Barenboims multiple Millionen

  • Zitat

    Ich memoriere ein Interview aus der FAZ (vielleicht findet es noch jemand), das mit einem Sportler geführt wurde, der sich jetzt um Förderung kümmert.
    "Heute kostet ein Sitzplatz beim Bundesligaspiel mehr als ein Platz mittlerer Güte in der Oper. Nebenkosten mal außen vor.
    Würde man in der Oper die Preise um 10€ pro Platz anheben, dann könnte man mit den Mehreinnahmen allein der Oper Köln etliche Kleinkunst erhalten."
    Ansonsten empfehle ich den Festvortrag von Jochen Malmsheimer zum Zeltfestival 2010.
    Der lässt an Deutlichkeit nix zu wünschen übrig, hat aber nix mit Barenboim zu tun, wäre also genauso off topic.

    Das mag sein, daß eine Bundesligakarte teurer ist, als eine Opernkarte. Zum Rest der Ausführung hat eigentlich ChKoehn schon alles nötige gesagt. Aber Bundesliga war gar nicht der Vergleich. Der Ausgangspunkt meiner Kritik war folgende Aussage:

    Zitat

    Sein Engagement im nahen Osten finde ich nun mal gut. Und das könnte mehr bringen als alle Versuche Dirk Niebels und Konsorten. Dass die Politik ihn mit Geld bedient, geschenkt. Das ist ein Grundproblem in unserer Gesellschaft, dass man Kitas, Schulen und Kleinbühnen ignoriert, aber "sogenannter staatstragender" oder "systemrelevanter " Kunst das Geld hinten rein schiebt. Da ist er kein Deut schlechter oder besser als alle anderen, die ihr Revier bewachen müssen.

    Bei dem ersten und dem letzten Satz sind wir auf einer Linie. Zum "Grundproblem" machen wir doch einfach mal Nägel mit Köpfen:

    Im Haushalt des Landes Bayern betragen die Ausgaben im Jahr 2012

    für das Staatsministerium für Unterricht und Kultus: 9.8 Mrd Euro,
    davon 120 Mio (1.23%) für kirchliche Zwecke und 114 Mio (1.16%) für "Sonstiges"; bleiben etwa 9.5 Mrd. für Schulen, Jugend- und Sportförderung, Erwachsenenbildung und Lehrerfortbildung

    für das Staatsministerium für Wissenschaft und Kultur: 5.5 Mrd Euro,
    davon 2.4 Mrd (43.40%) für Universitäten, 458 Mio (8.38%) für Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften, 578 Mio (10.58%) für Hochschulkliniken, 406 Mio (7.43%) für Forschung außerhalb der Hochschulen, 459 Mio(8.39%) für Ausbildungsförderung und 738 Mio(13.50%) für "Sonstiges"; für den Kultursektor insgesamt (Theater, Musikpflege, Museen und Sammlungen, Bibliotheken und Archive, Kunsthochschulen und Denkmalpflege) bleiben 456 Mio (8.34%)

    Also: Der Kulturetat Bayerns beträgt ungefähr 5% des Etats für Schulisches - exkl. Hoch- und Fachhochschulen. Rechnet man die noch mit, dann bleiben noch etwa 3%. Daß man "Schulen ignoriert", um Geld in "staatstragende Kunst" zu verschwenden, kann ich daraus nicht ersehen. Kitas findet man naheliegenderweise nicht in Länderhaushalten. Aber bei uns "auf dem platten Land" findet man zwar sehr wohl einen Kita-Posten im Gemeindehaushalt, aber 0 Euro für Kultur.

    Notabene: die 20 Mio für Barenboim verteilen sich auf vier Jahre. Davon stand im Tagesspiegelartikel nichts.

