Franz Schubert: Die schöne Müllerin op. 25 D 795

  • Ich habe einmal sowohl bei Brigitte Fassbaender, als auch bei Julius Patzak hineingehört, wobei mir die Fassbaender zu aufgesetzt und dramatisch interpretiert, wen sie durchaus auch gewisse Momente hat; bei Patzak gefällt mir allein schon der leicht durchscheinende Wiener Zungenschlag, selbst das er manchmal statt und nur 'un' singt, gefällt mir, sein Interpretation klingt in meinen Ohren überaus interessant und anders. Werde ich mir wohl besorgen.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Liebe Prinzessin!

    Zu Julius Patzak würde ich Dir schon deshalb raten weil er die Aufnahme schon entfernter von seiner Glanzzeit gemacht hat, er ist nicht der Jüngling sondern eher der Müllermeister.

    Übrigens, außerhalb Schubert, besorge Dir seine Wienerlieder, die sind wirklich großartig.

    Ich habe seine Stimme sehr geschätzt, den Herodes hat nur, für mich, Heinz Zednik in seiner Intelligenz, erreicht.

    Liebe Grüße und Handküsse sendet Dir Peter. :wink: :wink:

  • Wer schon mal zur Nr. 1 der Müllerin ( Das Wandern ) zu wandern versucht hat, dürfte es resignierend aufgegeben haben.


    Das ist unter anderem das, was ich meinte, als ich von einem "vorgetäuschten" Volkslied sprach.

    diese Ausgeschlossenheit auch von heiler Volksliedwelt, die nicht mehr gelingen kann, das finde ich schon auch in Schuberts Musik wieder.

    Er hat sie vielfältig ausgedrückt. Ein Beispiel davon ist das Wort "unverstanden" in Mein!. Müller hatte ihn schon hervorgehoben, es ist, mit Ausnahme von "Waldvögelein", das einzige viersilbige Wort in diesem Gedicht mit kurzen Wörtern. Schubert geht schon weiter: er erstreckt es auf zwei Takte, wobei "un" einen ganzen Takt in Anspruch nimmt. In dieser "-ein"Orgie fällt dieses "unverstanden" sofort auf.

    Brigitte Fassbaenders Interpretation ist - wie kann es anders mit ihr sein - gleichzeitig vollblütig und durchdacht. Eine andere weibliche Interpretation finde ich auch sehr gelungen, und zwar diese:

    Hier auch ist das Zusammenspiel von Sängerin und Pianistin beeindruckend. Es ist auch ein Weg, die von Müller im Prolog erwähnte Bühne mit ihren Kulissen musikalisch darzustellen. Stutzmanns Diktion ist nicht so klar wie Fassbenders, gelegentlch verschmiert sie ein bißchen, allerdings ist sie auf ihre lyrischere Art auch sehr überzeugend.
    Daß eine Frau den Zyklus singt, interpretiere ich zweierlei: zum einen war es noch lange im 19ten Jht üblich, junge Männerhelden durch Mezzosopranistinnen darstellen zu lassen (Bellinis Romeo ist auch ein Alt), zum anderen habe ich keinen Einwand dagegen, daß eine Frau Gedichte rezitiert - oder Lieder singt - die von einem Mann geschrieben wurden, seien sie auch so subjektiv. Sie ist halt die Interpretin, nicht der handelnde Ich.

    Ich habe mir auch Wunderlich angehört und zwar in der Absicht, nachdem er einen Prügelhagel bekommen hat, als Ehrenretter zu fungieren. Ist mir nicht gelungen. Wahrscheinlich die am schönsten gesungene Müllerin, aber im Ausdruck minimalistisch. Hubert Giesens Begleitung trägt auch dabei. Neben Moore oder Raucheisen, um nur Pianisten der älteren Generationen zu erwähnen, kann er nicht bestehen.

    Heute früh die Aufnahme von Werner Güra/ Jan Schultsz gehört. Was für ein Kontrast mit Hubert Giesen! Bislang ist Jan Schultsz der Pianist, der seinen Part am effektivsten gestaltet. Er begleitet geradezu symphonisch, zaubert aus seinem Klavier Melodien aus, die in den Mittelstimmen verborgen blieben und zeigt einen feinen Sinn für die Klangperspektive. Leistet sich auch einen Übergang von Pause zu Mit dem grünen Lautenbande, von Der Jäger zu Eifersucht und Stolz. Ich habe aber "begleitet" bewußt geschrieben, da er trotz Reichtums des Klavierparts immer in Verbindung zu der Singstimme bleibt. Keine Klaviersymphonie mit obligater Stimme sondern tatsächlich Lieder für Singstimme und Klavier. Güra hat eine schöne helle Stimme, mit mehr Körper als Schreier aber weniger als Wunderlich. Er hat aber eine viel andere Ausdruckspalette als Wunderlich.

