Blind gehört / Wie gut kann man Interpreten "blind" erkennen?

  • Wiedererkennung aufgrund Individualität

    Lieber Maurice,

    das ist mir schon klar (auch das Vorhandensein von Jazzschulen) und Dein Einwand bzgl. dieses Punktes ist berechtigt. Aber verhält es sich nach Deiner Beschreibung gem. „hat Schule gemacht“, „war wegweisend“, „war Vorbild“, „wurde nachgeahmt“, „war stilbildend“ oder handelte es sich um "regelrechte" Lehrer-Schüler-Beziehungen, die stammbaumartig nachzuverfolgen sind? Auch die Problematik dieser bes. Differenzierung ist mir bewusst.

    Die These bzw. den Gedanken der besonderen Individualität im Jazz hast Du aufgezeigt, ich versuchte lediglich Dir Hilfestellung bei der Untermauerung zu geben; sowie Du meine drei Punkte im Kontext sehen solltest.

    Man mag mich dafür jetzt zurecht weisen, aber die Individualität im Jazz scheint scheint mir dort weitaus wichtiger zu sein als in der Klassik. Dass dies so nicht stimmt, ist mir trotzdem klar, aber MIR kommt es so vor. Selbst wenn Benny Goodman Mozart spielt ist es der Ton von Benny Goodman, und der ist einmalig...

    Bis dann.

  • Zitat

    das ist mir schon klar (auch das Vorhandensein von Jazzschulen) und Dein Einwand bzgl. dieses Punktes ist berechtigt. Aber verhält es sich nach Deiner Beschreibung gem. „hat Schule gemacht“, „war wegweisend“, „war Vorbild“, „wurde nachgeahmt“, „war stilbildend“ oder handelte es sich um "regelrechte" Lehrer-Schüler-Beziehungen, die stammbaumartig nachzuverfolgen sind? Auch die Problematik dieser bes. Differenzierung ist mir bewusst.


    Mir gefällt das Wort "Stammbaum" überhaupt nicht in dem Zusammenhang. Denn von "abstammen" kann man hier nun wirklich nicht sprechen. Allerhöchstens von "Stilistischer Nähe", mehr auch nicht. In der Klassik werden die Musiker offensichtlich weitaus stärker von ihren "Lehrern" auch tatsächlich unterrichtet, im Jazz ist das weitaus weniger so - gewesen. Mit dem Zeitalter der modernen Technik und der perfektionierten Ausbildung an den Hochschulen und Konservatorien wird "Jazz" eben auch "gelehrt" und damit zu einem gewissen Grad "akademisch". Hier geht es mir so wie Dir, die Problematik hier steht im klaren Gegensatz zur Improvisation und des Freien Jazz überhaupt.


    Die Qualität der Musiker hat sich im Beherrschen der Noten, dem sog. "Vom-Blatt-Spiel" so perfektioniert, dass aber die Individualität der einzelnen Musiker oftmals geradezu "verkümmert" ist, übertrieben geschrieben jetzt mal. Wo früher der persönliche Stil eines Musikers gepaart mit dem entsprechend geformten Ton DEN Solisten ausmachte, findet man heute eine Masse von hochqualifizierten Musikern,die technisch alles können, aber sonst doch eher rückläufig sind, was die persönliche Gestaltung und Improvisiaton angeht.


    In der ganzen Welt ist aber auch die Klassische Ausbildung und die Anforderungen an die Musiker so gestiegen, dass selbst "studierte Klassiker" teilweise auch hervorragend Jazz oder Musical spielen können. Das gilt besonders für die Länder, die dem Jazz und der Brass Band Music nahe stehen, so den USA,Großbritannien oder auch den Niederlanden.


    VG, Maurice

    Viele Grüße sendet Maurice

    Musik bedeutet, jemandem seine Geschichte zu erzählen und ist etwas ganz Persönliches. Daher ist es auch so schwierig, sie zu reproduzieren. Niemand kann ihr am Ende näher stehen als derjenige, der/die sie komponiert hat. Alle, die nach dem Komponisten kommen, können sie nur noch in verfälschter Form darbieten, denn sie erzählen am Ende wiederum ihre eigene Geschichte der Geschichte. (ist von mir)

  • Nach längerer Pause mal wieder ein paar ausgewählte Stücke aus der Serie "Blind gehört" (in Rondo erschienen). Dabei finde ich das "wer erkennt was?" weniger interessant als die Reflexion über Werke, Interpretation und Interpreten - mal ausführlich und abwägend wie bei Jurowski oder Rademann, mal freundlich-tolerant wie bei Karg oder Hamelin, mal dezidiert und kompromisslos wie bei Lortie oder Berezovsky, mal alles zusammen wie bei Rousset oder Manze.

