WAGNER: Parsifal – Kunstreligion aus "Noth um den Geschlechtstrieb"? Klangdenkmäler, ungeahnt, edel und voller Kraft?


  • Lieber Ecclitico, bevor Du Deine Rundumschläge verteilst, solltest Du vielleicht etwas genauer informiert sein. Ahasverus ist in der Legende ein Jude, der kein Mitleid mit dem leidenden Christus hatte, als dieser gekreuzigt wurde und nicht nur das: er verspottete ihn sogar. Christus soll ihn dafür (was m.E. absurd, weil vollkommen "unchristlich" ist) verflucht haben und seither irrt er durch die Welt und sucht nach Erlösung. Wer sich mit Wagners antisemitischen Schriften befasst hat und darin keine Parallele zur mitleidslosen und nach Erlösung suchenden herumirrenden Kundry sieht, muss mindestens auf einem Auge blind sein.


    Ob der "Ewiger Jude" antisemitisch ist, hängt vom Kontext ab, wie so vieles im Leben.

    Als isolierte Sage ist sie völlig harmlos: Jemand hat Jesus verspottet und wird daher verflucht. Dass dieser Jemand Jude sein muss, ergibt sich aus der Geschichte, ist aber ansonsten völlig irrelevant. Vergleichbare Legenden gibt es auch mit anderen Protagonisten, siehe den Wikipedia-Artikel, siehe auch z.B. den Fliegenden Holländer.

    Zumal das Vergehen dieser Einzelperson(!) recht harmlos ist im Vergleich zu dem, was man den Juden in dem Zusammenhang vor allem vorwirft: Jesus getötet zu haben. Ein ganzes Volk tötet den Erlöser. Was ist dagegen schon der Spott einer Einzelperson. Zumal letztere in den diversen Legenden fast immer Mitleid hervorruft, im Gegensatz zu den historischen Verurteilungen der "Jesusmörder", die eher Rachegefühle hervorrufen sollen. Ja, der Ewige Jude ruft nicht immer Mitleid hervor. Das hängt davon ab, wie die Geschichte erzählt wird.

    Beim Ewigen Juden kommt es also auf den Kontext an. Und wie lautet dieser beim Parsifal: Kundry ist "Täterin" in der Vergangenheit, aber in der eigentlichen Oper ist sie Opfer. Opfer des Fluchs, Opfer ihrer Schuldgefühle, Opfer von Klingsor. Und außerdem ist sie eine der komplexesten Operngestalten (beiderlei Geschlechts) Wagners. Ihr Judentum wird an keiner Stelle erwähnt. Weil es darauf nicht ankommt. Das Thema ist ein ganz anderes.


    Thomas

    PS: Die "Frauenfeindlichkeit" des Parsifal ist deine Privatinterpretation. Auf die Idee kommt sonst keiner. Befasse dich mal mit dem Gedanken, dass Frauen nicht immer nur Anschauungsobjekt von Männern sein müssen, sondern auch mal Hauptprotagonist eines Jahrtausendwerkes in all ihrer Komplexität. Solche Rollen spielen sonst nur Männer. Frauen sind ansonsten eher eindimensional. Ihren Wert erhalten sie in Abhängigkeit von diversen Männern. Kundry dagegen ist autonom. Sie ist die zentrale Gestalt der Oper. Entlang ihrer Figur wird die ganze Geschichte erzählt. Tatsächlich ist die Oper eher männerfeindlich. Die Ritter werden allesamt als alte weiße vertrottelte Männer dargestellt. Möchtergern-Helden, die kläglich versagen. Kein einziger von denen kann es an Tiefe und Komplexität auch nur annähernd mit Kundry aufnehmen.

    PPS: Warum tut Wagner so etwas? Gute Frage. Altersweisheit?

  • Ihr Judentum wird an keiner Stelle erwähnt.

