Brahms: Klaviertrio Opus 8 - gekämmt und ungekämmt

  • Brahms: Klaviertrio Opus 8 - gekämmt und ungekämmt

    Als erstes kammermusikalisches Werk überhaupt veröffentlichte Brahms im Jahr 1854 sein viersätziges Klaviertrio in H-Dur, Op. 8. Viele Jahre später (1889) überarbeitete er sein Jugendwerk noch einmal gründlich und kürzte es dabei um ein Drittel. Brahms selbst schrieb dazu, es sei ihm darum gegangen, dem Wildling zwar keine Perücke aufzusetzen, ihm aber ein wenig die Haare zu kämmen und zu ordnen.

    In allen mir bisher bekannten Einspielungen wird diese zweite, überarbeitete Fassung musiziert. Nun sah ich heute bei klassik.com den Hinweis auf eine neue Aufnahme durch das Trio Testore, das beide Fassungen eingespielt hat und so einen Vergleich ermöglicht.

    "http://magazin.klassik.com/reviews/review…4454&REID=14352"

    Kennt jemand diese Aufnahme? Gibt es noch andere Aufnahmen, in der die Frühfassung zu hören ist?

    Mir persönlich ist Opus 8 das liebste von den drei Klaviertrios. Schon alleine das schwelgerische Hauptthema im ersten Satz vergisst man nie mehr, wenn man es einmal gehört hat. Aber auch der langsame dritte Satz mit seinem choralartigen Thema und der wunderbaren Cellokantilene vermitteln eine Ruhe und Würde, die mich unmittelbar anspricht.

    Gruß, Carola

    Vom Schlechten kann man nie zu wenig und das Gute nie zu oft lesen. Arthur Schopenhauer

  • Es gibt einige (ich schätze 3-4) Einspielungen der Urfassung; ich habe eine mit dem Trio opus 8 bei Arte Nova (weiß nicht, ob die bei Oehms wieder erschienen ist). Die Aussage von Brahms untertreibt m.E. die Eingriffe, die stellenweise massiv ausfallen.
    Meiner Erinnerung nach bleibt allein das Scherzo weitgehend ungeschoren. :D Im in der Erstfassung sehr langatmigen Kopfsatz hat Brahms einen ganzen Themenkomplex ersatzlos gestrichen und auch 3. und 4. Satz wurden deutlich gestrafft. Für Details müsste ich die Erstfassung nochmal anhören und ich vermute, dass Christian Köhn u.a. hier weit mehr beitragen könnten. Aber es sind, wie gesagt, keineswegs Nuancen, sondern eher ein neuer Haarschnitt und Vollbart abrasiert... ;+)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Es gibt einige (ich schätze 3-4) Einspielungen der Urfassung; ich habe eine mit dem Trio opus 8 bei Arte Nova (weiß nicht, ob die bei Oehms wieder erschienen ist).

    Das müsste diese sein, Volume 2. Offenbar nicht noch mal bei Oehms veröffentlicht.

    Gruß, Carola

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  • Ich finde, unter allen Frühwerken Brahms' ragt das op. 8 deutlich heraus - ein wirklich sehr schönes Werk, das schon nach "echtem Brahms" klingt. Allenfalls die Balladen op. 10 erreichen für mich annähernd diese Höhe; mit den anderen frühen Klavierwerken (Sonaten) hab ich es nicht so. Die Anregung, die Urfassung und die 35 Jahre später entstandene Überarbeitung vergleichsweise zu hören, greife ich (nach dem Pfingsturlaub) gern auf. Ein renommiertes Ensemle, das beide Fassungen um 1990 eingespielt hat, ist das Abegg-Trio:


    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Zum Werk selbst schreib ich auch noch was, zunächst aber kurz zu Einspielungen der Urfassung. Sie ist in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sehr gerne aufgeführt worden, es gibt inzwischen bestimmt fast ein Dutzend Aufnahmen. Folgende habe ich (außer den drei bereits genannten) gefunden:


    Beide Fassungen:

     

     


    Nur die Erstfassung:


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich habe die Erstfassung vorhin in der oben gezeigten Aufnahme des Trio opus 8 angehört. Die Unterschiede sind erheblich. Im Kopfsatz ist praktisch der gesamte Komplex des 2. Themas und der Schlussgruppe gestrichen bzw. durch anderes Material ersetzt worden. In der Urfassung gab es u.a. ein Fugato-Thema, das ein wenig so klingt, als ob Brahms zu lange über der Kunst der Fuge gebrütet hätte... Da die Durchführung hauptsächlich auf diesem Material beruhte, ist die natürlich auch ganz anders, ebenso die Reprise. Aber auch kleinere Sachen sind verändert, so fehlt in der revidierten Fassung eine Begleitstimme der Geige wenn ziemlich am Anfang das Cello das Hauptthema hat. Der Satz dauert in der Urfassung mit Wdh., die etwa 5 min ausmacht, gut 19 min.

    Beim Scherzo ist mir ohne direktes A-B-Vergleichen nichts allzu deutlich aufgefallen, jedenfalls ist dieser Satz von Material und Charakter nicht verändert, selbst wenn einiges überarbeitet worden sein mag.
    Im langsamen Satz hat Brahms in der Spätfassung ein mehrfach auftretendes Zitat aus Schuberts "Am Meer" ("Das Meer erglänzte weit hinaus...") gestrichen, Hauptthema und Stimmung bleiben aber im wesentlichen erhalten. Nach dem Kopfsatz dürfte das Finale die meisten Änderungen erfahren haben. Hier gab es in der Urfassung u.a. das von Schumann oft verwendete Beethoven-Zitat "Nimm sie hin denn, diese Lieder..." Das Hauptthema ist zwar noch dasselbe, ebenso bleibt der für ein in Dur beginnendes Werk ungewöhnliche Schluss in Moll erhalten, aber das schwungvolle Seitenthema hat Brahms in der Neufassung erst hinzugefügt.

    Natürlich ist sicher viel Gewohnheit dabei, da ich die Spätfassung über 10 Jahre länger kenne und vermutlich mehr als zehnmal so oft gehört habe, aber ich zögere nicht, die Spätfassung klar vorzuziehen. Die Urfassung ist sicher kein schlechtes Stück, das großartige und eingängige Scherzo bleibt ja ebenso erhalten wie das wesentliche Material (und ganze Abschnitte) der anderen Sätze. Aber die Neufassung ist weit konziser und besonders in den Ecksätzen für mich auch von der Stimmung weit schlüssiger, da einheitlicher. Auch das gestrichene Material hat für mich nicht so viel Attraktion, dass ich das Stück deswegen hören müsste, zumal man auf das grandiose zweite Thema des Finales verzichten muss. Interessant ist so etwas natürlich allemal, aber dass man inzwischen die Urfassung beinahe standardmäßig ebenfalls einspielt, wundert mich schon ein wenig.

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    (B. Pascal)

  • Ich habe die Erstfassung vorhin in der oben gezeigten Aufnahme des Trio opus 8 angehört.

    Genau das habe auch ich eben getan. Ich kann nur bestätigen, daß sich beide Fassungen deutlich voneinander unterscheiden. Man könnte vielleicht mit Recht und nur wenig überzeichnet behaupten, daß es sich im Grunde um zwei verschiedene Werke handelt, deren Gemeinsamkeit lediglich darin besteht, daß sie vom gleichen thematischen Material ausgehen; die Formverläufe sind jeweils ganz anders (außer im 2. Satz, dem Scherzo). In der 1854er-Fassung mäandert das im Kopfsatz teilweise so arg, daß die Stringenz, die ich gerade an Brahms' Kammermusik sonst bewundere, gelegentlich verloren geht, etwa in den von Kater Murr angeführten Fugato-Passagen des 1. Satzes. Ich mag die auf mich konzentrierter und zwingender gestaltet wirkende 1889er-Fassung lieber.

    Die Einspielungen des Trio Opus 8 (die drei Musiker haben sich als Studierende gefunden und ebendieses Werk als erstes einstudiert und sich entsprechend benannt) finde ich übrigens sehr überzeugend: transparent und klar, dabei auch emotional schön durchgestaltet. Empfehlen würde ich diese Doppel-CD (die man als zwei Einzel-CDs gerade günstiger bekommt) mit allen 3 bzw. 4 Klaviertrios:


    Arte, 2 CD, aufg. 1995/96

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Und das Cover hat Brahms selbst gemalt.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Und das Cover hat Brahms selbst gemalt.