    Jonas Kaufmann/Helmut Deutsch habe ich zwar nicht in der Studio-Aufnahme, sondern in einem 2005 aufgenommenen Konzert. Damals konnte Kaufmann hohe Töne noch piano singen ;) Kaufmann singt schön und ausdrucksstark aber dieser Müllerbursche ist kerngesund, ohne einen Hauch von Selbstzweifel. In Mein! drückt er eine Freude aus, die keinen Widerspruch kennt. In Mit dem grünen Lautenbande karikiert er die Stimme der Müllerin (Schad' um das schöne grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand) so, daß man nicht glauben kann, er sei blind in ihr verliebt. Er hat noch einen gesunden Abstand zum Gegenstand seiner Liebe. Den Jäger fordert er sofort in Duell auf. Und bei Eifersucht und Stolz denkt man, er wird seiner Geliebten ein paar Watschn verpassen, um ihr beizubringen, wie ein anständiges Mädchen sich benimmt. Dieser Müllerbursche ist stark extrovertiert. Wo Patzak in den Farben seinem Zorn Ausdruck verleiht, versteht man, daß es der Zorn eines Introvertierten ist - der dem Jäger gegenüber gar nicht exaltiert war - und daß er sich gegen ihn wenden wird. Bei Kaufmann denkt man aber, am Ende der Bösen Farbe wird er die Tür laut zuknallen. Das gleiche mit Der Müller und der Bach. Wo Patzak sang: du meinst es gut, aber es ist nur eine wohlgemeinte Lüge, singt Kaufmann: du meinst es zwar gut (tatsächlich singt er "zwar"), aber im Grunde hast du keine Ahnung. Des Baches Wiegenlied dann ist zu episodisch: die Strophen sind schön differenziert aber es fehlt gerade das Repetitive, das Inkantatorische. Man könnte das Ende dieser Müllerin so interpretieren:
    Der Müller: du meinst es zwar gut, aber im Grunde hast du keine Ahnung. Jetzt aber leg ich mich hin, sing ruhig weiter
    Der Bach: Ok Boy, du bist müde, diese ganze Gschichte hat dich mitgenommen, aber ich bin dein treuer Freund. Vergiß Mägdelein, Jäger und Blumen. Der Himmel ist so weit, es gibt noch so viel zu erleben und du bist noch so jung. Ruh dich schön aus, morgen ist ein anderer Tag!
    Auch eine Interpretation ...

    Peter, die Aufnahme Patzaks, von der du abrätst, ist die zweite, die er mir Walter Klien gemacht hat. Die befindet sich hier:
    . Sie wurde 1954 aufgenommen und Patzak war tatsächlich nach seinem Zenith. Seine erste Aufnahme, mit Michael Raucheisen, ist 1943 entstanden.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ich habe tatsächlich die alte Patzak-Version mit Raucheisen von 1943 gemeint, weil Philbert sie vorher im Faden schon so angepriesen hat...und er hat Recht damit getan,denke ich.
    Natalie Stutzmann kenne ich ebenfalls, allein schon ihre Stimme selbst fasziniert mich und gibt ihrer Interpretation eine ganz besondere Note, wie ich finde.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Jonas Kaufmann/Helmut Deutsch habe ich zwar nicht in der Studio-Aufnahme, sondern in einem 2005 aufgenommenen Konzert. Damals konnte Kaufmann hohe Töne noch piano singen ;) Kaufmann singt schön und ausdrucksstark aber dieser Müllerbursche ist kerngesund, ohne einen Hauch von Selbstzweifel. In Mein! drückt er eine Freude aus, die keinen Widerspruch kennt. In Mit dem grünen Lautenbande karikiert er die Stimme der Müllerin (Schad' um das schöne grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand) so, daß man nicht glauben kann, er sei blind in ihr verliebt. Er hat noch einen gesunden Abstand zum Gegenstand seiner Liebe. Den Jäger fordert er sofort in Duell auf. Und bei Eifersucht und Stolz denkt man, er wird seiner Geliebten ein paar Watschn verpassen, um ihr beizubringen, wie ein anständiges Mädchen sich benimmt. Dieser Müllerbursche ist stark extrovertiert. Wo Patzak in den Farben seinem Zorn Ausdruck verleiht, versteht man, daß es der Zorn eines Introvertierten ist - der dem Jäger gegenüber gar nicht exaltiert war - und daß er sich gegen ihn wenden wird. Bei Kaufmann denkt man aber, am Ende der Bösen Farbe wird er die Tür laut zuknallen. Das gleiche mit Der Müller und der Bach. Wo Patzak sang: du meinst es gut, aber es ist nur eine wohlgemeinte Lüge, singt Kaufmann: du meinst es zwar gut (tatsächlich singt er "zwar"), aber im Grunde hast du keine Ahnung. Des Baches Wiegenlied dann ist zu episodisch: die Strophen sind schön differenziert aber es fehlt gerade das Repetitive, das Inkantatorische. Man könnte das Ende dieser Müllerin so interpretieren:
    Der Müller: du meinst es zwar gut, aber im Grunde hast du keine Ahnung. Jetzt aber leg ich mich hin, sing ruhig weiter
    Der Bach: Ok Boy, du bist müde, diese ganze Gschichte hat dich mitgenommen, aber ich bin dein treuer Freund. Vergiß Mägdelein, Jäger und Blumen. Der Himmel ist so weit, es gibt noch so viel zu erleben und du bist noch so jung. Ruh dich schön aus, morgen ist ein anderer Tag!
    Auch eine Interpretation ...

