Meyerbeer: In den Himmel gelobt – zur Hölle gewünscht
O Fortuna velut luna statu variabilis!
Die Anfangszeilen aus Carl Orffs "Carmina Burana", welche über die Wechselhaftigkeit des Schicksals klagen, könnten auch als Motto über der Geschichte des Werkes von Giacomo Meyerbeer stehen. Der 1791 nahe der preußischen Hauptstadt Berlin geborene Komponist amalgamisierte die kompositorischen Traditionen Deutschlands, Frankreichs und Italiens zur Form der über ein halbes Jahrhundert in ganz Europa beispiellos erfolgreichen "Grand Opéra". Im Zuge nationalistischer Tendenzen und des um sich greifenden Antisemitismus wurde der jüdische Kosmopolit daher zur Zielscheibe von Hass und Spott, zudem legte sich der lange Schatten des Wagnerschen Musikdramas über Meyerbeers Oeuvre. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden seine Werke schon immer weniger gespielt, so dass die Ächtung durch die Nationalsozialisten nach 1933 lediglich als ideologischer Nachvollzug des Verlöschens einer ganzen Opernepoche erschien.
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Der als Jakob Meyer Beer geborene Sohn eines Zuckerfabrikanten und Bankiers galt in seiner frühen Jugend als eine Art musikalisches Wunderkind, das bereits im Alter von 9 Jahren als Pianist in der Öffentlichkeit konzertierte (einer seiner Lehrer war der Komponist Muzio Clementi). Seine kompositorischen Studien vervollständigte er bei Carl Friedrich Zelter und ab 1810 bei Abbé Vogler in Darmstadt, wo Carl Maria von Weber sein Mitschüler wurde. Nach einigen kirchenmusikalischen Kompositionen wandte er sich seiner eigentlichen Berufung, der Schöpfung dramatischer Werke, zu.
Dem Erstling "Jephtas Gelübde" war 1812 in München allerdings kein großer Erfolg beschieden, ebenso wie seinem Bühnenwerk "Die beiden Kalifen", das er nach einem längeren Studienaufenthalt bei Antonio Salieri in Wien komponiert hatte. In Paris und Italien lernte Meyerbeer 1814/15 die Musik Gioacchino Rossinis kennen, unter deren Einluss sein Stil gefälliger, extrovertierter und effektvoller wurde. In Italien schrieb er daraufhin eine Reihe von Opern, von denen heute allerdings nur noch "Margherita d´Anjou" und "Il Crociato in Egitto" eine gewisse Bekanntheit beanspruchen können.
Nach seinen italienischen Lehr- und Wanderjahren ließ sich Meyerbeer 1824 in Paris nieder. Dank seines Librettisten Eugène Scribe - Meister der "pièce bien faite", einer Gattung von fließbandartig produzierten, publikumswirksam konstruierten Erfolgsstücken - und seiner ebenso publikumswirksamen, effektvoll-packenden Kompositionsweise wurde der 1831 uraufgeführte "Robert le Diable" zum Durchbruch Meyerbeers auf den Bühnen von Paris und ganz Europas. Seinen Siegeszug setzte er 1836 mit seinem wohl bis heute bekanntesten Werk "Les Huguenots" (Libretto ebenfalls von Scribe) fort, in dem er seine kompositorischen und dramatischen Mittel perfektionierte und das Werk so zu einem Höhepunkt der französischen "Grand Opéra" machte.
Friedrich-Wilhelm IV. ernannte Meyerbeer 1842 zum Nachfolger Spontinis als preußischer Generalmusikdirektor. Nach kleineren Gelegenheitswerken, die sein Amt als GMD mit sich brachte, sowie der Oper "Das Feldlager in Schlesien" (1844) wurde 1849 seine dritte große Oper "Le Prophète" in Paris sehr erfolgreich uraufgeführt. Die letzten Lebensjahre Meyerbeers (er war von seinem GMD-Pflichten auf unbegrenzte Zeit beurlaubt worden) waren von einem ständigen Pendeln zwischen Paris und Berlin geprägt. Sein "Feldlager" arbeitete er für Paris zur Oper "L´étoile du nord" um, daneben schrieb er noch die komische Oper "Dinorah", die 1856 aus der Taufe gehoben wurde.
Inmitten der Vorbereitung für die erste Aufführung seiner "L´Africaine", die er bereits 1844 fertiggestellt, aber bislang nicht veröffentlicht hatte, starb Meyerbeer überraschend am 02. Mai 1864. Ein Jahr nach seiner Beisetzung, die seinem letzten Willen entsprechend nicht in Paris, sondern in Berlin stattfand, gelangte das Werk an der Pariser Oper unter dem Dirigenten François-Joseph Fétis zu seiner triumphal gefeierten Premiere.