    Bei mir steht, daß ein gewisser Herr Herbert Muckenschnabl (sic!), 94556 Schönanger, dafür verantwortlich ist.

    :tee:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann


  • Man könnte vielleicht mit Recht und nur wenig überzeichnet behaupten, daß es sich im Grunde um zwei verschiedene Werke handelt, deren Gemeinsamkeit lediglich darin besteht, daß sie vom gleichen thematischen Material ausgehen;

    Genau das macht die Sache in meinen Augen so spannend. Wie aus einem Frühwerk ein Spätwerk wird, kann man so im Detail sicher nicht allzu oft nachvollziehen. Im Netz fand ich einen Kammermusikführer, in dem die Unterschiede der beiden Versionen und die Geschichte ihrer Entstehung und Überarbeitung erläutert wird - sehr empfehlenswert.

    "http://www.kammermusikfuehrer.de/werke/367"

    Die Aufnahme mit dem Trio Opus 8 habe ich gestern gebraucht bestellt und freue mich darauf, die Frühfassung bald selbst hören zu können.

    Gruß, Carola

    Vom Schlechten kann man nie zu wenig und das Gute nie zu oft lesen. Arthur Schopenhauer

  • Wie ein "Spätwerk" klingt auch das überarbeitete op.8 für meine Ohren nicht. Man vergleiche mit op.101 oder dem Klarinettentrio, die sehr viel lakonischer, herber und dichter gehalten sind.
    Das Erstaunliche für mich ist eher, dass Brahms, obwohl deutlich gestrafft, kein bißchen vom "Schwung" der Erstfassung einbüßt. Im Gegenteil. Durch die Elimination der bwz. Neukonzeption der Seitenthemen in den Ecksätzen wirkt das Stück für mich nicht nur formal straffer, sondern schwungvoller und im unverhohlen romantischen Ausdruck einheitlicher.
    Es fehlt dann zwar der Aspekt, den der ganz junge Brahms anscheinend von Schumann übernommen hat, die Zitate und damit verbunden die Stimmungswechsel. Auf dieser Schiene war die 3. Klavier-Sonate (und vielleicht auch die beiden anderen, wobei ich die fis-moll nicht so gut kenne) m.E. gelungener als das Ur-op.8
    Das seltsame Fugato stört nämlich den schwärmerischen Ton des Kopfsatzes eher, ebenso wie das Beethoven-Zitat die Energie des Finales abschwächt, jedenfalls im Gegensatz zu dem großartigen neuen Seitenthema, das überdies sehr gut zur "naiven Romantik" des Stücks passt.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Die Neufassung des Klaviertrios ist insofern erstaunlich, als Brahms nur sehr selten bereits gedruckte Werke noch einmal überarbeitet hat: Die A-Dur-Serenade op. 16 (1860) hat er 1875 mit Änderungen in Dynamik, Artikulation und Instrumentation neu herausgegeben, das Lied "Liebe und Frühling 1" op. 3 Nr. 2 (1853) fast drei Jahrzehnte nach dem Erstdruck mit geändertem Klaviersatz und weniger Spielanweisungen neu veröffentlicht und schließlich das Lied "Beim Abschied" op. 95 Nr. 3 zwei Jahre nach dem Erscheinen rhythmisch-metrisch überarbeitet. Keine dieser nachträglichen Änderungen greift auch nur annähernd so stark in die ursprüngliche kompositorische Substanz ein wie die Spätfassung von op. 8, bei dem vor allem die Ecksätze quasi Neukompositionen aus demselben Material sind. Dass Brahms das selbst auch so gesehen hat, beweist ein Brief an Clara Schumann, in dem er berichtet, er habe sein "H-Dur-Trio noch einmal geschrieben" und könne es jetzt "Op. 108 statt Op. 8" nennen. Letzten Endes ist unklar, was genau Brahms in diesem einen Fall zu einer so weitreichenden Revision inspiriert hat, zumal er durch die Neufassung durchaus nicht die Frühfassung ersetzen wollte, sondern mit einer Koexistenz beider einverstanden war. Wenn man bedenkt, dass Brahms ansonsten sehr darauf bedacht war, alle Vorstudien und Zwischenschritte auf dem Weg zum endgültigen, d.h. gedruckten, Werk zu verbergen oder zu vernichten, ist diese Anerkennung beider Fassungen umso erstaunlicher. Man kann meines Erachtens deshalb bei op. 8 mit einigem Recht von einem Doppelwerk sprechen, dessen künstlerische Aussage erst im Verhältnis beider Fassungen zueinander verständlich wird. Insofern finde ich, dass die Diskussionen über Stärken und Schwächen, über Vorzüge und Nachteile der einen oder anderen Fassung im Grunde am Thema vorbeigehen.

