Beethoven: Symphonie Nr. 7 in A-Dur, op. 92 - Werk und Aufnahmen

  • Hallo teleton,
    also noch einmal und immer wieder: Ich bin Bernstein Enthusiast durch und durch und liebe ALLE seine Aufnahmen, auch die, die vielen nicht gefallen, heiß. Und ich bemühe mich sehr, das nicht mit jedem Satz so herauszustellen, dass es verbal zu einer faden schwülstigen Heiligenverehrung verkommt, das interessiert sicher niemanden.
    Jeden Tag könnte ich nur Beethovens Siebente in ALLEN Bernstein Aufnahmen hören (wenn es nicht tausende andere Werke und Aufnahmen gäbe), und jede empfehle ich nachhaltigst.
    Und "geordnet für den Weltmarkt" heißt für mich Bernstein vom Besten, für die ganze Welt!
    Ganz herzliche Grüße speziell nach Bonn!

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Nach seinem Debüt bei den Salzburger Festspielen am 14.8.1965 mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 2, der „Auferstehungssymphonie“, waren die Wiener Philharmoniker eines der ersten Orchester, mit denen Claudio Abbado Schallplatteneinspielungen vornahm. Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 und die Ouvertüre zum Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ op. 43 wurden von 27. bis 29.4.1966 in den Wiener Sofiensälen aufgenommen, Beethovens 8. Symphonie sodann ebendort am 17.11.1968 und Anton Bruckners Symphonie Nr. 1 am selben Ort Ende November/Anfang Dezember 1969 (alle zu finden in der 7 DC Box Decca 478 5365). Bei Beethovens Siebenter verzichtete Abbado damals auf die Wiederholung der Exposition im ersten Satz. Der Beihefttext von David Gutman meint, das Orchester spiele „auf Autopilot geschaltet“. Und wirklich (so mein Hörendruck) – hat man aufwühlendere, total unter die Haut gehende Interpretationen im Ohr, wirkt diese Aufnahme etwas brav, die Eruptionen im ersten Satz, die Fortspinnungen im (klangschönen) zweiten, beim Hexentanz des Scherzosatzes und in den wilden Wirbeln des Finales.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Jeden Tag könnte ich nur Beethovens Siebente in ALLEN Bernstein Aufnahmen hören (wenn es nicht tausende andere Werke und Aufnahmen gäbe), und jede empfehle ich nachhaltigst.

    dann hör doch bitte bitte mal hier rein:

    "

    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.
    "
    is zwar nur der olle Barenboim, aber seine Westöstlichen Divanmusikanten ham echt Strom im Flügel

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Danke für den Link! Bin aber eh immer viel zu begeistert von allem für dieses Forum, immer unfähiger (und unwilliger), kritisch und "wissend" zu hören, also einmal mehr... :)
    Passt alles (für mich). Grandios! Diese "selbstverständliche" zupackende Orchesterkultur ist schon famos, und das Werk - einmal mehr überwältigend.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Gunther Schuller hat ein berüchtigtes Buch geschrieben, in dem er nahezu alle berühmten Dirigenten bei Interpretationen von Standardwerken erhebliche Schlampereien nachzuweisen versucht. Ein Punkt ist der punktierte Rhythmus im Kopfsatz dieses Werks. Lt. Schuller wird der sehr häufig verschliffen/verzerrt gespielt, nämlich die erste Note zu kurz und die letzte zu lang, also eher in Richtung "punktierte 16tel-32tel-Achtel" statt "punktierte Achtel-16tel -Achtel". Bei korrekter Ausführung sollten die Längen sich wie 3-1-2 verhalten, nicht wie 3-1-4 oder 2-1-3. Die korrekte Ausführung ist vermutlich bei einem etwas breiteren Tempo einfacher (die Interpretationen unten sind alle recht nahe an Beethovens Vorschrift).
    Wer hört Unterschiede? (Eine der drei ist nach Schuller richtig, die anderen weit weniger.)

