Wie führe ich musikalische Verzierungen korrekt aus?

  • Hallo zusammen,

    ich habe mich am Wochenende mal etwas ausgiebiger mit den Vorschlägen im 18. Jh. beschäftigt. Hier die Quintessenz:

    Im Lauf des 19. Jhs. hat es sich eingebürgert, kurze Vorschläge mit durchgestrichener Achtel zu notieren, lange mit dem entsprechenden Notenwert. Im 18. Jh. war das allerdings (überrascht uns das?) etwas komplizierter, was spätere Herausgeber nicht notwendigerweise berücksichtigt haben, und in ihren Ausgaben die Vorschläge so gedruckt haben, wie sie meinten, es aus der Konvention ihrer Zeit lesen zu müssen. Aus diesem Grund sind diesbezüglich alle älteren Ausgaben mehr oder weniger unzuverlässig. Wenn man's genau wissen will, sollte man daher eine neuere kritische Ausgabe Verwenden (sollte man sowieso, finde ich), oder auch mal bei Zweifeln (wenn möglich) im Autograph nachsehen, was ja dank Internet heute schon vielfach problemlos möglich ist.

    Viertel- oder noch längere Vorschläge sind im 18.Jh. immer lange Vorschläge. Die Dauer ist der jeweiligen Hauptnote abzuziehen.
    Möglicher Problemfall: Der Wert der Vorschlagsnote entspricht dem der Hauptnote (z.B. Viertelvorschlag vor Viertelnote). Da ist es dann Interpretenentscheidung, wie er vorgehen möchte: Vorschlagsnote kürzen oder Hauptnote weglassen. Letzteres macht man gerne in der Vokalmusik, auch und besonders (noch) in der Musik des 19.Jhs., vor allem, wenn die nachfolgende Note mit der Hauptnote identisch ist. Eventuell gibt es hierzu (anders notierte) Analogstellen, die eine Entscheidung ermöglichen oder wenigstens erleichtern. Eine entsprechende Analyse ist also unbedingt nötig.

    Achtel- oder Sechzehntelvorschläge können lange ODER kurze Vorschläge sein. Da ist eindeutig der Interpret gefragt. Manchmal findet man im selben Musikstück bei ansonsten völlig analogen Stellen sowohl 8tel als auch 16tel-Vorschläge, z.B. in Haydns "Sauschneider"-Capriccio Hob. XVII:1. In solchen Fällen wäre dann nicht nur zu überlegen, ob es kurze oder lange Vorschläge sein sollen, sondern auch, ob es an den unterschiedlichen Stellen gleich oder unterschiedlich gehandhabt werden soll (meistens vermutlich gleich...). Auch da wieder kann der Vergleich von Analogstellen hilfreich sein.

    Das Problem der Mehrdeutigkeit hat schon die Zeitgenossen gestört. In fast allen einschlägigen Traktaten des 18.Jhs. findet man die Forderung, es doch bitte so zu notieren, wie es ausgeführt werden soll. Geholfen hat es offensichtlich nicht viel...

    Durchgestrichene Achtel sind eine abgekürzte Schreibweise für 16tel (das ist handschriftlich bei den kleinen Noten deutlicher und auf der Kupferplatte einfacher zu stechen). Beide Schreibweisen sind gleichberechtigt und kein Hinweis darauf, daß es sich um einen langen (16tel-) Vorschlag oder um einen kurzen Vorschlag handelt. Das ist, wie gesagt eine Konvention, die sich erst im verlauf des 19.Jhs. eingebürgert hat.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Wow - herzlichen Dank, Bustopher.
    Sehr interessant, Deine Recherche 8+) und wirklich hilfreich.