    Laut Libretto:

    Herauf! Herauf! Zu mir!
    Dein Meister ruft dich Namenlose,
    Urteufelin, Höllenrose!
    Herodias warst du, und was noch?
    Gundryggia dort, Kundry hier:
    Hieher! Hieher denn! Kundry!
    Dein Meister ruft: herauf!

    war Kundry in einer ihrer früheren Inkarnationen tatsächlich Jüdin - nämlich als Herodias. Allerdings war Gundryggia (wohl eine der Walküren) mit Sicherheit nicht jüdisch und insofern bin auch ich der Meinung, dass die Kundry im Parsifal außerhalb jeglicher religiösen Zuordnung steht. Es wäre auch verwunderlich, wenn der Antisemit Wagner seine komplexeste und interessanteste Frauenrollen einer Jüdin zuordnet.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Kundry enthält zwar ein Element des "ewigen Juden", aber sie erschöpft sich natürlich nicht darin. Dieses Element ist auch nicht per se antisemitisch, sondern viel allgemeiner. Selbst Wotan als Wanderer hat m.E. etwas von diesem Aspekt und das ist ein germanischer Gott! Anders als der Holländer ist Kundry auch nicht passiv, sondern sucht aktiv nach dem Medikament.
    Schließlich ist das auffälligste Merkmal Kundrys auch nicht das unstete Wanderleben, sondern die Doppelexistenz als reisende Heilerin und Verführerin im Dienste Klingsors. Ihr Fluch ist also gar nicht in erster Linie das Wandern aufgrund einer einmaligen Verfehlung, sondern dass sie in ewiger Wiederkehr gegen ihren Willen als Verführerin agieren muss.
    M.E. sind auch die Erlösungelemente bei Wagner viel allgemeiner, als dass sie sich auf eine antisemitisch motivierte Überhöhung eines von jüdischen Elementen gereinigten Christentums reduzieren ließen. Selbst wenn das im Parsifal, weil das Szenario eben legendär-christlich ist, nicht so deutlich sein mag, scheint mir das alles weit mehr von einem schopenhauerisch inspirierten Pseudo-Buddhismus (dafür spricht auch die Betonung des Mitleids) beeinflusst.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Mit Sicherheit ist Kundry eine der komplexesten und mehrdeutigsten Opernfiguren. Eben habe ich mir über Fernleihe dieses Buch bestellt:

    Chikako Kitagawa: Versuch über Kundry: Facetten einer Figur

    Auch in Cosima Wagners Tagebüchern habe ich gestern und heute gestöbert, aber kaum Erhellendes gefunden. Zwar erwähnt Frau Wagner, daß der Gatte sich hin und wieder ausführlich auch über Kundry mitgeteilt habe, aber was, bleibt unklar. Jedenfalls habe ich da nichts Besonderes entdeckt.

    Interessant dagegen finde ich, daß Wagner sich während der Komposition des Parsifal (seit 1877) eingehender mit Berlioz und Brahms beschäftigt hat. Brahms erste beiden Symphonien wurden genau studiert (in der Phase, in der Wagner sich an die Komposition des 2. Akts begab, er ließ sich einen Klavierauszug der Ersten anfertigen und spielte die Zweite vierhändig mit einem seiner Fans) und einmal erwähnt Wagner, daß er an den Glocken (Verwandlung im 1. Akt) etwas entfernt habe, um ein "Plagiat" in Bezug auf Berlioz (Requiem und Te Deum werden erwähnt) zu vermeiden.

    Daß Wagner sich mehrfach heftig abwertend gegenüber beide Kollegen äußert, ist ja bekannt.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Parsifal im allgemeinen wie die Kundry-Figur im besonderen vereinen in der Tat sehr viele Aspekte und machen damit auch verschiedene Lesarten möglich. Natürlich ist Kundry im Literalsinn keine Jüdin und sie ist auch keine christliche Heilige. Aber sie vereint Züge von beidem (die Anlehnung an das Konzept der christlichen "Sündenheiligen", insb. Maria Magdalena, ist überdeutlich) und noch einiges mehr. Wagners Figuren, Libretti und Opern sind häufig stark synkretistisch angelegt und evozieren in hohem Maße Uneindeutigkeit. Von großer Bedeutung sind im Parsifal auch, wie von Kater Murr gesagt, die spezifische Buddhismus-Rezeption und damit verbunden die Mitleidsethik. Es kann aber m.E. kein Zweifel bestehen, dass die Vorstellung des vom Judentum "gereinigten" Christentums (die Wagner nicht erfunden hat) eine Rolle spielt, dass die Figur der Kundry antisemitische Vorstellungen evoziert, dass außerdem u.a. auf Gobineau zurückgehende rassistische Vorstellungen vom reinen bzw. verunreinigten Blut im Libretto enthalten sind. Das wird besonders deutlich, wenn man das Parsifal-Libretto im Kontext der von Wagner gleichzeitig verfassten "Regenerationsschriften" liest - was wohl Zelinsky, der sonst durchaus Ansatzpunkte für Kritik bietet, als erster systematisch gemacht hat.