    "https://www.dropbox.com/s/v9ievpozulny…rdiner.wav?dl=0
    "https://www.dropbox.com/s/cc6j1hp9s2hl…leiber.wav?dl=0
    "https://www.dropbox.com/s/wurdkslz02w8…canini.wav?dl=0


    (ich hoffe, entschärfte links auf ca. 2 min Ausschnitt in reduzierter Qualität sind ok.)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wer hört Unterschiede? (Eine der drei ist nach Schuller richtig, die anderen weit weniger.)

    Hm, so eindeutig finde ich das nicht. Ich vermute, dass er Gardiner am genauesten findet, aber auch bei dem ist der Rhythmus nicht ganz konsequent durchgehalten, z.B. ab 1'27'' Deines Beispiels. Kleiber finde ich insgesamt ähnlich, also an manchen Stellen genauer, an anderen weniger. Nur Toscanini fällt eindeutig raus.
    Das Problem dieses "Am-ster-dam"-Rhythmus liegt vor allem bei den Streichern, denn wenn die z.B. hin- und herspielen und dabei die Bogengeschwindigkeit einheitlich nehmen, wandern sie innerhalb einer rhythmischen Gruppe ein Stück zum Frosch bzw. zur Spitze: Angenommen, sie nehmen z.B. für die Zeitdauer einer Sechzehntel eine Bogenstrecke von 2 cm und beginnen mit Abstrich, dann gehen sie also im Laufe der punktierten Achtel 6 cm nach unten, dann für die Sechzehntel 2 cm nach oben und für die Achtel wieder 4 cm nach unten, macht insgesamt eine Abwärtswanderung von 8 cm. Das sieht graphisch aufgezeichnet wie ein Blitz aus und heißt deshalb auch der "Blitz-Strich". Da die nächste Gruppe aber nun mit Aufstrich begonnen wird, kehrt sich alles um und man landet - theoretisch - wieder an derselben Bogenstelle wie zu Beginn. Das ist aber technisch höchst anspruchsvoll und im hier geforderten Tempo und von einer ganzen Gruppe wohl eher theoretisch durchführbar.

    Christian

  • Kontrafagotte in der Siebten?

    Guten Morgen,

    in einer meiner gerade allmorgendlichen DCH-Sessions (den Semesterferien sei Dank :P ) zog ich mir am Samstag die Siebte vom 15.10.2015 unter Rattle rein. Recht schnell fiel mir auf, dass dort tatsächlich zwei Kontrafagotte saßen ( dort wo idR Horn 3/4 ihren Platz haben - hinter den eigentlichen Fagotten, neben den Bässen). So eine basslastige Besetzung erscheint mir sogar für Spätromantische Verhältnisse noch außergewöhnlich, deshalb wollte ich rausfinden ob das denn tatsächlich in der Partitur steht - dort steht aber rein gar nix von den Dingern.

    Mit etwas Suchmaschinenarbeit fand ich dann diese Rezension von einem Konzert von 2012: ebenfalls Rattle, ebenfalls Kontrafagotte. in den Kommentaren fand ich folgendes:

    "https://konzertkritikopernkritikberlin.wordpress.com/2012/09/22/phi…flute-en-suite/"