Es gibt sicherlich mehrere Gründe dafür, daß Meyerbeer seit Ende des 1. Weltkriegs weitgehend von den nationalen wie internationalen Spielplänen verschwunden ist:
- Wandel in der Ästhetik:
Die "Grand Opéra" als auf theatralische Wirksamkeit hin komponierter großer Bilderbogen, in dem spektakuläre Massenaufmärsche direkt neben intimen Liebesszenen stehen, wurde durch das Aufkommen des Wagnerschen Musikdramas verdrängt und als überholt betrachtet. Wagners Konzept von der Verschmelzung von Wort und Musik zum "Drama" mit tendenziell gesellschaftsverändernder Absicht fußt auf völlig anderen Ideen und Voraussetzungen als die Kunst Meyerbeers. Und so legte die Musikkritik (insbesondere in Deutschland) Anfang des 20. Jahrhunderts fälschlicherweise die Wagnersche Meßlatte an und kam zu dem negativen Urteil, das Wagner bereits in seinem für Meyerbeer tödlichen Verdikt von der "Wirkung ohne Ursache" gefällt hatte. Hier als Kostprobe ein paar Ausschnitte aus dem berühmten Buch "Die Oper" von Oskar Bie (erstmals erschienen 1913, S. 287 f.):
"Aber nun, da wir in die Regionen Meyerbeers eintreten, wird es bedenklicher. Hier lehnt sich etwas in uns auf... Aber Meyerbeer war ein so großer Verführer, daß er das Genre vor allen Gewissenhaften kompromittieren mußte... Er kennt kein Prinzip als: das äußerlich Dankbare. Seine Texte sind raffinierte Möglichkeiten schlagender Wirkungen, wie ein Varietéprogramm zusammengesetzt aus Effekt auf Effekt... Je größer der Aplomb dieser historischen Opern war, je anspruchsvoller sie bedeutende Bilder der Geschichte zu malen vorgaben, desto windiger war ihr Druck, eine Luftbewegung, die alles niederriß, und doch nur Luft blieb... Damals fühlte das fast niemand, man warf sich bäuchlings vor diesem Doppelmoloch auf den Boden. Wagner hat zuerst im großen Stile das Opfer geweigert, etwas heftig, aber doch aus einem ehrlichen und tiefen Ekel, der zuletzt mehr gilt als aller Schaubudenlärm."
- Meyerbeer, der Jude:
Meyerbeer stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in Berlin, reiste viel in seiner Jugend in Europa herum, verbrachte kompositorische Studienjahre in Italien, hatte den allergrößten Erfolg in der kulturellen Hauptadt des 19. Jahrhunderts (Paris) und wurde dann auch noch in seiner Geburtsstadt preußischer Generalmusikdirektor. Ein kosmopolitischer Komponist also, der in seiner Person und Musik die drei wichtigsten europäischen Operntradtionen vereinigte. Und damit genau das Feindbild des auch in der Musik aufkommenden Nationalismus.
Robert Schumann hielt ihn für einen Stil-Eklektiker von höchster Nicht-Originalität und es empörte den gläubigen Protestanten zutiefst, daß Meyerbeer in seinen "Hugenotten" den Luther-Choral "Ein feste Burg ist unser Gott" als musikalisches Ausgangsmaterial verwendet hatte. Der Dichter Ludwig Rellstab wiederum geißelte Meyerbeer als "Franzosenfreund", der keine deutsche Musik schreiben könne. Wagner führte Meyerbeer in seiner Hetzschrift "Das Judentum in der Musik" schließlich als Prototypen des Juden vor, der zu keiner originär deutschen Kunst fähig sei. Ein Diktum, das nachwirkte. Als der Antisemitismus im Nationalsozialismus von der Theorie in mörderische Praxis umgesetzt wurde, bedurfte es kaum noch eines offiziellen Verbotes wie im Fall Mendelssohn. Meyerbeer wurde ohnehin nicht mehr gespielt.
- Meyerbeers technisch anspruchsvolle Musik:
Meyerbeers Opern erfordern nicht nur szenisch einen hohen Aufwand, sondern sie sind auch extrem schwierig zu singen. Meyerbeers Musik bedarf, mehr noch als andere, der genauesten Befolgung der Vortragsbezeichnungen, sonst kann sie flach und sentimental wirken (wie in einigen italienisch gesungenen Aufnahmen der 50er und 60er Jahre). Schließlich komponierte er seine Opern zur Hochzeit des "Canto fiorito", des verzierten Gesanges ("Belcanto" im engeren Sinne), als die Sänger und Sängerinnen in der Lage waren, komplizierte Läufe, Koloraturen, Triller etc. nicht etwa bloß technisch zu bewältigen, sondern sie mit großem Aplomb publikumswirksam darzubieten. Nicht umsonst waren diese Opern beliebte Vehikel der damaligen Gesangsstars, um ihre technischen Fähigkeiten auf brillianteste Art und Weise unter Beweis zu stellen. An der Pariser Oper wurden z.B. die "Hugenotten" in den 64 Jahren bis 1900 über 1000 mal gegeben und in den 1890er Jahren konnte man an der MET Aufführungen der "Hugenotten" erleben, in denen an einem Abend Nellie Melba, Lillian Nordica, Jean und Edouard de Reszke, Victor Maurel und Pol Plancon zusammen auf der Bühne zu hören waren!
