Gustav Mahler: Kindertotenlieder
Allein die Vorstellung dieser persönlichen Katastrophe möchte man niemandem wünschen – den Tod der eigenen Kinder zu erleben, die Schuldgefühle danach, die quälenden Fragen, wie man es verhindern hätte können.
Und dann liest Gustav Mahler (1860-1911) eine Textsammlung von Kindertotengedichten des deutschen Dichters Friedrich Rückert (1788-1866), die dieser nach dem Scharlachtod seiner beiden jüngsten Kinder 1834 geschrieben hat, und er wird dadurch zu fünf Orchesterliedern für mittlere Singstimme inspiriert, zum letztendlich ersten, dritten und vierten 1901, zum zweiten und fünften dann 1904, als er nach außen hin ein glücklicher Familienvater ist.
Die Antizipation des Todes der eigenen Tochter Maria mit vier Jahren an Diphtherie im Jahr 1907 wird durch ein bekanntes Zitat von Mahlers Frau Alma genährt, die nicht verstehen konnte, dass jemand solche Lieder komponiert, während Kinder vergnügt im Garten spielen.
Uraufgeführt wurden die Kindertotenlieder (Gesamtdauer etwas mehr als 20 Minuten) am 29.1.1905 in Wien unter der Leitung des Komponisten.
Die fünf Lieder:
Nun will die Sonn´ so hell aufgehn
Nun seh´ ich wohl, warum so dunkle Flammen
Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein
Oft denk´ ich, sie sind nur ausgegangen
In diesem Wetter, in diesem Braus
Die Texte der Lieder:
"http://www.marieleneudecker.co.uk/Resources/Kind…7Songs%20on.pdf"
Persönliche Beobachtungen: Zu kammermusikalisch transparentem Orchestersatz (nur das letzte Lied ist üppiger instrumentiert) versuchen die Eltern der verstorbenen Kinder in den großteils fast deklamatorisch erzählenden Liedern (geht man vom dritten Lied aus wohl der Vater, aber der Zyklus wird vielfach auch von Mezzosopranistinnen gesungen), ihrer Fassungslosigkeit und Erschütterung, der Verzweiflung und der Suche nach Erklärungen sowie nach Trost Worte und Töne zu geben. Eine aufsteigende Tonfolge im zweiten Lied mag an Wagners „Tristan und Isolde“ erinnern, und am Ende des fünften Liedes zeichnet sich der Trost für die Hinterbliebenen mit der Gewissheit des Glaubens an die Geborgenheit der Kinder bei Gott ab.
Die nun folgenden persönlichen Höreindrücke gehen davon aus, dass man Betroffenheit nicht messen kann, jede Aufnahme entfaltet ihre individuell sehr berührende künstlerische Anteilnahme für dieses Thema.
Schicksalsschwere 26 Minuten Zeit nimmt sich Leonard Bernstein (CD Box Sony SX12K 89499) in seiner Aufnahme vom 16.2.1960 im St. George Hotel in Brooklyn (New York) mit der amerikanischen Sängerin russisch-jüdischer Herkunft Jennie Tourel (1900-1973). Die Erschütterung überträgt sich, getragen vom gemeinsamen Atem zwischen Sängerin und Orchester, unmittelbar auf den Hörer.
Leonard Bernsteins am 1., 5. und 6.11.1974 im Mann Auditorium in Tel Aviv (Israel) entstandene Aufnahme mit der ungleich dramatischer als Tourel singenden sehr persönlichkeitsstarken 1933 geborenen britischen Mezzosopranistin Janet Baker und dem Israel Philharmonic Orchestra (ebenfalls CD Box Sony SX12K 89499) ist akustisch plastischer, direkter eingefangen. Die Streicher sind hier zurückgedreht. Bernstein gibt sich noch breiter als 1960 dem Schmerz und der Trauer hin, 28 ½ Minuten lang. Unheimlich mutet einmal mehr beim Wiederhören der Text des dritten Liedes an im Hinblick auf den ein paar Jahre nach dem Lied eingetretenen Tod der eigenen Tochter. Bernstein gelingen hier auch magische, ganz große Momente, im zweiten Lied bei „Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen“, und im letzten Lied mit der letzten, der „Troststrophe“.
Das breitflächige, transparente Wiener Klangpanorama, das Lorin Maazel und die Wiener Philharmoniker in ihrer Aufnahme der „Kindertotenlieder“ entwerfen, bettet die mit leichtem Akzent eindringlich deklamierende Agnes Baltsa in eine nahezu verklärend beschützende Hülle ein (CD Box Sony SX14X87874). Maazel nimmt sich ähnlich Bernstein auch viel Zeit, 27 Minuten lang ist ssine Aufnahme, eingespielt zwischen 24. und 30.4.1985 (eine andere Quelle grenzt auf den 25.4.1985 ein) im Wiener Musikverein.
Bei der Monoaufnahme mit Bruno Walter, den Wiener Philharmonikern und der englischen allzu früh an Brustkrebs verstorbenen Altistin Kathleen Ferrier (1912-1953) aus dem Jahr 1949 (4.10. Kingsway Hall, London), 23 ½ Minuten Spieldauer, ist die Solostimme extrem stark in den Vordergrund gerückt (gehört von 4 CD-Set Designo/Membran 222514). Trotzdem hört man das Orchester auch erstaunlich differenziert. Dies ist eine sehr emotionale, leidenschaftliche Interpretation. Kathleen Ferriers markante dunkle Stimme gibt der Betroffenheit eine besonders eindringliche Note, und die Solistin wird von Bruno Walter vehement gefühlsstark dabei unterstützt. Eine starke, sehr unmittelbar berührende Aufnahme.
Leonard Bernsteins Liveaufnahme aus dem Großen Saal im Wiener Musikverein vom Oktober 1988 mit Thomas Hampson und den Wiener Philharmonikern, für CD (aus CD Box DGG 459 080-2 gehört) und Fernsehen (DVD DGG 00440 073 4167) festgehalten, lässt alle im leidenschaftlichsten Sinn im Unglück baden. Bernstein dehnt den Zyklus wie 1974 in Israel auf über 28 Minuten. Hampsons linearer tonreiner Gesang (auch mit sehr sauber geführter Oberstimme) wird von irisierender Wiener Klangschönheit getragen. Dies ergibt nahezu eine Verklärung der Trauer. Die Fernsehaufzeichnung im wie immer bei Bernstein „rot tapezierten“ Musikverein ist streng konservativ und extrem ruhig gehalten: Standbilder auf den Sänger, auf Bernstein und wo Soli gespielt werden auf die jeweiligen Orchestersolisten.
Was mich betrifft so verehre ich Leonard Bernstein, der sich immer total in die Musik fallen lässt über alles, und im Wiener Philharmoniker Klang fühl´ ich mich zu Hause, von den mir bekannten Aufnahmen finde ich was Bernstein betrifft aber die mit Janet Baker und darüber hinaus Ferrier/Walter am eindringlichsten.
Hier ist der Thread für Gustav Mahlers Kindertotenlieder.