    "Werneburg sagte: 28/09/2012 um 13:29

    Noch mal zu den Kontrafagotten, die saßen nicht direkt hinter den beiden ohnehin besetzten Fagotten, sondern etwas weiter links hinter den beiden Hörnern.
    Habe mal etwas recherchiert und zunächst nichts gefunden. Weder im Manuskript noch in den Druckausgaben der Partitur von 1816 (Steiner & Co.) und 1863 (Breitkopf & Härtel) tauchen die Kontrafagotte auf. Allerdings bin ich in Thayers Beethovenbuch auf folgende Notiz Beethovens zu seiner Siebten gestoßen:
    „Bei meinem letzten Konzert im grossen Redoutensaal spielten 18 erste Violinen, 18 zweite Violinen, 14 Bratschen, 12 Cellos, 7 Kontrabässe und 2 Kontrafagotte.“
    Für „Cellos“ würde man heute im Musikunterricht verhauen werden. Interessant aber, dass Beethoven die beiden Kontrafagotte zusammen mit den Kontrabässen nennt. Denn ich hatte schon während des Konzerts den Eindruck, dass die Kontrafagotte nicht mit den Fagotten spielen würden, sondern mit den (Kontra-)Bässen, so insbesondere bei den Sechzehntel-Doppeloktaven im Poco sostenuto-Teil des ersten Satzes. Wahrscheinlich haben die durchweg die Bassstimme mitgespielt. Dass sie dann so weit von den Bässen (war ja keine deutsche Aufstellung, Bässe saßen rechts) entfernt saßen, erscheint mir nicht ganz logisch.
    Fazit: Rattle ist da wohl ganz tief in die Beethoven-Forschung eingestiegen – weder bei Norringtons Aufnahme aus den späten 80er noch auf Harnoncourts Einspielung höre ich Kontrafagotte. Der Mehrwert im Konzert war allerdings begrenzt. Ich hab nur das typische Schnarren gehört (saß diesmal nach der Pause E links)."

    Ich hab mal etwas weiter gesucht:
    Rattle, Berliner Philharmoniker, 01.03.2016: 1 Kontrafagott
    Rattle, " , 23.09.2012: 2 Kontrafagotte, diesmal fast mittig hinter dem Orchester, hinter den Hörnern und weit weg von den Bässen (das oben rezensierte Konzert)
    Zinman, " , 18.10.2008: keine.
    Rattle, " , 01.05.2008: 2 Kontrafagotte
    Abbado, " , 08.02.2001 (Abbados riesen Rom-Zyklus): keine.
    Abbado, " , 01.05.1996: keine.
    Barenboim, " , 12.09.1989 (Mauerfallkonzert): keine.
    Karajan, " , 18.10.1971 (die großartige Niebling-Produktion): Blöderweise hat Herr Karajan ja fast alle Totalen rauschneiden lassen, aber ein paar mal kann man den gigantischen Bläserblock sehen: 5 Flöten, 3 Oboen, 4 Klarinetten, 4 Fagotte, 4 Hörnern und 4 Trompeten! Aber auch hier keine Flatulenzfagotte.

    Außerdem auf Youtube ohne:
    Thielemann (Wien, 2010), Fischer (Concertgebouw, 2014), Orozco-Estrada (hr, 2016), Jansons (BR, 2012), Järvi (DKB, 2012), usw...

    ohne, aber mit "modifizierten" Bläsern:
    Bernstein (Wien, Jahr? - hier aber 4 Fagotte), Kleiber (Concertgebouw, Jahr?, hier allerdings alle Bläser bis auf die Trp verdoppelt), Dudamel (Simón Bolívar, 2015, Bläser bis auf Trp. verdoppelt), usw...

    Das es bis zu den 90ern durchaus üblich war, ein großes Orchester zu haben, habe ich schon öfter gehört, aber diese Verdopplungen sehe ich ja auch in vielen modernen Aufnahmen - von anderen Werken will ich gar nicht anfangen. Die Kontrafagotte allerdings habe ich wirklich nur bei Rattle entdeckt.

    Wie üblich sind die Besetzungsveränderungen? Wenn man bei Mahler und Wagner die Harfen nicht, wie vorgeschrieben, verdoppelt lässt sich das ja recht leicht auf Sparmaßnahmen zurückführen - aber Besetzungserweiterungen? Kennt sich da zufällig jemand aus?

    Liebe Grüße und einen wunderschönen Montag wünsche ich!