    Wie der Kulturetat der Bundesregierung 2012 über 1.2 Mrd Euro ausgegeben wird, findet man hier:
    http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_An…icationFile&v=6

    Daß davon ziemlich viel in und um Berlin hängen bleibt ist ein anderes Kapitel.
    als Kuriosität: Es wird daraus auch der Preis für das beste unverfilmte Drehbuch vergeben: 3 Nominierungen á 5 T€, Preis 10 T€ und 20 T€ Fördermittel für die Fortentwicklung des ausgezeichneten Drehbuchs

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ihr könnt machen was ihr wollt - ich freue mich vor allem und richtig doll über bzw. auf den neuen Kammermusiksaal, in dem dann alle spielen dürfen :)
    Heike

    „Wahrscheinlich werden künftige Generationen sich erinnern, dass dieses Jahrhundert das ,Century of Recordings’ war, in dem die Menschen auf die seltsame Idee verfielen, man könne Musik in kleine Plastikteile einfrieren. Mich erinnert das an die Idee der Ägypter vom Leben nach dem Tod. Eine ungesunde Idee. Studiomusik ist eine Verirrung des 20. Jahrhunderts. Das wird verschwinden.“ (F. Rzewski, Komponist, in der FAZ vom 21.4.2012)


  • Ich stimme Dir zu - bis auf den letzten, von mir hervorgehobenen Satz. Ein eingefleischter Antisemit wird nicht beginnen Juden zu lieben, bloß weil ein Jude für ihn Beethoven oder was auch immer dirigiert.

    Es geht nicht um lieben. Das wäre zuviel und – in der Tat - Illusion.
    Ja, und Hasser von z.B. Juden, Schwulen oder Frauen suchen sowie bloß nach dem, das dem eigenem Autismus dient und diesen inkrustiert.
    Diese bilden auch nicht unbedingt die „Zielgruppe“ von Barenboims Engagement.

    Meine Skepsis erhält - leider! - durch gewisse Vorgänge eine Bestätigung:
    "http://www.pacbi.org/etemplate.php?id=1961"

    Natürlich baut sich durch einem nicht zu unterschätzenden Teil der Araber Feindschaft gegen Barenboim + WEDO auf, weil das nämlich für antisemitische Agitatoren sehr viel bedrohlicher zu werden vermag; Barenboim + WEDO könnten ja möglicherweise doch – wider Erwarten - bei manchen das ressentimentgefüllte Weltbild vom „bösen Israeli“ in Frage stellen; also bedrohlicher als z.B. Stammtisch-Gewäsch von Avigdor Liebermann (an das er vermutlich nicht mal selbst glaubt) oder Geblöck von einigen Extremisten der israelischer Seite aus z.B. Hebron.

    Um so dringlicher das Engagement von Barenboim + WEDO, ohne es zu überschätzen.

    Freuen wir uns auf die deutsche Erstaufführung von Carters Dialogues II zum 70. von Barenboim am kommenden Donnerstag (15. November 2012) übertragen durch Deutschlandradio Kultur + Arte TV ab 20:00.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Vielleicht ganz passend zum Thema, es gab vor kurzem einen SPIEGEL-Artikel bzw. ein Barenboim-Interview zum Thema Nahost, WEDO, Wagner in Israel etc.
    "http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-86486696.html"

    Ähnliches zu seiner WEDO-Motivation, die er selbst nicht für blauäugig hält, hat er auch schon 2003 gesagt:
    Zitat:
    "Ich behaupte ja nicht, das gemeinsame Musizieren sei schon der Frieden. Natürlich kommt es auch dort zu Spannungen und lautstarkem Streit. Das Ganze entstand einfach aus der Überzeugung, dass es für den Nahen Osten keine militärische Lösung gibt. Also werden wir eines Tages zusammenleben müssen, ob es uns gefällt oder nicht. Und wenn wir dieser Meinung sind, müssen wir wenigstens das zusammen tun, was wir können - Musik machen."
    Quelle: "http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-28102418.html"

    Heike

    „Wahrscheinlich werden künftige Generationen sich erinnern, dass dieses Jahrhundert das ,Century of Recordings’ war, in dem die Menschen auf die seltsame Idee verfielen, man könne Musik in kleine Plastikteile einfrieren. Mich erinnert das an die Idee der Ägypter vom Leben nach dem Tod. Eine ungesunde Idee. Studiomusik ist eine Verirrung des 20. Jahrhunderts. Das wird verschwinden.“ (F. Rzewski, Komponist, in der FAZ vom 21.4.2012)