Doch nach dem 1. Weltkrieg wandte man sich auf der Opernbühne dann von den Zugpferden der "Belle Epoque" ab, Wagner, Verdi und die Veristen beherrschten die Szene. Gesangstechnisch dominierte der naturalistische Verismo-Stil und die Sänger verloren durch eine veränderte Ausbildung weitgehend die Fähigkeiten, die für den Vortrag des "Canto fiorito" notwendig waren (daher nicht nur das Verschwinden von Meyerbeer, sondern auch das von Rossini, Bellini und Donizetti von den Spielplänen). Während heute wieder - etwa dank der Pionierarbeit von Maria Callas, Joan Sutherland, Richard Bonynge und Marilyn Horne seit den 50ern/60ern - Rossini, Bellini und Donizetti regelmäßig und in hoher Qualität zu hören sind, muß Meyerbeer noch auf seine Wiederentdeckung warten. Zwar gab es mittlerweile einige Wiederbelebungsversuche, doch die Resultate waren eher durchwachsen: die Sänger sind mit dem Stil nicht durchgehend vertraut, zudem werden die Werke meist mit erheblichen Strichen gegeben (um es den Sängern leichter zu machen), was aber deren inneren Aufbau zerstört und den Opern einiges an Wirkung nimmt. Aber man sollte die Hoffnung ja nie aufgeben...
Abschließend noch ein paar CD-Tips. Die Opern, die den Grundstock einer Sammlung bilden sollten, sind:
- "Les Huguenots"
- "Le Prophète"
- "L´Africaine".
Bei den "Hugenotten" bieten sich folgende Einspielungen an:
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Orchestre de Montpellier, Dir.: Cyril Diederich
Eine (bis auf den allerdings hervorragenden amerikanischen Tenor) fast komplett französische Produktion, m.E. die beste Allround-Aufnahme in Stereo. Leider momentan gestrichen.
Daher als Alternative die immer noch greifbare Decca-Produktion von 1970:
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New Philharmonia Orchestra, Bonynge
Sehr gute Aufnahme. Einziger, allerdings fataler Schwachpunkt ist das "Tenörchen" Vrenios, der sich undramatisch durch die Partie säuselt. Zwar sollte der Raoul kein strimmprotzender Kraftlackel sein, wie ihn etwa Corelli auf italienisch an der Scala gegeben hat, aber Vrenios verfällt ins andere Extrem.
Daher als Ergänzung zur Bonynge-Aufnahme:
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ORF-Symphonieorchester, Ernst Märzendorfer
Diese Live-Aufnahme von 1971 (Stereo, allerdings mit erheblichen Strichen) hat den wunderbarsten Raoul aller Gesamtaufnahmen, Nicolai Gedda, einen Sänger, der sowohl technisch als auch stilistisch keine Wünsche offen läßt. Neben Gedda agiert ein hervorragendes bis befriedigendes Ensemble unter einem kompetenten Dirigenten.
Bei "Le Prophète" (der Oper um die Münsteraner Wiedertäufer und ihren Anführer Jan van Leyden) gibt es keine große Auswahl. Zunächst wäre da die einzige Studio-Aufnahme, die aber momentan nicht erhältlich ist:
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Royal Philharmonic Orchestra, Henry Lewis
Star dieser Aufnahme ist eindeutig Marilyn Horne, die in ihrer Rolle als Fides wahrlich eine kaum glaubliche "Tour de force" hinlegt. McCracken singt den Jean zwar engagiert, aber stilistisch falsch. Die Aufnahme ist gekürzt.
Daher als Ergänzung unter demselben Dirigenten:
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Orchester der RAI Turin, Henry Lewis
Man muß Gedda in dieser Rolle gehört haben, um zu wissen, wie die Partie des Jean gesungen werden sollte. Eine notwendige Ergänzung der Studioaufnahme.
Schließlich "L´Africaine":
Meyerbeer erlebte die Uraufführung seiner Oper nicht mehr und hinterließ Aufführungsmaterial, aus dem dann die (gekürzte) Uraufführungsversion von 1865 wurde. Auch wenn die Oper heute kaum mehr gespielt wird, gehört die Arie des Vasco da Gama "O paradis" bzw. "Oh, paradiso" seit jeher zum Repertoire bekannter Tenöre.
Die vollständigste aller Aufnahmen ist dieser Münchner Mitschnitt von 1977:
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Orchester der Bayerischen Staatsoper, Gerd Albrecht
Wer noch mehr "Star Power" (Domingo, Verrett) braucht, dem sei dieser (gekürzte) Mitschnitt empfohlen:
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San Francisco Opera, John Perrison
Wer sich genauer über Meyerbeer belesen will, dem sei diese Biographie empfohlen (gibt´s allerdings wieder nur antiquarisch):
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Anmerkung: Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung eines in einem anderen Forum bereits veröffentlichen Postings.