  • Ich halte es für eine Unsitte, die Besetzung eines Werkes über das ursprünglich geforderte Maß zu erweiteren. Es käme ja auch keiner auf die Idee bei einem Streichquartett die Stimmen zu verdoppeln um einen größeren Effekt zu erzielen. Die Verwendung von 2 zusätzlichen Kontrafagotten erbringt keinen weiteren Nutzen mit sich, und zerstört eher die Balance innerhalb der Holzbläser. Auch in der Partitur-Neuausgabe von Jonathan del Mar werden die Holzbläser nur zweifach angegeben. Ich halte daher ein solches Vorgehen bei der Besetzung der Instrumentengruppen für überflüssige Effekthascherei. Die Musik der 7. Sinfonie ist in sich so angelegt, dass sie zu ihrer Entfaltung keines übermäßigen Orchesterapparates bedarf. Man höre sich dazu die Einspielung mit Gardiner und seinem Orchestre Revolutionaire et Romantique an, die ich absolut überzeugend und spannend finde.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Ich halte es für eine Unsitte, die Besetzung eines Werkes über das ursprünglich geforderte Maß zu erweiteren.

    Finde ich eigentlich auch - wobei ich es noch schlimmer finde, die geforderte Besetzung zu unterschreiten. Hier ist das ein Dilemma zwischen beiden Extremen, ich habe mehr über Beethovens Aussage finden können:

    A second issue is the size of the ensemble that best conveys a score that is full of power yet demands fleet precision. The historically-informed approach generally is to assume an orchestra of modest dimensions, presumably typical of Beethoven’s day. Yet [William] Drabkin notes that for a February 14, 1814 performance of the Seventh the composer left a memorandum specifying 18 first violins, 18 seconds, 14 violas, 12 celli, 7 basses and 2 contrabassoons (thus suggesting that all winds were to be doubled) – the approximate complement of a full modern symphonic orchestra (which would have to reinforce brass and winds yet further to match our louder strings). A related question is whether Beethoven, by now profoundly deaf, wrote within the practical limits of his time or on a more abstract, idealized level that transcends the resources he had at his disposal.

    (Hervorhebungen von mir)

    Rattle ist nun nicht gerade dafür bekannt, den Willen der Komponisten immer wieder gerne zu missachten, allerdings ist er bis jetzt der einzige bei dem ich Kontrafagotte finden konnte. Sollten nun aber wirklich bei Beethovens Aufführung welche dabei gewesen sein - wieso nicht in der Partitur? Die Siebte entstand ja logischerweise nach der Fünften...

    LG ;)
    Felix

  • Ich halte es für eine Unsitte, die Besetzung eines Werkes über das ursprünglich geforderte Maß zu erweiteren. Es käme ja auch keiner auf die Idee bei einem Streichquartett die Stimmen zu verdoppeln um einen größeren Effekt zu erzielen.

    Diese Unsitte war jahrhundertelang der Normalfall, das sollte man nicht vergessen. Und das Streichquartette oder -sextette in Fassung für Streichorchester aufgeführt werden, ist eine ganz normale Sache. Das ist also kein gutes Gegenbeispiel. Ich denke, bei solchen Sachen gilt immer: »Kunst kommt von Können.« Also: Wer es kann, kann es. Wer ein Streichquartett so für Streichorchester setzen und aufführen kann, dass das Ergebnis gut ist, kann es eben. Der Rest ist dann Geschmackssache, und über Geschmack lässt sich schlecht streiten.

  • Ich halte es für eine Unsitte, die Besetzung eines Werkes über das ursprünglich geforderte Maß zu erweiteren.

    Das ist Dein gutes Recht.