  • Wie der Kulturetat der Bundesregierung 2012 über 1.2 Mrd Euro ausgegeben wird, findet man hier:
    "http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_An…icationFile&v=6

    Ich gebe zu, ich hab auch nach was zu mosern gesucht, aber die 1,5 Millionen € für "Kulturelle Vermittlung", die da ganz am Schluss (Punkt 19) stehen, kommen mir ganz und gar niedlich vor. Wer ist denn besser in der Materie drin und kann mir verraten, was damit abgedeckt bzw. nicht abgedeckt wird? Kriegen bsw. Musikpädagogen, die an von öffentlicher Hand bezuschussten Häusern arbeiten, da auch was von ab? Oder gibt es noch andere Etats, aus denen Musikpädagogen/ Museumspädagogen/ private Früherzieher etc. (die halte ich einfach für derzeit extrem wichtig) was abkriegen?

  • Kriegen bsw. Musikpädagogen, die an von öffentlicher Hand bezuschussten Häusern arbeiten, da auch was von ab? Oder gibt es noch andere Etats, aus denen Musikpädagogen/ Museumspädagogen/ private Früherzieher etc. (die halte ich einfach für derzeit extrem wichtig) was abkriegen?


    Fällt das nicht unter die "Kulturhoheit" der Bundesländer, soweit es sich nicht um Institutionen wie z.B. Stiftung Preußischer Kulturbesitz o.ä. handelt?


    lg vom eifelplatz, Chris.

  • Barenboim Einsatz für Mucke der Zweiten Wiener Schule ist mittlererweise gleichmaßen engegiert, wie durch z.B. Rosbaud, Scherchen, Gielen, Levine......

    Zitat

    Bleibt die Frage, ob Daniel Barenboim ein Lieblingsstück von Berg hat. Normalerweise reagieren Künstler auf diese Frage gern ausweichend und behaupten, dass alle Werke gleichermaßen ihre Lieblingskinder seien. Und was sagt Daniel Barenboim? "Ich liebe alle Stücke", um gleich lächelnd hinzuzufügen. "Aber ich habe eine besondere Liebe zum Kammerkonzert. Ich habe es das erste Mal mit 22 Jahren gespielt. Es war damals total unbekannt und die französische Erstaufführung mit Pierre Boulez. Ich war fasziniert, die Jugendliebe zum Stück ist geblieben."

    "http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-…lutionaere.html"

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Zitat

    Sollte der Konzertplan auf der HP des WEDO vollständig sein, wäre das ein peinliches Ergebnis. Ständig Konzerte in den großen Konzertsälen der Welt, aber in Israel oder arabischen Staaten? Teilweise nicht ein einziges pro Jahr!


    Selbstverständlich kann ein Orchester mit israelischen Mitgliedern (noch dazu mit dezidiert politischer Botschaft) nicht in einem arabischen Land auftreten, da israelische Staatsbürger in arabischen Staaten grundsätzlich keine Einreisegenehmigung erhalten. Daran wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern. (Selbst mit einem israelischen Stempel im Pass, kann man die meisten arabischen Länder nicht betreten, ich weiß, wovon ich rede.)

    Zitat


    Sicher hat der "Tagesspiegel" recht, wenn er von einem "Projekt von internationaler Strahlkraft" spricht, aber wem (außer dem Kulturpolitiker mit Sehnsucht nach einfachen und öffentlichkeitswirksamen Förderprojekten) ist damit geholfen?

    Einfache und klare Antwort: Israel und den Palästinensern. Ich glaube nicht, dass dir die Dimensionen des Projekts auch nur in Ansätzen klar sind. Seit der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen, kann dort jeder Kontakt mit Israelis mit dem Tode bestraft werden. Ein Gespräch mit einem israelischen Soldaten - und das sind die einzigen Israelis, die die Menschen im Gaza-Streifen gewöhnlich zu Gesicht bekommen - kann ausreichen, um mit der Begründung "Kollaboration mit dem Feind" am nächsten Baum aufgeknüpft zu werden. (Und, ja, das passiert auch täglich!) Die palästinensischen Mitglieder des Orchesters riskieren für ihre Musik nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familien. Und die israelischen Mitglieder haben zwar keine Gefahr für Leib und Leben (es sei denn sie betreten zwecks Proben die Palästinensergebiete), aber sie setzen sich massiven Anfeindungen aus. (Als Barenboim sein Projekt in der Knesset vorstellte, schwenkten die Abgeordneten der Rechten Schilder mit der Aufschrift "Musik macht frei", in der rechten Presse gilt Barenboim seither als "jüdischer Nazi.") Wenn diese Leute für ihre Musik bereite sind, Leib und Leben zu riskieren, dann verdient das zunächst einmal größten Respekt, und, ja, auch finanzielle Unterstützung.

