Mahnkopfs Thesen zur Harmonik heute
Die Texte von Claus-Steffen Mahnkopf geben stets viel Stoff zur Diskussion. Allein dieser Ausschnitt aus Thesen zur Harmonik heute
ZitatDie Verwendung von nur zwölf Tönen heute wirkt sowenig atonale wie die tonalen Werke zur Zeit der Atonalität. Daher ist es, und das seit Jahrzehnten, die Stunde der Mikrotonalität. Ob Drittel-, Viertel-, Sechstel-, Achtel-, Zwölfteltöne oder irreguläre Skalen, etwas davon ist unverzichtbar. Das macht beispielsweise Klaviermusik heute fast unmöglich. Doch Mikrotonalität, will sie atonal sein, darf nicht in Retonalisierung zurückfallen. Das droht, wenn man die intervallischen Strukturen der Obertonreihe in einem feineren als zwölftönigen Intervallraster zu fassen sucht. Der Spektralismus wird oder bleibt dann atonal, wenn er die spektralen Informationen ins Dissonante - mit Verzerrung, Versetzung, Ajoutierung, mithin mit der historischen Atonalität vergleichbaren Mitteln - uminterpretiert. Eine Imitatio naturae widerspräche der Wahrheitsästhetik der modernen Welt.
Da wird viel behauptet und v. a. stillschweigend vorausgesetzt, u.a.:
a) Heutige Musik muss heutige Menschen in einem Ausmaß verstören, wie es die atonale Musik um kurz nach 1900 getan hat. -- Frage: Ist das so und v. a.: ist das überhaupt noch möglich?
b) Klaviermusik kann heute nicht mehr geschrieben werden. -- Ist es an der Zeit für neue Klaviere? Hilft da die Elektronik? (Stockhausen betrachtete ja den Synthesizer als Nachfolger des Klaviers wie dieses als Weiterentwicklung des Cembalos)
c) Die Beschränkung auf zwölf Töne hat in der heutigen atonalen Musik keine Berechtigung. -- Hatte sie es jemals? Mit welcher Berechtigung konnten sich Schönberg und Webern auf 12 Töne beschränken, nachdem sie die Tonalität verlassen hatten? (v. a. mit welcher Berechtigung, die genau in diesem Moment griff und heute nicht mehr gilt?)
d) Es existiert eine moderne Wahrheitsästhetik, die tonale Musik für "unwahr" erklären muss. -- Widerspricht an den Intervallverhältnissen der Obertonreihe orientierte und diese (quasi) unverändert übernehmende Musik (welches tonale Musik mit einbegreift) der Wahrheitsästhetik der modernen Welt oder ist es bloß die Wahrheitsästhetik eines Claus-Steffen Mahnkopf?
e) (Noch wichtig, dafür muss man ein bisschen weiter lesen:) Mikrotöne müssen unter dem Parameter der Harmonik, nicht als Farbwerte betrachtet werden. -- Der Begriff der Harmonik wäre im Zusammenhang mit atonaler Musik zu hinterfragen. Kann es überhaupt eine mikrotonale, nicht-tonale (für das Ohr verbindliche, also nicht bloß auf dem Papier konstruierte) Harmonik geben?
Usw.
Ich bin gespannt auf eure geistigen Ergüsse.