    Beethoven hat es halt anders gesehen, wie die historische Notiz zeigt. Harnoncourt hat es mal auf den Punkt gebracht: Man hat klein, mittel oder groß besetzt, je nachdem, welche Musiker man zur Verfügung hatte und/oder welcher Raum zu bespielen war. Die Uraufführung im Palais Lobkowitz geschah mit einer Minimalbesetzung. Kein Mensch aber käme auf die Idee, deswegen zu fordern, man müsse das Werk etwa in der Berliner Philharmonie mit derselben Besetzung spielen - das wäre völlig unhistorisch, bestenfalls so etwas wie ein unwissender Dogmatismus.

    In der Partitur hat Beethoven aufgezeigt, was er in jedem Falle braucht. Wenn man Kontrafagotte zur Verfügung hatte und einen Streicherapparat, der mit einer solchen erweiterten Besetzung der Bläser in Balance war und der Raum groß genug war, dann wurden Kontrafagotte hinzugenommen. - Waren die damals nun historisch uninformiert?

    Auch Mozart hat sich mal lobend über eine Kolossalbesetzung mit 40 Violinen geäußert - "Sie glauben gar nicht, was das für einen Effekt macht" oder so ähnlich.

    Das man es in kleiner Besetzung bevorzugen kann - unbenommen.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Beethoven hat es halt anders gesehen, wie die historische Notiz zeigt.

    Beethoven hat sich zu dieser Sache sicher mehrmals und in unterschiedlicher Weise geäussert. Bei der Uraufführung der Sinfonie im Palais des Erherzog Rudoplh erbat sich Beethoven für die Aufführung mindestens 4 erste und 4 zweite Geigen, sowie 4 Bratschen , 2 Celli und 2 Kontrabässe (entsprechend dann auch die Holzbläser in Ergänzung).
    Das stützt natürlich auch die These, dass die damaligen Komponisten sich an den Gegebenheiten orientiert haben. Fakt ist aber auch, dass in der Partitur nichts von Kontrafagotten steht, was zwar einen Dirigenten nicht davon abhalten muß diese einzusetzen. Aber ob das klangliche Resultat dies Maßnahme rechtfertigt ist ein Anderes.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Der zentrale Punkt ist m.E., dass bei Streicherbesetzungen wie Mozart "40 violin und 10 bassi" die Holzbläser verdoppelt oder verdreifacht wurden. Ob man nun Kontrafagotte, die mit den Kontrabässen spielen, bei insgesamt ziemlich großer Besetzung im Tutti deutlich hört, weiß ich nicht. Allerdings sollte man sich bei solchen Eingriffen klar sein, dass weit hörbarere Instrumenationsretuschen nach wie vor verbreitet üblich sind, z.B. Ersetzen oder Verdoppeln der Fagotte durch Hörner in der Reprise von Beethovens 5. bei der Fanfare, die das 2. Thema einleitet, "Extrapolation" von Trompetenstimmen im Eroica-Kopfsatz, Verstärken der Holzbläser durch Hörner im 2. Thema im Molto vivace der 9. Sinfonie...

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Die Musik der 7. Sinfonie ist in sich so angelegt, dass sie zu ihrer Entfaltung keines übermäßigen Orchesterapparates bedarf. Man höre sich dazu die Einspielung mit Gardiner und seinem Orchestre Revolutionaire et Romantique an, die ich absolut überzeugend und spannend finde.

    Na ja, im Aufnahmestudio wird ein Kunstprodukt erzeugt, dass sich von den räumlichen Verhältnissen ziemlich emanzipiert hat. HIP-Ensembles lassen sich auch schon mal von einer PA verstärken, wenn sie in größeren Sälen auftreten.

    Ein Soundcheck und ggf. eine Manipulation des Ensembleklangs gehört bei Live-Musik wahrscheinlich immer zum Tagesgeschäft. Ob man da sinnvollerweise elektronisch eingreift oder mit Kontrafagotten nachhilft, hängt vielleicht einfach vom Einzelfall ab.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)

  • Und das Streichquartette oder -sextette in Fassung für Streichorchester aufgeführt werden, ist eine ganz normale Sache. Das ist also kein gutes Gegenbeispiel.