    :mlol: Ich habe die Studioversion eben gerade mal wiedergehört und habe auch von ihr einen ganz ähnlichen Eindruck.

    Patzak und Stutzmann werde ich mir wohl mal besorgen müssen. Stutzmanns "Dichterliebe" habe ich und mag ich.

    :wink: Matthias

  • Ich möchte gerne auf Goerne und Eschenbach hinweisen. Ganz viel Klang, ganz viel Zeit (zB In Grün will ich mich kleiden..). Ich mag dieses Timbre sehr, es gefällt mir bei diesem Zyklus besser als dasjenige von Dieskau.

  • Lieber Philbert!

    Ich meine die Aufnahme von 1954 aber ich rate keineswegs ab.

    Julius Patzak hat hier die Weisheit des Älterwerdens reingenommen - und das gefällt mir, vieleicht weil ich auch älter geworden bin, weise noch lange nicht.

    Liebe Grüße sendet Dir Peter. :wink: :wink:

  • Eine eigentümliche Aufnahme der Müllerin ist diese:

    Christoph Prégardien hatte den Zyklus bereits mit Andreas Staier am Hammerflügel eingespielt (darüber wohl später); in dieser Aufnahme vom Oktober 2007 wird er vom Michael Gees am Klavier begleitet. Hier ist allerdings das Wort "Begleitung" fehl am Platze, denn es geht von Gees' Seite um eine aktive Partnerschaft. Der Klavierspieler hat hier tatsächlich eine treibende Rolle, in immer wechselndem Dialog mit der Singstimme.

    Prégardiens Stimme hat aber leider von ihrer Frische deutlich eingebüßt. Das hohe Register ist dünner und einfärbiger geworden und ein Bruch mit dem noch sonoren Medium ist hörbar. Man nehme Wunderlichs Medium und die Höhe des alternden Patzaks und bastle daraus eine Stimme ... Nein, so schlimm ist es nicht, Wasber der Zuhörer sehnt sich nach Prégardiens junge Stimme.

    Die andere Eigentümlichkeit dieser Aufnahme ist daß sie, um den Titel von Walther Dürrs begleitendem Essay zu zitieren "schön verziert" ist (im Essay mit Fragezeichen). Dazu schreibt Dürr

    Zitat

    Die Ornamente, die Christoph Prégardien hier singt, orientieren sich zwar von Typus her an den in Diabellis Druck überlieferten Verzierungen - wo der Sänger sie aber einsetzt und wie er sie im Einzelfall gestaltet, ist ganz seine eigene Erfindung.

    Und hier liegt der Hund begraben. Nicht nur habe ich in immer schwächer werdender Erinnerung Schreier/Shetlers Aufnahme mit "Veränderungen", in frischerer Erinnerung Jan Kobow mit Christoph Hammer, ich habe auch die Aufnahme eines Konzerts von Jean-Paul Fouchécourt mit Alain Planès am Hammerklavier, wo die von Diabelli gedruckte Version gesungen wurde. Leider steht Fouchécourt mit der deutschen Aussprache ziemlich auf Kriegsfuß, immerhin singt er äußerst feinfühlig, mit schlanker aber sicherer Stimme.

    Dies macht den Unterschied zwischen Diabellis "Veränderungen" und Prégardiens "Verzierungen" deutlich. Die Veränderungen sind Änderungen der melodischen Linie, wie sie dem Sänger einfallen könnten; sie scheinen fast "on the fly" zu entstehen. In Eifersucht und Stolz gestattet sich der Pianofortist oktavierte Horn-Echos. Prégardiens Verzierungen sind zusätzliche Ornamente, die meistens in den strophischen Liedern vorkommen, wo sie die Strophen sorgfältig variieren, aber auch in Am Feierabend und Der Neugierige. Die Trennlinie ist subtil aber deutlich. Am deutlichsten in Die liebe Farbe. Hier ist Müller bewußt minimalistisch und Schuberts Vertonung ist so ergreifend, weil sie gerade das Minimalistische auf die Spitze treibt. Schleichen sich "Verzierungen" ein, verliert das Lied von seiner Kraft. Im allgemeinen bringen Prégardiens Verzierungen eine gewisse Preziosität, die Müller/Schuberts sorgfältig konstruierter Volkslied-Ästhetik konträr sind.

    Signifikanterweise findet man keine von Vogl/Diabellis "Veränderungen" in den strophischen Liedern Ungeduld, Morgengruß, Des Müllers Blumen, Tränenregen ... In Mein! allerdings, wo Müller eine "barocke" Konstruktion wählt und Schubert ein verziertes Lied komponiert, gibt es welche. Dort aber schleift Prégardien die Melismen auf "ein Reim allein" ab und das Gruppetto auf "Schöpfung" ist ihm hörbar unbequem.

    In der Tat gewinnt man den Eindruck, daß Prégardiens Ornamente gewiß nicht vom Typus her an Diabellis Veränderungen orientiert sind, sondern eher an die Ästhetik des barocken oder romantischen Belcanto. Was in anderen Liedern Schuberts durchaus legitim ist, aber in der Müllerin gerade nicht.