    Vladimir Jurowski
    Andrew Manze
    Christophe Rousset
    Hans-Christoph Rademann
    Christiane Karg
    Boris Berezovsky
    Louis Lortie
    Marc-André Hamelin


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Beim Durchlesen fiel mir der Kommentar eines Lesers zu Louis Lortie auf : "Rondomagazin 6/2015 @ Blind gehört: Louis LortieSchon amüsant, wie Louis Lortie hier als Kritiker seiner Zunft etwas hochnäsig und provokant die Arbeit andrer Musikern beurteilt. Als langjähriger Beethoven Interpret bei Chandos sollte er jedenfalls die Schnabel Aufnahme von 1932, und nicht 42!, kennen und sich ob ihrer musikalischen Qualität nicht erst jetzt wundern." Tatsächlich hat Schnabel 1942 für die RCA in New York just die Sonate No. 30 (und 32) aufgenommen . Welche mehr musikalische Qualität hat, kann der Schreiber schlecht beurteilen, da er die 42er wohl gar nicht kennt .Tja, Hoch-Nasenfasser ! Übrigens hat das dazu verlinkte Foto bzw. die damit verbundene Naxos CD nix mit der Schnabel-Sonate zu tun. Wer bezahlt solchen Pfusch ?

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Nach längerer Pause mal wieder ein paar ausgewählte Stücke aus der Serie "Blind gehört" (in Rondo erschienen). Dabei finde ich das "wer erkennt was?" weniger interessant als die Reflexion über Werke, Interpretation und Interpreten - mal ausführlich und abwägend wie bei Jurowski oder Rademann, mal freundlich-tolerant wie bei Karg oder Hamelin, mal dezidiert und kompromisslos wie bei Lortie oder Berezovsky, mal alles zusammen wie bei Rousset oder Manze.

    Ich habe jetzt zum ersten Mal ein Rondo-Heft in der Hand gehabt und größere Teile durchgelesen. Das "Blind gehört" (mit Précardiens Sohn, der auch Précardien heißt), war sehr interessant. Zum Rest des Hefts: Was ist das für ein Quatsch?
    ?(

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • :D
    Mir liest sich Rondo aber nicht, als wäre es selbstironisch gemeint oder ein Blatt, in dem man entspannt tratscht, wie in einem Internetforum.
    Deshalb empfinde ich das Ding als ziemlich peinlich.

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  • Es ist halt ein werbefinanziertes Heftchen. Früher gab es solch ein Heftchen von Universal "Klassik-Akzente", das war dann reine Werbung. In Rondo habe ich zwar auch ewig nicht reingeschaut, aber ich fand es für ein werbefinanziertes Umsonst-Blättchen im Vergleich zu einer Zeitschrift wie Fono Forum, für die man soviel zahlt wie für eine budget-price-CD, nicht so schlecht.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ich finde es überhaupt nicht schlecht. Sie haben immerhin Leute wie Michael Wersin und scheuen auch nicht davor zurück, mal eine schlechte Bewertung zu vergeben.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • "im Vgl. nicht so schlecht" :jaja1: :jaja1:
    ...jedenfalls in den späten 90ern, als ich`s recht regelmäßig (nicht nur) durchgeblättert habe... ...hat mir seinerzeit durchaus so manchen schwierigen Tag gerettet ! !

    ((hab seitdem freilich kaum mehr reingesehn!))
    :wink:


    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • In Rondo habe ich zwar auch ewig nicht reingeschaut, aber ich fand es für ein werbefinanziertes Umsonst-Blättchen im Vergleich zu einer Zeitschrift wie Fono Forum, für die man soviel zahlt wie für eine budget-price-CD, nicht so schlecht.

    So würde ich das auch einschätzen. Natürlich viel Banales, Redundantes, human interest und manchmal Fehler im Detail, aber wenn man - wie zugegebenermaßen ich :saint: - auch ein wenig Interesse an Klatsch aus dem aktuellen Klassikbetrieb hat, liest sich das auf Zugfahrten zwischen Saarbrücken und Kaiserslautern oder zwischen Münster und Osnabrück ganz nett weg.