    Hier ging es nicht um Bearbeitungen eines Werkes sondern um einen willkürlichen Eingriff in die Instrumentation. Es gibt ja auch von Beethoven selber eine Fassung seiner 2. Sinfonie für Klaviertrio, die ganz vorzüglich geraten ist.
    Aber möglicherweise ist der Eingriff von Rattle auch gar nicht als solcher wahrnehmbar, wenn er die Kontrafagotte die Noten der Bässe spielen lässt.

    Der Rest ist dann Geschmackssache

    Genau. Und für meinen Geschmack klingt eine "schlanke" Instrumentierung bei Beethoven besser als eine nachträglich aufgeplusterte.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Ich verstehe nicht so recht, warum man nicht einfach zwei Kontrabässe mehr besetzt, wenn man einen stärkeren Bassklang will. Irgendwelche Aushilfen am Kontrabass zu kriegen, ist doch sicher leichter als Kontrafagotte zu besetzen. Anders als das Finale der 9. (und evtl. das Finale der 5.) ist die 7. auch nicht so auf Bläserpassagen oder "türkische Musik" fixiert, bei denen ein Kontrafagott das angemessenere Bassinstrument ist. (Andererseits haben ja selbst Bläserserenaden wie Mozarts Gran partita oder Dvoraks Kontrabass, wohl weil das Kontrafagott ein seltenes und unhandliches Instrument war.)

    Historisch besteht meinem Eindruck nach kein Zweifel, dass Beethoven (und auch Mozart und Haydn) die größten Orchesterbesetzungen nahmen, die sie kriegen konnten. In der Praxis schwankten die Aufführungen daher zwischen "Kammerbesetzung" und Riesenbesetzung, je nach Lokalität und Finanzen; man kann nicht sagen, dass eines davon "richtiger" wäre. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass deren Sinfonien die monumentalste Instrumentalmusik ihrer Zeit war. Nur weil wir aus der Spätromantik noch ganz andere Kaliber gewöhnt sind, sollten wir kein schlankes, kammermusikalisches Ideal unterstellen.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Mauerblümchen schrieb es: Ziel ist stets die Balance.

    Was Verstärkungen angeht von HIP- Orchestern, da halte ich Deine Aussage doch für ziemlich vermessen.
    Frage dabei, was der Maßstab ist: Größe des Raums und Zahl des Publikums oder doch der Ursprung der Musik, deren Besetzungsgröße und deren Bedürfnisse. Im Zusammenklang mit Raum und Besetzung. Elektronische Verstärkungen habe ich bisher nie erlebt bei Brüggen und Co. mit Beethoven, stattdessen musizieren im angemessenen Rahmen. Und ja, warum nicht Kontrafagotte bei großen Räumen und großem Publikum?
    Was Rattle da macht, ist Reaktion auf Gegebenheiten, also durchaus angemessen- finde ich zumindest. Das Ganze als Freiluftkonzert: bitte noch zwei Kontrafagotte dazu!
    Ziel ist stets die Balance, es existiert kaum eine festgeschriebene Besetzungsgröße. Sowenig wie eine festgeschriebene Zuhörerzahl oder ein Maß in Quadrat- oder Kubikmetern für den perfekten Raum, Beethoven aufzuführen.

    Also ganz simpel: wie klingt es im Raum? Dementsprechend wird besetzt- Maß ist immer die Balance.
    Eigentlich müßig, darüber zu diskutieren.
    Und gerade Rattle ist doch Meister des Maßhaltens, was nicht immer nur positive Ergebnisse zeitigt. Aber Sinn für Klangbalance kann ihm wohl kaum jemand absprechen, auch mit Mitteln, die nicht immer historisch belegt sind, dennoch ihre Berechtigung haben.
    Lasst Künstlern mal ein wenig Luft zum Atmen in den Grenzen des "Historisch Informierten". Bei Carlos Kleiber hätte nie jemand gewollt, an Besetzungen zu mäkeln.
    Also: Leben und leben lassen, auch mit Baumstämmen im Orchester, die merkwürdig anzusehen sind und eher knarren als klingen.