    Schade, daß Fouchécourt/Planès den Zyklus nicht offiziell aufgenommen haben (mit einem Sprach-coach).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • ...ähnlich wie von Mitsuko Uchida, zu der Bostridge leider eher den spätviktorianischen Dandy abgibt. Sicherlich, auch der kann ein Ausgeschlossener sein, wie Oscar Wilde, aber das erscheint mir dann doch als übergroße Milieuverfremdung/Kontextverschiebung, obwohl ich Bostridges Stimme eigentlich mag.


    Gerade die erste Bostridge-Aufnahme gehört:

    Hier haben wir einen anderen Typ von Ausgeschlossenem: es ist nicht der spätviktorianische Dandy, sondern der Mythomane. Vom Anfang an lebt dieser Müller in seiner Phantasiewelt. Vermutlich ist er ein unscheinbarer Büroangestellter, der sich eine Welt von Mühlen, Müllerinnen und Jägern zurechtdichtet, wo er als Müllerbursche die tragische erste Rolle spielt. In seinen Wahnvorstellungen ist alles derart exaltiert, daß man schon im voraus weiß, das kann keine ländliche Idylle sein, es wird eine flamboyante Tragödie.
    Eine Pause ist nicht erlaubt, in diesem Lied wird alles der - wahrscheinlich feindlichen - Außenwelt heldenhaft verkündet. So aufgerauht ist seine Stimme in Der Jäger, daß man versteht, auch er entstammt der kranken Fantasie. Krankhaft in jedem Fall ist die übertriebene Darstellung in Eifersucht und Stolz, die ans Lächerliche - oder wäre es das Morbide? - grenzt. Die Flamboyanz der Tragödie erreicht ihren Höhepunkt in Die böse Farbe, die in den grellsten Tönen erscheint. Der Mai, der in Trockne Blumen heraufbeschworen wird, ist selbstverständlich der Monat der Revolution: Wahnsinninge aller Länder, vereinigt euch ! Aus dem Grabe eures unscheinbaren Schicksals raus auf die Straße !

    Daß Fischer-Dieskau die nicht vertonten Lieder vorträgt, ist nicht unbedingt im Sinne des Komponisten. Allerdings ist nach dieser Vorstellung eine Dosis nicht-subtiler Ironie mehr als willkommen.


    Graham Johnsons Klavierspiel ist eloquent, wenn aber wenig subtil. Schöne Farben zaubert er in Wohin?, in Tränenregen leistet er sich einige "Veränderungen". Etwas zu spielerisch für dieses Seelendrama ist er in Mit dem grünen Lautenbande.

    Einen größeren Kontrast könnte es mit der Aufnahme von Olaf Bär nicht geben:

    Der Bariton stellt uns den introvertierten Müller vor. Wenn man die Partitur liest, merkt man, daß die meisten eingetragenen dynamischen Anweisungen p oder pp sind. Dies wird von Bär umgesetzt. Auch mit dem neben Wunderlich vielleicht schönstem Timbre. Glücklicherweise hat er mit Geoffrey Parsons den weit überlegenen Partner, der eine sehr britische Kunst des understatement umsetzt, die die feinsten Details beleuchtet (die Todesglocke in Trockne Blumen z.B.), ohne daß etwas zu sehr herausstechen würde. Dies korrespondiert wunderbar mit dem nuancierten Vortrag Olaf Bärs, der mit präziser Phrasieriung und seinen stimmlichen Farben die Lieder im Sinne Sonnleithners (lyrisch, nicht dramatisch) singt. Schön, wie er die strophischen Lieder differenziert, indem er jeder Strophe eine leicht andere Farbe gibt (meisterhaft: Die liebe Farbe).
    Hier hat man eine fast stille Tragödie, die aber umso mehr bewegt.

    P.S. Das Autograph von Ungeduld, Morgengruß, Des Müllers Blumen in transponierten Fassungen, das lange als verschollen galt und nur von Max Friedländers Beschreibung bekannt war, ist in der Sammlung von Hans P. Wertitsch aufgetaucht und befindet sich jetzt im Archiv der Wienbibliothek im Rathaus. Wie alle dort befindliche Schubert-Manuskripte ist es auch online auf
    "http://www.schubert-online.at" zu sehen.