    Die Frage ist, wie stark man diese Elemente insgesamt gewichtet (handelt es sich um die zentralen Aspekte oder "Aussagen" des Werks?) und ob Parsifal Züge eines eliminatorischen Antisemitismus enthält. Saul Friedländer hat die letzte Frage verneint. Und gerade die Rezeptionsgeschichte zeigt, dass Parsifal auf sehr unterschiedliche Weise gelesen werden konnte: Mary A. Cicora hat dargelegt, dass selbst innerhalb des radikalen und ideologisch verengten Wagnerianer-Kreises der "Bayreuther Blätter" stark differierende, sich teilweise widersprechende Interpretationen der Oper veröffentlicht wurden. Und auch wenn die NS-Ideologie teilweise die genannten rassistischen Elemente im Libretto betont und herausgearbeitet hat, so hat doch die NS-Führung (vermutlich Hitler selbst) nach Kriegsausbruch Parsifal-Aufführungen in Deutschland verboten - wohl weil Verneinung des "Willens" und Mitleidsethik als Botschaft nicht opportun erschienen. So oder so, es gibt keine einfachen Antworten. Aber die Augen zumachen kann man angesichts des heutigen Forschungsstands nicht mehr.

    Ich bewundere Parsifal als musikalisches und auch als musikdramatisches Werk zutiefst, ohne mir Illusionen zu machen oder in Apologetik zu verfallen (hoffe ich jedenfalls). U.a. Adorno und Boulez haben noch einmal andere Wege aufgezeigt, mit der Oper umzugehen und ggf. Musik und musikdramatische Konzeption auch gegen Intention und Tradition zu lesen. Auch gibt es im Parsifal z.B. auf anderen, z.B. medialen Ebenen, hochinteressante Züge, über die hier noch gar nicht gesprochen wurde, etwa die Konzeption der Verwandlungsmusiken und des dazu "kinematographisch" ablaufenden gemalten Prospekts.

    :wink:

    .

  • Ich wäre übrigens der letzte, der eine "antisemitische" Inszenierung des Parsifal verdammen würde. Kundry als KZ-Insassin, etc. Es ist ja die Aufgabe eines Regisseurs, seine individuelle Sichtweise darzulegen. Die Inszenierung muss dann nur in sich schlüssig sein. Ich lehne nur die Aussage ab, dass der Antisemitismus in diesem Werk drin steckt. Man kann übrigens auch Don Giovanni antisemitisch inszenieren. Don Giovanni als Himmler, Leporello als Handlanger, der später behauptet, er wäre da einfach so reingerutscht. Hat es vielleicht schon gegeben...


    Thomas

  • Und gerade die Rezeptionsgeschichte zeigt, dass Parsifal auf sehr unterschiedliche Weise gelesen werden konnte: Mary A. Cicora hat dargelegt, dass selbst innerhalb des radikalen und ideologisch verengten Wagnerianer-Kreises der "Bayreuther Blätter" stark differierende, sich teilweise widersprechende Interpretationen der Oper veröffentlicht wurden.