    Hörte gerade Paavo Järvi mit seinem Beethoven von der LP: mir fehlt tatsächlich die Grundierung im Klang.
    Irgendwie der alte Basso Continuo, der zwar nicht mehr notwendig ist, aber noch mitgedacht. Wirkt zu leichtgewichtig, der Basis beraubt.
    Wie schön wäre da ein Kontraknarzer!

    "Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst." Voltaire

  • Für „Cellos“ würde man heute im Musikunterricht verhauen werden.

    Nö. Lt. Duden zulässig. Und Thayer war ohnehin Engländer - da sind Cellos nix ungewöhnliches....


    Hier ging es nicht um Bearbeitungen eines Werkes sondern um einen willkürlichen Eingriff in die Instrumentation.

    Wiederum: Nö. Das steht nämlich auch nicht "Kontrabässe". Die Partitur sieht neben den Celli nur "Bassi" vor. Was das im einzelnen ist, ist historically informend nicht vorgeschrieben. So rein theoretisch könnte man sogar auch Orgel mitspielen lassen (Ok: das war nicht wirklich ernsthaft. Nur der Möglichkeit halber...Aber wieso eigentlich nicht?)

    Ich verstehe nicht so recht, warum man nicht einfach zwei Kontrabässe mehr besetzt, wenn man einen stärkeren Bassklang will.

    Kann man. Muss man aber nicht. Klingt komisch - ist aber so. Wahrscheinlich war dem Rattle einfach der farbigere Klang wichtig, und nicht einfach nur mehr Basslastigkeit.

    Die Frage ist für mich unter dem Strich daher nicht, warum das der Rattle machen darf (und nicht einfach nur zwei Kontrabässe dazunimmt), sondern eher, warum's die andern nicht machen. Tradition? War immer schon so? Keine Kontrafagotte im Orchester verfügbar, aber dafür 12 Kontrabässe?

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)


  • Ich verstehe die Diskussion nicht so ganz. Gemäß dem oben zitierten Beitrag ist es doch eine von Beethoven selbst gebilligte Variante, zwei Kontrafagotte zuzufügen und einen relativ großen Klangapparat zu verwenden. Wieso wird es dann als "willkürlicher" Eingriff in die Instrumentation gewertet, wenn ein Dirigent es tatsächlich so macht, wie Beethoven es befürwortet (oder zumindest akzeptiert) hat?

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Nö. Lt. Duden zulässig.

    war ja auch gar nicht mein Wortlaut, nur zitiert :P

    Ich verstehe die Diskussion nicht so ganz.

    Irgendwie hat sich das ganze auch in eine komische Richtung entwickelt. Meine Verwunderung beruht nur darauf, dass Rattle anscheinend der einzige ist, der das so umsetzt. Aber andererseits ist es schon komisch (ohne ddie Tatsache zu kritisieren), wie lose andere Dirigenten bei Beethoven mit der Instrumentierung umgehen, Stichwort verdopplungen - in späterer Musik wäre das ja quasi eine absolute Unsitte, Den Streichersatz so üppig zu besetzen wie man es eben braucht, ist ja stinknormal, aber die Verdopplung der solistischen Stimmen ?(

    Andererseits müsste man ja dann auch anfangen zu diskutieren, ob die üblichen 1. Horn/Trompeten-Verdoppelung auch so schädlich wär - wohl kaum.

    Auch interessant zu dem Thema: Rattle über die Orchestergröße für Beethoven (über Kontrafagotte redet er aber leider nicht ;) ) https://www.youtube.com/watch?v=4J406QX9V1E

    Liebe Grüße!

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!