    P.P.S. Als Nachtrag zum Thema Ironie - Ungeduld mit seinem exaltierten Ton und seinem fanfarenähnlichen Schluß ist ein Beispiel Schubertscher Ironie. Ähnlich wie Müller schmunzelt er über den Ton der Liebesromanzen.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Christoph Prégardiens erste Aufnahme mit Andreas Staier am Hammerflügel ist vor kurzem wieder aufgelegt worden:
    bzw. .
    Inzwischen ist sie 20 Jahre alt. Prégardien war damals in seinen besten Jahren. Zwar ohne den tenoralen Schmelz eines Wunderlichs hat seine Stimme eine schöne Farbe und - noch - keine Höhenprobleme. Dennoch vermag diese Müllerin nicht, mich ganz zu überzeugen. Beide Interpreten scheinen seltsam unbeteiligt. Ausdruckseinsätze kommen erwartet. Eine Akzentuierung hier, eine Färbung da, wo man sich in der Partitur ein rotes Kreuzchen gezeichnet hat: "O binde von der Stirn dir ab das grüne, grüne Band" in Die böse Farbe zum Beispiel oder "die Blümlein alle, die sie mir gab" in Trockne Blumen. Die Wiederholungen von "war es also gemeint" in Halt, von "Allen eine gute Nacht" in Am Feierabend sind total undifferenziert. Der Neugierige ist ziemlich blaß, da kommen in Ungeduld heroische Töne, die sich Strophe für Strophe wiederholen, bis in der letzten Strophe Zärtlichkeit in "Dein ist mein Herz"kommt (ich habe es lieber, wenn vom Neugierigen her der Ton etwas schüchtern ist, dann von Strophe zu Strophe sich steigert - man kann es auch anders machen aber alle Strophen bis auf die letzte gleich zu gestalten ist nicht genug). In Tränenregen geht der Satz "sie sprach 'es kommt ein Regen, ade, ich geh nach Haus' " einfach vorbei. Mein! ist besonders ausdrucksarm, Mit dem grünen Lautenbande hat nicht die Spannung, die man nochmalerweise nach Pause erwarten kann (und hier ist Schubert musikdramatisch besonders geschickt), Der Jäger wirkt fast abwesend, bis im Nachspiel Staier neue Farben zaubert.
    Bei ihm gilt auch der Eindruck, hier und da hat er sich ein Kreuzchen gezeichnet, besonders in den Nachspielen. Sonst klingt er auch ziemlich abwesend, am deutlichsten in Wohin und überall da, wo der Klaviersatz zu einer Pulsion reduziert wird, die er ganz mechanisch markiert.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Ich habe eine Aufnahme mit Hermann Prey nochmals - trotz schlechter Erfahrungen- gehört und gesehen (ein Video) :

    "

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    "

    Piano : Leonard Hokanson

    Prey wird ja gerne immer als Naturbursche hingestellt, für so manchen deshalb angeblich der Inbegriff des Müllerburschen, jedenfalls, empfinde ich Prey als äußerst unnatürlich sowohl in Stimme als auch Interpretation, es ist eine aufgesetzte Natürlichkeit, eine Art künstliche-biedere Tümelei. Was andere Aufnahmen mit ihm angeht, kann ich aber nichts sagen.
    Weil ich es beim Hören der Prey-Version auffiel, ich sehe den Müllerburschen nicht als als sog. Naturburschen, dazu erscheint mir alles viel zu lyrisch und empfindsam, Natürlichkeit ja, aber das sollte doch nicht mit tümelnder Kumpelhaftigkeit verwechselt werden. In dem Sinne ist der Beitrag 37 von Philbert immer wieder interessant. Es ist wohl von Interesse ist, wie Müller und Schubert, wie ein Interpret das Werk versteht, aber auch wie man selbst das sieht und diese Auffassungen oder Empfindungen dann korrelieren.


    Auschnitte aus der Pears/Britten-Version haben mich anfangs eher irritiert, Pears kam mir so exaltiert vor, so überrumpelnd, wogegen ich Brittens Begleitung als sehr stimmig empfunden habe. Pears machte für mein Gefühl einfach ein wenig "to much", es wirkte auch nicht so sehr natürlich.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Bekam heute eine Werbung für Olaf Baers Winterreise und Schöne Müllerin und war nahe dran, sie zu bestellen. Nach dieser positiven Rezension von Philbert (vielen Dank dafür), werde ich das wohl nun wirklich tun. Hat ihn eigentlich schon jemand live erlebt?

    :wink: Ingrid

  • In dieser Box ist auch Wunderlichs "erste" Müllerin von 1957 enthalten. Damals wurde er von Kurt Heinz Stolze begleitet. Die Aufnahme ist noch nicht so ausgereift, aber besticht gerade durch ihren naiveren Zugang.

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • besticht gerade durch ihren naiveren Zugang. " Ja, die Stimme war immer schön , die Technik verbesserungsfähig ( was Wunderlich ja auch geleistet hat). Seine letzte Aufnahme mit Giesen leidet nicht nur an diesem, sondern daran, dass er längst dabei war, ins italienische Fach zu gehen ( Alfredo, 1965,hervorragend). Gut solche Oper singen und Lieder zugleich ist eine Kunst, die meist nicht gelingt.

    Protschka, der eine sehr schone Aufnahme der Müllerin gemacht hat, ist stimmlich gescheitert , als er sich den Florestan angetan hat.

    Blochwitz hat den Kreis des lyrischen Tenors nicht verlassen, ebenfalls eine wunderbare Müllerin, aber seine Karriere war sehr kurz.

  • Wie in Post 20 , bereits Vorgestellt ist dies im Moment immer noch meine Lieblings Aufnahme !

    Das vorletzte Lied "Der Müller und der Bach " ist mein Lieblings Lied und er braucht für das Lied ca . 40 sek .länger as viele andere (zu meinem Vergnügen ).
    Aber wie er das singt , das ist der reinste Gefuehlsrausch, und mit einer Zartheit und Resignation . Dann der Bach, mit einer Innigkeit , als wollte er sagen
    überlegt es dir noch einmal . Aber alles umsonst ! Oder ?