    Zu diesen stark differierenden Interpretationen gehörte von Anfang an auch die des "Parsifal" als christlich-katholischer Oper. Ich habe vor ein paar Wochen in der benachbarten Diskussion über den Antisemitismus Wagners schonmal aus der Brahms-Biographie des jüdischstämmigen Wagner-Zeitgenossen Max Kalbeck zitiert und finde, die Passage passt auch hier sehr gut hin:
    "Was hier seinen [Johannes Brahms´] Unmut erregte, war nicht die deutschfeindliche Politik der Regierung allein, mit der, wie bei allen Gelegenheiten, wo im Trüben gefischt wird, Umtriebe der Pfaffen Hand in Hand gingen; auch die musikalischen Zustände der Kaiserstadt behagten ihm nicht. Die Musik wurde mit der Politik vermengt, und Dunkelmänner aus verschiedenen Parteilagern hatten die Hände dabei im Spiele. Seit Wagners »Parsifal« galt der Autor des Bühnen-Weihfestspieles« vielen als eine Art von bekehrtem »Tannhäuser«, der vielleicht zuletzt noch reuig aus dem Venusberge in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückgekehrt wäre. Leider habe er nicht mehr Zeit gehabt, die Blüten und Früchte des frisch ergrünten dürren Steckens abzuwarten und die mystischen Gnadenwirkungen der von seinem Theater der Kirche abgeborgten Wunder wieder an der gehörigen Stelle zu erproben. Jedenfalls übte, nach der Meinung scheinheiliger Demagogen, seine den Geist knebelnde, die Sinne entfesselnde Kunst einen zweckdienlicheren Einfluß auf gläubige Gemüter aus als die Musik des Freidenkers und Häretikers, der die Person des Mittlers aus dem Text seiner deutschen Totenmesse eliminiert hatte".
    Hier werden die Schützengräben des Kulturkampfes aufgemacht, hier Brahms, liberaler Freidenker mit evangelischer Toleranz und deutschnationaler Gesinnung, dort der Römling Anton Bruckner, gegen den Kalbeck eigentlich polemisiert, was ihn zu ein oder zwei Wagner-Exkursen veranlasst (sehr schön/witzig auch der über den Nibelungen-Ring) und sein mit dem "Parsifal" in den Schoß der alleinseligmachenden Mutter Kirche zurückgekehrter Meister Richard Wagner.

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde


  • Mich persönlich stösst der Inhalt dieser Oper eher wegen der Frauenfeindlichkeit ab,


    Dein Frauenbild halte ich übrigens für problematisch. Kundry ist nämlich als Opern-Frauenfigur gerdazu revolutionär.

    Was sind denn die üblichen Frauenrollen in der Oper: Diese Frauen definieren sich ausschließlich in Relation zu irgendwelchen Männern. Meistens möchten sie irgendwie gefallen. Oder sonstwie bei Männern Eindruck schinden. Das gilt selbst für "starke" Frauen wie Leonore oder Amelia. Ok, die Königin der Nacht. Aber die ist viel zu hysterisch, um wirklich zu beeindrucken.

    Auf Kundry trifft all das nicht zu. Sie lässt die Ritter alt aussehen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie möchte "dienen", aber nicht den Rittern. Sie ist vergleichbar mit einem männlichen "Helden", der irgendwie in tödliche Schwierigkeiten geraten ist und alles versucht, um da wieder rauszukommen. Solche Männer sind dann ebenfalls ihres "Heldentums" beraubt, sie sind zurück auf dem Boden der Tatsachen und kämpfen nur noch ums Überleben. Die haben dann auch keinen Blick mehr dafür, wie das auf das Umfeld (z.B. die Frauen) wirkt. Sie schonen dabei auch ihren Körper nicht (genau wie Kundry).

    Solche Männer werden bewundert, auch wenn sie am Ende zerschunden sind. Auf dieser Ebene spielt Kundry. Und sie hat genauso das Recht, in ihrem verzweifelten Kampf, in den sie alles reinlegt, was sie hat, bewundert zu werden, so wie das bei Männern der Fall ist.


    Thomas

  • Solche Männer werden bewundert, auch wenn sie am Ende zerschunden sind. Auf dieser Ebene spielt Kundry. Und sie hat genauso das Recht, in ihrem verzweifelten Kampf, in den sie alles reinlegt, was sie hat, bewundert zu werden, so wie das bei Männern der Fall ist.

    Aber warum muss sie dann sterben? Wie ordnest du ihren Tod ein?

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Fast alle einigermaßen "traditionellen" männlichen Helden bei Wagner sterben (Tristan, Kurwenal, Siegmund, Siegfried) und die wesentlichen Frauenfiguren (Senta, Isolde, Brünnhilde) ebenfalls. Das ist nun kein Merkmal, aus dem sich viel über den Stellenwert der Figur ablesen ließe.

    Wenn man in dem pseudo-indischen Bild bleibt, hat Kundry den Kreis ihrer fluchbeladenen Wiedergeburten verlassen, positives Ende. Wenn man in dem pseudochristlichen Bild bleibt, wird sie durch Parsifal miterlöst, auch ein positives Ende.