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Doppelschlag

    Es passt zwar nicht genau zum Threadtitel aber ich hätte mal eine Frage zum Doppelschlag.
    Der wird ja durch ein liegendes S über den Noten notiert. Jetzt gibt es Versionen, bei denen der erste Bogen vom S nach oben geht (die gibt es öfter), ich habe aber ein Stück bei dem manchmal der erste Bogen nach unten geht. Ich dachte immer, dass ich dementsprechend zuerst den oberen Nebenton spielen muß, also wenn wir als Beispiel ein g nehmen würde ich g - a - g- f- g spielen wenn der erste Bogen nach oben geht. Wenn der erste Bogen nach unten geht fängt man mit der unteren Nebennote an also g - f - g - a - g. Mein Lehrere kannte die Theorie bis jetzt aber noch nicht :hide: . Ich hab dann mal versucht zu recherchieren und hab mir das hier angeschaut "http://de.wikipedia.org/wiki/Verzierung_%28Musik%29". Verstanden hab ich es aber nicht. Vorallem weil das dort noch so aussieht als würde es einen Unterschied machen ob der Doppelschlag über einer Note steht oder zwischen zwei Noten.
    Wenn jemand also eine einfach Erklärung zu den Grundlagen des Doppelschlag hätte?

  • Jetzt gibt es Versionen, bei denen der erste Bogen vom S nach oben geht (die gibt es öfter), ich habe aber ein Stück bei dem manchmal der erste Bogen nach unten geht.


    Ich meine, der Doppelschlag beginnt immer mit der oberen Nebennote. Demzufolge wäre es suggestiver, wenn der S-Bogen zuerst nach oben geht. Der Rest geht vielleicht auf schlechte Notensatzprogramme von Biilligverlagen zurück ... :hide:

    Vorallem weil das dort noch so aussieht als würde es einen Unterschied machen ob der Doppelschlag über einer Note steht oder zwischen zwei Noten.


    Jo, das ist so. Steht der DS über einer Note, so beginnt der DS auf der Zählzeit der Note mit der oberen Nebennote. - Steht er zwischen zwei Noten, so beginnt er natürlich auch mit der oberen Nebennote, aber wann genau, ist dem Geschmack des Spielers überlassen. - Da müsste man mal C. Ph. E. Bach oder Leopold Mozart konsultieren ...

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Hallo binchen,

    ich kannte den Doppelschlag bis eben eigentlich auch nur von oben nach unten; habe aber eben mal mein schlaues Musiklehre-Buch befragt ... und da steht tatsächlich auch, dass es ihn auch umgekehrt gibt :huh: Deine Theorie ist also korrekt ;+)
    Und mein Buch sagt auch noch: wenn der Doppelschlag über einer Note steht, wird er zu Anfang der Note gespielt; steht er zwischen zweien, am Ende der ersten mit direktem Übergang in den nächsten Ton.

    :wink:

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Noch eine kleine Eränzung
    Laut Flesch Kunst des Violinspiels (Bd II p. 24 ss) kommt es auf die Epoche an. Nach 1800 wurden die beiden Arten des Doppelschlags verwechselt (teilweise wurde der Doppelschlag auch mit Mordent und Triller verwechselt).
    Es wäre also noch interessant zu wissen, um welches Werk/Epoche es sich handelt.
    Gruß, minuetto

  • Zitat

    ..ich kannte den Doppelschlag bis eben eigentlich auch nur von oben nach unten; habe aber eben mal mein schlaues Musiklehre-Buch befragt ... und da steht tatsächlich auch, dass es ihn auch umgekehrt gibt...

    So verhält es sich ja auch laut Wikipedia. Ich kann mich allerdings nicht daran erinnern, dass mir der umgekehrte Doppelschlag als gedruckte Anweisung jemals in meiner Praxis begegnet ist! Um was für ein Stück geht es denn konkret, binchen?

    Viele Grüße

    Bernd

  • Hängt jetzt nicht ganz unwesentlich von der Epoche ab... ;+)

    mir fällt jetzt zwar gerade kein Beispiel ein, aber ich habe den "verkehrten" Doppelschlag auch schon gesehen.

    Doppelschlag hieß im 18. Jh. auch Cadence, Doublé, Halbzirkel o.ä.; bei L. Mozart wird er unter "Mordent" abgehandelt, genauer als "dritte Gattung Mordent" (Kap.11 §10). Er erwähnt im Text auch eine Ausführung "von unten", auch wenn er dazu keine Notenbeispiele gibt. Marpurg nennt den Doppelschlag Halbcirkel und er weist ausdrücklich darauf hin, daß es ihn von oben und von unten gibt. Der ganze Zirkel besteht aus zwei entgegengesetzten Halbzirkeln, aber auch der existiert in beiden Varianten. Viele Traktate aus dem 18. Jh. weisen übrigens verschiedene rhythmische Varianten aus, in Abhängigkeit vom Tempo: im Adagio z.B. ist die rhythmische Abfolge der vier Noten eine andere als im Presto. Im Adagio z.B. nicht vier gleiche 16tel, sondern zwei 32tel - 16tel - 8tel.