    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

  • Gerade Daniel Behle wieder gehört

    Daniel Behle wurde schon als "der neue Wunderlich" gepriesen. Klar, wer nicht? Peter Schreier hat beweisen können, daß kein neuer Irgendwer ist, sondern der erste und einzige Peter Schreier. Jonas Kaufmann hat sich entschieden, eher der neue Windgassen zu sein. Nun, Daniel Behle.
    Wir werden noch etwas länger warten müssen, bis ein neuer Wunderlich kommt. Behle wäre eher ein neuer Erb, ein neuer Patzak, ein neuer Häfliger mit seiner obentonreichen Stimme und seiner eher nasalen Tongebung. Ob er so lange halten wird wie Patzak oder Häfliger frage ich mich dennoch, denn seine Technik wirft einige Fragen auf. Er scheint, sehr tief mit dem Kopfregister anzufangen, so daß er ein tiefes Passaggio hat. Und gerade dieses Passaggio ist nicht immer sehr sicher.

    Dies wirkt sich schon in Der Neugierige aus, dem das Gewicht fehlt. Im zweiten Teil des Zyklus kommen immer wieder Lieder, die zu leichtgewichtig gesungen werden, nicht zuletzt Trockne Blumen oder Der Müller und der Bach. Dies gesellt sich zu seiner Herangehensweise: positivistisch, nicht dramabeladen. Was man auch am Anfang gut verstehen kann: eine gewisse optimistische Unschuld, warum nicht? Leider bleibt diese Unschuld lange bestehen, was zu undifferenzierten Guten Morgen, des Müllers Blumen und Tränenregen führt. In Mein hat er aber die Flexibilität, alle Verzierungen durchzuführen. Bald wieder kommt diese kursive Art des Lesens. Zwar ist es volksliedähnlich, aber im Unterschied zu Schreier, der den Volksliedton bewußt einsetzte, um Schattierungen umso besser herausarbeiten zu können (was Schubert kompositorisch tut), scheint es bei Behle eher aus Sorglosikeit, Oberflächlichkeit zu passieren. Oder eben daher, daß sein intensiv benutzter Kopfregister nicht so modulationsfähig ist.

    Im als Zugabe hinzugefügten Auf dem Strome ist es noch frappierender. Dieses quasi-strophische Lied mit langen Phrasen und den fein ausgearbeiteten Details verlangt mehr, als Behle zur Zeit instande ist, einzusetzen. Peter Schreier war hier auch viel überzeugender. Und wenn man den Kopfregister tief einsetzt, ist man für die hohen Töne ins Falsetto gedrängt, was hier beim h' nicht besonders schön gelingt (der höchste Ton der Müllerin ist ein a').

    Das nasale Timbre ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Meinem Kanarienvogel hat es sehr gefallen (aber meine Espresso-Maschine gefällt ihm gleichermaßen).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Heute diese angehört :

    Ich habe Goernes Schubert ja durchaus gerne, seinen Schwangengesang, die Winterreise(n) und die "losen" anderen Lieder, aber ich finde, er ist besser in den dramatische, melancholischen Stücken.
    Bei der Müllerin fehlt mir hier an manchen Stellen eine gewisse Lockerheit, das Strahlen, der Burschen-Faktor sozusagen. Am besten gelingt ihm das noch beim einleitenden "Das Wandern" und "Halt". Manches ist sehr druckvoll, besonders gut gelingt ihm meiner Meinung nach "Am Feierabend".
    Bei "Mein!" wirkt er allzu gehetzt und die Stimme klingt zu oft eher holperig. Auch beim "Jäger" wirkt seine Stimme trotz Schnelligkeit schwer und behäbig. In der "Bösen Farbe" legt er den Schwerpunkt auf "mich armen, armen WEIßEN Mann", dass ich fast schon wieder etwas zu offensichtlich und als Drosselung des Flusses empfinde.
    Bei den ruhigeren Liedern ist Goerne eher in seinem Element, wie ich finde, besonders "Des Baches Wiegenlied" halte ich wieder für sehr gelungen.
    Eschenbach am Piano spielt auch eher vordergründig, wenig subtil, deswegen auch nicht besonders außergewöhnlich. Es wird gehämmert oder geschleppt.
    Insgesamt durchwachsen, Goerne gefällt mir, wie gesagt, woanders besser.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"


  • Die Goerne-Eschenbach Müllerin hatte ich lange nicht gehört. Wohl, weil ich in diesem Zyklus lieber eine Tenorstimme höre. Matthias Goerne ist ein Baßbariton mit dunkler Farbe und kann Die schöne Müllerin nicht in der Linie von Wunderlich oder Schreier interpretieren. Tut er auch nicht.