    Friede, Freude, Eierkuchen in der Zweiraumwohnung kommt bei Wagner nicht vor.
    (Vielleicht bei Meistersinger, aber Walther hat hoffentlich ein paar mehr Zimmer).

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Fast alle einigermaßen "traditionellen" männlichen Helden bei Wagner sterben (Tristan, Kurwenal, Siegmund, Siegfried) und die wesentlichen Frauenfiguren (Senta, Isolde, Brünnhilde) ebenfalls. Das ist nun kein Merkmal, aus dem sich viel über den Stellenwert der Figur ablesen ließe.

    beim Parsifal ist es aber schon bemerkenswert, dass ausgerechnet bei der (weiblichen) Kundry die lebensverlängernde Wirkung des Grals nicht funzt..

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Wenn man in dem pseudo-indischen Bild bleibt, hat Kundry den Kreis ihrer fluchbeladenen Wiedergeburten verlassen, positives Ende. Wenn man in dem pseudochristlichen Bild bleibt, wird sie durch Parsifal miterlöst, auch ein positives Ende.

    Das kommt inzwischen natürlich ganz auf die Inszenierung an. :D
    Im aktuellen Parsifal der Stuttgarter Oper von Calixto Bieito (den ich Karfreitag noch einmal gesehen habe) jedenfalls wird Kundry nicht durch den Tod erlöst, sondern durch Mutterschaft. Beim abschliessenden Bild bleibt sie alleine mit dickem Bauch auf der Bühne zurück und futtert fürs ungeborene Leben, während die debilen Gralsritter dem neuen "Erlöser" und seinem religiösen Tand hinterher hinken. Von wem sie schwanger ist, wird nicht ganz klar; am plausibelsten wäre, dass die gescheiterte Verführung im 2. Akt doch weiter gediehen war als von Wagner vorgesehen. ;)

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Naja, Weiterleben ist für jemanden, der durch ewige Wanderschaft oder obendrein durch vielfache Wiedergeburten zum Weiterleben verflucht wurde, nicht so plastisch als Erlösung darstellbar. Sie irgendwohin entschweben lassen, wäre dann wohl doch ein bißchen platt gewesen.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • die hat Parsifal auch..

    Steht das im Libretto? Oder wie kommst Du darauf?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Es wäre auch verwunderlich, wenn der Antisemit Wagner seine komplexeste und interessanteste Frauenrollen einer Jüdin zuordnet.

    Laut folgendem Artikel:

    http://kult-online.uni-giessen.de/archiv/2009/au…eater-1830-1940

    bezeichnete Wagner selbst Kundry als seine "Ahasvera", ähnliche Zitate gibt es von ihm auch über den Fliegenden Holländer:

    WAGNER: Parsifal – Kunstreligion aus "Noth um den Geschlechtstrieb"? Klangdenkmäler, ungeahnt, edel und voller Kraft?

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Laut folgendem Artikel:

    http://kult-online.uni-giessen.de/arc…nd-musiktheater-1830-1940

    bezeichnete Wagner selbst Kundry als seine "Ahasvera",

    auf die Gefahr hin, alsobald 100%ig widerlegt zu werden:

    m.E. war es nicht Wagner selbst, der Kundry als "Ahasvera" bezeichnet hat. Einen Beleg hab ich nicht finden können. Wahrscheinlich ist eine mißverständliche deutende Kennzeichnung von Drüner als Wagner-Äußerung mißverstanden worden, und dann hats einer vom andern abgeschrieben.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • m.E. war es nicht Wagner selbst, der Kundry als "Ahasvera" bezeichnet hat. Einen Beleg hab ich nicht finden können. Wahrscheinlich ist eine mißverständliche deutende Kennzeichnung von Drüner als Wagner-Äußerung mißverstanden worden, und dann hats einer vom andern abgeschrieben