    Ich glaube nicht, dass die arabischen Mitglieder des Orchesters Raketen auf Israel schießen, und auch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre direkten Familienmitglieder das tun, ist vermutlich geringer. Eine einzige Rakete abzufangen, kostet mit der derzeitigen Technik ca. 10,000 $. Jede Rakete, die nicht geschossen wird, spart also 10, 000 $. Da kommen die Kosten für so ein Orchester schnell zusammen. Aber selbst, wenn man weniger zynisch ist: Wie um alles in der Welt soll denn im Nahen Osten jemals Verständnis füreinander entstehen, wenn nicht durch gemeinsame Kulturprojekte? Waffenlieferungen haben sich als wenig erfolgreich erwiesen. Und um etwas zu erreichen, braucht es AUFSEHENERREGENDE Kulturprojekte, ein gemeinsames Musikschulorchester reicht da nicht. Sowas ist teuer, aber langfristig vielleicht eine gute Investition.

  • Hui, das Internet vergisst nicht.. Weil du meine Aussagen zitierst: Ich hatte mich da mal vor zwei Jahren oberflächlich informiert und sicher dennoch den Mund zu voll genommen. Das einzige, was seitdem an Wissen dazu gekommen ist, ist leider vor allem, was ich alles nicht weiß. Ich rudere also zurück und lasse mich gern eines Besseren belehren.

  • Entschuldigung für die Thread-Nekromantie, ich bin zufällig über deine längst verjährten Aussagen gestolpert als der Thread mal wieder nach oben gespült wurde. Meine Äußerungen sind nicht persönlich gemeint, im Gegenteil habe den Eindruck, dass deine damaligen Ausführungen durchaus weit verbreitete Vorstellungen über den Nahen Osten darstellen. Da wollte ich es mir nicht nehmen lassen, einmal ein paar Dinge klarzustellen. Auf welche Widerstände hier jede noch so kleine Versöhnungsgeste trifft, ist aus deutscher Sicht kaum vorstellbar. Leider.

  • Die palästinensischen Mitglieder des Orchesters riskieren für ihre Musik nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Familien.

    Gibt es eigentlich irgendwo eine Übersicht über die Herkunft der Orchestermitglieder? Ich frage, weil das einzige Mitglied, das ich persönlich kenne, ein Palästinenser ist, der in Frankfurt am Main geboren wurde. Dürfte aber wohl eher die Ausnahme sein, oder?

    Christian

  • Ursprünglich war ja die Idee, je 50% israelische und 50% palästinensische Mitglieder zu haben. Das hat sich aber soweit ich weiß schnell als nicht realisierbar herausgestellt, da gerade für Palästinenser aus dem Gaza-Streifen die Situation immer schwieriger wurde. Wie genau die Zusammensetzung heute ist, weiß ich nicht, aber ich habe gehört, dass man wohl mit Musikern aus anderen arabischen Ländern "aufgefüllt" hat - was ja immer noch ein enormes Signal darstellt. Dass man da jetzt Leute aus Frankfurt holt, ist hoffentlich nicht die Regel, aber genaueres weiß ich nicht.

  • Nachtrag: Auf der Website des WEDO heisst es (die Sache mit Spanien ist wohl den Sponsoren geschuldet und eigentlich eher unerfreulich):

    Zitat

    Eligible applicants:

    • To be a national or have a background of any of the Arab countries of the Middle East (Egypt, Jordan, Palestine, Lebanon, Syria etc.), Israel or Spain. That is, that any of their blood relatives, up to the second degree, are passport holders of any of the aforementioned countries.

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