen, verdeckten Klängen des Parsifal als am mächtigsten erweist. (Nebenbei: Wagners letzte Oper ist auch für mich seine größte Tat.)

    Aber eben darin liegt ja auch das zwiespältige, denn die Emanzipation der Klangfarbe hat ja eben das Aufgehen der Einzelstimme im Totalklang zur Bedingung, für Adorno eben auch ein Signum der Entmächtigung des Individuums in der Gesellschaftstotale...
    Ich halte das mit der Klangfarbe für relativ Sekundär im Vergleich zur Harmonik, oder anders gesagt: die Aufladung des Einzelklanges quer zur Funktionsharmonik scheint mir strukturell bedeutsamer. Wie man die jetzt gesellschaftlich deuten will, wäre interessant. Als scheinhafte Emanzipation? Die Funktionalität wird ja nicht suspendiert, sondern nur, mit Adornoschen Begriffen, "abgeblendet"...

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Zitat von philmus

    Ich halte das mit der Klangfarbe für relativ Sekundär

    Und ich glaube, Adorno ging es auch so. Zwar stellt er im "Versuch über Wagner" die Klangfarbe als Bereich dar, in dem Wagner große Verdienste erworben hat, im Endeffekt kommt dann aber doch wieder eine Passage, die den Wert dieser Verdienste relativiert. Leider weiß ich nicht mehr ganz genau, wie Adorno da argumentiert, aber ich meine mich daran zu erinnern, dass er zwischen einem "Klang aufgrund von harmonischen Ereignissen" und einem "Klang aufgrund von Orchestrierungstechniken" unterscheidet. Ersterer macht für ihn quasi das Wesen des Werkes aus, zweiterer ist irgendwie nur Anstrich und dient bei Wagner dazu, zu verschleiern, wie fragwürdig es mit der sonstigen Beschaffenheit von dessen Musik bestellt ist (aus dem Gedächtnis... ich bin unsicher, ob das stimmt)... nebenbei eine Passage, über die ich nicht so glücklich bin.

    Tharon.

  • [...] die Emanzipation der Klangfarbe hat ja eben das Aufgehen der Einzelstimme im Totalklang zur Bedingung, für Adorno eben auch ein Signum der Entmächtigung des Individuums in der Gesellschaftstotale...

    [...] ich meine mich daran zu erinnern, dass er zwischen einem "Klang aufgrund von harmonischen Ereignissen" und einem "Klang aufgrund von Orchestrierungstechniken" unterscheidet.

    Es ist schon lange her, daß ich den Versuch über Wagner gelesen habe, darum ist mir selbst nicht ganz klar, welchen Rang Adorno der Klangfarbe einräumt. Nach Euren Anmerkungen müßte ein Komponist wie Claude Debussy nach Adorno eher die "Entmächtigung des Individuums" betreiben, vielleicht auch deswegen, weil seine Arbeit mit Klangfarben die Logik der harmonischen Ereignisse (im Sinn der Tradtion von Wagner/Brahms bis Schönberg/Webern?) hinter sich läßt und somit in die Schublade "Klang aufgrund von Orchestrierungstechniken" fällt.

    Deshalb würde mich mal interessieren, wie Adorno zu Debussy steht. Weiß da jemand etwas?

    :wink:

    Nachtrag: Oben habe ich hierzu noch etwas gefunden, was meine Frage teilweise beantwortet, aber der genannten Schublade widerspricht:

    Adorno hält dem Parsifal insbesondere zugute, dass er weniger als alle anderen Wagneropern vom élan vital der neudeutschen Schule rezipiert worden sei (hier dürfte vor allem Richard Strauss gemeint sein). Am stärksten sei der Einfluss auf Debussys Pelléas gewesen, was Adorno besonders bemerkenswert findet: Durch den Parsifal hindurch drang Wagners Kraft ein in die Generation, die ihm abschwur. Seine Schule ist mit dem Parsifal über sich selbst hinausgegangen. Fazit: Was am Parsifal überdauert, ist der Ausdruck der Hinfälligkeit von Beschwörung selber.