    Die alte Musik kennt darüberhinaus als Verzierung bzw. als Diminuierung auch die Ausführung von der Hauptnote aus nach oben oder nach unten - die Figur endet dann natürlich auf der unteren bzw. oberen Nebennote (z.B. in Ganassis Diminuierungstraktat Opera Intitulata Fontegara). Eignet sich in dieser Form ideal zum Diminuieren von Terzgängen oder um eine, eine Terz höhere oder tiefere Folgenote hervorzuheben

    Der Barocktriller (Vorhalt auf der oberen Nebennote) mit Nachschlag ist übrigens nichts anderes, als ein "verlängerter" "normaler" Doppelschlag "von oben".

    Ich glaube aber, daß spätestens ab etwa 1800 der Doppelschlag nur noch von ober existiert...

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Vielen Dank euch allen für die prompte Hilfe :D

    Der Rest geht vielleicht auf schlechte Notensatzprogramme von Biilligverlagen zurück

    Genau das meinte mein Lehrer auch, da es in dem Stück aber beide Varianten gibt hat mich das nicht ganz überzeugt. ;+)

    Um was für ein Stück geht es denn konkret, binchen?

    Hängt jetzt nicht ganz unwesentlich von der Epoche ab...

    Es geht um den ersten Satz des dritten Oboe Konzertes von L.A. Lebrun. Netterweise wurde auf den Noten mitvermerkt, dass der Herr von 1752-1790 gelebt hat.

    Ein Notenbeispiel hab ich nicht gefunden, eine Aufnahme wäre hier "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    ". Laut Noten wäre der erste "falschrum" Doppelschlag bei ca. 3:30, dann zwei direkt hintereinander bei 5:18. Ich finde bei dem Tempo schwer raus zu hören was gespielt wird. Tippe aber auf die "normale" Variante, also von oben :stern: .
    Die Sache mit der Aufteilung hat mein Lehrer auch bemängelt. Er hätte gerne die erste Note länger ausgehalten als die anderen... geht aber bei mir nicht, ich muss mich sowieso schon beeilen alle Töne unterzubringen (und spiele natürlich sowieso schon bedeutend langsamer als das youtube Beispiel :schaem: )

  • Zitat

    Laut Noten wäre der erste "falschrum" Doppelschlag bei ca. 3:30, dann zwei direkt hintereinander bei 5:18. Ich finde bei dem Tempo schwer raus zu hören was gespielt wird. Tippe aber auf die "normale" Variante, also von oben

    Auch meinen Ohren mag ich bei diesem Tempo nicht hundertprozentig trauen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich in allen Fällen um die normale Variante handelt. Ich habe mal versucht, mir die andere Version vorzustellen, aber angesichts des Verlaufs der Musik scheint das nicht wirklich gut zu funktionieren.


    Herzliche Grüße

    Bernd

  • Also in meinen unmaßgeblichen Ohren klingen diese Stellen auch wie "normale" Doppelschläge ...

    :wink:

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • sitzt der zwischen zwei Noten?
    Dann ist er für mein Gefühl "normal" gespielt

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • @binchen: du hast vor kurzem geschrieben, dass deine Frage bezüglich dieser Verzierung nicht zum Threadthema passt. Ich bin mit dem Threadtitel momentan auch ein bisschen unglücklich, weil es hier eigentlich um Verzierungen allgemein geht, egal ob Triller, Pralltriller, Schleifer oder andere Dinge. :)

  • ch bin mit dem Threadtitel momentan auch ein bisschen unglücklich


    Ist gerade geändert worden. Jetzt kann hier ungestraft geprallert und gemordentet werden.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • An der ersten Stelle dazwischen. An der zweiten Stelle sind beide über der ersten Note :faint: .


    ich meinte den ersten - eindeutig...!

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!