    Der Müllerbursche, der Außenseiter, ist bei ihm ein Träumer, ein introvertierter Dichter. Das merkt man schon bei Wohin?, wo die jugendliche Energie fehlt. Aber bei
    Das kann kein Rauschen sein
    Es singen wohl die Nixen
    Tief unten ihren Reim
    hat man die Bestätigung: für ihn ist der Traum wichtiger als die Wahrheit. Es kann nicht die Stimme der Natur sein, es sind fantastische Wesen am Werke, die einen bezaubern.
    In Halt! hat man die Illustration davon: Eine Mühle sieht er zwar, aber diese Mühle hat sofort die Attribute des Idealen: das Haus, wie so traulich, die Fenster wie blank, und die Sonne wie helle ... Kaum hat er die Mühle gesehen, schon ist sie eine Traumvision, und er fragt sich "war es also gemeint?". In Danksagung an dem Bach ist er wieder in seiner inneren Traumwelt. Erster Konflikt mit der Realität: Am Feierabend. Die Hammerschläge des Klaviers werden härter. Am Ende des da capo, bei der letzten Wiederholung von Daß die schöne Müllerin merkte meinen treuen Sinn hat er sich wieder in seinen Traum verflüchtigt. Den Ton wird sanfter, ein diminuendo setzt an, das sich im Klaviernachspiel fortsetzt, bis zwei Hammerschläge die Realität zurückbringen.
    Diese Traumatmosphäre erreicht Goerne mit seiner vielfarbigen samtenen Stimme. Sein langer Atem ermöglicht ihm lange legato Bögen und ein ruhiges, verträumtes Tempo.
    Der Neugierige ist völlig in diese Traumwelt getaucht, Eschenbachs Klavier setzt Nuancen ein, wie z.B. seine Betonung von ein Wörtchen.

    In Ungeduld hat man den ersten Versuch in Extroversion: der Müller geht buchstäblich aus sich hinaus. Das Klavier hämmert wieder - aber so wohlklingend! - bis am Ende der Müller merkt, er erreicht trotzdem die Müllerin nicht (und sie merkt nichts von all dem bangen Treiben). Morgengruß fängt etwas entschlossen an, aber bei so muß ich wieder gehen verkriecht der Müller sich in seine Traumwelt zurück. Die letzte Strophe bringt den zaghaften Versuch, aus der Traumwelt zu gehen aber die letzten Verse Die Lerche wirbelt ... bringen wieder dichterische Bilder und Leid und Sorgen, die Welt der dichterischen Phantasie. Diese Welt verläßt man nicht in Des Müllers Blumen. Diese drei strophischen Lieder (Morgengruß, Des Müllers Blumen, Tränenregen) sind hier wie der langsame Satz eines Mozartschen Klavierkonzerts interpretiert: fein, delikat, nuancenreich.

    In Tränenregen ist man voll in der "romantischen" Traumwelt: Zweisamkeit im Mondenschein, Bachgeflüster ... romantische Selbstmordgedanken sind auch da (es gibt hier keinen Grund dafür, aber sie gehören einfach zur Phantasiewelt der Romantiker): in seine Tiefe ziehn, wo Eschenbach die tiefen Klänge hervorhebt. Am Ende ist es der Müllerin zuviel. Ade, ich geh nach Haus. Ich kehre zurück in die reale Welt.

    Die Müllersche Ironie ist hier mit Schuberts Sympathie kombiniert: Goernes Müller ist der romantische Dichter, der in seiner Welt von blauen Blümchen, Mondenschein und Sehnsucht lebt. Einfache Freude kennt er nicht. Wenn Goerne singt
    Meiner Sehnsucht allerheißesten Schmerz
    Durft ich aushauchen in Liederscherz
    wünscht man, er sänge Schuberts Lesefehler (?) Liederschmerz, den andere Ausgaben wiedergeben. Denn er macht es glaubhaft, daß des Müllers Welt eine erdichtete ist.
    Ach, wie groß ist wohl meines Glückes Last
    Er kann buchstäblich mit dem Glück nicht umgehen.
    Goerne drückt es aus mit seinen schönen lyrischen legato Melodien, die von Eschenbach in den vorgeschriebenen p und pp dynamischen Abstufungen begleitet werden. Da er die einzelnen Wörter nicht überbetont, nimmt man die Sätze einfach direkter wahr. Auch daß die Müllerin und (in seinem einzigen Satz) ihr Vater sich natürlicher, ungeschminkter ausdrücken. Wenn der Müller sich daran versucht (in Der Jäger, abschnittsweise in Eifersucht und Stolz), hat er schnell Angst vor der eigenen Courage (doch sag ihr nicht, hörst du, kein Wort ...).

    In dieser Interpretation kann man sich vorstellen, daß die Müllerin tatsächlich mit dem Burschen kurz etwas gehabt hat (vielleicht nur einen Kuß, vielleicht etwas mehr), aber daß sie keine blauen Blümchen und Weltschmerz sucht, sondern einfach Fröhlichkeit und Glück - und es mit dem Jäger eher findet (wenn von dem Fang der Jäger lustig zieht nach Haus ...). In dem Sinne versteht man auch, warum Schubert ein paar Gedichte weggelassen hat. Das Mädchen ist nicht die böse Zicke, als die sie in den weggelassenen Gedichten dargestellt ist, sondern vielleicht einfach ein nettes unkompliziertes Mädchen und der Müller selber zieht es vor, sich in seine Traumwelt inklusive Weltschmerz zu flüchten.