    Mir ging es auch weniger um die Zeitschrift, sondern um die Kombination des "Blind gehört"-Verfahrens mit der Mitwirkung von (nahezu ausschließlich) Profimusikern. Auch wenn die immer nur kleine Ausschnitte hören, finde ich in den besseren Folgen dieser Reihe die Beobachtungen zu (und die Verallgemeinerungen aus) charakteristischen Details der Werke/Interpretationen oft sehr aufschlussreich.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ja, sorry für den Rülpser, das "Blind gehört" war sehr interessant zu lesen, auch wenn man selbst überhaupt keine der Aufnahmen kennt und generell keine Aufnahmen vergleicht zu Hause, sondern einfach die Konfrontation eines ausübenden Musikers mit Aufnahmen, von denen er nicht weiß, was es ist, und was er dann so darüber denkt. Insbesondere muss der Musiker dann auch mit eigenen Irrtümern umgehen, und das liest sich amüsanter als ein vorbereiteter Text zu dem aktuell anstehenden Projekt.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
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  • In der Februar-Ausgabe von Concerti geht's in der Blind-gehört-Reihe um's Streichquartett. Es hören und urteilen zwei Mitglieder des Mandelring-Quartetts, Sebastian Schmidt (erste Geige) und Andreas Willwohl (Bratsche):

    Sehr interessant!

    Ich frage mich schon länger, wie wir einen "Blind Contest" bei Capriccio organisieren könnten - natürlich in legalem Rahmen. Einfach Upload nach YouTube oder Bereitstellung von MP3-dateien auf dem Webserver wäre wohl illegal, außer bei sehr alten Aufnahmen.

    Eventuell so, dass jemand auf seinem privaten Webserver MP3-Dateien bereitstellt und dann individuell zum Download einlädt? D. h. nicht jeder mit Internetzugang kann sich die Dateien holen, sondern nur jemand, der persönlich eingeladen wurde.

    https://irights.info/artikel/meine-…u-beachten/7653

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ein Blindhörer in Rondo bekam die erste Aufnahme von Beethovens Fünfter mit Rattle und den Wiener Philharmonikern voresetzt und er tippte auf ein HIP-Ensemble. So viel zur Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit des Klangs der Wiener Philharmoniker. Sehr lehrreiche Erfahrung. Wie der Bier-Blinttest, bei dem als Ergrbnis fast jedes Pils exakt gleich schmeckt. Aber ich wiederhole mich.

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Ein Blindhörer in Rondo bekam die erste Aufnahme von Beethovens Fünfter mit Rattle und den Wiener Philharmonikern voresetzt und er tippte auf ein HIP-Ensemble. So viel zur Unverwechselbarkeit und Einzigartigkeit des Klangs der Wiener Philharmoniker.

    Wobei man berücksichtigen muss, dass man bei solchen Tests nicht die Wiener Philharmoniker sondern eine Aufnahme von ihnen hört. Und die kann je nach Mikrofonierung und Klangeinstellung ziemlich unterschiedlich sein. Der besondere Klang der Philharmoniker basiert bei Bläsern vor allem auf der Verwendung traditioneller Instrumente (Wiener Oboe usw.) und bei Streichern auf der Tradition, tendenziell mit wenig Druck und dafür höherer Bogengeschwindigkeit (und nicht zu nah am Steg) zu spielen. Das hört man in einem guten Konzertsaal bei vielen Stellen durchaus als klangliches Charakteristikum. Ein Blindtest im Konzertsaal wäre zwar theoretisch möglich, dürfte aber am praktischen Aufwand scheitern...

    Christian

  • Ich habe diese Aufnahmen und Rattle lässt dort schon anders musizieren als man es von den Wiener Philharmonikern kennt. Die Aufnahme ist eigentlich sehr HIPig, aber eben auf modernen Instrumenten. Ich mag sie übrigens sehr.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Einfach Upload nach YouTube oder Bereitstellung von MP3-dateien auf dem Webserver wäre wohl illegal, außer bei sehr alten Aufnahmen.

    wobei es ja bei yt so eine Art "automatischer Legalisierung" gibt, d.h. ein Urheberrechtsbeansprucher stimmt der Einstellung auf yt zu, behält sich aber z.B. "Monetarisierung" vor. Das könnte man einfach probieren. Ganz praktisch eigentlich, dabei unterläuft allerdings anscheinend jede Menge "Copyfraud".

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Ein Blindtest im Konzertsaal wäre zwar theoretisch möglich, dürfte aber am praktischen Aufwand scheitern...

    Na komm, mit ein bisschen gutem Willen. Man kann sich ja erstmal auf fünf beschränken, Wiener, Berliner Philh., Chicago und London Symphony und Concertgebouw Orkest z. B. In Detmold vielleicht?

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