    Christian

  • Insofern finde ich, dass die Diskussionen über Stärken und Schwächen, über Vorzüge und Nachteile der einen oder anderen Fassung im Grunde am Thema vorbeigehen.

    Meinst Du? Dann würde mich doch einmal interessieren, lieber Christian, worin Du den besonderen Reiz der 1854er-Fassung gegenüber der 1889er-Fassung siehst.

    Mir nämlich erscheint, wie bereits angedeutet, die spätere Fassung stringenter; ich habe hier mehr den Eindruck eines logischen Verlaufs in konzentrierter Form, während die frühere sich wiederholt in Seitenwege verzettelt (eigentlich untypisch für Brahms), ohne daß ich das Ganze als so zwingend empfinde.

    Siehst Du das anders?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Meinst Du? Dann würde mich doch einmal interessieren, lieber Christian, worin Du den besonderen Reiz der 1854er-Fassung gegenüber der 1889er-Fassung siehst.

    Mir nämlich erscheint, wie bereits angedeutet, die spätere Fassung stringenter; ich habe hier mehr den Eindruck eines logischen Verlaufs in konzentrierter Form, während die frühere sich wiederholt in Seitenwege verzettelt (eigentlich untypisch für Brahms), ohne daß ich das Ganze als so zwingend empfinde.

    Siehst Du das anders?

    Du hast mich glaube ich falsch verstanden: Natürlich kann man z.B. unter dem Kriterium der kompositorischen Ökonomie zeigen, dass die Spätfassung stringenter, logischer,"besser" ist. Aber die ausufernde, kaum zu bändigende Vielfalt der Frühfassung, die freien lyrischen Kommentare (z.B. der Violine gleich zu Beginn), das Beethoven-Zitat usw., all das hat eigene, "jugendliche" Qualitäten, von denen Brahms sich wie gesagt auch im Alter mit der Spätfassung nicht distanzieren wollte. Man könnte also in dem Mit- und Gegeneinander beider Fassungen das eigentliche Werk "Klaviertrio opus 8" wahrnehmen. So kann man z.B. das nicht mehr vorhandene Zitat aus "An die ferne Geliebte" in der Spätfassung wie die Verarbeitung einer lange abgeschlossenen jugendlichen Schwärmerei hören, was aber natürlich nur möglich ist, wenn man die Frühfassung ebenfalls kennt. Das Konzept eines "Doppelwerkes" aus Früh- und Spätwerk, bei dem letzteres zum ersten hinzu- und nicht an dessen Stelle tritt, wäre nicht nur bei Brahms ziemlich einmalig. Es geht vielleicht zu weit, das als bewusste künstlerische Idee bei der Komposition der Spätfassung zu deuten, aber eine gewisse Rolle spielt dieses Konzept meines Erachtens im Ergebnis schon. Jedenfalls ist es dieses Spannungsverhältnis, was mich an diesem Trio und seinen beiden Fassungen am meisten interessiert. Und nur unter diesem Aspekt finde ich die Diskussionen über die Qualitäten der einen bzw. der anderen Fassung letztlich verfehlt. Aus Deinem Blickwinkel stimme ich Deiner Bewertung zu, aber der Blickwinkel scheint mir in diesem Fall nicht ganz passend zu sein.

    Christian


  • Inzwischen gibt es eine weitere Aufnahme der Klaviertrios, die auch die Frühfassung enthält. Anhand dieser Aufnahme habe ich vor einiger Zeit zum ersten Mal die Frühfassung gehört und war verblüfft über die Unterschiede, die viel weiter reichen als eine "übliche" Überarbeitung. Aber dazu ist oben bereits alles Wichtige gesagt (z.Zt. preisgünstig angeboten).

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