    Das drückt er in Die liebe Farbe aus. Das poetische Grün ist das Reich, wo er vor Schmerz vergehen will. Leider ist das Grün auch ein reales Grün, die böse Farbe. Letzter Konflikt mit der Realität: das dichterische Grün, das er in Mit dem grünen Lautenbande gesungen hat, entspricht nicht der realen Welt, wo er eben ein weißer Mann ist.
    In Der Müller und der Bach ist die erste Strophe von bellinihafter Schönheit, so daß die zweite wie eine verzierte Variante erscheint, die diese pure Schönheit etwas überfrachtet, was der Müller kommentiert: liebes Bächlein, du meinst es so gut, aber weißt Du, wie Liebe tut?

    Das letzte Lied ist leicht programmatisch: die ersten Akkorde werden "gehämmert", die reale Welt ist noch da. Der Bach singt aber eine Melodie der Traumwelt, wo Elemente dieser Welt auch ihren Platz haben (in dem blauen kristallenen Kämmerlein). Erst nach daß ich die Augen ihm halte bedeckt werden die Akkorde sanft angeschlagen, die reale Welt verschwindet. Der Vollmond kann steigen.

    Eine schöne Interpretation, die auch viele Türen öffnet: die Ironie den romantischen Dichtern gegenüber aber auch eine tief empfundene Sympathie, gar Empathie für sie; die Flucht aus der realen Welt in die Welt der Träume, der Dichtung, die nicht kritisiert geschweige denn getadelt wird, weil sie in der Zeit des Vormärz auch eine Realität, fast eine Notwendigkeit und im Kreise der Schubertianer allgegenwärtig war (bspw. der Dichter Mayrhofer).

    Dies kann Goerne mit seiner schönen farbenreichen Stimme machen. Hier hat er tatsächlich einen endlosen Atem, was Eschenbach teilweise zu einer richterhaften Langsamkeit zwingt, zu einem kontemplatorischen Spiel, das er unauffällig aber überzeugend meistert. Ich kann nicht nachvollziehen, daß man ihn "wenig subtil" finden kann. Seine Phrasierung, die leichten Akzente, die er gibt, der feinfühlige Anschlag, der in den strophischen Liedern zur Differenzierung beiträgt, die Art, wie er die Modulationen wirken läßt, ist alles andere als plakativ. Zwar hämmert er auch, aber immer mit Bedacht und mit einem schönen glockenhaften Klang.

    Ein einziger Wermutstropfen: Obwohl Goerne hier Endkonsonanten nicht wie oft sonst verschluckt, ist er mit Doppelkonsonanten noch nicht befreundet: Und die Sone wie häle vom Himel sie scheint hätte vermieden werden können. Auch flanzen und Feife. Man sollte einfach darüber hinweghören, um eine Interpretation zu genießen, die sicher andere nicht obsolet macht, aber in sich schlüssig ist und sehr überzeugend dargeboten wird.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Da mir die Winterreise des Duos Boesch/Martineau so sehr gefallen hat, habe ich mir nun auch mal ihre Müllerin gegönnt:

    Ich muss sagen, hinsichtlich meines bescheidenen Überblicks über einige verschiedene Aufnahmen dieses Zyklus', so ungefähr das "abweichenste", was ich bisher gehört habe. Trotz der Heterogenität der verschiedenen Interpretationen habe ich doch zumindest oft eine gewisse rote Linie erkannt, die mal hier mal da mehr oder weniger kurz und intensiv verlassen wurde, diese Aufnahme verlässt den Pfad nach meiner Empfindung mit großen selbstbewussten Schritten und schlägt sich durchs Unterholz sozusagen.
    Zuallerest würde ich das am allgemeinen Tempo festmachen, ein strammer Gang, kein Flanieren, fast etwas Getriebenes. An zweiter Stelle steht für mich exorbitant der äußerst expressive Zugriff von Martineau, nervös, affiziert-affektiv, fast triebhaft emotional und sehr kleinteilig. Ob Boeschs Gesang sich in dieser Getriebenheit nun daran anschließt oder umgekehrt ist vielleicht gar keine Frage, weil es genauso als Einheit gesehen werden kann, die sich gegenseitig bedingt. Was auffällt ist, eigentlich ein großer Kontrast, ist Boeschs sehr natürliche ungezwungene fast reine, eben unverstellte Vortragsweise (aber zum Glück keine tümelnde Naturbuschen-Attitüde, die so recht das Gegenteil davon wäre). Das erste Mal habe ich das Gefühl, dass mir hier niemand seine subjektive empfundene Geschichte erzählen will und das finde ich bemerkenswert gut.
    Das scheinbar gegen den Strich gebürstete zeigt sich z.B. bei "Mein!", wo der Wechsel zwischen schnellerem und langsameren Tempo und gesanglichen Betonungen der Passagen gegenüber der mir bisher begannten recht einheitlichen Form anderer Interpretationen regelrecht umgekehrt wird.
    Sehr, sehr interessant und gut insgesamt!

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

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