    So scheint das zu sein. Das Missverständnis, wenn man es denn so nennen will, geht wohl auf Drüners Aufsatz "Judenfiguren bei Richard Wagner" im Sammelband "Judenrollen" zurück, der ja in dem von EinTon verlinkten Text rezensiert wird. Drüner schreibt in diesem Aufsatz auf S.146: Wagner bezeichnete Kundry nicht nur als Herodias, sondern [...] als eine 'Ahasvera', als eine weibliche Form des 'Ewigen Juden', den Heinrich Heine bereits in der Person des fliegenden Holländer diagnostiziert hatte. In der darauf bezogenen Fußnote verweist Drüner als Beleg auf sein eigenes Buch "Schöpfer und Zerstörer. Richard Wagner als Künstler", S. 61ff. Weder dort noch an einer anderen Stelle des Buches wird aber ein Quellenbeleg dafür gebracht, dass Wagner Kundry als "Ahasvera" bezeichnet habe (anders beim Holländer, den Wagner selbst mit dem "Ewigen Juden" assoziiert hat). Auf S. 294 desselben Buchs und wortgleich in seinem Aufsatz "Judenfiguren bei Richard Wagner" auf S. 156 schreibt Drüner nur: Die beiden Inkarnationsformen, als Herodias einerseits und andererseits als Ahasvera, die den Heiland verlachte, charakterisieren Kundry als jüdisch.

    Die von EinTon verlinkte Rezension übernimmt Drüners falsche bzw. missverständliche Angabe bezüglich Wagners vermeintlicher Aussage, und auch sonst finden sich im Netz diverse Belege für die Weiterverbreitung. So läuft's halt, wenn man sich Erkenntnis zusammengoogelt, ohne Quellen und Literatur zu überprüfen.

    Davon mal abgesehen: Dass die Figur der Kundry auf Ahasver Bezug nimmt, kann man nun wirklich nicht bestreiten - sie hat den leidenden Christus verlacht und muss zur Strafe endlos durch die Welt und die Zeiten irren. Das ist ja der Kernbestand der Ahasver-Legende. Dazu braucht man keine entsprechende Äußerung von Wagner selbst. Drüner - der gelegentlich Probleme mit der deutschen Sprache hat - meint mit der Aussage "Wagner bezeichnete" wohl auch kein direktes Zitat Wagners, sondern eben den Passus im zweiten Parsifal-Akt, in dem Kundry sich als "Ahasver(a)" outet: Seit Ewigkeiten harre ich deiner, des Heilands, ach! So spät, den einst ich kühn geschmäht...

    :wink:

    .

  • Ja natürlich ist Kundry eine Ahasver-Figur, aber das ist m.E. nicht per se "antisemitisch". Ich vermute, dass diese Legende eben auch als Ätiologie der Diaspora, die bekanntlich ein historisch realer Zustand war, gedient hat. Das ist bei einem solchen Archetyp aber zweitrangig (zumal eben der Vorwurf der "Christusmörder" eh ein viel schwerwiegenderer antijudaistischer Vorwurf war). Wenn man solch eine Figur haben will, kann man die Ahasver-Assoziation nicht vermeiden. Muss man wegen der Assoziation als Autor solch eine Figur vermeiden? Das wäre absurd.
    Der Holländer, sogar Wotan als Wanderer haben solche Züge. Nimmt man karmische Religionen ernst, geht es den meisten von uns ähnlich. ;) Die Bezeichnung "Urteufelin" und die Rolle als Verführerin könnte darauf hindeuten, dass die Lilith-Figur ein weiterer Aspekt Kundrys ist. (Bei Stefan Heym ist Ahasver auch eine Art gefallener Engel, kein Mensch.)

    Ist "Siegfried" "antideutsch", weil Siegfried ein brutaler Dummling ist (der keine Furcht kennt, bis er auf eine Frau trifft, verklemmt ist er auch noch...)? Sind Wagners Opern "männerfeindlich", weil sich Frauen wie Senta immerhin noch als Erlöserinnen opfern dürfen, während Siegmund, Siegfried oder Kurwenal nahezu sinnlos verheizt werden? (Letzteres übrigens historisch durchaus realistisch...) Ist Parsifal "antichristlich", weil die Gralsgemeinschaft in einem so korrupten Zustand geschildert wird? Das sind doch keine vernünftigen Interpretationsansätze.
    Es ist doch eine Sache, den unbestritttenen Antisemitismus Wagners nicht beschönigen zu wollen, aber eine andere, das Werk quasi nur noch durch diese Brille wahrzunehmen. So in der Art, Ätsch, schon wieder was Antisemitisches zu Tage gefördert! Da muss ich einigen Punkten Ecliticos recht geben.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

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