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Die besondere Pointe bei Adorno besteht ja immer darin, solche musikalisch-technischen Befunde auf gesellschaftliche Realitäten zu beziehen: Da sieht er die gesamte Instrumentationstechnik eigentlich als Mittel, den instrumentalen Einzelton, dem noch Reste seiner Hervorbringung anhaften, aus dem Klang zu verbannen: darum die Verdoppelungen, Mischungen, Füllungen. Es geht darum, das Kunstwerk von jeder Spur des Gemachten, der Produktion zu reinigen. Von da bis zum Preislied auf die "rauhen", "unteren" Klänge bei Mahler ist der Weg klar.
    Was mir allerdings fehlt, ist die Frage, welche Stellung Wagners Verbannung des "Unterhaltenden" aus der Oper in diesem Zusammenhang einnimmt: könnte es sein, daß Adorno in seinem Furor gegen die "Kulturindustrie" dem Wagnerschen Furor gegen das gesellschaftlich funktionale der älteren Oper so nah steht, daß er ihn garnicht wahrnehmen kann? Es soll irgendwie "wahrhaftig" zugehen - bei Wagner führt das zum totalen Musikdrama, das die Formung der einzelnen Musik"nummern", die bei der Entstehung des klassischen Stils wichtig waren, überflüssig zu machen scheint: Waren so nicht die Formen von Arie und Ensemble irgendwie auch Inseln "reiner", aus sich selbst geformter Musik? dem totalen Dramatiker konnten sie nur unwahrhaftig erscheinen, wird doch in ihnen allzudeutlich, daß die Handlung tatsächlich nur dem Zweck dient, schöne Musik zu machen. Die Revolution des Musikdramas kann letztendlich nur eine scheinhafte bleiben, denn, mal ehrlich: hört irgendwer Wagner wegen der Handlung? Weil die Mythen so erbaulich sind? oder so wahrhaftig? Bayreuth ist genau so eine gesellschaftliche Veranstaltung wie Oper schon immer war, und man erträgt das Brimborium wegen schöner Momente in der Musik: Es ist unmöglich, aus der Oper das Unterhaltende zu vertreiben, wenn man sie nicht zerstören will. Und dazu zähle ich mal all das gesellschaftlich wichtige wie: schöne Stimmen! Klatsch in der Pause! Verhandlungen in der Loge! Eine Dramatik, die solche "undramatischen" Elemente des Genres verbannen will, kann nur einen Schein von Totalität errichten, anstatt die konventionellen Elemente kunstfoll zu integrieren.

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Zitat von philmus

    Bayreuth ist genau so eine gesellschaftliche Veranstaltung wie Oper schon immer war, und man erträgt das Brimborium wegen schöner Momente in der Musik: Es ist unmöglich, aus der Oper das Unterhaltende zu vertreiben, wenn man sie nicht zerstören will.

    Na, was denn nun?
    Ertrage ich solche Veranstaltungen wie Bayreuth, weil trotz aller Gesellschaftsspiele authentische Opernkunst zu hören ist?
    Oder wird authentische Opernkunst zerstört, wenn gegen die Gesellschaftsspiele vorgegangen wird.
    Einmal ist die Unterhaltung notgedrungen in Kauf genommenes Übel, ein andermal Bestandteil der künstlerischen Substanz.

    Ich verstehe deine Position noch nicht ganz.

    Tharon.

  • Ertrage ich solche Veranstaltungen wie Bayreuth, weil trotz aller Gesellschaftsspiele authentische Opernkunst zu hören ist?
    Oder wird authentische Opernkunst zerstört, wenn gegen die Gesellschaftsspiele vorgegangen wird.
    Einmal ist die Unterhaltung notgedrungen in Kauf genommenes Übel, ein andermal Bestandteil der künstlerischen Substanz.


    Worauf ich hinaus will, zeigt Dein Paradox: "Authentische Opernkunst". In der Oper ist nichts authentisch, sondern alles hochartifiziell in einem gesellschaftlichen Ereignis genießbar gemacht. Wäre es Wagner wirklich gelungen, das zu ändern, hätte es die Oper zerstört, aber da er an den Bedürfnissen der "Kundschaft" garnichts ändern konnte, musste sein "Gesamtkunstwerk" das werden, was es heute ist: genießbare Oper wie alle andern auch. Ist ja auch nicht verkehrt, nur zeigt sich der ganze ideologische Aufwand um "Gesamtkunstwerk" und "Musik der Zukunft" als das, was es ist: Werbung.
    Der Abschnitt Adornos über das Musikdrama ist auch sehr interessant, auch wenn er das so nicht thematisiert, vielleicht weil eben Adorno die Tendenz, Musikdrama an den (empfundenen) Ernst der Instrumentalmusik Beethovens anschließen zu lassen, garnicht als problematisch erkennen kann - dazu ist es ihm selber durchgehend zu ernst. Kurz: der Sinn für das unterhaltende auch in der "großen" Kunst geht ihm ab. Meiner Empfindung nach.

    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!